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Veröffentlicht am 07.03.2023

Eine Slowburn Enemies-to-Lovers-Romanze mit überraschendem Witz und emotionalem Tiefgang

Das irrationale Vorkommnis der Liebe – Die deutsche Ausgabe von »Love on the Brain«
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Handlung: Nachdem mir "The Love Hypothesis" so gut gefallen hat, habe ich beschlossen, die anderen Bücher von Ali Hazelwood ebenfalls zu lesen. Angefangen habe ich mit "Love on the Brain", welches mich ...

Handlung: Nachdem mir "The Love Hypothesis" so gut gefallen hat, habe ich beschlossen, die anderen Bücher von Ali Hazelwood ebenfalls zu lesen. Angefangen habe ich mit "Love on the Brain", welches mich sogar noch mehr überzeugen konnte als ihr erstes Werk. Genau wie "The Love Hypothesis" besteht auch die Geschichte von Bee und Levi praktisch nur aus Tropes - Haters-to-Lovers, Slowburn, Forced Proximity, Grumpy-and-Sunshine -, welche gepaart mit minimalen Krimielementen und einer geheimen Internetidentität einen insgesamt recht vorhersehbaren Plot ergeben. Wurde ich inhaltlich überrascht? Nicht wirklich. Erzählt die Autorin hier etwas Neues? Muss ich ebenfalls verneinen. Habe ich diese charmant, unterhaltsam und gewitzt erzählte Geschichte trotzdem mit jeder Seite mehr geliebt? Auf jeden Fall! Ali Hazelwood erzählt hier abermals eine Romanze mit überraschendem Witz und emotionalem Tiefgang, in der zwei sozial unbeholfene Wissenschaftler von Feinden, zu Freunden, zu Liebenden werden.

Schreibstil
: Passend zum Titel und Bees Forschungsfeld sind die 25 Kapitel von "Love on the Brain" mit einer Gehirnregion und einer im Kapitel vorkommenden Emotion oder Kognition benannt. Mit 354 Seiten ist die Geschichte etwas länger als "The Love Hypothesis", dennoch bin ich geradezu durch die Seiten geflogen. Denn Ali Hazelwood schreibt frisch, unterhaltsam und versteht es ihr Academia-Setting mit einem charmanten Augenzwinkern auf den Punkt zu bringen. Sehr gut gefallen hat mir auch, dass die Autorin hier auch auf die Unterrepräsentation von Frauen in der Wissenschaft und die großen und kleinen Problemen, die sich daraus ergeben, eingeht. Besonders gelacht habe ich dabei über die kreativen Begriffe wie WurstFest™, Cockcluster, Meatwave, Brodeo, oder "Dickspolision in the Testosteroven", die sie für rein männerdominierte Arbeitsgruppen ausdenkt. Legendär ist auch das sogenannte Sausage Referencing™, das den nervtötenden Umstand in Worte kleidet, dass die Meinung oder der Beitrag einer Frau erst dann ernst genommen wird, wenn er von einem Mann nochmal wiederholt oder bekräftigt wird. Super fand ich ebenfalls, wie die Autorin durch die von Bee gestartete Champagne #FairGraduateAdmissions auf ihrem Twitter-Account @WhatWouldMarieCurieDo darauf eingeht, wie standardisierte Tests Randgruppen und finanziell schwächere Menschen diskriminiert und von höherer Bildung fernhalten. Neben der treffsicheren Darstellung des Lebens von Frauen in STEM (Science, Technology, Engineering and Maths) ist die Geschichte auch auf anderen Ebenen herrlich nerdig. Dank Ali Hazelwood habe ich nun nicht nur Lust, mal wieder einen Star Wars Rewatch zu machen und eine Katze zu adoptieren, ich kenne nun auch viele witzige Fakten über Marie Curie, Geister und Neurostimulation. Mit Themen wie Industriespionage, finanzielle Unsicherheit, Verlust von Angehörigen, Einsamkeit, sexueller Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz hat die Geschichte durchaus auch ihre etwas düsteren Seiten, welche durch den beschwingten Erzählton jedoch gut ausgeglichen werden.

Figuren:
Aus der Ich-Perspektive von Bee werden die Gefühle, die sich langsam zwischen ihr und Levi entwickeln, sowie die vielen schrägen Situationen, in die die beiden sich hineinmanövrieren, gut nachvollziehbar und greifbar dargestellt. Die beiden sind in ihrer komplementären Gegensätzlichkeit einfach ZUCKER. Während Bee mit ihren Piercings, den bunten Haaren und ihrem miesen parasympathischen Nervensystem, das sie ständig in Ohnmacht fallen lässt, ein absoluter Sonnenschein ist, viel zu viel redet und sich von ihrem Impulsen tragen lässt, ist Levi ein zugeknöpfter, einsilbiger Ingenieur, der seine Gefühle schlecht ausdrücken kann. Zumindest denkt Bee das zunächst. Je näher die beiden sich kennenlernen, desto mehr Gemeinsamkeiten muss sie zwischen sich und ihrer Gradschool-Nemesis erkennen. Und als sie dann feststellt, dass das, was ihn dazu bringt, ihr aus dem Weg zu gehen alles andere ist als Abneigung, sprühen endgültig die Funken... Beide Figuren sind mir total schnell ans Herz gewachsen und schaffen es auch, sich auf den wenigen Seiten glaubhaft weiterzuentwickeln. Mindestens genauso gut wie die beiden liebenswerten Hauptfiguren haben mir auch die Nebenfiguren gefallen. Egal ob die Gothic-Laborassistentin Rocio, die verstörend pinke Kaylee, die Weltenbummlerin Mareike oder die beiden felligen Freunde Schrödinger and Félicette - ich habe sie alle total schnell ins Herz geschlossen, immer wieder glücklich über sie gekichert und mich außerdem über die gelungene, beiläufige Repräsentation von LBGTQIA+ und BIPOC gefreut.


Die Zitate:

"The real villain is love: an unstable isotope, constantly undergoing spontaneous nuclear decay. And it will forever go unpunished."

"Annie used to have a funny theory: we all have a Year Zero around which the calendars of our lives pivot. At some point you meet someone, and they become so important, so metamorphic, that ten, twenty, sixty-five years down the line you look back and realize that you could split your existence in two. Before they showed (BCE), and your Common Era. Your very own Gregorian calendar."

"We're only humans. We're full of ''whys'', drowning in ''whys.'' Every once in a while, we need a bit of ''because'' and if it's not readily available, we make it up."

