Wunderschön, heilsam und tief berührend.
In Richtung StoppelfelderEs gibt immer wieder Romane, bei denen es unmöglich scheint, die Empfindungen während und die Begeisterung nach dem Lesen in Worte zu fassen.
🌾„In Richtung Stoppelfelder“🌾 gehört für mich in diese Kategorie ...
Es gibt immer wieder Romane, bei denen es unmöglich scheint, die Empfindungen während und die Begeisterung nach dem Lesen in Worte zu fassen.
🌾„In Richtung Stoppelfelder“🌾 gehört für mich in diese Kategorie und zudem in jene, der besten Debüts, die ich je in die Hände bekam.
Eine Geschichte, die im ICE spielt? Klingt langweilig, eintönig, festgefahren? Die Gäste des Intercity-Express 512, die sich mit Jule und Hannes ein Abteil teilen, sehen das wahrscheinlich anders und erleben eine Reise, wie sie einmaliger und aufregender nicht sein könnte.
Ein Wiedersehen nach zehn Jahren Funkstille, eine Fahrt nach Hause, der letzte Weg, den Jule zu Ehren ihrer Freundin auf sich nimmt. Als wären die vergangenen Wochen und Monate nicht Strafe genug, trifft sie auf Hannes, den feigen Verräter, ihre erste große Liebe, bis heute die einzige … Die nächsten sechseinhalb Stunden muss sie auf engstem Raum mit ihm verbringen. Eine Konfrontation mit der Vergangenheit, der sie sich in der Gegenwart nicht gewachsen fühlt. Denn hat Jule nicht gerade die platonische Liebe ihres Lebens, ihre Seelenverwandte, ihr Gegenstück verloren, ist erneut, unwiderruflich zerbrochen? Hält sich das Schicksal für so witzig?
Obgleich Jule innerlich tobt, ein Sturm aus den verschiedensten Gefühlen, Erinnerungen, Wünschen wütet, warten, angekommen in der Heimat, nicht nur Tränen und Schreie, sondern auch Trost und Erkenntnis.
Auf wenigen Seiten schafft es Lene Jansen wichtige, bewegende und relevante Themen aufzugreifen, nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern tief zu graben. Die bedeutungsvolle Schwere dieses Buchs ist ebenso wenig auszublenden wie die Enge in der Brust, der Knoten im Magen und der Nachklang, die diese Zugfahrt unweigerlich hinterlässt.
Die Autorin erzählt in sepiafarbenen Erinnerungen von der Nostalgie einer unbeschwerten Kindheit, vom Verlust der ersten großen Liebe, einer Freundschaft, die intensiver und ehrlicher nicht sein könnte, von leisen Veränderungen und dem Wandel, den das Erwachsen werden mit sich bringt. In bunten Bildern sehen wir Städte vorbeirauschen, sind bruchstückhaft Teil eines aussichtslosen Kampfs, fühlen Trauer und Verzweiflung, die Facetten von Schmerz — vor allem jenen, der bis ins Mark kriecht und „Zurückgelassenen“ den Boden raubt.
Es war mir eine Freude in diesen Zug zu steigen. Viele Rückblicke, Beschreibungen, die Sehnsucht nach „damals“ berührten mich, weil ich so vieles verstand, nachvollziehen konnte und mich durch die Worte an Haltestellen meines Lebens erinnerte. Ich ging in der Wut und Verzweiflung, den Schuldgefühlen und Tränen auf, musste durchatmen und dennoch, durch humorvolle Dialoge, Kreativität und den authentischen Schreibstil, schmunzeln. Die Umschwünge der Stimmung sind unberechenbar, wie Flashbacks, Trauer und der Tod selbst.
Über einige Themen wird auf frische Art philosophiert, Gedankenspiele ermöglichen einen neuen Blickwinkel auf das hier kreierte Geschehen sowie auf das eigene Leben. Die Szenarien, ob melancholisch oder skurril, sind lebendig und ausdrucksstark, die Emotionen echt.
Lene lässt auf unter 200 Seiten so viel von allen einfließen, wie es namhafte Autoren oft nicht in ausgewachsenen Romanen schaffen.
Poetisch, malerisch, ergreifend, im angenehmen Wechsel zwischen einfühlsam und impulsiv, zurückhaltend und voller Temperament vergeht die Zugfahrt viel zu schnell.