„Grauenvoll! Grauenvoll!“ Naja, nicht ganz. Aber fast!
Herz der FinsternisNein, ganz so schlimm, wie der Titel dieser Rezension andeutet, ist die Erzählung „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad nicht. Es bot sich nur an, diesen doppelten Ausruf aus dem Buch direkt zu übernehmen. ...
Nein, ganz so schlimm, wie der Titel dieser Rezension andeutet, ist die Erzählung „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad nicht. Es bot sich nur an, diesen doppelten Ausruf aus dem Buch direkt zu übernehmen. Tja, aber so richtig überzeugen konnte mich Conrad mit seinem Buch und vor allem Penguin mit seiner 2022 erschienen Ausgabe des selbigen leider nicht.
Zunächst einmal zur Erzählung an sich. Ein Seemann, Marlow, erzählt mit einem Boot auf der Themse schippernd seinen teilweise eingeschlafenen Mitreisenden eine Geschichte aus seinen jungen Jahren. Damals (Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts) sei er abenteuerlustig mit einer Handelsflotte als Kapitän eines Flussdampfers den Kongo hinaufgefahren, mit dem Ziel den Elfenbeinhändler Kurtz aus dem Inland abzuholen.
Nachdem ich mich auf der Themse so überhaupt nicht mit zu Marlow ins Boot hieven konnte und nur schwer auf den ersten 10-15 Seiten Zugang zum Text fand, gelang mir dies auf den ersten Seiten seiner Erzählung über die Reise zum Kongo und vom Aufenthalt auf dem afrikanischen Kontinent dann schon besser. Die zu Beginn häufiger auftauchende subtile, zynische Kritik am Kolonialismus empfand ich hier aussagekräftig in den Gedankengängen des jungen Marlow widergespiegelt. Diese durchaus vorhandene Kritik zeigt sich in Äußerungen wie diesen:
"Die Eroberung der Welt ist - genau betrachtet - nichts Erbauliches; meist läuft es darauf hinaus, dass man denen, die eine andere Hautfarbe oder platte Nase haben, ihr Land wegnimmt." (S.12-13)
"Sie sprach von der Notwendigkeit, 'diese unwissenden Menschen ihrer grässlichen Lebensweise zu entwöhnen', bis mir nachgerade nicht mehr wohl war in meiner Haut." (S.24-25)
"Also nannte man sie [die Schwarzen] Verbrecher, und das verletzte Recht war, wie die krepierenden Granaten, geheimnisvoll über sie hereingebrochen, ein unlösbares Rätsel von jenseits des Meeres." (S.31)
Diese ersten 50 Seiten empfand ich als gekonnte Beobachtung des Kolonialismus und den daraus entstandenen „Handel“ mit Kolonialwaren, wie Elfenbein, aber auch Darstellung eines jungen, abenteuerlustigen Menschen, der zunehmend desillusioniert wird durch seinen Eintritt in die Handelsflotte und deren Verstrickungen mit der Politik und dem Menschenbild der damaligen Zeit. Man beachte, das Buch wurde 1899 erstmals veröffentlicht, in einer Zeit, in der der Kolonialismus noch en vogue in Europa war. Von der Schifffahrt vor allem nach Afrika versteht der Autor auch etwas, war er doch selbst ab 1888 bis 1893 Kapitän der Otago und verarbeitete seine Erlebnisse u.a. im Kongo in seinen Werken.
