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Veröffentlicht am 04.03.2023

Das Quartett aus der Seniorenresidenz hat einen neuen Fall

Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel (Die Mordclub-Serie 3)
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Es gibt Bücherserien, die nach dem ersten Erfolg abflauen und in Routine erstarren. Die Donnerstagsmordclub-Serie von Richard Osman gehört erfreulicherweise nicht dazu. In ihrem dritten Fall mischen ...

Es gibt Bücherserien, die nach dem ersten Erfolg abflauen und in Routine erstarren. Die Donnerstagsmordclub-Serie von Richard Osman gehört erfreulicherweise nicht dazu. In ihrem dritten Fall mischen die vier Hobby-Schnüffler aus der Seniorenresidenz einen Fall von Geldwäsche auf. Und noch nie war so viel Liebe mit im Spiel. Die angejahrten Freizeitermittler, die mittlerweile stramm auf die 80 zugehen, wollen diesmal einen Mord ohne Leiche aufklären. Denn vor Jahren verschwand eine junge Journalistin, die einem brisanten Fall von Geldwäsche auf der Spur war. Ihr Auto stürzte über eine Klippe, doch die Leiche der jungen Frau blieb verschwudnen.

Die ehemalige Krankenschwester Joyce macht sich ja zunächst ein bißchen Hoffnung auf den silberlockigen Moderator der Nachrichtensebdung des Lokalsenders, der mit der Vermissten befreundet war. Erotisch kann der Frauen allerdings so gar nichts abgewinnen - Pech für Jodyce. Dafür ist die energische Maskenbildnerin Pauline eine Frau nach dem Herzen von Ron, dem rauhbeinigen ehemaligen Gewerkschaftsführer. Hier kann er nun auch einmal seine sanfte Seite zeigen.

Psychiater Ibrahim wiederum ist als Therapeut der inhaftierten Drogenbossin Connie gefragt. Vielleicht schafft er es ja noch, ihr die Pläne für einen Mord an seinem besten Kumpel Ron auszureden. Und Elizabeth, die ehemalige MI6-Agentin? Sie wird zusammen mit Ehemann Stephen entführt und wird zu einem Mordauftrag an einem ehemaligen KGB-Oberst erpresst. Kein Zweifel, das muntere Quartett kommt kaum zum Ermitteln bei soviel Ablenkung! Und dann ist da noch Elizabeths Sorge um den geliebten Stephen, dessen Demenz immer weiter fortschreitet.

Für Chauffeursdienste und Muskeleinsatz erhalten die Senioren wie schon in den vorangegangenen Bänden tatkräftige Unterstützung von Bogdan, dem starken Polen mit allerlei Talenten und Kontakten, und auch Chris und Donna, die beiden Polizisten, mit denen sie schon in der Vergangenheit zusammengearbeitet haben, sind wieder mit dabei.

Ein bewährtes Team also, mit liebenswerten Charakteren, die im Laufe der Jahrzehnte ihre kleinen Eigenarten entwickelt haben, gemeinsam aber trotz arthritischer Knie und verschlechterter Sehkraft unschlagbar sind. Manchmal geht es zwar drunter und drüber, doch die hartnäckigen Alten mit ihrem kauzigen Charme lassen sich nicht von einer einmal aufgenommenen Fährte abbringen und habe so ihre Tricks, von der Fernsehmoderatorin bis zum Polizeipräsidenten andere für ihre Vorhaben einzuspannen.

Für Leser, die die beiden vorangegangenen Bände nicht kennen, ist das Buch vielleicht ein bißchen überfrachtet, denn so manches baut auf den Frozzeleien und Sticheleien der Vergangenheit auf. Klar, dass das Quartett auch diesmal wieder auf reichlich unorthodoxe Art ermittelt, mal scheinbare Naivität, mal die Killer-Qualitäten von Elizabeth einsetzt und gleich vierfach aus dem Erfahrungsschatz eines langen Lebens schöpfen kann.

Turbulent, humorvoll und sehr britisch ist diese Cozy Krimi-Serie und es bleibt zu hoffen, dass Richard Osmond seinen Romanfiguren ein langes Ermittlerleben beschert.

