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Veröffentlicht am 03.03.2023

Über Freundschaft, Politik und Familie

Was rot war
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Rocco weiß, dass seine Eltern sich in den 70er Jahren an einer kommunistischen Schule in Italien kennengelernt haben. Sein Vater wurde zum Funktionär, seiner Mutter blieb eine ähnliche Karriere verwehrt. ...

Rocco weiß, dass seine Eltern sich in den 70er Jahren an einer kommunistischen Schule in Italien kennengelernt haben. Sein Vater wurde zum Funktionär, seiner Mutter blieb eine ähnliche Karriere verwehrt. Doch was Rocco nicht weiß, ist, was es mit der Freundschaft zwischen seiner Mutter Cruci und Lucia auf sich hat.

Diese Freundschaft zwischen den zwei Frauen ist der Ausgangspunkt des Debütromans von Enrico Ippolito, der den Leser auf eine Reise in die späten 70er Jahre mitnimmt. Cruci kommt mit achtzehn Jahren zum ersten Mal von Palermo nach Rom, um an der Hochschule der kommunistischen Partei zu studieren. Sie ist anders als die weltgewandte Lucia, die in Rom aufgewachsen ist, politisch aktiv ist und sich selbstsicher durch ihr Leben bewegt.

Trotz der Unterschiede entsteht zwischen den beiden Mädchen eine Freundschaft, die über die Schulzeit hinausgehen wird. Denn sie sind vereint in ihrem Wunsch danach, die kommunistische Partei mit ihren “Männer in dunkelblauen Anzügen, Männer in dunkelgrauen Anzügen, Männer in hellgrauen Anzügen” zu modernisieren und sie vor allem für Frauen zugänglich zu machen. Ihre großen Vorbilder sind dabei die Frauenfiguren der Resistenza.

Das Schicksal hat jedoch getrennte Wege für sie vorgesehen und schon bald ist es nicht mehr nur die räumliche Distanz, die sich zwischen sie gräbt, sondern auch Verrat, Enttäuschungen und Unverständnis.

“Was rot war” ist ein Roman über zwei Frauen, die stets härter für ihre Ziele kämpfen müssen als die Männer um sie herum und die, obwohl sie kämpfen, dabei zusehen müssen, wie ihnen ihre Hoffnungen und Träume wie von selbst zu entgleiten scheinen.

Ippolitos Debütroman überzeugt auf sprachlicher Ebene durch einen klaren und schnörkellosen Stil. Er verbindet Themen wie Freundschaft, Politik, Entwurzelung und Familie und gewährt ihnen den Raum, sich auf drei unterschiedlichen Zeitebenen zu entfalten. Auch wenn der Roman auf den letzten Seiten etwas von seiner Wirkung einbüßt, so tut dies der Geschichte im Ganzen keinen Abbruch.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Ein Highlight

Der große Sommer
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Der große Sommer ist ein wunderbar leichter und gleichzeitig stets tiefsinniger Roman. Er erzählt voller Kraft und Energie von Sommerferien, von Stunden im Freibad, Hitze, Musik, Fahrradfahren, Streichen, ...

Der große Sommer ist ein wunderbar leichter und gleichzeitig stets tiefsinniger Roman. Er erzählt voller Kraft und Energie von Sommerferien, von Stunden im Freibad, Hitze, Musik, Fahrradfahren, Streichen, Mutproben und natürlich von der ersten Liebe.

Frieder ist im letzten Schuljahr in Mathe und Latein durchgefallen. Nun bestehen seine Eltern darauf, dass er nicht mit in den Urlaub fährt und die Sommerferien stattdessen bei den Großeltern verbringt, um dort für die Nachprüfungen zu lernen. Den Großvater kann Frieder nicht besonders gut leiden, findet ihn kühl und streng. Doch im Laufe des Sommers verändert sich nicht nur sein Verhältnis zum Großvater, er erfährt auch mehr aus dem Leben seiner Großeltern.

Dieser Sommer ist für Frieder in jeder Hinsicht groß. Er lernt Beate kennen und lieben, er hat seine ersten Begegnungen mit Schicksalsschlägen und dem Tod und muss auch lernen, dass seine Handlungen Konsequenzen haben.

