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Veröffentlicht am 07.04.2023

Schlechte Mütter, gutes Buch

Institut für gute Mütter
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Inhalt:
Frida Liu, eine chinesisch stämmige Akademikerin, hat einen "richtig schlechten Tag". Oder mit anderen Worten: Sie fühlt sich abgespannt und überfordert, sodass sie ihre einjährige Tochter Harriet ...

Inhalt:
Frida Liu, eine chinesisch stämmige Akademikerin, hat einen "richtig schlechten Tag". Oder mit anderen Worten: Sie fühlt sich abgespannt und überfordert, sodass sie ihre einjährige Tochter Harriet zwei Stunden lang allein zuhause lässt, um kurz im Büro vorbeizuschauen. In Folge dessen wird sie von einem Nachbarn angezeigt und zu einem Fall für den Kinderschutz. Das bedeutet, dass alle elterlichen Rechte auf ihren Exmann und dessen neue Freundin übertragen werden, und Frida von einem Familiengericht dazu verurteilt wird, an einem neuartigen Programm teilzunehmen. In der Schule für gute Mütter werden Frauen, die der Staat für schlechte Mütter hält, ein Jahr lang mit Hilfe von KI-Puppen ausgebildet. Wenn Frida das Programm erfolgreich abschließen, hat sie eine Chance das Umgangs- und Sorgerecht für Harriet zurückzuerhalten, wenn sie durchfällt, verliert sie ihre Tochter für immer.

Meine Meinung:
Das Buch braucht etwas, um in sich hineinzuwachsen. Zu Beginn wird irritierend viel Zeit darauf verwendet, um Fridas Vorgeschichte zu erzählen. Diese Vorgeschichte scheint eine Verschmelzung aller Albträume einer jungen Mutter zu sein. Sie wirkt daher überzeichnet, fast schon schablonenhaft.
Diese Überzeichnung sehe ich in diesem konkreten Fall als ein Stilmittel, das die Autorin auch im weiteren Verlauf des Romans immer wieder bewusst einsetzt. Es sollen Stereotype von Müttern gezeigt werden, wie sie in der Gesellschaft häufig dargestellt und verurteilt werden. Frida ist einer dieser Stereotype, genauso wie viele andere der Mütter, die ihr später in der Schule für gute Mütter begegnen.
Diese Schule hat es in sich. Sie ist nichts für schwache Nerven. Die Methoden, mit denen die Mütter "trainiert" werden, sind mehr als zweifelhaft. Sie grenzen an Folter, Zwangsarbeit und Körperverletzung. Der Verwendung von lebensechten KI-Puppen als Kinderersatz hat mich gelegentlich an Ishiguro erinnert. Die Atmosphäre ist beklemmend und düster. Die Frauen sollen systematisch physisch, aber vor allem psychisch gebrochen werden.
Auch im Bezug auf das Programm in der Schule für gute Mütter ist das vorherrschende Stilmittel Übertreibung. Gesellschaftliche Anforderungen an eine "gute Mutter" und die klassischen Attribute, die mit diesem Bild assoziiert sind, werden herangezogen und bis zur Unkenntlichkeit verdichtet. Von den Frauen wird eine vollständige Aufgabe ihrer Selbst erzwungen. Keine Eitelkeit, keine Einsamkeit, keine Wünsche, kein Begehren. Besonders gefallen hat mir an dieser Stelle, dass das Buch immer wieder auch Rassismus, Armut, psychische Erkrankungen, Homophobie und die damit einhergehende Diskriminierung von Müttern anspricht. Anders kulturell geprägte Erziehungsstile sind beispielsweise nicht akzeptiert, lesbisch liebende Frauen gelten als unmütterlich.
Die Geschichte hat starke Emotionen in mir als Leserin ausgelöst. Ich war immer wieder schrecklich wütend, während ich sie gelesen habe. Leider mangelt es dem Buch an einer gesellschaftlichen Einordnung der Geschehnisse. So bleibt es schwer begreiflich, wie eine Gesellschaft eine so derart unwürdige Behandlung dieser Mütter zulässt. Wieso es keinen rechtlichen oder medialen Widerstand gibt. Es wird nicht recht gezeigt, was das für ein dystopisches Amerika ist, in dem sich so etwas ereignen kann. Bis auf die Schule und die KI-Puppen unterscheidet sich die Gesellschaft scheinbar so gut wie überhaupt nicht von der Welt, die wir kennen. Vor diesem Hintergrund bleibt die Härte und die Ungerechtigkeit des Systems schwer begreiflich.
Das Ende der Geschichte gefällt mir, ich halte es für rund, intelligent und folgerichtig (und habe die ein oder andere Träne geweint.) Fridas Zeit in der Schule wird sehr intensiv und detailliert beschrieben. Auf manche Lesende könnte das repetitiv wirken. Für mich war es trotzdem ein Pageturner, ich konnte es in der zweiten Hälfte kaum noch aus der Hand legen.

