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Veröffentlicht am 04.04.2023

Ein episches, lebendiges, einfühlsames und gedankenvolles Meisterwerk

Carrie Soto is back
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Nachdem mich Taylor Jenkins Reid in "The Seven Husbands of Evelyn Hugo" tief beeindruckt hat, und auch "Daisy Jones & The Six" mich überzeugen konnte, habe ich beschlossen, mich langsam aber sicher durch ...

Nachdem mich Taylor Jenkins Reid in "The Seven Husbands of Evelyn Hugo" tief beeindruckt hat, und auch "Daisy Jones & The Six" mich überzeugen konnte, habe ich beschlossen, mich langsam aber sicher durch das ganze Repertoire der Autorin durchzulesen. Als nächstes auf dem Plan stand für mich deshalb "Carrie Soto is Back", welches ich in den letzten Tagen als Hörbuch geradezu inhaliert habe. Nach 417 emotionalen und mitreißenden Seiten kann ich nun verkünden: Taylor Jenkins Reid hat hier mal wieder ein episches, lebendiges, einfühlsames und gedankenvolles Meisterwerk geschrieben!

“Other women in tennis—blond women with big boobs and long legs—often get modeling contracts at age seventeen. They show up on the cover of men’s magazines within a year or so of hitting the court for the first time. But not thicker women, like me. Or dark-skinned women like Carla Perez or Suze Carter. Not women who are British Chinese, like Nicki, or downright scary in their intensity like her either. Not the women who aren’t skinny and white and smiling. And yet, no matter what type of woman you are, we all still have one thing in common: Once we are deemed too old, it doesn’t matter who we used to be.”


Zunächst wie immer einige Worte zum Cover: Wie bei Taylor Jenkins Reids anderen Romanen wird das Cover von einem Ausschnitt der Hauptfigur eingenommen. In diesem Fall sieht man die dunkelhaarige Carrie Soto, die in einem weißen Sport-Top und mit vor Schweiß glänzendem Gesicht den Kopf in den Nacken legt und die Augen geschlossen hat. Ein großer, weißer Titel, ein Farbverlauf im Hintergrund und fertig ist das einfache aber gut getroffene Cover. Zum Glück hat sich der deutsche Verlag auch dazu entschieden, den englischen Originaltitel beizubehalten, welcher passender nicht sein könnte. Toll fand ich auch die kleinen Easter Egg Crossover zu "Daisy Jones & The Six" und "Malibu Rising", die TJR-Fans bestimmt auffallen werden.

“Luckily, I did not need to be pretty. My body was built to wage war.”


Doch steigen wir inhaltlich in diese Geschichte ein... An der Oberfläche handelt "Carrie Soto is Back" vor allem von einem: Tennis. Egal ob in dem Rückblick, in dem Carries Karriere als Tennisprofi von ihrer Kindheit bis zu ihrem Ausscheiden aufgrund einer Verletzung geschildert wird, oder später während ihrem Comeback, es vergeht kaum eine Seite, ohne dass hier nicht trainiert wird, wir Spiele verfolgen oder Strategien zurechtgelegt werden. Da ich für Tennis als Sport noch nie wirklich etwas übrighatte und auch nur oberflächliches Wissen zu den Regeln habe, sollte man meinen, dass mich das gelangweilt hat. Aber falsch gedacht! Während ich mit Carrie um den Sieg gebangt habe, habe ich langsam, aber sicher meine Begeisterung für diesen Sport entdeckt und konnte teilweise beim Hören des Buchs kaum still sitzen bleiben. Taylor Jenkins Reid nimmt uns mit grafischen Beschreibungen der Matches und Carries Innenleben mit auf den Platz, sodass man beinahe meint, selbst das Ploppen des Balls hören und die Gerüche des Platzes in der Sonne riechen zu können. Spätestens nach den letzten Seiten hatte ich wahnsinnig Lust, selbst mal einen Schläger in die Hand zu nehmen, oder zumindest ein Tennisspiel im TV zu verfolgen.

“I am so grateful, right now, for every match and every win and every loss and every lesson that I have behind me. It feels so good, right now, to be thirty-seven years old. To have figured at least some things out. To know the ground underneath my feet.”


