Profilbild von Lesereien

Lesereien

Lesejury Star
offline

Lesereien ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Lesereien über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.03.2023

Banal

Der Brand
0

Rahel und ihr Mann Peter wollten eigentlich Urlaub in den Bergen machen, um dem Corona-Alltag zu entfliehen. Doch als sie erfahren, dass ihr Ferienhaus abgebrannt ist und eine enge Freundin dringend jemanden ...

Rahel und ihr Mann Peter wollten eigentlich Urlaub in den Bergen machen, um dem Corona-Alltag zu entfliehen. Doch als sie erfahren, dass ihr Ferienhaus abgebrannt ist und eine enge Freundin dringend jemanden braucht, der in ihrer Abwesenheit auf das Gut aufpasst, ändern sich ihre Pläne.

Die gemeinsame Zeit auf dem Gutshof offenbart vieles. Da ist zunächst die Distanz, die sich im Laufe der Jahre in die Ehe der beiden eingeschlichen hat. Sie leben aneinander vorbei anstatt miteinander. Die Entfremdung ist auch in ihren Gesprächen allgegenwärtig, die stets kurz und abgehackt wirken und sich viel mehr durch das Ungesagte als durch das Gesagte charakterisieren. Das Thema der Distanz und des Schweigens in der Ehe hätte einen interessanten Ausgangspunkt für diesen Roman bilden können. Leider vernachlässigt die Autorin genau diesen thematischen Aspekt aber im Laufe der Geschichte, wendet sich zahlreichen anderen Themen zu, baut aktuelle gesellschaftliche Debatten ein, die alle nur oberflächlich angeschnitten werden und findet so zu keinem roten Faden.

Hinzu kommt, dass alle Charaktere, aber insbesondere die Protagonistin Rahel, unsympathisch wirken. Sie wirken flach, sind in ihrem Verhalten und in ihren Aussagen häufig unglaubwürdig oder überzogen. Rahel, die als Psychologin arbeitet, ist so stark auf sich selbst fixiert, dass sie ihr soziales Umfeld ständig be- und verurteilt. Ihr eigenes Verhalten und ihre eigenen Ansichten sind der Maßstab, mit dem sie andere kritisiert. Ihre Selbstwahrnehmung ist äußerst zweifelhaft und ihre ständige Unentschlossenheit, ihr teilweise heuchlerisches und oft auch unangemessenes Handeln tragen dazu bei, dass der Roman spätestens ab der zweiten Hälfte nur noch nervt.

“Der Brand” ist banal und bewegt sich ausschließlich an der Oberfläche von dem, was er zu erzählen versucht. Letztlich bleibt er ohne richtige Aussage und findet zu keinem Ende. Auch die verdichtete Sprache mit ihren kurzen Sätzen, die zunächst durchaus vielversprechend wirkt, kann darüber nicht hinwegtäuschen.
Somit ist der einzige Brand, der bei der Lektüre stattfindet, ein durch Banalitäten ausgelöstes und schmerzendes Feuer im Kopf des Lesers.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.03.2023

Lose und vage

Ich. Sie. Die Frau
0

„Ich. Sie. Die Frau“ geht den möglichen Versionen eines Lebens nach. Mal ist die Protagonistin mit einem Mann verheiratet, dann verliebt sie sich in eine Frau. Sie kann Affären und Geliebte haben, ist ...

„Ich. Sie. Die Frau“ geht den möglichen Versionen eines Lebens nach. Mal ist die Protagonistin mit einem Mann verheiratet, dann verliebt sie sich in eine Frau. Sie kann Affären und Geliebte haben, ist selbst Schriftstellerin oder die Figur im Roman ihrer eigenen Freundin.

Diese möglichen Varianten sind im Roman gleichwertig. Sie folgen nicht aufeinander, bedingen sich nicht, sondern stehen nebeneinander. Im Grunde besteht der Roman somit aus mehreren Geschichten, die selbstständig sind und denen es oft an Verbindungen fehlt. Als Leser wünscht man sich mehr Tiefe während man durch diese unterschiedlichen Leben geht und sie miteinander in Verbindung zu setzen versucht. Es hätte mehr roter Fäden bedurft, damit der Roman sein Potential hätte entfalten können. So wirkt alles äußerst lose und vage.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.03.2023

Ermüdend und aufgesetzt

bitterer zucker
0

“Zu behaupten, ich hätte mich niemals über das Leid meiner Mutter gefreut, wäre eine glatte Lüge.”

Mit diesem Satz beginnt Avni Doshis Debütroman “Bitterer Zucker”, der die Geschichte einer schwierigen ...

“Zu behaupten, ich hätte mich niemals über das Leid meiner Mutter gefreut, wäre eine glatte Lüge.”

