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Veröffentlicht am 01.12.2023

Das Erbe derer von Thurn und Taxis

Das Erbe derer von Thurn und Taxis
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1618 werden die königlichen Statthalter der katholischen Habsburger vom böhmischen Adel in der Prager Burg aus dem Fenster geworfen, nachdem die Beschlüsse des Augsburger Religionsfriedens von 1555 mehr ...

1618 werden die königlichen Statthalter der katholischen Habsburger vom böhmischen Adel in der Prager Burg aus dem Fenster geworfen, nachdem die Beschlüsse des Augsburger Religionsfriedens von 1555 mehr und mehr unterlaufen worden waren und die Auflösung der Versammlung der protestantischen Stände das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.

Seitdem herrscht nicht nur in Böhmen Krieg, sondern auch im Süden Deutschlands. Deshalb steht die erste, rein zufällige Begegnung von Silas von Maringer und Gräfin Alexandrine von Taxis im Jahr 1623 unter keinem guten Stern. Abgesehen davon, dass Alexandrine verheiratet ist, gilt Silas als Sohn des Oberstallmeisters des Kurfürsten von Mainz von niederem Adel und ist zudem vierzehn Jahre jünger. Indes soll dieses Treffen für beide von Bedeutung für ihr restliches Leben haben, denn beide spüren die gegenseitige Anziehung und beginnende Zuneigung.

Als Alexandrines Ehemann Leonhard stirbt, übernimmt sie das Amt der Generalpostmeisterin, um ihrem Sohn Lamoral das Erbe bis zu dessen Volljährigkeit zu sichern, allerdings unter der Bedingung, dass sie sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht erneut vermählt. Damit scheint schon allein aus diesem Grund eine gemeinsame Zukunft der beiden in weiter Ferne zu liegen.

Während sich Alexandrine um den Erhalt der Poststationen und Routen sowie deren Ausbau kümmert, verlässt Silas seine Familie und die Heimat, geht seinen eigenen Weg und stellt sich neuen Herausforderungen, bis er eines Tages endlich als Reiter in Alexandrines Dienstes tritt. Doch dann kehrt er von einem Auftrag nicht zurück, und Alexandrine bemerkt in Bangen und Ängsten, wie viel ihr der junge Mann tatsächlich bedeutet …


Mit „Das Erbe derer von Thurn und Taxis“ rückt Johanna von Wild eine ungewöhnliche Thematik in den Mittelpunkt: das damalige Postwesen und die Probleme und Herausforderungen, die während des Dreißigjährigen Krieges und der hiermit verbundenen, sich häufig ändernden Situation einhergingen.

Darüber hinaus vermittelt die Autorin in verständlicher Weise, erzählerischer Dichte und sprachlicher Gewandtheit einen detaillierten Abriss der historischen Ereignisse, die nicht nur eine allumfassende Recherche offenbaren, sondern auch Grundlage für die Einbindung ihrer Figuren in das Geschehen bilden.

Verschiedene Wechsel erlauben Einblicke in die Leben der Hauptfiguren während der Zeit des Krieges mit seinen diversen Schlachten anlässlich der Auseinandersetzungen um den wahren Glauben zwischen Katholischer Liga und Protestantischer Union und die Machtkämpfe der gekrönten Häupter. Insofern gelingt es der Autorin, im Handlungsverlauf Episoden voller Anschaulichkeit, Kontraste und Emotionen wiederzugeben. Besonders in der Schilderung der persönlichen Schicksale der Menschen inmitten der großen Umwälzungen, die Tod, Hunger, Krankheiten und folglich Leid und Elend brachten, sind die Ausführungen äußerst bildwirksam und intensiv, ja zum Teil drastisch. Die nachhaltige Darstellung trifft so das Innere des Lesers, im Wesentlichen allem bei der Beschreibung von Grausamkeiten.

Neben den realen Persönlichkeiten hat Johanna von Wild facettenreiche Charaktere erdacht und mit Stärken und Schwächen ausgestattet, so dass sie in ihrer Entwicklung bei der Verwirklichung der Ziele manchmal Fragen aufwerfen, jedoch gerade aus diesem Grund authentisch wirken. Hier sind vorrangig auch die Nebenfiguren zu erwähnen, denen sich die Autorin mit gleichwertiger Begeisterung gewidmet hat wie ihren Hauptprotagonisten.