"Science is reliable in its variability. Science does whatever the fuck it wants. God, I love science."

"I guess this is it—being in love. Truly in love. Lots and lots of horrible, wondrous, violent emotions.”


Das Urteil:


"Love on the Brain" ist eine Slowburn Enemies-to-Lovers-Romanze mit überraschendem Witz und emotionalem Tiefgang, in der zwei sozial unbeholfene Wissenschaftler von Feinden, zu Freunden und schließlich mit vielen Umwegen zu Liebenden werden... Ali Hazelwood schreibt frisch, unterhaltsam, stellt zwei liebenswerte Hauptfiguren vor und versteht es ihr Academia-Setting mit einem charmanten Augenzwinkern auf den Punkt zu bringen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.02.2023

Gewohnt undurchsichtig, komplex und voller neuer Ideen

Wer die Hölle kennt
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Nachdem sich Band 1 der Alex-Stern-Reihe, "Das neunte Haus" nach einem sehr zähen Einstieg doch noch als komplexer Mystery-Thriller mit einem vielschichtigen Worldbuilding und einer grandiosen Grundidee ...

Nachdem sich Band 1 der Alex-Stern-Reihe, "Das neunte Haus" nach einem sehr zähen Einstieg doch noch als komplexer Mystery-Thriller mit einem vielschichtigen Worldbuilding und einer grandiosen Grundidee entpuppte, war ich sehr gespannt auf die Fortsetzung. Genau wie Band 1 habe ich "Wer die Hölle kennt" im Buddyread mit Sofia (Sofias World of Books - Shoutout geht wie immer raus an diese tolle Person!) gelesen und war in mehrerlei Hinsicht positiv überrascht von dieser Fortsetzung, die in vielen Punkten besser ist als der Auftakt!

"Vielleicht waren sie beide Killer, dazu verdammt, einander Gesellschaft zu leisten, zwei verlorene Seelen, die versuchten, nach Hause zurückzufinden. Vielleicht waren sie beide Monster, denen es guttat, wenn ein anderes Monster den Blick erwiderte."

Das Cover ist definitiv keiner dieser Punkte. Auch wenn das Grundmotiv mit dem weißen Kaninchen passend gewählt ist, da dieses im Verlauf der Geschichte einige Auftritte mit Symbolcharakter hat, finde ich das verängstigt dreinblickende Tier mit dem verklebten Fell und der zusammengekauerten Körperhaltung nicht gerade schön anzusehen. In Zusammenspiel mit dem grauen Hintergrund und den weißen Großbuchstaben des Titels hat die Gesamtgestaltung eine abstoßende Wirkung auf mich. Das Cover des erstes Bandes, welches ebenfalls ein für die Geschichte symbolträchtiges Tier zeigte, gefiel mir da deutlich besser. Positiv an der Gestaltung möchte ich aber hervorheben, dass nun eine Karte von Yale beigefügt ist, auf der man die wichtigsten Handlungsorte in New Haven, Connecticut, wiederfinden kann. Passend zur Geschichte (und einer speziellen Szene darin) ist die Karte in Form eines Miniaturmodells gehalten und hilft sehr beim Folgen der Handlung.

Erster Satz: "Alex näherte sich Black Elm wie einem wilden Tier."

Genau wie im Auftakt der Reihe starten wir mit einem hochspannenden, aber ganz schön verwirrenden Prolog in die Geschichte, der ordentlich vorgreift, um im Anschluss dann einen Monat früher anzusetzen und auf diesen hinzuleiten. Auch "Wer die Hölle kennt" ist weit von einem temporeichen Einstieg in die Geschichte entfernt und benötigt ein wenig Zeit, um in Schwung zu kommen. Im Vergleich zu Band 1 zündet die Handlung aber deutlich früher und weiß abermals mit durchdachter Komplexität und vielen überraschenden Wendungen zu punkten. Auch hier hat Leigh Bardugo sich dazu entschlossen, mit einem personalen Er-Erzähler auf mehreren Zeitebenen von Alex´ Verstrickungen als Abgesandte Lethes zu erzählen und die Haupthandlung immer wieder für Rückblicke in Alex´ Vergangenheit sowie den zurückliegenden Sommer, in dem sie Los Angeles besucht hat, zu unterbrechen. Im Gegensatz zu Band 1 hat mich das hier aber nicht mehr gestört, da ich das Worldbuilding schon besser verstanden, die Figuren ans Herz geschlossen habe und bereits an die Machart der Geschichte gewohnt war.

"Wir machen weiter", sagte sie.
"Einen Schritt nach dem anderen", bekräftigte Alex.
Bis in die Hölle und zurück."

Genau wie in Band 1 ist auch hier ein rätselhafter Kriminalfall um zwei ermordete Professoren auf dem Campus von Yale, der gelungen mit der restlichen Handlung verknüpft wurde, Teil der Geschichte, sodass wir wieder einen Genremix aus Mystery-Horror, Urban Fantasy, College-Romanze, Thriller und Krimi lesen. Die Krimihandlung steht hier aber mehr im Hintergrund als im ersten Teil und lässt Raum für die unmöglich erscheinende Mission, Darlington aus der Hölle zu befreien. Auf der Suche nach einem Höllenpfad in verstaubten Büchern begegnen Alex und ihren Mitstreitern abermals gefährliche Rituale, blutdurstige Dämonen, uralte Geister, politische Verschwörungen und schwierige Rätsel, sodass sich abermals eine hochspannende und bis ins Detail durchdachte Handlung entspinnt, die ich mir niemals hätte selbst ausdenken können. Wie im vorherigen Band gipfelt dieser Fantasy-Spaß dann in einem grandiosen Showdown, in dem die Autorin abermals zeigt, dass sie einfach eine Größe der Fantasy-Literatur ist, mit der man rechnen muss...!

"Ist es das, wonach wir alle streben?, fragte sich Alex, während sie für Mercy die Tür zum Il Bastone öffnete und sah, wie sie staunend die Augen aufriss angesichts der Sonnenblumen-Treppe, der bunten Bleiverglasung, der handbemalten Fliesen um den Karmin herum. Warum versprach man Kindern Magie? Warum weckte man ein Bedürfnis in ihnen, das niemals erfüllt werden konnte - nach Offenbarung, nach Verwandlung -, und warum setzte man sie dann dieser trostlosen, pragmatischen Welt aus? Bei Darlington hatte sie gesehen, was die Trauer über diesen Verlust mit jemandem anrichten konnte, aber vielleicht war sie selbst von der gleichen Trauer beseelt. Von der furchtbaren Erkenntnis, dass es kein geheimnisvolles Schicksal gab, keinen wohlgesinnten Mentor, der verborgene Talente in ihr entdeckte, keine gerechte Strafe, die einen zu einem besseren Menschen machte. Vielleicht war es diese Trauer, diese von Geschichten über bessere Welten und unendliche Möglichkeiten angefachte Sehnsucht, die sie alle für Lethe zu einer so leichten Beute machte."