Nur ist es so, dass mich das Buch mich für die darauffolgenden 110 Seiten nicht mehr einfangen konnte. Das lag zum einen am ausufernden Schreibstil des Autors. Seine schwülstigen Formulierungen sind sicherlich der Zeit geschuldet, konnten mir aber leider nicht die Atmosphäre dieser Reise auf dem Kongo vermitteln. Die in Worten beschriebene Stimmung auf dem Flussdampfer übertrug sich nicht auf mich als Leserin. Auch konnten die Beschreibungen in mir nur selten ein inneres Bild der Szenerie entstehen lassen. Nie wollte ich in einer kurzen Lesepause zurück ins Buch und damit zurück in diese Geschichte. Im Gegenteil, mit zunehmender Seitenzahl wurde die Lektüre zunehmend zäh, unverständlich und entzog sich mir in seiner Aussagekraft, dass ich mich regelrecht quälte die Lektüre abzuschließen. Zurück ließ sie mich mit riesigen Fragezeichnen bezüglich einer Aussage des Buches bzw. des Autors. Man findet in Analysen des Textes die Beschreibung, dass Kurtz hier als das „charismatische, moderne Böse“ dargestellt sein soll. Leider übertrug sich diese Interpretation überhaupt nicht auf mich während der Lektüre. Zuletzt fehlte mir die Nachvollziehbarkeit sowohl der Handlung als auch der handelnden Personen. Zu lang für eine Novelle, zu kurz für einen Roman, bekommen für mich die wichtigen Handlungsstränge nicht genug Raum und Zeit, um das Anliegen Conrads zu vermitteln. (Andererseits hätte es mich davor gegraut, noch länger Conrads Sprache folgen zu müssen.) Die Kolonialismuskritik ging zum Ende hin, nach meinem Verständnis zunehmend verloren, die afrikanischen Ureinwohner bleiben in ihrer Beschreibung eindimensional „die Wilden“, obwohl es Anknüpfungspunkte gegeben hätte, diese menschlicher, mit – zumindest ein wenig – mehr Tiefe darzustellen. Denn natürlich ist das Buch noch während der Kolonialzeit geschrieben, dennoch sollte man im Blick behalten, dass es innerhalb der Intelligentsia zu dieser Zeit der Jahrhundertwende durchaus schon realistischere Darstellungen von Schwarzen Menschen existierten und sich gegen die triebgesteuerte, tierische Darstellung von indigenen Völkern aussprach. Den verschiedenen Figuren bin ich leider über die Erzählung hinweg nicht näher gekommen, ihre Beweggründe wurden für mich kaum ersichtlich, was vor allem für die zentrale Figur Kurtz gilt.
Vielleicht hätte sich das Buch, die verwendete Symbolik und die Aussage dessen mir mehr geöffnet, wenn die Ausgabe vom Penguin Verlag in der „Penguin Edition“ besser gelungen wäre. Dem Text allein hätte ich 3 Sterne für sich stehend zugesprochen, aber in Form der leider wenig zugänglichen Aufmachung, habe ich mich für ein Abrunden auf 2 Sterne entschieden. Denn aus der Ausgabe erfährt man die grundsätzlichsten aber gleichzeitig unglaublich wichtigen Informationen zum Text, um diesen einordnen zu können, nicht. Man muss sich ergoogeln, dass der Originaltext 1899 erschien, dass der Übersetzer Fritz Güttinger in 1992 verstarb, somit die Übersetzung aus einem früheren Jahr stammt, welches bleibt offen, dass das Nachwort, welches mit „Ernst Weiss“ unterschrieben ist, scheinbar vom österreichischen Schriftsteller und Übersetzer Ernst Weiß stammt, der 1940 verstarb, demnach also auch schon etwas älter ist. Ob es dieser Ernst Weiß ist, keine Ahnung, es gibt keinerlei Angaben im Buch diesbezüglich, auch kein Jahr des Verfassens des Nachworts. Und einmal von diesem eklatanten Fehlen der Rahmeninformationen abgesehen, konnte mir das ähnlich nebulös verfasste Nachwort – hier wähnt man sich sprachlich fast noch im Text von Conrad – keine Erkenntnisse zum vorliegenden Text vermitteln. Es ist ein allgemein gehaltenes Nachwort zum Autor und dessen Werk, wobei „Her der Finsternis“ hier kaum auftaucht. Es konnte mir nicht einmal ansatzweise Tipps geben, wie ich die Geschichte verstehen könnte. Hinweise zu mythologischen Bausteinen, biografischen und historischen Zusammenhängen sind bei Wikipedia dann nachzulesen. Da erwarte ich mehr von einer neuen Veröffentlichung im Jahre 2022. Hätte die Erzählung doch eine perfekte Steilvorlage gegeben ein aktuelles, modernes Nachwort anzuhängen, welches die Geschichte in einen entsprechenden Kontext setzt oder verschiedene Interpretationen und Bewertungen ermöglicht. Denn unumstritten scheint dieser historische Text nicht zu sein, wie Äußerungen Chinua Achebes aus der (durchaus gelungenen) editorischen Notiz zu entnehmen ist. Warum hat der Verlag dieses Potential zur Diskussion verschenkt?
Also noch einmal: „Grauenvoll!“ ist die Erzählung nicht gleich, keine Angst. Aber in dieser Präsentation leider auch nicht besonders gut. Lesende, die Prosatexte aus dieser Zeit mit pathetischer Sprache lieben, werden hier sicherlich auch auf ihre Kosten kommen. Für mich war das leider unterm Strich nichts.
2,5/5 Sterne