Ewald Arenz erzählt auf humorvolle, kluge, einfühlsame und poetische Weise von der Jugend. Seine Charaktere sind glaubwürdig, scheinen dem Leben entsprungen zu sein und wachsen dem Leser im Laufe der Geschichte ans Herz. Man begleitet sie, während sie aufwachsen, sich verändern, ihren eigenen Weg finden müssen und das alles vor dem Hintergrund der Sommerferien, diesen magischen sechs Wochen, auf die man das ganze Jahr hinfiebert, die eigentlich die absolute Freiheit bedeuten und dann doch nicht ganz…

Lest diesen besonderen Roman, lasst euch von den Sonnenstrahlen, der Sommerbrise und der schönen Geschichte verzaubern und euch in die Tage der Jugend entführen.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Eine Bereicherung

Bei Regen in einem Teich schwimmen
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Wie funktionieren Geschichten eigentlich? Welche Erwartungen wecken sie im Leser und wie lenken sie die Wahrnehmung?

Diesen Fragen geht George Saunders in seinem neuen Buch “Bei Regen in einem Teich ...

Wie funktionieren Geschichten eigentlich? Welche Erwartungen wecken sie im Leser und wie lenken sie die Wahrnehmung?

Diesen Fragen geht George Saunders in seinem neuen Buch “Bei Regen in einem Teich schwimmen” nach, indem er sich intensiv sieben Kurzgeschichten der russischen Meister annimmt. Er kann dabei auf seinen Erfahrungen als Dozent an der Syracuse University aufbauen, wo er jahrelang Creative Writing unterrichtet hat. Wir als Leser haben nun die wunderbare Möglichkeit, in eines seiner Seminare reinzuschnuppern. Wir können unter Saunders Anleitung das entdecken, was Literatur ausmacht und tauchen tief in die Zeilen der von ihm ausgewählten Kurzgeschichten ein.

Ich bin davon überzeugt, dass dieses Buch jeden, der sich für Literatur interessiert, begeistern wird. Es ist klug und zeugt von einem tiefen Verständnis für die Gattung der Kurzgeschichten, der Saunders sich selbst als Autor gewidmet hat. Sein eigenes Können beweist er im Übrigen in seinen Erläuterungen, die seinen Humor und seinen meisterhaften Umgang mit Sprache widerspiegeln.

“Bei Regen in einem Teich schwimmen” ist ein Buch für alle leidenschaftlichen Leser, Fans von Kurzgeschichten und der russischen Literatur, für Nerds der Literaturwissenschaft und Close Reading-Liebhaber, für angehende Schriftsteller und Hobbyautoren. Und auch allen anderen, die sich in dieser Liste nicht wiederfinden, kann das Buch nur ans Herz gelegt werden! Es ist eine Bereicherung und ein riesiges Vergnügen.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Eine Bereicherung

Schnee fällt auf Chinas Erde
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Obwohl Ai Qing (1910-1996) einer der bekanntesten chinesischen Dichter der Moderne ist, ist sein Werk in Deutschland fast völlig unbekannt. Als Vertreter der Neuen Lyrik, schrieb er in einer verständlichen ...

Obwohl Ai Qing (1910-1996) einer der bekanntesten chinesischen Dichter der Moderne ist, ist sein Werk in Deutschland fast völlig unbekannt. Als Vertreter der Neuen Lyrik, schrieb er in einer verständlichen Sprache gegen das Monopol der Gelehrten an, denen das Verfassen und Lesen von Lyrik vorbehalten war. Themen wie Armut und das Elend der Landbevölkerung stehen in den Werken der Neuen Lyrik außerdem zum ersten Mal im Zentrum von chinesischen Gedichten.

Nun ist eine Auswahl seiner Gedichte in der Übersetzung von Susanne Hornfeck unter dem Titel "Schnee fällt auf Chinas Erde" erschienen. Begleitet werden die Gedichte von einem Vorwort Ai Weiweis, dem berühmten Künstler und Sohn des Dichters, von Anmerkungen und einem Nachwort der Übersetzerin, sowie von Auszügen aus den Notizbüchern Ai Qings, die Einblicke in sein dichterisches Selbstverständnis geben.

