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Veröffentlicht am 12.03.2023

Sprachlich brillantes Psychodrama

Die Gewalt der Hunde
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Montana in den 1920ern: Der hochintelligente, kreative, aber grausame Phil und sein vollkommen gegensätzlicher, liebenswürdiger und stiller Bruder George führen ihren Alltag als Ranchbesitzer. Als George ...

Montana in den 1920ern: Der hochintelligente, kreative, aber grausame Phil und sein vollkommen gegensätzlicher, liebenswürdiger und stiller Bruder George führen ihren Alltag als Ranchbesitzer. Als George die Witwe Rose heiratet und sie mitsamt ihrem Sohn Peter bei den Geschwistern einzieht, ändert sich alles und Phil beginnt einen erbarmungslosen Kleinkrieg gegen die beiden Eindringlinge zu führen.

Thomas Savage hat in seinem fünften Roman "Die Gewalt der Hunde" autobiografische Elemente mit einer fiktiven Handlung verflochten. Dabei ist ihm eine sehr bildgewaltige, atmosphärische Geschichte gelungen, die sich langsam aufbaut und vollkommen unerwartet endet.

Es gibt viele Beschreibungen, die einem die Landschaft, aber auch den rauen Arbeitsalltag auf der Ranch näherbringen. Savage findet dabei sehr ungewöhnliche, dafür umso treffendere Vergleiche.
Generell zieht sich eine grandiose Metaphorik durch das gesamte Buch.

Sein Schreibstil ist aber auch in zwischenmenschlichen Belangen sehr beobachtend: Kleinste Veränderungen in der Körpersprache, der Mimik, des Tonfalls lassen die Emotionen der Figuren erkennen, ausschweifende Gedanken- und Gefühlsbeschreibungen gibt es nicht. Das passt gut zur Grundstimmung des Buches:
Die Protagonisten sprechen nicht viel über Probleme, jeder macht irgendwie sein eigenes Ding.

Äußerlich betrachtet passiert in dem Roman gar nicht besonders viel, im Inneren der Figuren dafür umso mehr. Die Charaktere haben eine enorme Tiefe und ihre Entwicklungen sind sehr gut ausgearbeitet. Besonders hervorzuheben ist dabei Phil. Er ist stets darum bemüht, möglichst hart und männlich zu wirken; er trägt bei der Arbeit keine Handschuhe, wäscht sich kaum, stichelt jeden an, der sich anders, "verweichlicht", verhält. Gefühle, vor allem Liebe, werden unterdrückt. Dass dies alles nur seinem Selbstschutz dient, wird erst nach und nach deutlich.

Der Roman ist für mich außergewöhnlich, weil Savage zwar großartige, szenische Beschreibungen der Schauplätze gibt, die eigentliche Handlung aber nur unterschwellig schildert und dennoch alles Wesentliche offensichtlich ist.
Wer also viel Action braucht, der wird eher enttäuscht sein. Wer hingegen Bücher mag, die eine feine Beobachtungsgabe des Autors voraussetzen, der wird sich an diesem literarischen Kunstwerk erfreuen können.

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Veröffentlicht am 08.03.2023

Ein Meisterwerk

Ein wenig Leben
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"Warum fanden die Leute Freundschaften bewundernswert, wenn man siebundzwanzig war, aber suspekt, wenn man siebenunddreißig war? Warum zählte eine Freundschaft weniger als eine Beziehung? Warum nicht sogar ...

"Warum fanden die Leute Freundschaften bewundernswert, wenn man siebundzwanzig war, aber suspekt, wenn man siebenunddreißig war? Warum zählte eine Freundschaft weniger als eine Beziehung? Warum nicht sogar mehr? Zwei Menschen, die Tag für Tag zusammenblieben, nicht durch Sex oder körperliche Anziehung, nicht durch Geld, durch Kinder oder gemeinsamen Besitz aneinander gebunden, sondern allein durch das gegenseitige Einverständnis, zusammenzubleiben, das gemeinsame Bekenntnis zu einer Verbindung, die sich jeder Festschreibung entzog."

