Mutterliebe ohne Nabelschnur
„Kurt“, das sind eigentlich zwei. Der große Kurt, mit dem Lena in einer Beziehung ist und ein Haus draußen vor Berlin in Oranienburg gekauft hat. Eigentlich Stadtmenschen, empfand das Paar es aber passender ...
„Kurt“, das sind eigentlich zwei. Der große Kurt, mit dem Lena in einer Beziehung ist und ein Haus draußen vor Berlin in Oranienburg gekauft hat. Eigentlich Stadtmenschen, empfand das Paar es aber passender für den kleinen Kurt, das Kind des großen Kurts aus einer früheren Partnerschaft. Der Titel bezieht sich wohl auf beide Kurts.
Lena liebt beide Kurts auf ihre ganz eigene Weise. Beim Sohn ihres Lebenspartners ist sie sich aber manchmal unsicher und fragt sich wie weit man sich mit einem nicht definierten Status als unleibliche, nicht eingeheiratete Stiefmutter bei geteiltem Sorgerecht und somit geteilter Zeit im gemeinsamen Haus in Erziehungsangelegenheiten einbringen darf? Und dann verunsichert auch die Mutter Kurts, Jana, mit ihrem häufig abweisenden Verhalten sie ständig. Wie lauten die Regeln für so eine Beziehungskonstellation, und wo bitte kann man die nachlesen? „Man“ kann es gar nicht; Lena befindet sich während der Zeit, in der Klein-Kurt bei Papa und seiner Freundin ist, immer wieder in verschiedensten Fragen über ihre Rolle. Mit ihrer Schwester Laura findet sich Lena immer mal wieder im Gespräch über genau dieses Thema. Sie sagt, Lena sei zu gar nichts verpflichtet. Aber Lena hätte gar nichts dagegen ein wenig mehr Verantwortung übernehmen zu dürfen.
Zu einer Antwort allerdings kommt sie nicht – ihre undefinierte Rolle verändert sich, als Kurt bei einem Sturz vom Klettergerüst verstirbt. Lenas Schmerz überwältigt sie, ihre Trauer ist groß, und auch ihr wurde mit Kurts unerwartetem Tod ein Teil aus dem Herz gerissen. Jedoch steht sie mit ihrer Trauer immer abseits. Auch hier findet sie ihre Rolle nicht. Ihr Lebenspartner Kurt fällt in ein tiefes emotionales Loch. Häufig ist er bei Jana, um gemeinsam die Trauer zu bewältigen. Sie traut sich nicht Kurt zu fragen oder mit ihm über den Verlust zu sprechen, denn der hat doch als Blutsverwandter ein viel größeres Recht auf seine Trauer, oder?
Lena fühlt sich unendlich verloren, verlassen und allein. Sie ist hingerissen zwischen ihrer eigenen Trauer, ihrem Wunsch einbezogen zu werden und dem Bedürfnis für Kurt da zu sein.
Sarah Kuttner hat mit dieser Geschichte ein sehr kontroverses Thema aufgegriffen, von dem ich merke, dass ich darüber noch nachdenke, nachdem die letzte Seite gelesen ist. Ihre Charaktere lässt sie überraschende, rationale und grübelnswerte Meinungen äußern. Das Buch regt zum Nachdenken an. Besonders schön fand ich – ohne spoilern zu wollen – dass Kurt Lenas ganz persönlichen Trauerort auf eine besondere Weise gewürdigt hat.
Das Buch als physisches Objekt hat auch eine sehr interessante Ausstattung, was die Bindung betrifft. Eckig wie der Schriftzug auf dem Cover. Wirkt sehr alternativ und ungewöhnlich, definitiv ein kleiner Hingucker.