Fazit:
Ich denke "Institut für gute Mütter" ist ein provokantes Buch. Entweder man mag es oder nicht. Der überzeichnende Stil sagt sicher nicht jedem zu. So nehme ich auch die vielen sehr unterschiedlichen Bewertungen wahr. Ich bin selbst keine Mutter, aber immerhin Frau. Mich hat die Geschichte bewegt, aufgerieben und zum Nachdenken angeregt. Daher finde ich, es handelt sich sicher nicht um ein perfektes, aber doch um ein ziemlich gutes Buch.

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Veröffentlicht am 14.03.2023

Melancholie, und immer wieder diese Melancholie

Morgen, morgen und wieder morgen
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„Morgen, morgen und wieder morgen“ ist wahrscheinlich eines der meist gehyptesten Bücher aus dem vergangenen Jahr. Selten habe ich so viele begeisterte Stimmen zu einem Roman gelesen. Am schwersten wiegt ...

„Morgen, morgen und wieder morgen“ ist wahrscheinlich eines der meist gehyptesten Bücher aus dem vergangenen Jahr. Selten habe ich so viele begeisterte Stimmen zu einem Roman gelesen. Am schwersten wiegt für mich die Aussage „Donna Tartt mit Videospielen“. Zugegeben: Da ist was dran!
Es geht um Freundschaft. Um die Freundschaft zwischen Sadie und Sam, die anfangs Kinder sind, dann Heranwachsende und schließlich Erwachsene. Das erste Aufeinandertreffen erfolgt in einem Krankenhaus. Sadies Schwester hat Krebs und Sam erholt sich dort gerade von einem schweren Verkehrsunfall, dessen Folgen sein weiteres Leben prägen werden. Nach einem ersten Vertrauensbruch verlieren sich die beiden für Jahre aus dem Augen, nur um als Studierende wieder zusammenzufinden und eine gemeinsame Firma zu gründen. „Unfair Games“ entwickelt Videospiele, die zu globalen Hits werden. Doch die Freundschaft von Sadie und Sam bleibt trotz aller Erfolge von Missverständnissen und gegenseitigen Verletzungen durchzogen.

„Morgen, morgen und wieder morgen“ ist nicht nur ein Buch über Freundschaft, sondern auch eine Geschichte über die Entwicklung eines Genres der Unterhaltungsindustrie, ein Roman über die Neunzigerjahre, über den ganz großen American Dream und über die amerikanische Gesellschaft in ihren Extremen. Trotz des Umfangs scheint keine Seite zu viel. Scheinbar mühelos verflechtet Gabrielle Zevin die Handlung mit prägende Themen unserer Zeit. Es geht um Rassismus, Ableismus, Sexismus, Genderkampf und vieles mehr.
Außergewöhnlich ist dabei die Art des Erzählens, für die sich die Autorin entscheidet. Es ist ein virtuoses Springen zwischen Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Begebenheiten werden an entscheidenden Stellen unterbrochen und später dann auf einer anderen Zeitebene zu Ende erzählt. Das habe ich in dieser Form bei all den Büchern in meinem Regal noch nicht gesehen.
Dabei werden ambivalente und widersprüchliche Charaktere gezeichnet, deren Handlungen nicht immer nachvollziehbar, aber schrecklich menschlich erscheinen.
Die Freundschaft zwischen Sadie Green und Sam Masur bildet den emotionalen Kern des Romans und gleichzeitig ist diese Emotion mein einziger Kritikpunkt. Die Missverständnisse und die Kränkungen, die sich die beiden Protagonisten gegenseitig zufügen, sowie die daraus resultierenden Phasen der Funkstille, ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre gemeinsame Geschichte und überwiegen die guten Zeiten. Gewissermaßen habe ich kaum etwas von diesen guten Seiten gelesen, sodass ich rückblickend nicht richtig auf persönlicher Ebene nachvollziehen konnte, was diese Freundschaft so tief und die Gefühle so stark macht.
„Morgen, morgen und wieder Morgen“ ist atmosphärisch geprägt von einem Gefühl der Melancholie und des Weltschmerzes. Nachdem ich das Buch zugeklappt hatte, habe ich mich gefühlt, als würde ich auf mein eigenes Leben zurückblicken, und irgendetwas schmerzlich bereuen. Man wartet beim Lesen die ganze Zeit darauf, dass es irgendeine Form von glücklichem Zusammensein für alle Personen gibt, aber die Geschichte ist so groß und so umfangreich. Ähnlich wie das richtige Leben. Nach jedem Hoch gibt es hier ein Tief und so schlittert man mit den Protagonisten von einem Schicksalsschlag durch die Jahre bis hin zum nächsten.

Ich denke über „Morgen, morgen und wieder morgen“, dass es sich ein aus der Masse herausstechendes Buch handelt. Eines, wie es sie nur alle paar Jahre mal gibt. Das die Fähigkeit hat, über zahlreiche Seiten hinweg Lesende in seine Welt einzusaugen und das das Zeug zum Klassiker der amerikanischen Literatur hat. Gehört es zu meinem persönlichen Lieblingsbüchern? Tatsächlich nein. Dazu habe ich die Freundschaft von Sadie und Sam zu wenig gespürt, dazu hätte ich tiefer emotional in diese Freundschaft involviert sein müssen. Werde ich es irgendwann nochmal lesen? Ganz bestimmt. Weil ich nicht glaube, dass einmal reicht, um diese Geschichte vollständig zu erfassen.

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Veröffentlicht am 28.02.2023

Chef an Bord

In blaukalter Tiefe
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Mit "In blaukalter Tiefe" hat Kristina Hauff einen Spannungsroman geschrieben, der mich großartig unterhalten hat!

Der erfolgreiche Anwalt Andreas Keppler bucht eine Reise. Auf dem Schiff des Skippers ...

Mit "In blaukalter Tiefe" hat Kristina Hauff einen Spannungsroman geschrieben, der mich großartig unterhalten hat!

Der erfolgreiche Anwalt Andreas Keppler bucht eine Reise. Auf dem Schiff des Skippers Eric will er gemeinsam mit seiner Ehefrau Caroline zu den schwedischen Schären segeln. Sein Angestellter Daniel und dessen Partnerin Tanja werden auf Kosten der Kepplers ebenfalls eingeladen, an der Reise teilzunehmen. Doch das Vorhaben läuft nicht so wie geplant. Schon bald kommt es zu ersten Spannungen zwischen den beiden Paaren und ihrem Kapitän. Und als diese Spannungen immer weiter zunehmen, droht die Reise in einer Katastrophe zu enden.

Ich könnte an dieser Stelle anmerken, dass der Plan mit dem eigenen Chef in den Urlaub zu fahren, geradezu danach schreit, Unheil heraufzubeschwören. Im wahren Leben würde ich jedenfalls niemandem dazu raten. Bei "In blaukalter Tiefe" entsteht auf dieser Basis jedoch eine wirklich spannende Geschichte, die ich innerhalb eines Tages begonnen und beendet habe.

Im Nachhinein würde ich mir wünschen ich hätte das Buch an einem Urlaubstag im Strandkorb gelesen. Genau da sehe ich die Geschichte. Ich möchte gemütlich im Sonnenschein am sicheren Ufer sitzen, während auf der "Querelle" die Ereignisse unweigerlich ihren Lauf nehmen.

"In blaukalter Tiefe" ist eine Geschichte über wohlhabende, weiße, mittelalte Menschen, die verzweifelt versuchen die Fassade zu wahren, und darüber, wie brüchig eben diese Fassade ist, wenn man beginnt an ihr zu rütteln.
Die Art und Weise, wie die Atmosphäre von anfänglich fröhlich und freundlich über angespannt bis hin zur Eskalation immer dunkler wird, hat mir sehr gut gefallen. Die Protagonisten fand ich spannend und unterhaltsam, in manchen Momenten aber etwas zu stereotyp. Sympathisch war mir lediglich eine einzige der partizipierenden Personen, aber Sympathie braucht es für einen guten Roman ja nicht zwangsläufig.
Manchmal erklärt mir der Text etwas zu viel. Dadurch wird die eigentlich sehr dichte und spannungsgeladene Atmosphäre unterbrochen. Ich verstehe aber, dass es beim Schreiben nicht immer leicht ist abzuwägen, wann etwas zu wage ausgedrückt wird, und an welchen Stellen man den Lesenden ein bisschen Eigenleistung zutrauen kann.

In "In blaukalter Tiefe" gibt es verschiedene Handlungspunkte. Das heißt, es werden verschiedene kleine Konflikte erzählt, die sich immer weiter ausdehnen. Die Auflösung der Geschichte hat mir generell sehr gut gefallen. Ich mag den großen Knall am Ende (was soll ich sagen, I live for the drama), aber auch die Nachwirkungen der Reise fügen sich sehr stimmig in das Gesamtbild ein.