"Ein wenig Leben" handelt von vier College-Studenten, ihrer tiefen Freundschaft und dem Leben, das sie in den folgenden dreißig Jahren bestreiten.
Im Mittelpunkt steht Jude, dessen Vergangenheit und damit Grund für physische und psychische Verletzungen er zu verdängen versucht, und erst nach und nach preisgibt.

Hanya Yanagiharas zweiter Roman ist wohl eins der unstrittensten Bücher der letzten Jahre. Für mich persönlich ist es ein ergreifendes Meisterwerk, welches mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Ich brauchte die ersten 50-100 Seiten, um in die Geschichte reinzukommen und die Charaktere auseinanderhalten zu können, doch sobald ich diese Hürde überwunden und die vier Männer kennengelernt hatte, konnte ich kaum noch aufhören zu lesen.
Das Buch zieht in einen Sog, aus dem man sich kaum befreien kann. Ich war die ganze Woche lang gedanklich bei den Protagonisten und konnte es kaum erwarten, weiterzulesen und wieder in die Geschichte einzutauchen, wieder bei Jude, Willem, JB und Malcolm zu sein.
Denn Hanya Yanagihara hat ihre Figuren so authentisch gezeichnet, dass es einem vorkommt, als sei man selbst mit ihnen befreundet und als handle es sich um Personen aus dem eigenen, wahren Leben.
Dabei sticht natürlich besonders die Freundschaft zwischen Jude und Willem hervor, aber auch alle anderen Beziehungen berühren einen sehr.

Ich hatte beim Lesen innerhalb kürzester Zeit mehrere Wechsel der Gefühle und habe mich stets irgendwo zwischen Tränen in den Augen, einem Lächeln im Gesicht und Gänsehaut am ganzen Körper befunden. Die geschaffenen Emotionen sind so intensiv, dass ich mich nicht entziehen konnte. Dabei steht die teils sehr grafisch dargstellte, kaum zu ertragende Gewalt aus Judes Kindheit im krassen Gegensatz zu der geduldigen, aufopfernden und tiefen Liebe, die er später erfährt und selbst erteilt.

Mit einer beeindruckenden Sprachgewalt und einem schon fast poetischen Schreibstil hat die Autorin ein literarisches Werk geschaffen, welches auf fast 1000 Seiten keine Längen hat. Dabei spielt natürlich auch die Tatsache eine Rolle, dass man mehr über Judes Vergangenheit erfahren möchte, aber die Gegenwart der vier Männer ist ebenso interessant und als LeserIn ist es inspirierend zu verfolgen, wie sich die Charaktere, deren Leben und die Beziehungen zueinander weiterentwickeln.

Die Geschichte ist absolut einzigartig und mich hat noch kein anderes Buch so beschäftigt und an meine emotionalen Grenzen geführt wie dieses.
Dennoch möchte ich es nicht uneingeschränkt jedem empfehlen, wer sich durch explizit beschriebenes selbstverletzendes Verhalten und/ oder Suizidgedanken getriggert fühlt, sollte bitte auf das Buch verzichten.
Jedem anderen kann ich es nur ans Herz legen, denn trotz aller Gewalt zeigt es, wie bedeutsam und wunderschön Freundschaft in all ihren Facetten sein kann.

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Veröffentlicht am 24.02.2023

Tieftraurig und zugleich voll von Glück erfüllt

Weite Sicht
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"Auf das Leben. Denk dran, was du mir neulich gesagt hast. [...] Dass man den Augenblick genießen muss. Dass so schnell alles vorbei sein kann."

Charlotte, Gesine, Sabine und Bente. Vier Frauen um die ...

"Auf das Leben. Denk dran, was du mir neulich gesagt hast. [...] Dass man den Augenblick genießen muss. Dass so schnell alles vorbei sein kann."