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Veröffentlicht am 23.02.2023

Von schwieriger Liebe und Überleben

Mameleben
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Fordernde, mitunter übergriffige, nicht loslassende, vorwurfsvolle und schnell beleidigte Mütter sind - dem Klischee der jiddischen Mamme und etlichen Serien-Übermüttern zum Trotz - keine rein jüdische ...

Fordernde, mitunter übergriffige, nicht loslassende, vorwurfsvolle und schnell beleidigte Mütter sind - dem Klischee der jiddischen Mamme und etlichen Serien-Übermüttern zum Trotz - keine rein jüdische Besonderheit. Allerdings, falls besagte Mutter obendrein Holocaust-Überlebende ist, kommen Vorwürfe dazu, die dem Nachwuchs ein geballtes Maß an Schuldgefühlen aufbürden, die gojim-Kinder nie gekannt haben. Zum Beispiel: Für so was habe ich überlebt! All die Familienangehörigen, die ich verloren habe, und statt dessen habe ich nun jemand wie dich! Mal ganz abgesehen vom transgenerationalem Trauma, das weitergegeben wird.

Mit seinem Buch "Mameleben" hat Michel Bergmann seiner Mutter Charlotte ein literarisches Denkmal gesetzt, in dem die widersprüchlichen Gefühle deutlich und nachvollziehbar werden. Denn so nervtötend die eigene Mutter auch sein kann, man kommt nicht ganz los auch dieser Beziehung, ist von frühen Kindheitserfahrungen geprägt fürs Leben. So ist "Mameleben" sowohl Liebeserklärung als auch gelegentliche Anklage, Erklärung, Suche und Biografie. Das Buch zeigt auch, was es heißt, mit einer durch die Schoah geprägten Familiengeschichte aufzuwachsen, gerade auch in Deutschland.

Dabei wollte Charlotte nach 1945 deutschen Boden nicht wieder betreten. Die junge Frau aus Bayern, in einer aufgeklärt-religiösen bürgerlichen Familie aufgewachsen, floh kurz vor dem Abitur nach Frankreich - als Jüdin durfte sie nicht länger eine höhere Schule besuchen. Ihre Eltern, der Vater im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet und ein deutscher Patriot, würden in Auschwitz ermordet. Als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg auch in Frankreich einmarschieren, wird Charlotte wie viele emigrierte Juden in einem Lager interniert, kann aber durch Flucht der drohenden Deportation entgehen.

Sie flieht in die Schweiz - und landet dort als illegale Ausländerin wieder in einem Lager. Der Lichtblick in dieser Lage ist Peter Bergmann, ein aus Frankfurt stammender deutsch-jüdischer Geschäftmann, in den sie sich bereits in Paris verliebt hatte. Und Bergman will nach 1945 die Chancen nutzen, die sich ihm beimWiederaufbau des Textilgeschäfts der Familie bieten. Da ist der kleine Michel bereits geboren und wird für ein Jahr in der Obhut von Nonnen zurückgelassen.

Vom DP-Lager in Zeilsheim in eine große Räumung im vornehmen Frankfurter Westend - wirtschaftlich geht es der Familie gut, auch wenn Bergmann Senior sich als Spieler erweist. Doch zugleich ist es ein Leben auf gepackten Koffern. Bergmann beschreibt das Aufwachsen im Nachkriegsdeutschland, in dem sich nicht nur seine Mutter fragte, ob ein Leben in Amerika oder in Israel nicht besser wäre als das unter Menschen, die wenige Jahre zuvor vielleicht zu denen gehörten, die nur zu bereitwillig jüdische Nachbarn verrieten, deportierten oder in den wirtschaftlichen Ruin bei der "Arisierung" von Unternehmen stürzten.

Früh verwitwet und mit einem ruinierten Geschäft muss Charlotte auch in den goldenen 50-er Jahren kämpfen, eine zweite Ehe führt sie schließlich nach Straßburg, doch glücklich wird sie nicht in der Beziehung. Bergmann beschreibt seine Mutter als starke, schöne Überlebenskünstlerin, aber auch als einsame und verbitterte alte Frau, die sich und anderen das Leben schwer macht, der er es nie recht machen kann und deren Forderung nach Nähe er sich erst recht entzieht. Eine Frau aber auch, die auch im Alter an ihrem Stolz und ihrer Eigenständigkeit festhält. "Das gestohlene Glück" heißt Mameleben mit seinem Untertitel und man ahnt, um wie viel die junge Charlotte betrogen wurde, die von einem Medizinstudium und einer Karriere als Kinderärztin geträumt hatte.

Mit den Brüchen und persönlichen Tragödien, den Verlusten und dem Überlebenswillen steht Charlotte exemplarisch für viele der Schoah-Überlebenden ihrer Generation. Der sehr persönliche Blickwinkel des Erzählers sorgt für ein facettenreiches Porträt der Mutter, bei dem Liebe genauso durchschimmert wie Bedauern. Zugleich arbeitet er sein Verhältnis zur Mutter auf, nach ihrem Tod. Das ist mutig in der großen Offenheit und Verletzlichkeit, die er dabei zeigt. Ein wenig wird "Mameleben" so zu einer Mischung aus Selbsttherapie und literarischem Kaddisch.

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Veröffentlicht am 02.02.2023

Liebe, Drama Schicksalsschläge

Die Liebe an miesen Tagen
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Liebe auf den ersten Blick, versehen mit Drama und Schicksalssclägen - da kann sehr leicht ein seichter, kitschiger Liebesroman rauskommen. Muss aber nicht sein, so bei "Die Liebe an miesen Tagen" von ...

Liebe auf den ersten Blick, versehen mit Drama und Schicksalssclägen - da kann sehr leicht ein seichter, kitschiger Liebesroman rauskommen. Muss aber nicht sein, so bei "Die Liebe an miesen Tagen" von Ewald Arens. Es sind einmal mehr die starken, ein wenig spröden Frauenfiguren dieses Autors, die ein Abgleiten ins Sentimentale verhindern. So ist die Geschichte eingängig zu lesen, bietet gewissermaßen was fürs Herz, wird aber niemals seicht.

Schauspieler Elias ist einer, der das Leben eher leicht nimmt. Aus einer frühen, eigentlich einzigen ernsthaften Beziehung und viel zu frühen Ehe ist die heute 17 Jahre alte Tochter Jule hervorgegangen. Die Beziehung zu seiner derzeitigen Freundin Vera hatte von Anfang an auf seiner Seite nicht viel mit Verliebtsein zu tun und jetzt überlegt er schon, wie er am besten Schluss machen soll, als sie ihn zur Besichtigung eines alten Häuschens auf dem Land mitschleppt. Die Besitzerin ist Clara, frisch arbeitslose Fotografin Ende 40, schlagfertig und mit herbem Charme. Für Elias und Clara ist es Liebe auf den ersten Blick, auch wenn sie es sich nicht gleich eingestehen wollen.

Mit dem Entlieben haben die beiden schon so einiges an Erfahrung gesammelt, da schleppt jeder ein paar emotionale Altlasten mit sich herum. Clara muss sich fragen, ob sie sich in der zweiten Lebenshälfte tatsächlich aussichtsreich in einen jüngeren Mann verlieben kann. Elias muss das Misstrauen ausräumen, nicht nur ein selbstbezogener Leichtfuß zu sein, der sich gar nicht dauerhaft auf eine Beziehung einlassen kann.

"Liebe an miesen Tagen" punktet aber auch mit den Nebenfiguren, insbesondere mit Claras dementer Mutter. Wie die Familie mit der Krise umgeht, wie eine energiegeladene Frau plötzlich geistig im Nirgendwo verschwindet, das ist ohne Voyeurismus und Sentimentalität. Der ein wenig exzentrische und zu Verschwörungsteheorien neigender Vater, das enge Verhältnis Claras zu ihrem Bruder Jan, aber auch Elias´ Erkenntnis der verpassten Jahre als echter Vater für Jule - Familien- und Patchwerkfamilienprobleme werden hier mit scheinbar leichter Hand thematisiert, aber auch mit nachdenklichen Tönen.

Auch um Verlust und Verlustängste, um die Frage, was wichtig ist im Leben, um Vertrauen und Zuversicht geht es in diesem Buch, auch wenn hier nicht verraten werden soll, wie es ausgeht zwischen Clara und Elias. Nur eines: Es wird gegen Ende ziemlich dramatisch.

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Veröffentlicht am 25.01.2023

Lektionen eines langen Lebens

Lektionen
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Der Titel "Lektionen" ist doppeldeutig: Das gleichnamige Buch von Ian McEwan beginnt in einem englischen Internat in den 60-er Jahren, mit einem Klavierunterricht, der für den da noch kindlichen Protagonisten ...

Der Titel "Lektionen" ist doppeldeutig: Das gleichnamige Buch von Ian McEwan beginnt in einem englischen Internat in den 60-er Jahren, mit einem Klavierunterricht, der für den da noch kindlichen Protagonisten Roland Baines noch weitreichende Folgen haben wird. Doch während der Autor seiner gleichaltrigen Romanfigur ein Leben lang folgt, bis in die Corona-Pandemie, da geht es eben auch um die Lehren eines langen Menschenlebens, um das, was Roland mitnimmt und das, was bleibt, von seinen Hoffnungen, seinen Lieben, seinen Erwartungen in sich selbst und den Erwartungen, die andere in ihn gesetzt haben.

Da scheint zunächs vieles unerfüllt: Der junge Roland galt als großes Klaviertalent, doch statt einer Pianistenkarriere verdingt er sich auch noch deutlich jenseits der 70 als Klavierspieler während des afternoon tea in einem Hotel - von Musikmampfe spricht er dabei. Die literarischen und journalistischen Ambitionen münden in Kalendersprüchen und Gedichten für Grußkarten. Auch ein Profi-Tennisspieler ist er nicht geworden, hat sich jahrelang treiben lassen, heiratete schließlich Alyssa, Tochter eines Deutschen und einer Engländerin und wird von ihr verlassen, als der gemeinsame Sohn Lawrence gerade mal sieben Monate alt ist.

Plötzlich und unerwartet alleinerziehender Vater zu sein, zwingt Roland nicht nur zu Verantwortung und Struktur, er gerät auch vorübergehend in den Fokus der Polizei, die hinter dem Verschwinden Alissas ein Verbrechen vermutet. Und wer wäre da als Verdächtiger naheliegender als der Ehemann...

Das Private und das Zeitgeschichtliche liegen in dem mehr als 700 Seiten langen Roman nah beieinander. Es ist die mit Fragen und Unsicherheiten, ja existenziellen Ängsten begleitete Kuba-Krise, die den 14-jährigen Roland zum Haus seiner ehemaligen Klavierlehrerin treibt, die ihn schon drei Jahre zuvor mit einem unerewarteten Kuss verwirrte. Was folgt, ist einerseits sexuelles Erwachen und andererseits - wie ihm erst Jahrzehnte später bewusst wird - sexueller Missbrauch. Es ist nicht zuletzt diese verbotene Affäre, die ihn später dazu treibt, die Schule zu schmeißen.

Tschernobyl, der Fall der Mauer, die Thatcher Jahre, Brexit und schließlich Corona, aber auch Kriegserinnerungen aus deutscher und britischer Sicht, das Scheitern linker Träume und die Desillusionierung angesichts der Entwichlungen der Labour Party - "Lektionen" ist ein Kaleidoskp der vergangenen 70 Jahre, gespiegelt in einem Menschenleben. Roland hat Gelegenheit zu Konfrontationen mit der ehemaligen Klavierlehrerin und mit Alyssa, die als Schriftstellerin nicht nur ihren Ex weit in den Schatten stellt, sondern sich zur bedeutendsten deutschsprachigen Autorin und Nobelpreiskandidatin entwickelt.

Roland findet in der langjährigen Freundin Daphne eine neue Liebe, die durch Daphnes Krebserkrankung viel zu kurz andauern darf, auch wenn die Patchworkfamilie liebevoll und generationsübergreifend zusammenhält. Geheimnisse, ja Lebenslügen gibt es aber auch in der eigenen Familie über seine Eltern zu entdecken - auch hier sind "Lektionen" für Roland enthalten, die Antworten geben auf Lebensfragen. Wie McEwan das Große und das Kleine, das Private und das Zeitgeschichtliche zu einem buchstäblich epochalen Roman verwebt, das ermüdet auch bei der Länge des Buches nicht. Und angesichts der langen Entwicklung des Protagonisten ist es fast, als sei Roland am Ende ein langjähriger alter Bekannter.

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Veröffentlicht am 21.01.2023

Plädoyer für mutigen Journalismus

HOW TO STAND UP TO A DICTATOR - Deutsche Ausgabe. Von der Friedensnobelpreisträgerin
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Sie hat den Friedensnobelpreis erhalten und steht seit Jahren immer mit einem Bein im Gefängnis - nur weil sie ihren Job macht. Mit ihrer Biografie "How to stand up to a dictator" hat die philippinisch-amerikanische ...

Sie hat den Friedensnobelpreis erhalten und steht seit Jahren immer mit einem Bein im Gefängnis - nur weil sie ihren Job macht. Mit ihrer Biografie "How to stand up to a dictator" hat die philippinisch-amerikanische Jourmalistin Maria Ressa nicht nur ihre Lebensgeschichte erzählt, sie hat auch ein starkes Plädoyer für einen Journalismus mit Rückgrat geschrieben.

Als Einwandererkind in den USA eher schüchtern und aufs Lernen focussiert, hat Ressa mit der Rückkehr in ihr Geburtsland steile Karriere gemacht als Südostasien-Korrespondentin bei CNN und langjährige Leiterin einer TV-Nachrichtenredaktion. Die 1963 geborene Journalistin setzte auf Datenjournalismus und digitale Formate, als viele ihrer Generation noch stark damit fremdelten, die Print-Welt zu verlassen oder eine andere Option der Publikation zumindest als gleichwertig zu akzeptieren.

Als Mit-Gründerin des rein digitalen Nachrichtenportals "Rappler" beschritt Ressa Neuland. Sie versprach sich davon mehr Partizipation und Demokratie - die Leser, Hörer, Zuschauer würden nicht nur Konsumenten sein, sondern auf Augenhöhe mitwirken. Wie schwierig das sein kann, zeigt sich schon in halbwegs funktionierenden Demokratien. Die Philippinen unter Rodrigo Duterte entwickelten sich in eine andere Richtung. Schon vorher sahen sich Ressa und ihre Kolleg*innen Anfeindungen ausgesetzt, wenn sie Korruption, Machtmissbrauch und Nepotismus aufdeckten,

Ressa lernte nicht nur das Leben mit immer neuen Verleumdungsklagen, Haftbefehlen, Ermittlungen kennen, sondern auch die Kehrseite des Internets, insbesondere der sozialen Medien, in die sie so viele Hoffnungen gesetzt hatte: Hass, Misogynie, Tötungsaufrufe, übelste Beschimpfungen der Trolle im Internet, die so übermächtig wirken können.

Ressas Buch ist deshalb auch eine Warnung vor Desinformations- und Propagandanetzwerken, ein Appell "to hold the line", am Kampf für Wahrheit und unabhängigen Journalismus festzuhalten. "How to stand up to a dictator" mag ein Buch über die Medien auf den Philippinen sein, aber nicht nur in der Inselrepublik liegt vieles im Argen, sehen sich Journalisten Angriffen ausgesetzt. In Ländern wie Somalia, Syrien oder Mexiko kann der Beruf lebensgefährlich sein.

Als Polen oder Ungarn mit ihrem Rechtsruck sich innerhalb der EU isolierten, waren es neben dem Abbau der unabhängigen Justiz Journalisten, die als erste zwischen Staatsloyalität oder Arbeitslosigkeit wählen mussten. Und während hierzulande unabhängige Medien garantiert werden, sind auf Demonstrationen der Rechten spätestens seit Pegida Beschimpfungen wie "Lügenpresse" wieder aufgetaucht, die Journalisten entgegengebrüllt werden. Von persönlichen Angriffen und Bedrohungen insbesondere gegen die leicht erkennbaren Fotografen und Kameraleute mal ganz zu schweigen. Dass zu solchen Entwicklungen nicht nur in Diktaturen nicht geschwiegen werden darf - das ist eine der Botschaften in Ressas Buch.