Je länger man sich in "Carrie Soto is Back" vertieft, desto mehr bemerkt man jedoch, dass das Tennis - so spannend und lebensecht es auch geschildert ist - überhaupt nicht das Herz der Geschichte ist. Man könnte das Tennis theoretisch durch jede andere Sportart austauschen und könnte damit eine vergleichbare Geschichte erzählen. Was wirklich im Fokus des Romans steht, ist Carrie Soto als Figur und ihre wahnsinnige Entwicklung, die sie von Anfang bis Ende durchmacht. Die große Stärke der Bücher von Taylor Jenkins Reid ist, dass sich die fiktiven Figuren so lebensecht anfühlen, dass man meint, man könne sie googeln. Dabei schreibt die Autorin häufig von überlebensgroßen Stars, die man aber auch so gut kennenlernt, dass man sich wie ein Teil ihrer Familie fühlt. Die Protagonistinnen haben dabei immer Ecken und Kanten und sind nicht immer klare Identifikationsfiguren, aber sie finden dennoch in jedem Fall einen ganz eigenen Weg, sich ins Leserherz zu schleichen und dort häuslich einzurichten. So auch Carrie Soto.

“I keep thinking, I don’t cry on the court. I don’t cry on the court. But then I think, Maybe it’s a lie that you have to keep doing what you have always done. That you have to be able to draw a straight line from how you acted yesterday to how you’ll act tomorrow. You don’t have to be consistent. You can change, I think. Just because you want to. And so, for the first time in decades, I stand in front of a roaring crowd and cry.”

Wir lernen die Sportlerin als knallharte Kämpferin kennen, die in der Öffentlichkeit kaum Emotionen zeigt, die neben dem Platz keine Beziehungen oder Freundschaften pflegt und für die einzig und allein der Sieg zählt, weshalb sie sich über die Jahre den Namen "Kampfmaschine" eingehandelt hat. In der Öffentlichkeit ist sie nicht beliebt, doch keiner kann ihr absprechen, eine großartige Tennisspielerin zu sein. Zumindest bis sie verletzungsbedingt aussteigt und sie mit ansehen muss, wie eine jüngere Spielerin ihren Rekord für die meisten Grand Slam Siege bricht. Auch wenn sie verschlossen, hart und unbarmherzig wirkt, verliebt man sich beim Lesen dennoch in diese brillante Frau voller Kampfgeist und Siegeswille und stellt sich mit ihr einer letzten Saison als Profi entgegen, die die wichtigste ihrer Karriere werden wird. Zuzusehen, wie sie nicht nur den Spaß an ihrem Sport wiederentdeckt, den sie durch all den Druck, den sie sich selbst macht, verloren hat, sondern auch ihr Herz öffnet, immer mehr Beziehungen zu anderen Menschen aufbaut und vor allem lernt, zu verlieren, um zu erfahren, was es bedeutet, eine wirkliche Gewinnerin zu sein, ist einfach wundervoll!

“Falling in love is really quite simple,” she says. “You want to know the secret? It’s the same thing we are all doing about life every single day.” I look to her. “Forget there’s an ending.”

Die Liebesgeschichte zum ebenfalls alternden Tennisprofi Bowe steht dabei anders als im Klapptext suggeriert dezent im Hintergrund und lässt Raum für die zwei wirklich relevanten Liebesgeschichten, die hier erzählt werden: die von Carrie und ihrem Vater Javier und die von ihr zu sich selbst und all den Möglichkeiten, die sich ihr bieten, wenn sie mehr in sich sieht als nur die "Kampfmaschine". Besonders tief berührt hat mich dabei Javi, welcher als Nebenfigur genügend Tiefe besitzt, um ein weiteres Buch zu füllen. Gemeinsam mit anderen tollen Nebenfiguren wie Carries Agentin Gwen oder ihre Gegnerin Nikki lehren uns Bowe, Javi und vor allem Carrie einige wichtige Lektionen über Altern in Würde, Umgang mit Leistungsdruck, Ansprüche der Gesellschaft an Frauen, familiäre Beziehungen und wahre Größe.

“We live in a world where exceptional women have to sit around waiting for mediocre men.”


Auch wenn einige Aspekte der Geschichte - nun, vorhersehbar möchte ich es nicht nennen, aber zumindest im Verlauf der Erzählung unvermeidbar sind, wusste ich bis 5 Minuten vor dem Ende des Buches nicht, wie die Geschichte ausgehen würde. Vor allem das letzten Drittel ist so voller entscheidender Momente und Schlüsselszenen, dass ich beim Hören wild auf und ab gehen musste. Wie die Autorin den Roman am Ende auflöst, empfand ich als sehr stimmig und gebe nun tief berührte 5 Sterne!