Wie ich schon in meiner Rezension zu "Das neunte Haus" festgehalten habe, ist die Geschichte um Alex Stern deutlich düsterer, blutiger und auch von der Sprache expliziter als die verträumten Jugendbücher, die Leigh Bardugo zuvor geschrieben hat. Man muss hier sowohl mit Blut, Mord, Innereien und krabbelndem Getier zurechtkommen, als auch angesichts leuchtender Dauerständer nicht das Gesicht verziehen. Sieht man über die teilweise sehr deftigen Beschreibungen hinweg, erwartet einen eine absolut unromantische, aber dennoch anziehende und vielschichtige Darstellung von Magie, mit der man viel Spaß haben kann. Die grundlegende Idee hinter dem Buch, einen College Campus als Schauplatz für okkulte Studentenverbindungen zu nutzen, finde ich nach wie vor einfach großartig. Über die 600 Seiten hinweg wird das Urban Fantasy Setting durch magische Artefakte, lebendige Häuser, mächtige Drogen, tiefe Abgründe, jahrzehntealte Geister und blutige Rituale lebendig gemacht. Der ab und an aufblitzende schwarze, trockene Humor rundet das Leseerlebnis angenehm ab und sorgt dafür, dass die verrückte Gesamtmischung funktioniert.

"Das war die Wahrheit über Magie - Blut und Eingeweide und Sperma und Spucke, Organe in Einmachgläsern, dreidimensionale Stadtpläne für die Menschenjagd, Schädel von ungeborenen Kindern. Bücher und Märchen waren nicht das Problem, außer dass sie nur die halbe Wahrheit erzählten. Sie suggerierten eine Welt, in der immer nur die Bösen den Blutzoll zahlten, die niederträchtige Stiefmutter, die missgünstigen Stiefschwestern; eine Welt, in der Magie für Gerechtigkeit sorgte und keinerlei Opfer forderte"

Im Verlauf der Handlung wird das in Band 1 nur angerissene Magiesystem rund um die einzelnen magischen Verbindungshäuser und deren Aufsichtsbehörde Lethe weiter ausgebaut und tolle, originelle Ideen und düstere Gothic-Optik schlüssiger, zugänglicher und atmosphärischer. Die am Kapitelende beigefügten Auszüge aus Büchern, Tagebüchern und Aufzeichnungen über Lethe haben dabei allerdings weiterhin mehr verwirrt als für Klarheit gesorgt. Für meinen Geschmack wendet die Autorin zudem immer noch zu viel Zeit für die Beschreibung der Gebäude und Architektur Yales auf, die Tatsache, dass fast alle beschriebenen Handlungsorte der Geschichte auch im echten New Haven zu finden sind, versöhnt mich aber wieder mit dieser Tatsache. Besonders dass die Beschreibungen der Sterling Memorial Library, welche im Buch ein Schlüsselort darstellt, auf jede Inschrift und jedes Dekoelement genau realitätsgetreu sind, finde ich ziemlich genial und kann nur den Hut vor den Recherchen der Autorin ziehen.

"Du hast dich nicht abgewandt. Selbst, als dir nicht gefiel, was du in mir gesehen hast. Du hast weiter hingesehen." Darlingtons Blick veränderte sich und flackerte wie im Schein eines Feuers. Erst golden, dann wie Bernstein. Glänzend und dann wieder verschleiert. "Vielleicht erkenne ich ein gleichgesinntes Monster, wenn ich es vor mir habe."

Neben dem Worldbuilding werden hier auch die Hintergrundgeschichten der Figuren weiter ausgebaut und weiterentwickelt. Vor allem die Hauptfigur Galaxy -Alex- Stern, welche mir auf den ersten Blick als Charakter überhaupt nicht zugänglich erschien und eine mehr als schwierige Vergangenheit mit sich bringt, ist mir entgegen meiner ursprünglichen Erwartung im Verlauf von Band 1 und nun auch in Band 2 sehr ans Herz gewachsen. Zuerst hat sie mein Mitleid errungen, dann ein wenig Sympathie und schließlich reine Bewunderung für ihre Stärke, ihr Durchhaltevermögen und ihre taktische Gewitztheit. In "Wer die Hölle kennt" dürfen wir nun beobachten, wie sie langsam ihre Rüstung abzulegen und sich gegenüber ihren Freundinnen und Mitstreitern zu öffnen beginnt. Besonders die Beziehungen zu ihrem Oculus Dawes, ihrer Mitbewohnerin Mercy, dem Haus Il Bastone (jaaaa, sie hat tatsächlich eine Beziehung zu einem Haus!!!) und Detective Turner haben mich sehr berührt und an den Found Family Trope erinnert.

"Ich würde gerne wissen, wie man mutig ist. So wie du."
"Ich bin leichtsinnig. Das ist etwas anderes."

Meine absolute Lieblingsfigur bleibt jedoch mit Abstand Lethes Goldjunge und Gentleman Demon Darlington. Auch wenn er hier deutlich weniger Auftritte hat als ich mir das gewünscht hätte und auch seine angedeutete Liebesgeschichte zu Alex leider nicht mehr vertieft oder weiterverfolgt wird, hat mir sehr gut gefallen, wie er hier als Dämon zwischen Menschlichkeit und Trieben, Sünde und Anstand, Gefahr und Verbündeter schwankt (und natürlich haben seine Hörner auch etwas für sich...😌). Wie erwartet lässt uns das Ende mit einigen Fragen und offenen Punkten zurück, sodass ich nun sehr gespannt auf Band 3 bin, welcher allerdings noch eine Weile auf sich warten lassen wird...

"Schon komisch", sagte sie schließlich, "dass die Leute über Leben und Tod reden, als gäbe es eine tickende Uhr." "Gibt es denn keine?" Alex schüttelte langsam den Kopf. "Das Tick tick tick kommt nicht von einer Uhr. Sondern von einer Bombe. Es gibt keinen Countdown. Irgendwann geht sie hoch und alles ist anders."



