Nicht die Religion ist böse, sondern die Menschen.
Der Lebensweg der Jesidin Aziza ist mehr als beschwerlich. Geboren in einer Familie der Heiler, muss sie mit ansehen, wie ihre ganze Familie zum Islam konvertiert in einer Zeit, in der politische und ...
Der Lebensweg der Jesidin Aziza ist mehr als beschwerlich. Geboren in einer Familie der Heiler, muss sie mit ansehen, wie ihre ganze Familie zum Islam konvertiert in einer Zeit, in der politische und religiöse Unruhen ihr Land bedrohen, in dem sie als Jesiden in der Minderheit wohnen. Von außen drängen die Franzosen und Engländer, dagegen wollen die einen einen religionslosen türkischen Staat errichten, die anderen fürchten um ihren Einfluss als religiöse Führer muslimischer Sekten. Ventil für Aggression und Zukunftsangst sind die religiösen Minderheiten. Aziza selbst wird von einem Sektenführer entführt, der viele Frauen in seine Dienste zu Prostituierten und gedungenen Mörderinnen zwingt. Doch mit Aziza hat er großes vor, hat sie doch Gaben, die ihm nutzbar sein könnten in seiner Taktiererei mit den Anführern der türkischen Bewegung und den äußeren Feinden aus Frankreich…
Der Roman beginnt als großer Abenteuerroman, spannend, atmosphärisch wie ein Hollywood-Blockbuster. Der Mittelteil dagegen entwickelt sich eher zäh. Die Romanhandlung weist einige logische Schwächen bzw. Sprünge auf. Historische und religiöse Hintergründe bleiben sehr allgemein und vage. Die Figuren sind eher statisch und holzschnitthaft. Jeder scheint nur nach seinem Vorteil zu trachten, um Ideale oder auch um Glauben geht es wenig. Religion dient nur der Stabilisierung oder Vergrößerung des eignen Einflusses, als politisches Instrument oder als reine Überlebensstrategie, wenn man an die konvertierten Jesiden denkt. Einzig die Frauen im Dienste des Sektenführers erscheinen als religiöse Fanatikerinnen, die im Namen der Religion ihren Körper verkaufen und hinterhältige Mordanschläge ausführen im Glauben an das Gute der Sache. Der Sektenführer selber ist ein bösartiger, berechnender, abstoßender Fettsack, der keine Werte kennt, nur den eigenen Vorteil. Aziza könnte da ein großes Gegenbild sein, aber ihre Figur gerät im Mittelteil sehr in den Hintergrund. Sie wiederholt lediglich immer an ihrem Glauben festhalten zu wollen, trotz aller gegenteiligen Erfahrung. Woher sie diese Stärke im Glauben nimmt, ist mir nicht wirklich deutlich geworden. Ihre Visionen sind mir allerdings auch zu fremd, um mich dort einfühlen zu können.
Der Schlussteil versöhnt wieder mit dem Buch. Hier schildert der Autor, was ich mir eigentlich mehr von dem Buch erwartet hätte: das Leben der Heilerin Aziza als religiöser Außenseiterin. Trotz aller Mühsal ihres Lebens – oder wegen? - hat die Schilderung ihres Todes am Ende etwas Befreiendes und Hoffnungsvolles.
Das Buch zeigt deutlich, wie der Mensch Religion zu seinem Zweck aufs Schändlichste missbraucht. Deutlicher hätte für mich werden können, dass dies im Wesen des Menschen begründet liegt, nicht in der Religion. Dazu wäre es für den Laien hilfreich gewesen, mehr über die politischen, historischen und religiösen Zusammenhänge – insbesondere auch über die Jesiden und die vielen im Buch nur genannten religiösen Gruppierungen – zu erfahren.