Mit diesem Satz beginnt Avni Doshis Debütroman “Bitterer Zucker”, der die Geschichte einer schwierigen und von Konflikten getragenen Beziehung zwischen Mutter und Tochter erzählt. Das Verhältnis ist geprägt von Vorwürfen und von Erinnerungen an eine Vergangenheit, die für beide schmerzlich war. Nun, da die Mutter an Demenz erkrankt und pflegebedürftig ist, wird die Tochter mit ihren Erlebnissen aus der Kindheit und Jugend konfrontiert.

So vielversprechend der erste Satz auch klingen mag, so enttäuschend ist der gesamte Rest des Romans. Er verliert sich in einem ständigen Hin und Her, trifft keine Aussagen und schafft es nicht, seine Charaktere glaubwürdig darzustellen. Außerdem fühlt sich keine der zwischenmenschlichen Beziehungen nachvollziehbar und authentisch an. Alles wirkt künstlich, aufgesetzt, gezwungen.

Letztlich ist der Roman ermüdend und vermag es nicht, unter die Oberfläche dessen zu dringen, was er zu erzählen versucht. Er will den Anschein von psychologischer Tiefe erwecken, indem er zahlreiche literarische und gesellschaftliche en vogue-Themen einbaut, doch auch das ist zum Scheitern verurteilt.

Diese Geschichte einer Tochter, die sich um die demenzkranke Mutter kümmern muss, obwohl sie selbst in der Kindheit scheinbar vernachlässigt wurde, hätte eindrücklicher und einfühlsamer erzählt werden müssen. Leider ist das der Autorin nicht gelungen. Schade!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.03.2023

Roman mit Schwachstellen

Unterwasserflimmern
0

Unterwasserflimmern erzählt die Geschichte einer jungen namenlosen Protagonistin, die ihren Partner mit anderen Männern betrügt. Sie fühlt sich gefangen in einem Leben, das von gesellschaftlichen Erwartungen ...

Unterwasserflimmern erzählt die Geschichte einer jungen namenlosen Protagonistin, die ihren Partner mit anderen Männern betrügt. Sie fühlt sich gefangen in einem Leben, das von gesellschaftlichen Erwartungen geprägt ist. Über ihren Kopf hinweg macht ihr Partner Zukunftspläne, kauft ein Grundstück und erwartet von ihr, dass sie schwanger wird. Dabei will sie noch keine so weitreichenden Entscheidungen treffen, will spontan sein und sich frei fühlen. Deshalb scheint die Flucht zunächst wie der einzige Ausweg.

Leider wird ihr Ausbrechen aus den Erwartungen und Konventionen im Laufe des Romans aber nicht vertieft. Stattdessen verliert sich die Erzählung und folgt einer Protagonistin, die sehr unreif, unentschlossen und fast schon kindisch wirkt. Ihr Verhalten ist geprägt von Verdrängung und Selbsttäuschung. Sie klammert sich an andere Menschen, macht sich abhängig von ihnen und hat Angst, selbstbestimmt zu leben. Außerdem versucht sie, ihrem Leben ausschließlich über die Sexualität Sinn und Bedeutung zu verleihen. Sie geht im Grunde mit (fast) jeder Nebenfigur in der Geschichte eine sexuelle Beziehung ein, was sie auf Dauer äußerst oberflächlich erscheinen lässt. Man könnte behaupten, dass es ihre Art der Freiheitssuche ist, aber letztlich verstrickt sie sich nur in Zweifeln, in Unentschlossenheit und in Ziellosigkeit. Einen Zustand der Freiheit und der Selbstsicherheit erlangt sie zu keinem Zeitpunkt.

Ehrlich gesagt, gefällt mir das Frauenbild, das dem Roman zugrunde liegt, überhaupt nicht. Schwache und abhängige weibliche Figuren hat es in der Literaturgeschichte zur Genüge gegeben. Ich hatte erwartet, dass der Roman den Leser mit einer weiblichen Figur konfrontiert, die sich auflehnt, die gesellschaftliche Erwartungen sprengt, die sich von den ihr angelegten Fesseln befreit und ihr Leben so lebt, wie sie es möchte. Der Höhepunkt meiner Enttäuschung war eine Vergewaltigungsfantasie der Protagonistin, die ich in keinster Weise nachvollziehen konnte und die auch im Bedeutungszusammenhang der Geschichte für mich keinen Sinn macht.

Diese Schwachstellen des Romans wiegen schwer. Gleichzeitig möchte ich aber betonen, dass die Autorin in einer flüssigen und klaren Sprache schreibt. Abgesehen von den vulgären Passagen, die meiner Ansicht nach den Erzählfluss hemmen, wie Einschnitte wirken und nichts zu der Geschichte beitragen, ist es mir leicht gefallen, mich mit der Sprache, dem Stil und dem Ton anzufreunden. Die erzählte Welt scheint durch die Klarheit und Direktheit der Sprache nah und greifbar.

Dieser Debütroman lässt hinter den Schwachstellen schriftstellerisches Talent erahnen und ich finde es schade, dass dieses durch die nicht sehr überzeugende Geschichte getrübt wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere