Eine ungewöhnliche Story mit langem Anlauf und furiosem Finale
Der Nebelmann
"Die dümmste Sünde des Teufels ist die Eitelkeit." (S. 269)
Zum Inhalt:
Am Tag vor Heiligabend verschwindet in einem kleinen, abgelegenen Bergdorf die 16jährige Anna Lou spurlos. Niemand will etwas gesehen ...
"Die dümmste Sünde des Teufels ist die Eitelkeit." (S. 269)
Zum Inhalt:
Am Tag vor Heiligabend verschwindet in einem kleinen, abgelegenen Bergdorf die 16jährige Anna Lou spurlos. Niemand will etwas gesehen oder gehört haben. Daraufhin wird der egozentrische Sonderermittler Vogel auf den Fall angesetzt, der nach einem Fiasko in seinem letzten Fall nun um jeden Preis einen Ermittlungserfolg braucht und sein öffentliches Ansehen wieder herstellen will. Doch die ruhige Einöde des Dorfes täuscht…
Meine Meinung:
**Eine kleine Warnung vorweg: Wenn Sie die offizielle Kurzbeschreibung / den Klappentext noch NICHT gelesen haben, lassen Sie es! Denn dieser verrät viel zu viel über den Inhalt des Buches!**
Donato Carrisi („Der Todesflüsterer“) nutzt in seinem neusten Buch ein sehr interessantes Stilmittel, denn sein Werk beginnt mit Vogels blutverschmiertem Auftauchen - das sorgt sofort für Spannung und Neugier! Doch in der sich direkt anschließenden Rückblende beginnt der Fall zunächst eher unspektakulär. Das Setting im einsamen, ja fast schon isolierten Bergdorf, zu dem es nur eine einzige Zugangsstraße gibt und deren Bewohner schon etwas Sektenartiges haben, ist sehr gelungen. Es scheint ein ganz eigener Mikrokosmos zu sein, in den Vogel von außen eindringt. Wie eine beklemmende Wolke hängt eine latent depressive Stimmung über diesem Ort. Durch geschickte Sprünge in der Zeit – vor und zurück – und stetige Wechsel der Erzählperspektive treibt der Autor seine Geschichte voran. Allerdings haben die ersten 3/4 des Buches für meinen Geschmack keine Thriller-Gene, dafür fehlt es über einige Strecken zu sehr an Spannung. Vielmehr ist es für mein eine Mischung aus Drama und Krimi. Hinzu kommt immer mehr das Element einer Charakter- und Gesellschaftsstudie, denn im Fortlauf der Ermittlungen spitzt sich die Stimmung im verschlafenen Dörfchen immer weiter zu und alles scheint immer mehr auf eine „Hexenjagd“ hinauszulaufen. Die Emotionen kochen hoch, Vorverurteilungen nehmen zu und die Präsentation eines Schuldigen wird auf einmal viel dringlicher erwartet als die Aufklärung des tragischen Verschwindens. Hier hält Donato Carrisi der aktuellen Gesellschaft durchaus einen Spiegel vor, wie man leider feststellen muss.
Eine weitere Eigenheit dieses Buches ist, dass ich zu keiner Zeit mit einem der Charaktere wirklich warm geworden bin. Der Protagonist, Sonderermittler Vogel, ist dabei ein absoluter Unsympath, der von seinen eigenen Kollegen wie folgt beschrieben wird: "eigensinnig, kontrollsüchtig, nur an seiner Medienwirkung interessiert". Aber für seine Geschichte braucht es genau so einen Charakter, wie man am Ende des Buches feststellen wird.
Während mich die ersten rd. 3/4 dieses Buches nicht wirklich gefesselt haben, da es z.T. an Spannung mangelte, hat mich das Finale vollkommen und restlos begeistert: Das letzte Viertel des Buches war dermaßen spannend, hoch atmosphärisch und immer wieder überraschend - bis zur letzten Seite. Erst im Nachhinein, wenn alles erklärt und aufgedeckt ist, merkt man als Leser, wie extrem gekonnt der Autor seine Geschichte aufgebaut hat. Bis zu diesem Finale hätte ich das Buch mit drei Sternen bewertet – so sind es für mich eindeutige fünf Sterne!
FAZIT:
Eine komplexe Story, die erst ganz langsam ihren Sog entfaltet, um schließlich in einem furiosen Finale explosionsartig zu münden.