Man soll ja ein Buch nicht nur wegen seines tollen Covers auswählen. Aber bei „Nevernight“ von Jay Kristoff wäre das tatsächlich schon ein Kaufgrund für mich gewesen. Und nach dem Genuss des Buches kann ich sagen, es passt auch noch wie die Faust aufs Auge.
Mia Corvere heißt die geheimnisvolle junge Frau und ihr schattenhafter Begleiter ist die Nicht-Katze, Herr Freundlich. Politische Gegner haben ihren Vater gestürzt und ermordet und die Mutter und den kleinen Bruder verschleppt. Ihr einziges Ziel ist es nun Rache zu üben und die Verantwortlichen zu töten. Da diese inzwischen im Land die Machthaber sind, möchte sie in der Roten Schule zur Assassine ausgebildet werden, um ihren mörderischen Plan in die Tat umsetzen zu können. Die Gemeinschaft der Göttin des Todes nimmt sie und gut zwei Dutzend andere Teenager tatsächlich auf aber es wird schnell klar, dass es hier keinen normalen Unterricht geben wird und ab jetzt keiner mehr seines Lebens sicher sein kann. Die Lehrer sind allesamt Meuchelmörder, die sich mit der großen Anzahl ihrer namenlosen Opfer brüsten. Und die Prüfungen und Aufgaben, die sie den neuen Schülern auferlegen, sind blutig, schmerzhaft und so gefährlich, dass reihenweise Novizen lebensgefährlich verletzt werden oder sogar das Zeitliche segnen, um alsdann ohne viel Federlesen und unbetrauert in namenlose Gräber zu verschwinden. Das Szenario ist also teilweise ziemlich harter Tobak und Gänsehaut und Schluckbeschwerden beim Lesen sind vorprogrammiert.
Aber Jay Kristoff schafft es mit traumwandlerischer Sicherheit seiner Geschichte neben den brutalen und mörderischen Elementen auch einen magischen und menschlichen Ton zu geben. Mia findet nach und nach so etwas wie Freundschaften unter den Mitschülern und immer wieder stellen sie sich auch die Frage, ob diese unbarmherzige Ausbildung alles Gute und Hoffnungsvolle in ihnen abtöten wird und ob sie diesen Weg wirklich bis zum bitteren Ende gehen wollen. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, denn Herr Freundlich, das seltsame Nicht-Wesen, ist ein sarkastischer und ehrlicher Berater, der Mia auf höchst ungewöhnliche Art und Weise das Leben erleichtert und so manches Mal mit ihren Entscheidungen nicht ganz einverstanden ist. Das Finale ist furios und findet, neben einem aussichtsreichen Blick in die Zukunft auf die Gott sei Dank bald nahende Fortsetzung, zu einem homogenen Abschluss des ersten Bandes.
Mein Fazit: Ein Jahreshighlight für mich. Mit sarkastischem Unterton, ohne Furcht davor, die ganze Nomenklatur der Gefühle in all ihren Tonlagen zu spielen, baut Jay Kristoff ein facettenreiches, düsteres Setting auf mit einer charakterstarken Heldin und einem bis zur letzten Seite spannenden und überraschenden Plot. Ein besonderer Kniff hierbei sind auch die unterhaltsamen Fußnoten, die auf einer zweiten Ebene weitere Einblicke in die faszinierend vielfältige Fantasywelt geben, die der Autor mit viel Liebe zum Detail entwickelt hat.