Gräfin Alexandrine von Taxis ist eine historische Persönlichkeit, die – für ihre Zeit ungewöhnlich – Unterstützerin ihres Ehemannes gewesen ist und deswegen auch von ihm mit der Sicherung des Erbes für den Sohn Lamoral betraut wurde. Schon allein das ist bemerkenswert. Es eröffnet uns die Aussicht auf eine Frau der Willenskraft und des Könnens sowie des Vermögens, Augenmerk auf die entscheidenden Dinge zu legen. Eine Frau und Mutter, die sich nicht zu schade dafür ist, für das Erbe ihres Sohnes alles auf sich zu nehmen.

Alexandrines Spur in der Historie verliert sich, nachdem Lamo die Geschicke der Post weiterführt. Somit ist der Autorin möglich gewesen, ihre Fantasie spielen und Alexandrine eine Liebe zum fiktiven Silas erleben zu lassen.

Überhaupt Silas. Es fällt beileibe nicht schwer, ihn zu mögen. Er liebt Pferde, und vor allem mit Nabil, seinem treuen Begleiter auf den wahrlich abenteuerlichen Wegen, bildet er eine Einheit. Sein Selbstbewusstsein und Loyalität zeichnen ihn aus und erlauben es uns, für ihn trotz seines gelegentlichen Wagemuts das Beste zu hoffen.

Johanna von Wild überzeugt mit der Liebesgeschichte zwischen Alexandrine und Silas, weil sie sie sehr zurückgenommen, aber mit feiner Zartheit innerhalb der dramatischen Vorkommnisse erzählt. So wird „Das Erbe derer von Thurn und Taxis“ zu einem historischem Roman, der mit seiner ungewöhnlichen Geschichte ausgezeichnete Lesestunden bietet.

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Veröffentlicht am 05.11.2023

Die Mission des Goldwäschers

Die Mission des Goldwäschers
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Das Leben des Goldwäschers Frieder wird zu einem Abenteuer besonderer Art, als er sich im Jahr 1771 gemeinsam mit seinen Freunden Armin und Ruedi, dem Buchhändler Magnus von Auenstein und dessen Tochter ...

Das Leben des Goldwäschers Frieder wird zu einem Abenteuer besonderer Art, als er sich im Jahr 1771 gemeinsam mit seinen Freunden Armin und Ruedi, dem Buchhändler Magnus von Auenstein und dessen Tochter Eleonore sowie dem Mönch Melchior auf die Suche nach dem legendären Schatz der Nibelungen begibt. Eine alte Handschrift mit versteckten Zeichen soll ihnen die Richtung weisen. Doch das Ziel ist in Rätseln verschlüsselt, und obwohl Bruder Melchior mit Hilfe von Eleonore die Buchstaben erscheinen lassen kann, bedarf es der Zusammenarbeit aller, um die Lösungen zu finden. Außerdem sitzt ihnen die Zeit im Nacken. Schließlich kann der Schatz nur am längsten Tag des Jahres gehoben werden.

Bald bemerken sie, dass die Reise nicht arm an Hindernissen ist und zu einem lebensgefährlichen Wagnis wird. Söldner eines französischen Baron heften sich an ihre Fersen und schrecken auch nicht vor Mord zurück,um ihrerseits des Buches habhaft zu werden.

Unerwartete Unterstützung erhalten die Schatzsucher von einem Student, der sich später als Dichter einen großen Namen machen wird: Johann Wolfgang Goethe. Und eine ungewöhnliche "Amazone" kreuzt ebenfalls ihren Weg ...


„Die Mission des Goldwäschers“ von Ralf H. Dorweiler ist ein historischer Roman mit einer originellen Idee: Eine Gruppe bunt zusammengewürfelter Menschen startet eine abenteuerliche Schatzsuche nach dem sagenhaften Gold der Nibelungen. Die dadurch miteinander verbundene Truppe könnte nicht unterschiedlicher sein.

Goldwäscher Frieder und seine Freunde, Schmied Armin und Vergolder Ruedi, treffen auf den Buchhändler Magnus von Auenstein und seine Tochter Eleonore, den Mönch Melchior und später den Studenten Wolfgang, der die Gemeinschaft nicht nur mit seinem Frohsinn bereichert. Jede dieser Personen hat ihren eigenen Charakter, den der Autor mit Präzision ersonnen hat und darstellt. Im Verlauf des Geschehens wachsen sie uns ans Herz, und ihre Gegner lassen unsere Ablehnung in die Höhe schnellen. Auf jeden Fall rufen sie mannigfaltige Emotionen hervor: Zuneigung, Freude, Rührung, Verwunderung, Bangen, Hoffen, Ärger, Empörung, Trauer ...