Fazit:


In "Carrie Soto is Back" erzählt Taylor Jenkins Reid ein episches, lebendiges, einfühlsames und gedankenvolles Meisterwerk über Tennis, Altern in Würde, Umgang mit Leistungsdruck, Ansprüche der Gesellschaft an Frauen, familiäre Beziehungen und wahre Größe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.03.2023

Ein absoluter Geniestreich!

Chaos Walking - Die Zukunft der Welt
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Mit "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" ist Mitte Januar endlich der dritte Teil der Chaos-Walking-Trilogie von Patrick Ness erschienen, welcher die Geschichte von Todd und Viola zu einem Ende bringt ...

Mit "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" ist Mitte Januar endlich der dritte Teil der Chaos-Walking-Trilogie von Patrick Ness erschienen, welcher die Geschichte von Todd und Viola zu einem Ende bringt und ein letztes Mal ins dystopische New World führt. Nachdem Lesen bin ich nun genau wie nach den vorherigen Bänden emotional gefangen zwischen Entsetzen und Faszination, Abscheu und Begeisterung und weiß nur, dass das, was auf diesen 608 Seiten passiert KRASS KRASS KRASS ist!

Wem die Handlung, der Autor oder die Namen der Figuren bekannt vorkommen: Patrick Ness´ Trilogie ist schon 2009 unter den Namen "New World - Die Flucht", "New World - Das dunkle Paradies" und "New World - Das brennende Messer" im Ravensburger Buchverlag erschienen. Schon im Januar 2021 ist Band 1 der Reihe erneut bei cbt erschienen und trug ein Filmcover passend zur Verfilmung von Lionsgate mit Tom Holland und Daisy Ridley (HIER geht´s übrigens zur Filmkritik). Band 3 ist nun genau wie Band 2 schon stark an der Originalausgabe orientiert und zeigt den Titel in großen, weißen Buchstaben, welcher sich vom dunklen Hintergrund mit wildem Buchstabengekritzel in einem interessanten Kontrast abhebt. Auch wenn mir sowohl der Kontrast als auch die optisch und haptisch hervorgehobenen Buchstaben des Hintergrund gut gefallen und ich auch den Untertitel "Die Zukunft der Welt" treffend gewählt finde, sind zwei Dinge an der Gestaltung schade. Erstens passt die äußere Gestaltung des zweiten und dritten Teils schlecht zum ersten (wobei die Paperbacks immerhin dieselbe Größe haben). Und zweitens gibt es keinen treffenderen Titel als den Originaltitel "Monsters of Men".

Erster Satz: "Krieg", sagt Bürgermeister Prentiss mit funkelnden Augen. "Endlich ist es soweit."

Dafür gefällt mir die innere Gestaltung dieses Finalbands wieder sehr gut. Genau wie in den vorherigen Bänden ist auch hier der sogenannte "Lärm" der männlichen Bewohner von New World als wildes Gekritzel in unterschiedlichen Schriftarten quer über die Seiten dargestellt und der Wechsel der Erzählperspektiven zwischen den beiden Hauptfiguren Todd und Viola wird ebenfalls durch einen Wechsel der Schriftart deutlich gemacht. Genau wie in Band 1 und 2 hat Patrick Ness seine Handlung darüber hinaus wieder in acht übergeordnete Abschnitte eingeteilt, welche wiederum in 24 Kapitel inklusive eines unnummerierten Prologs und Epilogs unterteilt sind. Zusätzlich erleichtert uns eine kurze "Was bisher geschah"-Zusammenfassung den Einstieg. Anders als zuvor kommt in "Chaoswalking - Die Zukunft der Welt" noch eine dritte Erzählperspektive hinzu, die den Einstieg in jedes der 24 Kapitel darstellt. Dazu später mehr...