Fazit:


Leigh Bardugo setzt die Alex-Stern-Reihe mit "Wer die Hölle kennt" gewohnt undurchsichtig, komplex und voller neuer Ideen fort. Zwar hätten ein wenig höheres Erzähltempo und weniger Beschreibungen von Gebäuden nicht geschadet, die Figuren, der Schreibstil, das Setting und die Handlung sind aber um Welten besser gestaltet als im ersten Teil.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.02.2023

Gewohnt undurchsichtig, komplex und voller neuer Ideen

Wer die Hölle kennt
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Nachdem sich Band 1 der Alex-Stern-Reihe, "Das neunte Haus" nach einem sehr zähen Einstieg doch noch als komplexer Mystery-Thriller mit einem vielschichtigen Worldbuilding und einer grandiosen Grundidee ...

Nachdem sich Band 1 der Alex-Stern-Reihe, "Das neunte Haus" nach einem sehr zähen Einstieg doch noch als komplexer Mystery-Thriller mit einem vielschichtigen Worldbuilding und einer grandiosen Grundidee entpuppte, war ich sehr gespannt auf die Fortsetzung. Genau wie Band 1 habe ich "Wer die Hölle kennt" im Buddyread mit Sofia (Sofias World of Books - Shoutout geht wie immer raus an diese tolle Person!) gelesen und war in mehrerlei Hinsicht positiv überrascht von dieser Fortsetzung, die in vielen Punkten besser ist als der Auftakt!

"Vielleicht waren sie beide Killer, dazu verdammt, einander Gesellschaft zu leisten, zwei verlorene Seelen, die versuchten, nach Hause zurückzufinden. Vielleicht waren sie beide Monster, denen es guttat, wenn ein anderes Monster den Blick erwiderte."

Das Cover ist definitiv keiner dieser Punkte. Auch wenn das Grundmotiv mit dem weißen Kaninchen passend gewählt ist, da dieses im Verlauf der Geschichte einige Auftritte mit Symbolcharakter hat, finde ich das verängstigt dreinblickende Tier mit dem verklebten Fell und der zusammengekauerten Körperhaltung nicht gerade schön anzusehen. In Zusammenspiel mit dem grauen Hintergrund und den weißen Großbuchstaben des Titels hat die Gesamtgestaltung eine abstoßende Wirkung auf mich. Das Cover des erstes Bandes, welches ebenfalls ein für die Geschichte symbolträchtiges Tier zeigte, gefiel mir da deutlich besser. Positiv an der Gestaltung möchte ich aber hervorheben, dass nun eine Karte von Yale beigefügt ist, auf der man die wichtigsten Handlungsorte in New Haven, Connecticut, wiederfinden kann. Passend zur Geschichte (und einer speziellen Szene darin) ist die Karte in Form eines Miniaturmodells gehalten und hilft sehr beim Folgen der Handlung.

Erster Satz: "Alex näherte sich Black Elm wie einem wilden Tier."

Genau wie im Auftakt der Reihe starten wir mit einem hochspannenden, aber ganz schön verwirrenden Prolog in die Geschichte, der ordentlich vorgreift, um im Anschluss dann einen Monat früher anzusetzen und auf diesen hinzuleiten. Auch "Wer die Hölle kennt" ist weit von einem temporeichen Einstieg in die Geschichte entfernt und benötigt ein wenig Zeit, um in Schwung zu kommen. Im Vergleich zu Band 1 zündet die Handlung aber deutlich früher und weiß abermals mit durchdachter Komplexität und vielen überraschenden Wendungen zu punkten. Auch hier hat Leigh Bardugo sich dazu entschlossen, mit einem personalen Er-Erzähler auf mehreren Zeitebenen von Alex´ Verstrickungen als Abgesandte Lethes zu erzählen und die Haupthandlung immer wieder für Rückblicke in Alex´ Vergangenheit sowie den zurückliegenden Sommer, in dem sie Los Angeles besucht hat, zu unterbrechen. Im Gegensatz zu Band 1 hat mich das hier aber nicht mehr gestört, da ich das Worldbuilding schon besser verstanden, die Figuren ans Herz geschlossen habe und bereits an die Machart der Geschichte gewohnt war.

"Wir machen weiter", sagte sie.
"Einen Schritt nach dem anderen", bekräftigte Alex.
Bis in die Hölle und zurück."

Genau wie in Band 1 ist auch hier ein rätselhafter Kriminalfall um zwei ermordete Professoren auf dem Campus von Yale, der gelungen mit der restlichen Handlung verknüpft wurde, Teil der Geschichte, sodass wir wieder einen Genremix aus Mystery-Horror, Urban Fantasy, College-Romanze, Thriller und Krimi lesen. Die Krimihandlung steht hier aber mehr im Hintergrund als im ersten Teil und lässt Raum für die unmöglich erscheinende Mission, Darlington aus der Hölle zu befreien. Auf der Suche nach einem Höllenpfad in verstaubten Büchern begegnen Alex und ihren Mitstreitern abermals gefährliche Rituale, blutdurstige Dämonen, uralte Geister, politische Verschwörungen und schwierige Rätsel, sodass sich abermals eine hochspannende und bis ins Detail durchdachte Handlung entspinnt, die ich mir niemals hätte selbst ausdenken können. Wie im vorherigen Band gipfelt dieser Fantasy-Spaß dann in einem grandiosen Showdown, in dem die Autorin abermals zeigt, dass sie einfach eine Größe der Fantasy-Literatur ist, mit der man rechnen muss...!

"Ist es das, wonach wir alle streben?, fragte sich Alex, während sie für Mercy die Tür zum Il Bastone öffnete und sah, wie sie staunend die Augen aufriss angesichts der Sonnenblumen-Treppe, der bunten Bleiverglasung, der handbemalten Fliesen um den Karmin herum. Warum versprach man Kindern Magie? Warum weckte man ein Bedürfnis in ihnen, das niemals erfüllt werden konnte - nach Offenbarung, nach Verwandlung -, und warum setzte man sie dann dieser trostlosen, pragmatischen Welt aus? Bei Darlington hatte sie gesehen, was die Trauer über diesen Verlust mit jemandem anrichten konnte, aber vielleicht war sie selbst von der gleichen Trauer beseelt. Von der furchtbaren Erkenntnis, dass es kein geheimnisvolles Schicksal gab, keinen wohlgesinnten Mentor, der verborgene Talente in ihr entdeckte, keine gerechte Strafe, die einen zu einem besseren Menschen machte. Vielleicht war es diese Trauer, diese von Geschichten über bessere Welten und unendliche Möglichkeiten angefachte Sehnsucht, die sie alle für Lethe zu einer so leichten Beute machte."

Wie ich schon in meiner Rezension zu "Das neunte Haus" festgehalten habe, ist die Geschichte um Alex Stern deutlich düsterer, blutiger und auch von der Sprache expliziter als die verträumten Jugendbücher, die Leigh Bardugo zuvor geschrieben hat. Man muss hier sowohl mit Blut, Mord, Innereien und krabbelndem Getier zurechtkommen, als auch angesichts leuchtender Dauerständer nicht das Gesicht verziehen. Sieht man über die teilweise sehr deftigen Beschreibungen hinweg, erwartet einen eine absolut unromantische, aber dennoch anziehende und vielschichtige Darstellung von Magie, mit der man viel Spaß haben kann. Die grundlegende Idee hinter dem Buch, einen College Campus als Schauplatz für okkulte Studentenverbindungen zu nutzen, finde ich nach wie vor einfach großartig. Über die 600 Seiten hinweg wird das Urban Fantasy Setting durch magische Artefakte, lebendige Häuser, mächtige Drogen, tiefe Abgründe, jahrzehntealte Geister und blutige Rituale lebendig gemacht. Der ab und an aufblitzende schwarze, trockene Humor rundet das Leseerlebnis angenehm ab und sorgt dafür, dass die verrückte Gesamtmischung funktioniert.

"Das war die Wahrheit über Magie - Blut und Eingeweide und Sperma und Spucke, Organe in Einmachgläsern, dreidimensionale Stadtpläne für die Menschenjagd, Schädel von ungeborenen Kindern. Bücher und Märchen waren nicht das Problem, außer dass sie nur die halbe Wahrheit erzählten. Sie suggerierten eine Welt, in der immer nur die Bösen den Blutzoll zahlten, die niederträchtige Stiefmutter, die missgünstigen Stiefschwestern; eine Welt, in der Magie für Gerechtigkeit sorgte und keinerlei Opfer forderte"

Im Verlauf der Handlung wird das in Band 1 nur angerissene Magiesystem rund um die einzelnen magischen Verbindungshäuser und deren Aufsichtsbehörde Lethe weiter ausgebaut und tolle, originelle Ideen und düstere Gothic-Optik schlüssiger, zugänglicher und atmosphärischer. Die am Kapitelende beigefügten Auszüge aus Büchern, Tagebüchern und Aufzeichnungen über Lethe haben dabei allerdings weiterhin mehr verwirrt als für Klarheit gesorgt. Für meinen Geschmack wendet die Autorin zudem immer noch zu viel Zeit für die Beschreibung der Gebäude und Architektur Yales auf, die Tatsache, dass fast alle beschriebenen Handlungsorte der Geschichte auch im echten New Haven zu finden sind, versöhnt mich aber wieder mit dieser Tatsache. Besonders dass die Beschreibungen der Sterling Memorial Library, welche im Buch ein Schlüsselort darstellt, auf jede Inschrift und jedes Dekoelement genau realitätsgetreu sind, finde ich ziemlich genial und kann nur den Hut vor den Recherchen der Autorin ziehen.

"Du hast dich nicht abgewandt. Selbst, als dir nicht gefiel, was du in mir gesehen hast. Du hast weiter hingesehen." Darlingtons Blick veränderte sich und flackerte wie im Schein eines Feuers. Erst golden, dann wie Bernstein. Glänzend und dann wieder verschleiert. "Vielleicht erkenne ich ein gleichgesinntes Monster, wenn ich es vor mir habe."

Neben dem Worldbuilding werden hier auch die Hintergrundgeschichten der Figuren weiter ausgebaut und weiterentwickelt. Vor allem die Hauptfigur Galaxy -Alex- Stern, welche mir auf den ersten Blick als Charakter überhaupt nicht zugänglich erschien und eine mehr als schwierige Vergangenheit mit sich bringt, ist mir entgegen meiner ursprünglichen Erwartung im Verlauf von Band 1 und nun auch in Band 2 sehr ans Herz gewachsen. Zuerst hat sie mein Mitleid errungen, dann ein wenig Sympathie und schließlich reine Bewunderung für ihre Stärke, ihr Durchhaltevermögen und ihre taktische Gewitztheit. In "Wer die Hölle kennt" dürfen wir nun beobachten, wie sie langsam ihre Rüstung abzulegen und sich gegenüber ihren Freundinnen und Mitstreitern zu öffnen beginnt. Besonders die Beziehungen zu ihrem Oculus Dawes, ihrer Mitbewohnerin Mercy, dem Haus Il Bastone (jaaaa, sie hat tatsächlich eine Beziehung zu einem Haus!!!) und Detective Turner haben mich sehr berührt und an den Found Family Trope erinnert.

"Ich würde gerne wissen, wie man mutig ist. So wie du."
"Ich bin leichtsinnig. Das ist etwas anderes."

Meine absolute Lieblingsfigur bleibt jedoch mit Abstand Lethes Goldjunge und Gentleman Demon Darlington. Auch wenn er hier deutlich weniger Auftritte hat als ich mir das gewünscht hätte und auch seine angedeutete Liebesgeschichte zu Alex leider nicht mehr vertieft oder weiterverfolgt wird, hat mir sehr gut gefallen, wie er hier als Dämon zwischen Menschlichkeit und Trieben, Sünde und Anstand, Gefahr und Verbündeter schwankt (und natürlich haben seine Hörner auch etwas für sich...😌). Wie erwartet lässt uns das Ende mit einigen Fragen und offenen Punkten zurück, sodass ich nun sehr gespannt auf Band 3 bin, welcher allerdings noch eine Weile auf sich warten lassen wird...

"Schon komisch", sagte sie schließlich, "dass die Leute über Leben und Tod reden, als gäbe es eine tickende Uhr." "Gibt es denn keine?" Alex schüttelte langsam den Kopf. "Das Tick tick tick kommt nicht von einer Uhr. Sondern von einer Bombe. Es gibt keinen Countdown. Irgendwann geht sie hoch und alles ist anders."