Fazit:
Eine große Empfehlung für "In blaukalter Tiefe". Es handelt sich um einen runden und mitreißenden Roman, perfekt geeignet für einen Tag am Meer, einen verregneten Sommertag oder jeden anderen Tag des Jahres, an dem man von einer Reise träumt (solange es nicht ein Segeltörn mit dem Chef sein soll!).

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Veröffentlicht am 14.02.2023

Romeo & James

Young Mungo
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Ich habe einige Rezensionen zur englischsprachigen Ausgabe von Douglas Stuarts "Young Mungo" gelesen, bevor ich mir meine eigene Meinung zum Buch bilden konnte. In Erinnerung geblieben, ist mir dabei vor ...

Ich habe einige Rezensionen zur englischsprachigen Ausgabe von Douglas Stuarts "Young Mungo" gelesen, bevor ich mir meine eigene Meinung zum Buch bilden konnte. In Erinnerung geblieben, ist mir dabei vor allem, dass sowohl von "einer queeren Version von West Side Story" als auch von "Ähnlichkeiten zu Ein wenig Leben" gesprochen wurde. Persönlich bin ich der Meinung, dass beides irgendwie richtig ist.

Es geht um Mungo, einen fünfzehnjährigen Jungen, der mit seiner Mutter und seinen älteren Geschwistern im armen East End von Glasgow aufwächst. Es gibt zwei Handlungsstränge, der eine zeigt die Gegenwart und der andere die unmittelbare Vergangenheit. In der Gegenwart wird Mungo von seiner Mutter dazu gedrängt zwei ihr bekannte Männer zu einem Campingausflug zu begleiten. Sie sollen ihm beibringen, wie man ein richtiger Mann ist. Der andere Handlungsstrang zeigt Mungos tristen Alltag in Glasgow, der von seinem gewalttätigen Bruder Hamish und seiner verantwortungslosen Mutter Maureen geprägt wird. Wie ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke bricht da Mungos aufkeimende Liebe zu dem Nachbarsjungen James. Eine Beziehung, die nicht sein darf, nicht nur weil sie homosexuell ist, sondern auch weil James Katholik ist und Mungo Protestant.

Es fällt mir schwer über dieses Buch zu sprechen, ohne zu viel zu verraten. Ich habe lange mit bestimmten Aspekten der Geschichte gehadert. Besonders im Bezug auf einen der beiden Handlungsstränge. Beim Lesen war ich noch der Meinung, dass hier schlimme Gewalt auf eine bestimmte Art und in einem bestimmten Kontext dargestellt wird, die so für die Geschichte nicht nötig gewesen wäre. Erst auf den aller letzten Seiten habe ich mich mit diesem Aspekt des Buchs versöhnt, weil er letztlich zu einem Ende beigetragen hat, das ich Weltklasse finde. Man merkt nicht nur an seinem einzigartigen Schreibstil, sondern auch an der raffinierten Komposition des Romans, dass Douglas Stuart ein herausragend guter Autor ist. Ich mochte die Ambivalenz in seiner Darstellung von Mungos viel zu junger und unglaublich verantwortungsloser Alkoholikerinnen-Mutter und seinem kleinkriminellen Schläger-Bruder. Solche Charaktere werden leicht zu zweidimensionalen Schablonen, das ist hier nicht der Fall.
Die Atmosphäre des Buchs ist sehr bedrückend. Die erste Hälfte konnte ich nur in kleinen Häppchen lesen. Es liest sich als würde man in Form eines elend langen Vorspiels ins Grauen laufen. In der Beziehung zwischen James und Mungo stecken die einzigen hellen Momente dieser Geschichte. Genau die haben mir aber wahnsinnig gut gefallen. Der Weg dahin hat mich allerdings gequält.
Nichtsdestotrotz komme ich zu dem Schluss, dass es sich um ein herausragend gutes Buch handelt, das richtig wehtut, aber auch wichtig ist. Das literarische Handwerk dahinter ist fantastisch, die Geschichte hat Wucht, die Emotionen können kaum kalt lassen.