Die Gedichte sind eine Zeitreise in das letzte Jahrhundert, in die Geschichte und Kultur Chinas und nicht zuletzt in das Leben Ai Qings. Ein Leben, das geprägt war von jahrzehntelangen Schreibverboten, von Aufenthalten in Straflagern und Gefängnissen. Verse wie “Aus der Dunkelheit/ blicke ich sehnsuchtsvoll/ auf ein Universum” oder “Ich sehne mich nach einem fernen Horizont” führen dem Leser “das Grauweiß” des persönlichen Unglücks vor Augen.

Ai Qings Gedichte werden stets von sprachlicher Schönheit, Prägnanz und Tiefe getragen. Vor den Augen des Lesers entstehen Bilder, die durch ihre Farbkraft und Klarheit bestechen. Es gelingt Ai Qing, Landschaften zum Leben zu erwecken und den Alltag und die Armut der Bauern Nordchinas aus der Nähe darzustellen. Motivisch ziehen sich Krieg, Elend, aber auch Hoffnung und Frühling wie ein roter Faden durch den Gedichtband.

Die Gedichte sind Spiegelbild eines Landes, eines Lebens, von persönlichen Entwicklungen und einer Weltsicht, die zeitweise von der Ideologie der kommunistischen Partei beeinflusst ist, aber sich später auch nicht davor scheut, sie zu kritisieren.

Der Band ist eine Bereicherung für jeden Leser. Er erweitert den persönlichen Horizont, gräbt sich ins Gedächtnis ein und muss deshalb empfohlen werden.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Zu Unrecht vergessen

Sodom und Berlin
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Yvan Golls Roman „Sodom und Berlin” ist eine rasante Stadtrundfahrt, ein faszinierendes, groteskes und surreales Porträt eines Ortes und seiner Menschen. Berlin wird schon zu Beginn mit dem Tod, mit Finsternis, ...

Yvan Golls Roman „Sodom und Berlin” ist eine rasante Stadtrundfahrt, ein faszinierendes, groteskes und surreales Porträt eines Ortes und seiner Menschen. Berlin wird schon zu Beginn mit dem Tod, mit Finsternis, Wahnsinn und Dekadenz gleichgesetzt. Die Pflastersteine der Stadt klaffen auf und die Assoziation mit der mythologischen Unterwelt drängt sich dem Leser auf.

Der Hochstapler Odemar Müller ist die Hauptfigur dieser Geschichte, den es zuerst nach Bonn in eine Studentenverbindung schlägt, der dann an der Front kämpft, in Berlin landet und als Redakteur arbeitet, kurz darauf eine mystische Gesellschaft gründet und schließlich der wohl einzige Träger eines Bazillus ist, der Europa zugrunde richten wird.

Golls Roman spiegelt das Wesen der Zwischenkriegszeit wider. Sie wird als apokalyptisch, dekadent und „vermodernd” dargestellt. Ihre Menschen sind Wracks, sind „innerlich bereits völlig ausgehöhlt”. Hunger, Elend und Armut prägen das Stadtbild: „Draußen fror und hungerte Berlin. Das deutsche Elend nahm katastrophale Ausmaße an.” Es ist in dieser Zeit, in der sich Menschen nach Liebe, Freiheit, Idealen und nach Sinn sehnen. Die Figuren des Romans verkörpern diese Sehnsüchte auf anschauliche Weise.

Die editorische Notiz des Verlags am Ende des Buches weist den Leser darauf hin, dass die Anspielungen im Roman so zahlreich sind, dass Kommentare insgesamt länger als der Text selbst werden würden. Und das macht sich schon früh während des Lesens bemerkbar. Der Text funktioniert auf mehreren Ebenen, ist so vielschichtig und bildreich, dass eine einmalige Lektüre sicherlich nicht ausreicht, um ihn in seiner Gänze erfassen zu können.

Gleichzeitig überfordert der Roman nicht, sondern macht Spaß und lässt den Leser fast durchgängig vergessen, dass er vor etwa einem Jahrhundert entstanden ist. Zu Unrecht hat die Nachwelt Golls Werk so wenig Aufmerksamkeit geschenkt und deshalb rate ich euch, euch schleunigst ein Exemplar dieser wunderschönen Ausgabe aus dem Manesse Verlag zu sichern. Es lohnt sich!

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