Fazit:


Leigh Bardugo setzt die Alex-Stern-Reihe mit "Wer die Hölle kennt" gewohnt undurchsichtig, komplex und voller neuer Ideen fort. Zwar hätten ein wenig höheres Erzähltempo und weniger Beschreibungen von Gebäuden nicht geschadet, die Figuren, der Schreibstil, das Setting und die Handlung sind aber um Welten besser gestaltet als im ersten Teil.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.02.2023

Gewohnt undurchsichtig, komplex und voller neuer Ideen

Wer die Hölle kennt
0

Nachdem sich Band 1 der Alex-Stern-Reihe, "Das neunte Haus" nach einem sehr zähen Einstieg doch noch als komplexer Mystery-Thriller mit einem vielschichtigen Worldbuilding und einer grandiosen Grundidee ...

Nachdem sich Band 1 der Alex-Stern-Reihe, "Das neunte Haus" nach einem sehr zähen Einstieg doch noch als komplexer Mystery-Thriller mit einem vielschichtigen Worldbuilding und einer grandiosen Grundidee entpuppte, war ich sehr gespannt auf die Fortsetzung. Genau wie Band 1 habe ich "Wer die Hölle kennt" im Buddyread mit Sofia (Sofias World of Books - Shoutout geht wie immer raus an diese tolle Person!) gelesen und war in mehrerlei Hinsicht positiv überrascht von dieser Fortsetzung, die in vielen Punkten besser ist als der Auftakt!

"Vielleicht waren sie beide Killer, dazu verdammt, einander Gesellschaft zu leisten, zwei verlorene Seelen, die versuchten, nach Hause zurückzufinden. Vielleicht waren sie beide Monster, denen es guttat, wenn ein anderes Monster den Blick erwiderte."

Das Cover ist definitiv keiner dieser Punkte. Auch wenn das Grundmotiv mit dem weißen Kaninchen passend gewählt ist, da dieses im Verlauf der Geschichte einige Auftritte mit Symbolcharakter hat, finde ich das verängstigt dreinblickende Tier mit dem verklebten Fell und der zusammengekauerten Körperhaltung nicht gerade schön anzusehen. In Zusammenspiel mit dem grauen Hintergrund und den weißen Großbuchstaben des Titels hat die Gesamtgestaltung eine abstoßende Wirkung auf mich. Das Cover des erstes Bandes, welches ebenfalls ein für die Geschichte symbolträchtiges Tier zeigte, gefiel mir da deutlich besser. Positiv an der Gestaltung möchte ich aber hervorheben, dass nun eine Karte von Yale beigefügt ist, auf der man die wichtigsten Handlungsorte in New Haven, Connecticut, wiederfinden kann. Passend zur Geschichte (und einer speziellen Szene darin) ist die Karte in Form eines Miniaturmodells gehalten und hilft sehr beim Folgen der Handlung.

Erster Satz: "Alex näherte sich Black Elm wie einem wilden Tier."

Genau wie im Auftakt der Reihe starten wir mit einem hochspannenden, aber ganz schön verwirrenden Prolog in die Geschichte, der ordentlich vorgreift, um im Anschluss dann einen Monat früher anzusetzen und auf diesen hinzuleiten. Auch "Wer die Hölle kennt" ist weit von einem temporeichen Einstieg in die Geschichte entfernt und benötigt ein wenig Zeit, um in Schwung zu kommen. Im Vergleich zu Band 1 zündet die Handlung aber deutlich früher und weiß abermals mit durchdachter Komplexität und vielen überraschenden Wendungen zu punkten. Auch hier hat Leigh Bardugo sich dazu entschlossen, mit einem personalen Er-Erzähler auf mehreren Zeitebenen von Alex´ Verstrickungen als Abgesandte Lethes zu erzählen und die Haupthandlung immer wieder für Rückblicke in Alex´ Vergangenheit sowie den zurückliegenden Sommer, in dem sie Los Angeles besucht hat, zu unterbrechen. Im Gegensatz zu Band 1 hat mich das hier aber nicht mehr gestört, da ich das Worldbuilding schon besser verstanden, die Figuren ans Herz geschlossen habe und bereits an die Machart der Geschichte gewohnt war.

"Wir machen weiter", sagte sie.
"Einen Schritt nach dem anderen", bekräftigte Alex.
Bis in die Hölle und zurück."

Genau wie in Band 1 ist auch hier ein rätselhafter Kriminalfall um zwei ermordete Professoren auf dem Campus von Yale, der gelungen mit der restlichen Handlung verknüpft wurde, Teil der Geschichte, sodass wir wieder einen Genremix aus Mystery-Horror, Urban Fantasy, College-Romanze, Thriller und Krimi lesen. Die Krimihandlung steht hier aber mehr im Hintergrund als im ersten Teil und lässt Raum für die unmöglich erscheinende Mission, Darlington aus der Hölle zu befreien. Auf der Suche nach einem Höllenpfad in verstaubten Büchern begegnen Alex und ihren Mitstreitern abermals gefährliche Rituale, blutdurstige Dämonen, uralte Geister, politische Verschwörungen und schwierige Rätsel, sodass sich abermals eine hochspannende und bis ins Detail durchdachte Handlung entspinnt, die ich mir niemals hätte selbst ausdenken können. Wie im vorherigen Band gipfelt dieser Fantasy-Spaß dann in einem grandiosen Showdown, in dem die Autorin abermals zeigt, dass sie einfach eine Größe der Fantasy-Literatur ist, mit der man rechnen muss...!

"Ist es das, wonach wir alle streben?, fragte sich Alex, während sie für Mercy die Tür zum Il Bastone öffnete und sah, wie sie staunend die Augen aufriss angesichts der Sonnenblumen-Treppe, der bunten Bleiverglasung, der handbemalten Fliesen um den Karmin herum. Warum versprach man Kindern Magie? Warum weckte man ein Bedürfnis in ihnen, das niemals erfüllt werden konnte - nach Offenbarung, nach Verwandlung -, und warum setzte man sie dann dieser trostlosen, pragmatischen Welt aus? Bei Darlington hatte sie gesehen, was die Trauer über diesen Verlust mit jemandem anrichten konnte, aber vielleicht war sie selbst von der gleichen Trauer beseelt. Von der furchtbaren Erkenntnis, dass es kein geheimnisvolles Schicksal gab, keinen wohlgesinnten Mentor, der verborgene Talente in ihr entdeckte, keine gerechte Strafe, die einen zu einem besseren Menschen machte. Vielleicht war es diese Trauer, diese von Geschichten über bessere Welten und unendliche Möglichkeiten angefachte Sehnsucht, die sie alle für Lethe zu einer so leichten Beute machte."

Wie ich schon in meiner Rezension zu "Das neunte Haus" festgehalten habe, ist die Geschichte um Alex Stern deutlich düsterer, blutiger und auch von der Sprache expliziter als die verträumten Jugendbücher, die Leigh Bardugo zuvor geschrieben hat. Man muss hier sowohl mit Blut, Mord, Innereien und krabbelndem Getier zurechtkommen, als auch angesichts leuchtender Dauerständer nicht das Gesicht verziehen. Sieht man über die teilweise sehr deftigen Beschreibungen hinweg, erwartet einen eine absolut unromantische, aber dennoch anziehende und vielschichtige Darstellung von Magie, mit der man viel Spaß haben kann. Die grundlegende Idee hinter dem Buch, einen College Campus als Schauplatz für okkulte Studentenverbindungen zu nutzen, finde ich nach wie vor einfach großartig. Über die 600 Seiten hinweg wird das Urban Fantasy Setting durch magische Artefakte, lebendige Häuser, mächtige Drogen, tiefe Abgründe, jahrzehntealte Geister und blutige Rituale lebendig gemacht. Der ab und an aufblitzende schwarze, trockene Humor rundet das Leseerlebnis angenehm ab und sorgt dafür, dass die verrückte Gesamtmischung funktioniert.

"Das war die Wahrheit über Magie - Blut und Eingeweide und Sperma und Spucke, Organe in Einmachgläsern, dreidimensionale Stadtpläne für die Menschenjagd, Schädel von ungeborenen Kindern. Bücher und Märchen waren nicht das Problem, außer dass sie nur die halbe Wahrheit erzählten. Sie suggerierten eine Welt, in der immer nur die Bösen den Blutzoll zahlten, die niederträchtige Stiefmutter, die missgünstigen Stiefschwestern; eine Welt, in der Magie für Gerechtigkeit sorgte und keinerlei Opfer forderte"

Im Verlauf der Handlung wird das in Band 1 nur angerissene Magiesystem rund um die einzelnen magischen Verbindungshäuser und deren Aufsichtsbehörde Lethe weiter ausgebaut und tolle, originelle Ideen und düstere Gothic-Optik schlüssiger, zugänglicher und atmosphärischer. Die am Kapitelende beigefügten Auszüge aus Büchern, Tagebüchern und Aufzeichnungen über Lethe haben dabei allerdings weiterhin mehr verwirrt als für Klarheit gesorgt. Für meinen Geschmack wendet die Autorin zudem immer noch zu viel Zeit für die Beschreibung der Gebäude und Architektur Yales auf, die Tatsache, dass fast alle beschriebenen Handlungsorte der Geschichte auch im echten New Haven zu finden sind, versöhnt mich aber wieder mit dieser Tatsache. Besonders dass die Beschreibungen der Sterling Memorial Library, welche im Buch ein Schlüsselort darstellt, auf jede Inschrift und jedes Dekoelement genau realitätsgetreu sind, finde ich ziemlich genial und kann nur den Hut vor den Recherchen der Autorin ziehen.

"Du hast dich nicht abgewandt. Selbst, als dir nicht gefiel, was du in mir gesehen hast. Du hast weiter hingesehen." Darlingtons Blick veränderte sich und flackerte wie im Schein eines Feuers. Erst golden, dann wie Bernstein. Glänzend und dann wieder verschleiert. "Vielleicht erkenne ich ein gleichgesinntes Monster, wenn ich es vor mir habe."

Neben dem Worldbuilding werden hier auch die Hintergrundgeschichten der Figuren weiter ausgebaut und weiterentwickelt. Vor allem die Hauptfigur Galaxy -Alex- Stern, welche mir auf den ersten Blick als Charakter überhaupt nicht zugänglich erschien und eine mehr als schwierige Vergangenheit mit sich bringt, ist mir entgegen meiner ursprünglichen Erwartung im Verlauf von Band 1 und nun auch in Band 2 sehr ans Herz gewachsen. Zuerst hat sie mein Mitleid errungen, dann ein wenig Sympathie und schließlich reine Bewunderung für ihre Stärke, ihr Durchhaltevermögen und ihre taktische Gewitztheit. In "Wer die Hölle kennt" dürfen wir nun beobachten, wie sie langsam ihre Rüstung abzulegen und sich gegenüber ihren Freundinnen und Mitstreitern zu öffnen beginnt. Besonders die Beziehungen zu ihrem Oculus Dawes, ihrer Mitbewohnerin Mercy, dem Haus Il Bastone (jaaaa, sie hat tatsächlich eine Beziehung zu einem Haus!!!) und Detective Turner haben mich sehr berührt und an den Found Family Trope erinnert.

"Ich würde gerne wissen, wie man mutig ist. So wie du."
"Ich bin leichtsinnig. Das ist etwas anderes."

Meine absolute Lieblingsfigur bleibt jedoch mit Abstand Lethes Goldjunge und Gentleman Demon Darlington. Auch wenn er hier deutlich weniger Auftritte hat als ich mir das gewünscht hätte und auch seine angedeutete Liebesgeschichte zu Alex leider nicht mehr vertieft oder weiterverfolgt wird, hat mir sehr gut gefallen, wie er hier als Dämon zwischen Menschlichkeit und Trieben, Sünde und Anstand, Gefahr und Verbündeter schwankt (und natürlich haben seine Hörner auch etwas für sich...😌). Wie erwartet lässt uns das Ende mit einigen Fragen und offenen Punkten zurück, sodass ich nun sehr gespannt auf Band 3 bin, welcher allerdings noch eine Weile auf sich warten lassen wird...

"Schon komisch", sagte sie schließlich, "dass die Leute über Leben und Tod reden, als gäbe es eine tickende Uhr." "Gibt es denn keine?" Alex schüttelte langsam den Kopf. "Das Tick tick tick kommt nicht von einer Uhr. Sondern von einer Bombe. Es gibt keinen Countdown. Irgendwann geht sie hoch und alles ist anders."



Fazit:


Leigh Bardugo setzt die Alex-Stern-Reihe mit "Wer die Hölle kennt" gewohnt undurchsichtig, komplex und voller neuer Ideen fort. Zwar hätten ein wenig höheres Erzähltempo und weniger Beschreibungen von Gebäuden nicht geschadet, die Figuren, der Schreibstil, das Setting und die Handlung sind aber um Welten besser gestaltet als im ersten Teil.

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Veröffentlicht am 23.01.2023

Fesselnde Fortsetzung, die ich nicht mehr aus der Hand legen konnte!