Ralf H. Dorweiler bedient sich einer ruhigen und mit bildhafter Nachvollziehbarkeit beschreibende Erzählweise, die ich schätze. Sie konzentriert sich auf das Wesentliche, ohne dabei karg zu sein und vermeidet Ausschweifungen. Der Wechsel von Perspektiven und einige schwungvolle Wendungen frischen die Szenerie auf. Der Autor vermag es, die Lokalitäten des Geschehens im Detail und folglich sichtbar zu schildern, ohne dass ich jemals vor Ort war. Deshalb habe ich mich von Beginn an beim Lesen wohlgefühlt und bin der Handlung, die von einer sich steigernden Dramatik begleitet wird, und den Protagonisten mit Aufmerksamkeit begegnet.

In der Geschichte wird die Schreibarbeit des Autors von seiner ausgezeichneten Recherche ergänzt und führt tatsächlich als Erstes zu einem Überraschungsmoment. Denn wer hätte gedacht, dass es in deutschen Landen möglich ist, aus einem Fluss wie dem Rhein Gold zu waschen. Es ist erstaunlich und ferner beachtlich, mit welcher Fertigkeit das einst passiert ist. Ralf H. Dorweiler bringt uns die Arbeit von Frieder, die durchaus schwer und auch gefährlich gewesen ist, auf eine unkomplizierte, aber zugleich beeindruckende Art näher, so dass wir nicht das Gefühl haben, eine wissenschaftliche Abhandlung zu lesen.

Ebenso weit entfernt von der Sachlichkeit ist die Lehre, die wir aus dieser Geschichte ziehen können: Was bedeuten uns die wirklichen Werte im Leben. Sind es die materiellen Dinge, denen wir nachjagen. Oder wartet am Ende nicht ein wahrer Goldschatz dort auf uns, wo wir ihn gar nicht vermuten ...

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Veröffentlicht am 30.03.2023

Das gelbe Tuch

Das gelbe Tuch
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Es herrscht ein ordentliches Getümmel in Nürnberg im April 1449. An diesem Tag der Heiltumsweisung strömen Hunderte aus dem ganzen Umland in die Stadt, um einen Blick auf Insignien und Reliquien wie die ...

Es herrscht ein ordentliches Getümmel in Nürnberg im April 1449. An diesem Tag der Heiltumsweisung strömen Hunderte aus dem ganzen Umland in die Stadt, um einen Blick auf Insignien und Reliquien wie die Heilige Lanze, die Reichskrone oder das Krönungszepter zu werfen.

Mitten unter den Menschen ist auch Anna, die als Dirne arbeiten muss. Vor drei Jahren wurde ihr Dasein vollständig auf den Kopf gestellt, als ihre Brüder sie aus der lieb gewonnenen, sicheren Geborgenheit eines Klosters gerissen und an ein Frauenhaus verkauft haben. Seitdem bietet sie dem Schicksal die Stirn und kämpft ums Überleben.

Endres ist zum ersten Mal nach sechs Jahren wieder in Nürnberg, und alles wirkt dort für ihn vertraut und zugleich fremd. Im geheimen Auftrag seines Herrn, dem Markgraf Albrecht von Ansbach, der im Streit mit der Reichsstadt liegt, führt sein Weg ihn in das Hurenhaus, in dem Anna arbeitet. Der jungen Frau wird schnell klar, dass Endres anders ist als die Männer, die sie sonst aufsuchen, denn er bedient sich ihrer nicht, sondern achtet sie als Person.

Zwischen beiden entstehen erste zarte Bande. Doch die Reichsstadt rüstet zum Krieg gegen den Ansbacher Markgraf, und Endres balanciert als dessen Spion auf schmalem Grat. Und Anna bleibt vom Unglück noch immer nicht verschont ...


„Das gelbe Tuch“ von Priska Lo Cascio ist ein historischer Roman nach meinem Geschmack. Die Autorin beweist bei der ausführlichen Schilderung der Ereignisse vor der Kulisse des mittelalterlichen Nürnberg nicht nur ein fundiertes Hintergrundwissen, sondern sie setzt ihre erdachte Geschichte hervorragend in den historischen Kontext.