Die deutsche Übersetzung ist ausgesprochen gut gelungen! Die Übersetzung des Glasweger Akzents finde ich herausragend. Bzgl. des deutschen Covers habe ich einige kontroverse Kommentare gelesen. Ich kann nur sagen, dass ich es großartig finde, weil es den Kern der Geschichte im besten Sinne aufgreift. Es zeigt ein Bild aus den Neunzigerjahren und das einzig Echte und Wahre in Mungos Leben, nämlich die Liebe und Zärtlichkeit zwischen ihm und James. Diese darf nur im Verborgenen stattfinden. Ich freue mich, dass sie auf diesem Buchdeckel im Jahr 2023 so plakativ nach außen gekehrt wird.

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Veröffentlicht am 22.01.2023

Anatomie einer guten Geschichte

Anatomy
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Ein guter Plot als Skelett, ein straffer Spannungsbogen als Muskulatur, ein eingängiger Schreibstil ist wie Nerven und Blutgefäße, er macht die Geschichte lebendig, lässt sie fühlen, versorgt ihre Worte ...


Ein guter Plot als Skelett, ein straffer Spannungsbogen als Muskulatur, ein eingängiger Schreibstil ist wie Nerven und Blutgefäße, er macht die Geschichte lebendig, lässt sie fühlen, versorgt ihre Worte mit Blut und Emotion...

Inhalt:
Edinburgh, 1817: Lady Hazel Sinnett liebt Naturwissenschaften. Sie will Chirurgin werden, die menschliche Anatomie erforschen und Heilmittel für Krankheiten finden. Doch als Frau und Tochter einer angesehenen Familie ist eine Zukunft in der Medizin keine Option. Hazel soll ihren Cousin heiraten und eine feine Dame werden. Trotzdem meldet sie sich heimlich für den Anatomiekurs eines renommierten Arztes an. Als ihre Tarnung auffliegt, geht sie mit dem Dozenten einen Deal ein: Wenn sie es schafft ganz ohne weiteren Unterricht die königliche Arztprüfung zu bestehen, bekommt sie einen begehrten Ausbildungsplatz als Chirurgin. Mit Lernen ist dieser Herausforderung allerdings nicht beizukommen. Hazel braucht Leichen, um die menschliche Anatomie direkt am Objekt studieren zu können. Und an diese toten Körper kommt sie nur mit Hilfe des Leichenräubers Jack Currer.

Meine Meinung:
Ich bin positiv überrascht. Oft habe ich Schwierigkeiten mit Geschichten, die im medizinischen Umfeld spielen. Zu viele Ungenauigkeiten, zu viel Unsinn, zu viele Darstellungen, die zu realitätsfern sind. Im Falle von "Anatomy" hatte ich diese Probleme tatsächlich nicht. Das hängt mit Sicherheit auch an der Epoche, in der die Geschichte von Hazel spielt. Das frühe 19. Jahrhundert, die Gothic-Elemente gepaart mit einem Hauch Fantasy, führen dazu, dass die Autorin mehr Spielraum hat, um Dinge auszugestalten. Diese Ausgestaltung hat mich generell überrascht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Darstellung der Leichensektionen so graphisch erfolgt. Dass die Autorin sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht vor Blut und Galle fürchtet, hat mein Medizin-Herz sehr glücklich gemacht.
Das Buch hat mich nach wenigen Seiten in seinen Bann gezogen. Ich habe mit Hazel mitgefiebert. Sie ist eine willensstarke und mutige Heldin, ein gutes Beispiel auch für sehr junge Leser. Die Storyline ist zu jeder Zeit spannend. Realistische Elemente werden geschickt mit fantastischen Elementen verwoben. Die Liebesgeschichte zwischen Jack und Hazel, die im Untertitel überraschend stark hervorgehoben wird, habe ich als einen Subplot wahrgenommen. Viel mehr im Fokus steht Hazels Entwicklung und ihr unbedingter Wille Ärztin zu werden. Die Kombination von beidem hat mir jedoch sehr gefallen. (Ich bin immer für eine gute Lovestory zu haben!)
Einzig vom Ende bin ich etwas enttäuscht. Mir war anfangs nicht klar, dass es sich bei "Anatomy" um den ersten Teil einer Reihe handelt, deswegen haben mich der Cliffhanger und die vielen losen Enden erstmal irritiert und ziemlich unbefriedigt zurückgelassen.

Fazit:
"Anatomy" ist einer der besten Young Adult Romane, die ich in den letzten Jahren gelesen haben. Knochen, Muskeln, Blut, Organe, Nerven - alles, was eine großartige Geschichte ausmacht, ist vorhanden. Nichtsdestotrotz hätte ich mir gewünscht, dass es sich um einen Einzelband handelt. Ich hätte für die Geschichte von Hazel und Jack gerne einen Abschluss gefunden. Der Reihe werde ich aber weiterhin treu bleiben.

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