Elfenkönig
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Handlung: Nachdem ich Band 1 von Holly Blacks "The Folk of the Air"-Reihe in wenigen Stunden verschlungen habe, musste ich mich natürlich sofort an Band 2 machen. Genau wie "Elfenkrone" entpuppte "Elfenkönig" ...

Handlung: Nachdem ich Band 1 von Holly Blacks "The Folk of the Air"-Reihe in wenigen Stunden verschlungen habe, musste ich mich natürlich sofort an Band 2 machen. Genau wie "Elfenkrone" entpuppte "Elfenkönig" sich nach kurzer Zeit als fesselnde Geschichte, die ich nicht mehr aus der Hand legen konnte. Auch wenn die Handlung auch in dieser Fortsetzung ein wenig Vorlaufzeit benötigt, um richtig in Gang zu kommen, ist ununterbrochen eine starke Grundspannung vorhanden, die dadurch entsteht, dass jederzeit alles passieren kann. Nachdem Jude in Band 1 durch eine spektakuläre Intrige ihren Erzfeind Cardan auf den Elfenthron gesetzt und sich selbst zur Seneschallin und Schattenregentin gemacht hat, muss sie nun das Königreichen führen und unter dieser Verantwortung ächzend abermals fragen, wem sie vertrauen kann und wem nicht. Genau wie in Band 1 ist der Plot vielschichtig, unvorhersehbar und voller Wendungen erzählt und strotzt nur so von Intrigen, Gift, Spionen, rauschenden Festen, Verrat, Machtgier, Mord und Lügen, sodass ein Sog entsteht, dem man sich nicht entziehen kann!

Schreibstil:
Holly Blacks Schreibstil ist düster, eigenwillig, rätselhaft und brutal, dabei aber durchweg magisch. Damit entspricht ihre Art zu Schreiben zu 100% ihren Figuren und dem interessanten Worldbuilding. Denn auch Elfenheim und dessen Bewohner sind düster, gefährlich und ein bisschen kaputt, dabei aber trotzdem wunderschön. Egal ob Kobolde mit umgedrehten Füßen, riesige Trolle, hungrige Nixen, bemooste Wurzelmänner, langnasige Pixies, knochige Greiskrautpferde, oder die gefährlichen Elfen - in Holly Blacks Welt kann die Begegnung mit jedem dort lebenden Wesen tödlich enden. Vor allem wenn man so verletzlich ist wie ein Mensch. An Ideenreichtum und Abgründigkeit mangelt es der Geschichte demnach definitiv nicht und es macht Spaß, nach und nach in die düstere, aber schöne Welt einzutauchen. In diesem zweiten Band nimmt sich die Autorin Zeit, ihr Worldbuilding weiterzuentwickeln, nimmt neue politische Konflikte in Angriff und entführt uns außerdem in die Welt der Tiefsee...

Figuren
: Schon in "Elfenkrone" ist mir unsere Hauptfigur und Ich-Erzählerin Jude aller schlechter Eigenschaften zum Trotz sehr ans Herz gewachsen. Klar, sie ist ehrgeizig, rücksichtslos und machtgierig - sie ist aber hinter all den Intrigen und dem fiesen Getue auch eine der selbstlosesten und zu sich selbst ehrlichsten Figuren, von denen ich gelesen habe und deshalb hat sie trotz allen Zwiespalts sofort mein Herz gestohlen. In dieser Fortsetzung muss sie sich neuen Herausforderungen stellen und wächst abermals über sich hinaus, sodass meine Bewunderung für sie ins Unermessliche gestiegen ist. Auch alle moralisch grauen Nebenfiguren habe ich mit großem Interesse weiterverfolgt. Egal ob der Elfenprinz Cardan, der eine prickelnde Enemies-to-lovers-Dynamik mit Jude entwickelt, Judes Zwillingsschwester Taryn, die ihren eigenen Weg gehen muss und dabei keine Rücksicht auf Judes Gefühle nimmt, ihre Halbschwester Vivi, die als einzige der Schwestern elfischer Herkunft es, die es aber in die Welt der Menschen zurückzieht, ihr Ziehvater Madoc, der ihre Eltern vor ihren Augen ermordet hat, sich aber trotzdem gut um seine Töchter kümmert oder die Mitglieder des Hofes - alle Figuren haben Abgründe und sind komplexer, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Am meisten entwickelt sich hier Cardan weiter, welcher vom rebellischen Prinzen zum Hochkönig aufgestiegen ist und nun ein eigenes Spiel spielen muss. Seine von widersprüchlichen und unterdrückten Gefühlen geprägte Annäherung an Jude hat mich abwechselnd zur Weißglut getrieben und das Herz erweicht. Jetzt brauche ich ganz dringend mehr von den beiden und stürze mich im Anschluss an diese Rezension sofort in Band 3!


Die Zitate:


"Es ist so viel einfacher, sich etwas zu nehmen, als es festzuhalten."

"Sie blickt zu Cardan hinüber. Sein Mund ist vom Hirschblut rot verfärbt, die Krone ruht auf seiner Stirn. Zwei von einem Schlag, könnte man meinen, Monster im Zweierpack. Er schaut nicht zu ihr hin, sondern lauscht dem Lautenspieler, der aus dem Stegreif eine Ode auf seine Herrschaft komponiert hat. Mein König, denke ich, aber nur für ein Jahr und einen Tag und fünf Monate sind bereits vergangen."

"Du hast mich zum Hochkönig gemacht, Jude. Lass mich nun auch der Hochkönig sein."

"Er hasst dich. Selbst wenn er dich begehrt, hasst er dich. Vielleicht hasst er dich deshalb umso mehr."

"Macht‹, sagte er. ›Macht ist die Gabe zu bekommen, was man haben will. Macht ist die Gabe, eigene Entscheidungen treffen zu können."

"Und mein letzter bewusster Gedanke lautet, dass ich ihn lieber habe als jeden anderen zuvor und dass nach allem, was er mir angetan hat, dies nun das Schlimmste ist - wie er mich dazu gebracht hat, ihn so lieb zu haben."



Das Urteil


Mit "Elfenkönig" geht die Geschichte um Jude und Cardan ebenso fesselnd, ambivalent, düster und unvorhersehbar weiter, wie sie in Band 1 angefangen hat. Abermals konnten mich der lebendige Schreibstil von Holly Black, das faszinierende Worldbuilding, die kantigen, moralisch grauen Figuren, und die packenden Enemies-to-Lovers-Dynamik verzaubern, sodass ich nicht mehr mit dem Lesen aufhören konnte.

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