In einem Nachwort bringt die Autorin Licht in Dunkel von Wahrheit und Erfindung. Ein Personenregister lässt einen die handelnden Figuren im Auge behalten, während das Glossar notwendige Begriffe erläutert.

Priska Lo Cascio greift auf ein ausgezeichnetes sprachliches Können zurück und stellt die in großen Teilen schweren und schwierigen Lebensverhältnisse der Menschen am Rande der Gesellschaft detailliert und in eindringlicher Intensität dar.

Mitreißend erzählt ziehen einen das Schicksal und die äußeren und inneren Kämpfe der Protagonisten in einem dramatischen und emotionalen Spannungsbogen in seinen Bann, wenn die Autorin das damalige tatsächliche Geschehen und die einst existierende Persönlichkeiten mit fiktiven Figuren verknüpft.

Gerade mit diesen von ihr entworfenen Charakteren überzeugt sie auf ganzer Linie.

Anna, die von vielen wegen ihrer zweifarbigen „Teufelsaugen“ – eines in dunklem Kohlebraun, das andere so hell wie das Kraut der Silberminze – abgelehnt oder sogar gefürchtet wird, hat mich gleich für sich eingenommen, und ich habe mehr als einmal mit ihr gelitten. Sie hat mich beeindruckt mit ihrem Willen und ihrer Kraft, die beide im Verlauf des Geschehens wachsen, aber auch mit ihrer Wissbegierde und Klugheit.

Endres, privilegierter Sohn aus gutem Hause, hat sich von seiner Familie abgewandt, nachdem er in Konflikt mit seinem Vater geraten ist. Lediglich mit seinem Bruder Ulman verbindet ihn Zuneigung. Er ist auf Grund seiner Vergangenheit kein einfacher Mann, jedoch einer, dessen unaufdringliche, manchmal sogar distanzierte Art bei Anna mehr Gutes bewirkt, als sie seit Langem von irgendjemandem erfahren hat.

„Das gelbe Tuch“ bietet einen Rahmen für eine Geschichte, in der Liebe und Freundschaft, Mut und Hoffnung, Vertrauen und Hilfsbereitschaft von großer Bedeutung und Wertigkeit sind.

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Veröffentlicht am 26.02.2023

Licht und Schatten

Blankenese - Zwei Familien
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Als Leni und John im Nachkriegsjahr 1919 aufeinandertreffen, ahnen sie nicht, dass das Schicksal einen Plan mit ihnen hat.

Denn Leni Hansen lebt im Hamburger Treppenviertel, wo ihre verwitwete Mutter ...

Als Leni und John im Nachkriegsjahr 1919 aufeinandertreffen, ahnen sie nicht, dass das Schicksal einen Plan mit ihnen hat.

Denn Leni Hansen lebt im Hamburger Treppenviertel, wo ihre verwitwete Mutter Irma ein kleines Lokal, das „Elbrauschen“, betreibt. John ist Erbe der Reederei Casparius und wohnt in einer stattlichen Villa in Blankenese. Gerade ist er aus dem Krieg zurückgekehrt und muss nicht nur die angespannte finanzielle Situation, sondern auch die Auflösung seiner Verlobung mit Luisa verkraften, als Leni in sein Leben tritt.

Er verliebt sich stehenden Fußes in die unerschrockene junge Frau, nicht nur als sie ihn gegen Anfeindungen verteidigt. Die beiden heiraten, nachdem Lenis Mutter, die für ihre Tochter die Chance gesehen hat, sie versorgt zu wissen, ihr zugeraten hat.

Irma verschweigt, dass die beiden Familien bereits durch vorherige Ereignisse miteinander verknüpft sind. Als diese Verbindungen offenbart werden, reagiert John, der sich und sein Vertrauen in Leni verraten glaubt, mit Ablehnung und lässt seine Frau, die zwar in ihrer Schwägerin Felicitas eine unterstützende Freundin gefunden hat, allein zurück.

Währenddessen gärt es in Deutschland. Die Wirtschaft wird immer desaströser und schlittert in die Weltkrise. Die Situation der Bevölkerung – nach dem ersten Weltkrieg sowieso angespannt – entwickelt sich dramatisch. Das ruft politische Bestrebungen auf den Plan, die Deutschland mit jedem Jahr mehr in den Abgrund reißen.

Werden Leni und John zueinanderfinden und können sie sich und ihre Familien den aufkommenden Bedrohungen entgegenstellen?


Michaela Grünigs Leni Hansen in "Licht und Schatten", dem ersten Band der Reihe "Blankenese. Zwei Familien" ist eine bodenständige junge Frau, die gerade ihre Lehre zur Sattlerin abgeschlossen hat, jedoch wegen der Kriegsheimkehrer ihre Arbeit verliert. Es ist ein Zufall, dass sie John Casparius kennenlernt.

Der Reedersohn, dessen jüdische Mutter bei der Geburt seiner Schwester verstarb, hat sehr unter dem Verlust gelitten. Auch sein Einsatz im Krieg hinterließ Spuren. Mit Leni glaubt er endlich die Frau fürs Leben gefunden zu haben, und als er sie im Grunde gegen den Willen seiner Familie heiratet, hofft er auf Vertrauen und Liebe. Doch er wird enttäuscht und zieht sich in seiner Verzweiflung zurück.

Leni, die sich zuvor der Geringschätzung und Abneigung der Familie erwehren musste, kann sich nur auf Felicitas verlassen. Ihr durchsetzungsfähiger Charakter ermöglicht es ihr, allen Widrigkeiten zum Trotz Selbstbewusstsein aufzubauen und sich in und mit einer ihr fremden Welt zurechtzufinden.

Es erweist sich als mutig von der Autorin, hier ein Paar zu präsentieren, dass – zumindest auf Seiten von Leni – nicht von Anfang an in flammender Liebe entbrannt ist und das bis zum Entdecken der gegenseitigen tiefen Gefühle durch einige ebenso tiefe Täler gehen muss.

Größere Zeitsprünge geben dabei die Gelegenheit für eine Schilderung des wechselhaften Geschehens im Kreis von wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen. Hier beweist die Autorin ihr Können in der beachtlichen Darstellung des historischen Hintergrundes sowie Einbindung der örtlichen Gegebenheiten von Hamburg. Damit entsteht der Eindruck, involviert zu sein, was die herrschende Stimmung erlebbar macht.

Michaela Grünig ist auch „Blankenese – Zwei Familien. Licht und Schatten“ ein großartiges Meisterstück historischer Erzählkunst gelungen.

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Veröffentlicht am 28.11.2022

Kinder des Aufbruchs

Kinder des Aufbruchs
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1967 und damit sechs Jahre nach dem Mauerbau ist der Traum von einer deutschen Einheit geplatzt. Die Fronten des Kalten Krieges zwischen Ost und West sind verhärtet und von Misstrauen und Ängsten vor dem ...

1967 und damit sechs Jahre nach dem Mauerbau ist der Traum von einer deutschen Einheit geplatzt. Die Fronten des Kalten Krieges zwischen Ost und West sind verhärtet und von Misstrauen und Ängsten vor dem „Klassenfeind“ geprägt.

Doch auch innerhalb der Gesellschaft gärt es. Besonders die Studenten sind unzufrieden mit den alten Strukturen an den Hochschulen. Ihre Forderungen gelten zeitgemäßen Lerninhalten, einer sozialen Chancengleichheit im Bildungswesen, besseren Lernbedingungen und vor allem auch der Entlassung von Lehrkräften mit Nazi-Vergangenheit. Außerdem erheben sie ihre Stimme für das Ende des Vietnamkrieges und den Stopp der atomaren Aufrüstung. Zusätzlichen Zündstoff bieten die von der Großen Koalition erlassenen Notstandsgesetze, weil sie damit einhergehende gravierende Einschränkungen der demokratischen Grundrechte befürchten.

Im Juni 1967 eskalieren die Ereignisse, als die Studenten in Berlin gegen den offiziellen Besuch des persischen Schahs Reza Pahlevi demonstrierten und dabei Benno Ohnesorg getötet wird. Dadurch tritt eine Radikalisierung der Aktionen ein. Mit dem Attentat auf Rudi Dutschke, der Galionsfigur der deutschen Studentenbewegung, entwickelt sich die bis dahin friedlich Protestbewegung zur Studentenrevolte, die fast alle Universitätsstädte erfasst ...

Inmitten dieses Geschehens finden sich die Zwillinge Emma Laakmann und Alice Weiß wieder, die im geteilten Berlin ihre einstige dramatische Trennung überwunden und ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut haben.

Während Emma als Dolmetscherin arbeitet und eine glückliche Ehe mit Julius führt, die allerdings nach einer Fehlgeburt von dem unerfüllten Kinderwunsch überschattet wird, schreibt die Journalistin Alice unter anderem über die sich entwickelnde Studentenbewegung und engagiert sich für verschiedene Fluchtorganisationen. Mit ihrem Mann Max, dem Vater ihrer Tochter Lisa, hat sie ein Arrangement getroffen, das ihnen beiden jede Freiheit einräumt.

Als die aus dem Ostteil der Stadt geflüchtete Sängerin Irma Assmann, die Alice aus ihrer Vergangenheit in einem DDR-Kinderheim keine Unbekannte ist, ermordet wird, geraten die beiden Paare in einen gefährlichen Strudel unterschiedlicher Ereignisse zwischen den Studentenunruhen und Geheimdienstaktivitäten.

Es stellt sich nicht allein die Frage, ob Irma im Westen als Informantin für den KGB gearbeitet hat. Gerät Alice selbst in den Fokus, weil sie wegen einer vermeintlichen Schuld ihre Unterstützung für eine Gruppe, die Flüchtlinge über ein Tunnelsystem in den Westen schleust, intensiviert? Oder sind Julius und Max wegen ihrer vielfältigen Verbindungen zur DDR Zielscheiben der Staatssicherheit und des Bundesnachrichtendienst?


Mit „Kinder des Aufbruchs“ setzt Claire Winter die in „Kinder ihrer Zeit“ begonnene Geschichte der Zwillinge Emma und Alice fort.

Wie ihre Schwester hat nun auch Alice nach ihrer Flucht in den Westen in Berlin ein neues Zuhause gefunden. Beide arbeiten und haben sich mit ihren Ehemännern Julius und Max sowie Tochter Lisa ein Leben aufgebaut. Doch nicht nur der unerfüllte Kinderwunsch von Emma macht ihr zu schaffen. Es sind auch Geheimnisse aller Beteiligten, mit der die Autorin die Leser zu fesseln vermag. Hinzu kommt ein Mord, bei dem fast schon kriminalistischer Spürsinn gefragt ist.

Insgesamt präsentiert Claire Winter eine wendungsreiche Handlung, mit der es ihr in bemerkenswert authentischer Weise gelingt, die politische Situation und die Lebenssituation der Menschen darzustellen.

Glaubwürdig erzählt sie unter Verwendung von wechselnden Perspektiven im Spannungsfeld des nach dem Mauerbaus schwelenden Ost-West-Konflikts auch von der Aufbruchstimmung in der Bundesrepublik, wo entgegen der im Grundgesetz formulierten Grundrechte eine andere Realität offensichtlich ist: nach wie vor bestehen nicht nur eine Bevormundung im Geschlechterverhältnis, sondern außerdem soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten.

Insbesondere die Studenten wollen sich nicht mehr mit dem Althergebrachten zufrieden geben und gehen für einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft auf die Straße. Außerdem thematisiert die Autorin die gefährliche Arbeit der Fluchthilfe-Organisationen, den Gefangenenaustausch zwischen den beiden deutschen Staaten. Nicht zuletzt haben Angehörige der Geheimdienste durchaus fragwürdige Auftritte.

Die lobenswert intensive Recherche der Autorin zahlt sich aus. Ihre umfangreiche Schilderung der damaligen Umstände und tatsächlichen Ereignisse sowie die Einbindung historischer Personen bietet ein anschauliches Kaleidoskop und wirkt gerade dann sehr realistisch, wenn es mit Gegebenheiten im Dasein ihrer fiktiven Figuren verknüpft wird. In diesem Zusammenhang ist die einfühlsame Charakterzeichnung der Protagonisten mit Stärken und Schwächen hervorzuheben.

Tatsächlich erreicht manches Geschehen den Leser so hautnah, dass es Beklemmung hervorruft. Ebenso lassen sich bei der Lektüre indes neben Empörung, Unverständnis und Ablehnung auch Hoffnung und Freude empfinden, so dass auch mittels dieser Emotionalität „Kinder des Aufbruchs“ zu einer nachhaltigen Lektüre wird.

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