Charlotte, Gesine, Sabine und Bente. Vier Frauen um die 70, die sich seit Kindheitstagen kennen und deren Schicksale alle miteinander vereint sind.
Als Charlottes Mann stirbt, müssen sie jedoch feststellen, dass jede von ihnen mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat und man sich vielleicht doch gar nicht so nah ist, wie man dachte.

Thorsten Pilz ist mit seinem Debüt "Weite Sicht" ein wunderschöner Roman über Trauer, Hoffnung und Liebe gelungen.

Sein Schreibstil ist zwar einfach gehalten, dabei jedoch nicht plump, er trifft er immer die richtigen Worte und schafft so eine ergreifende Melancholie, die einen auf gut 280 Seiten einhüllt und auch nach dem Lesen vorerst nicht mehr loslässt.

Dem Autor gelingt es, einem die Protagonistinnen mit wenigen Sätzen ans Herz wachsen zu lassen, die jeweiligen Schicksale berühren einen sehr und man ist in einem Moment tieftraurig, im nächsten wieder hoffnungsvoll und von Glück erfüllt.

Auf geschickte Weise verwebt er die Geschichten der vier Frauen miteinander und nach und nach kommen Situationen aus der Vergangenheit hinzu, von denen die anderen nichts geahnt haben. So wird ein konstantes Spannungslevel gehalten, das keine Langeweile aufkommen lässt und erst zum Schluss klären sich alle Fragen.
Als LeserIn wird man mit der Gewissheit entlassen, dass jeder Abschied auch einen Neuanfang bedeutet.

Der Roman hat mich so berührt, wie es bisher nur wenige geschafft haben. Dabei war er nicht kitschig oder übermäßig dramatisch, sondern einfach nur voller authentischer Gefühle.
Daher gibt es von mir auf jeden Fall eine klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 18.02.2023

Gelungene Fortsetzung rund um einen Polit-Skandal

Die letzte Lügnerin
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In einem geleakten Video ist zu sehen, wie Bausenator Möller zwielichtige Immobiliengeschäfte abwickelt. Die Veröffentlichung bedeutet das Ende seiner politischen Karriere. Als kurz darauf der Tontechniker ...

In einem geleakten Video ist zu sehen, wie Bausenator Möller zwielichtige Immobiliengeschäfte abwickelt. Die Veröffentlichung bedeutet das Ende seiner politischen Karriere. Als kurz darauf der Tontechniker des Videos ermordet aufgefunden wird, deutet alles auf Möller als Täter hin.
Während Strafverteidiger Rocco Eberhardt von Möllers Unschuld überzeugt ist, zieht sich die Schlinge um seinen Hals immer enger, denn es tauchen mehr und mehr Beweise auf ...

Dies ist der dritte Band der Reihe Schwiekers und Tsokos' rund um Strafverteidiger Rocco Eberhardt und Rechtsmediziner Justus Jarmer.
Man kann ihn unabhängig von den ersten beiden Teilen lesen, wobei die Vorgänger auch sehr empfehlenswert sind.

Wie schon in den vorangegangenen Büchern wird die Geschichte wieder in kurzen Kapiteln aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Ich persönlich mag das sehr gerne, da die Geschichte so schnell an Fahrt aufnimmt.
Was neu ist, sind die Zeitsprünge: Die Erzählung wechselt zwischen dem Tatzeitraum und der Gerichtsverhandlung vier Monate später. Durch diese Sprünge entsteht eine enorme Spannung, die auf den letzten 100 Seiten kaum noch auszuhalten ist.
So kommt das Buch im Gegensatz zu anderen Thrillern auch gut ohne reißerische Floskeln und Beschreibungen aus, generell wird sehr nüchtern geschrieben, was ich als absolut stimmig zu den beiden Protagonisten empfinde.

Inhaltlich dreht sich alles um die Wohnungspolitik in Berlin, ein sehr wichtiges Thema, welches eher selten in Büchern aufgegriffen wird.
Die Problematik wird jedoch so verständlich beschrieben, dass der Handlung auch gefolgt werden kann, wenn man sich politisch nicht gut auskennt.
Dennoch ist das Buch natürlich nichts für diejenigen, die sich durch Politik schnell gelangweilt fühlen; aber dass es darum geht, macht der Klappentext schon deutlich.

Da dies ein Justizkrimi ist, spielt sich der Hauptteil der Handlung im Gerichtssaal ab. Hier erfahren die LeserInnen auch erst von den Ermittlungsergebnissen usw.
Ich fand die Szenen rund um den Prozess besonders gelungen und die Einblicke in einen solchen sehr interessant.

Für mich persönlich war der dritte Band des Autorenduos genauso spannend und gut gelungen wie seine Vorgänger und ich hoffe auf noch viele weitere Fälle rund um Eberhardt und Jarmer.

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Veröffentlicht am 24.01.2023

Gelungene Neuerzählung des bekannten Mythos

STONE BLIND – Der Blick der Medusa
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"Du bist derjenige, der denkt, dass alles, was nicht so aussieht wie du, ein Monster sein muss."

Medusa wächst behütet bei ihren beiden Schwestern, den Gorgonen, auf, bis sie den Zorn Athenes zu spüren ...

"Du bist derjenige, der denkt, dass alles, was nicht so aussieht wie du, ein Monster sein muss."

Medusa wächst behütet bei ihren beiden Schwestern, den Gorgonen, auf, bis sie den Zorn Athenes zu spüren bekommt und verflucht wird. Von nun an muss sie ein Leben als Monster führen, während Perseus sich auf den Weg macht, um ihren Kopf als Trophäe zu erlangen.

Natalie Haynes lässt den altbekannten Mythos neu aufleben und schafft es dabei, Medusa in ein anderes Licht zu rücken und zum Nachdenken anzuregen.

Sie hat einen wunderbar klugen, flüssigen und ganz und gar nicht gestellten Schreibstil; besonders gefallen hat mir der ganz leicht eingestreute Humor in manchen Passagen.

Erzählt wird die Geschichte in jedem Kapitel aus der Sicht einer anderen Person und so laufen verschiedene Handlungsstränge parallel ab, die aber alle miteinander verbunden sind.
Man kommt mit den vielen Namen/ Perspektiven überhaupt nicht durcheinander, im Gegenteil: Haynes schafft es, jeder Figur so einen lebendigen und einzigartigen Charakter einzuhauchen, dass man auch als Mythologie-Neuling nicht den Überblick verliert (und für den Fall der Fälle gibt es hinten im Buch ein Personenregister) und das empfinde ich persönlich als absolut herausragende Leistung.

Der Leser wird in einigen Kapiteln persönlich angesprochen, was aber nicht merkwürdig wirkt, sondern ganz und gar in die Geschichte passt.
Das gesamte Buch ist derart kurzweilig und rasant erzählt, dass kein Platz für Längen entstanden ist.

Die Charaktere sind so außergewöhnlich gut gezeichnet, dass man Gefühle und Meinung zu jedem entwickelt und einem die Geschehnisse sehr nahegehen und doch zum Nachdenken anregen:
Wer entscheidet eigentlich, wer oder was ein Monster ist? Und sollte man sich nicht öfter mal in andere Lebewesen hineinversetzen, bevor man urteilt?

Für mich persönlich ist es die beste Neuerzählung eines griechischen Mythos, die ich bisher gelesen habe.
Kluger Schreibstil, lebendige Charaktere und der nötige Tiefgang; ich empfehle das Buch jedem, der in die griechische Sagenwelt einsteigen möchte, aber auch für Kenner bietet es sicherlich noch einiges.
Haynes hat mich mit diesem Werk absolut überzeugt.

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