Zeitlich knüpft Teil 3 wieder punktgenau an das Ende des zweiten Bandes an und erzählt, was passiert, nachdem Todd und Viola Bürgermeister Prentiss endlich bekämpft haben, nur um ihn angesichts der nahenden Spackle-Armee und des landenden Raumschiffs der Siedler wieder freilassen zu müssen. Eine unbedachte Handlung von Viola, der Kriegswille des Bürgermeisters und die Rachlust der Spackle treffen aufeinander und schon befindet sich New World in einem großen letzten Krieg mit mehreren Fronten, der das Ende des Planeten zu bedeuten scheint...

Todd: "Hier kommt es.
Das Ende
Das Ende von allem
"Oh ja, Todd", sagt der Bürgermeister und reibt sich die Hände. "Oh ja, in der Tat", wiederholt er, und sagt es, als wäre gerade sein allergrößter Traum in Erfüllung gegangen.
"Krieg".


Ich hatte sehr geringe Erwartungen und noch weniger Ideen davon, in welche Richtung sich die Geschichte nach dem offenen Ende von Band 2 weiterentwickeln würde. Dass wir hier von Seite 1 an mitten in einem blutigen Krieg voller Psychospielchen, Populismus, Genozid, Terrorismus und Grausamkeit zu tun bekommen würden, hätte ich aber nicht in tausend Jahren gedacht. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen meiner großen Überraschung kann ich nur meinen Hut vor Patrick Ness ziehen, der hier auf interessante Art und Weise davon erzählt, wie sich scheinbar aus dem Nichts ein Krieg entwickeln und wie eine ganze Zivilisation von den Ideen einzelner gelenkt untergehen kann. Neben den erschreckenden Entgleisungen befasst sich der Autor auch auf eindringliche Art und Weise mit den Themen Gehorsam, Verantwortung, Moral, Macht, Rache, Wiedergutmachung, Frieden, kollektive Traumata, Schuld und Menschlichkeit und legt damit den Finger in eine aufgrund des aktuellen Weltgeschehens offene Wunde. Patrick Ness zeigt hier, dass die Entscheidung jedes einzelnen zählt und dass wir alle die Verantwortung dafür haben zu entscheiden, in was für einer Welt wir leben möchten.

Neben der politischen Message und den vielen schweren Themen überzeugt "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" auch mit einer verrückt hohen Handlungsdichte. Hier passiert auf jeder Seite ALLES und NICHTS ist unmöglich, ein Kampf folgt auf den nächsten, folgt auf den nächsten, folgt auf den nächsten und ich konnte kaum atmen, weil ich Angst hatte, was auf der kommenden Seite passiert. Ich habe selten so sehr mitgelitten, geschwitzt und gehofft, dass nicht doch noch etwas schief geht und die Situation weiter eskaliert. Ich habe selten so oft innehalten müssen, um zu verstehen, was gerade passiert ist. Selten so dringend weiterlesen müssen, um endlich zu erfahren, wie das Ganze ausgehen wird. Allein für den einzigartigen Zustand zwischen Hoffen und Bangen, in den mich die Geschichte versetzt hat, müsste ich schon 5 Sterne geben.

Viola: "Man kann einen Krieg nicht aus persönlichen Gründen führen", widerspreche ich ihm. "Sonst wird man nie die richtigen Entscheidungen treffen."
"Wenn man keine persönlichen Entscheidungen trifft, dann ist man kein Mensch mehr."


Ganz objektiv betrachtet hätte ich schon Band 1 und 2 für den meisterhaften Schreibstil, die originelle Grundidee, die schneidende Gesellschaftskritik, die irrsinnig hohe Spannung und die menschlichen Figuren, die uns selbst den Spiegel vorhalten mindestens 4,5 Sterne geben müssen. Ich habe das jedoch nicht getan, da sie beim Lesen eine Flut an negativen Gefühlen ausgelöst haben, die ich kaum ertragen konnte. "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" ist ebenso düster und ernst wie die vorherigen Bände, für mich war dieses Finale aber lange nicht so emotional belastend. Aufgrund der zuvor genannten Themen müssen wir auf den über 600 Seiten sehr viel Grausamkeit ertragen. Folter, sexuelle Übergriffe, Verstümmelung, Entwürdigung, Unterdrückung und gezielter Mord - die hier beschriebenen Verbrechen gegenüber Menschen (insbesondere Frauen), aber auch gegenüber der einheimischen Bevölkerung des Planeten, den Spackle ist kaum zu ertragen und unterstreicht erneut, dass "Chaos Walking" trotz des jungen Alters der Hauptfiguren keine wirkliche Kinder- oder Jugendbuchreihe ist! Auch das Leiden der beiden Hauptfiguren trägt zu dringlichen, düsteren, unter die Haut gehenden Atmosphäre der Geschichte bei, welche mich vor allem beim Lesen des zweiten Bandes dazu gebracht hat, das Buch an die Wand werfen zu wollen.

Todd: "Beherrsche deinen Lärm und du beherrschst dich selbst. Und wenn du dich sich selbst beherrschst..."
"Dann beherrschst du die Welt", beende ich seinen Satz. "Ja, ich habe Euch schon beim ersten Mal verstanden. Aber ich will nur mich selbst beherrschen, vielen Dank. Der Rest der Welt interessiert mich nicht."
"Das sagen sie alle. Bis sie die Macht zum ersten Mal gekostet haben."


Nach wie vor wird die Geschichte abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Todd und Viola erzählt. Der Autor nutzt dabei sehr viele direkte Gedanken, die manchmal in langen Satzreihen mit vielen Absätzen oder fließenden Nebensätzen beinahe gedankenstromartig aus den jungen Erzählern herausströmen. Wie beim "Lärm" - der innovativen Grundidee der Geschichte - scheint es hier keinen Filter zu geben, sodass sich die Erzählung sehr erlebnisnah liest. Diese Art der Erzählweise reißt zwar mit, man ist dem was passiert aber auch ausgeliefert. Genauso ist es auch mit dem allgemeinen Sprachstil, der recht derb und direkt ist und sich kaum Zeit für Beschönigungen, Erklärungen oder Beschreibungen nimmt. Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass Todd uns LeserInnen an einigen Stellen direkt anspricht, indem er Fragen stellt, sein Verhalten erklärt oder sich rechtfertigt. So ist man schon recht bald in einem Zwiespalt zwischen dem Drang, sich etwas von Handlung und Erzähler zu distanzieren und dem mitreißenden Sog durch die erlebnisnahe Erzählweise. Ich habe lange überlegt, weshalb dieser dritte Band in mir nicht denselben Abscheu und Abwehrmechanismen getriggert hat wie die vorherigen Bände und bin zu dem Schluss gekommen, dass es an der höheren Kontrolle der beiden Figuren über die Handlung liegt. Während Todd und Viola zuvor allen schrecklichen Geschehnissen hilflos ausgeliefert waren, sind sie nun endlich am Zug, gestalten mit und erhalten auch Unterstützung von verschiedenen Seiten.

Viola: "Ich hätte es genauso gemacht, Viola", sagt Todd noch einmal, und ich weiß, dass ist die reine Wahrheit. Aber mir geht ein Gedanke nicht aus dem Kopf, obwohl Todd mich zum Abschied wieder in den Arm nimmt. Wenn wir alles füreinander tun würden, tun wir dann das Rechte? Oder sind wir nicht doch eine Gefahr für alle anderen?"

Ein zweiter Punkt ist, dass die beiden deutlich älter und erwachsener wirken, durch die zu vorigen Geschehnisse gestählt und weiterentwickelt wurden. Auch wenn beide einige furchtbare Dinge tun, die ich ihnen nicht verzeihen kann (und sie selbst sich auch nicht) und ich vor allem Todd an einigen Stellen fast gehasst habe, ist es Patrick Ness´ große Stärke, hinterrücks dafür zu sorgen, dass man die Figuren trotz allem lieben muss. Denn all die Verfehlungen, all die Handlungen, all die Entscheidungen, all die Gefühle sind so menschlich und nachvollziehbar geschildert, dass man sich nie ganz sicher sein kann, dass man in der Situation nicht anders gehandelt hätte. Ich denke, dass jeder von uns davon überzeugt ist (oder zumindest stark hofft), in Situationen großer Ungerechtigkeit oder Grausamkeit nicht einfach nur dazustehen, sondern sich laut für die Wahrheit einzusetzen und NEIN zu sagen. Dadurch dass wir Viola und Todd trotz ihrer Fehler und Schwäche verstehen können, stellt genau diese intrinsische Überzeugung aber in Frage, was natürlich unbequem ist und weh tut - aber eben auch dringend notwendig ist, um uns in der Realität vor Gleichmut und Abstumpfung zu schützen. Somit ist "Chaos Walking" auch ein Buch über Freundschaft, über Liebe und über Entscheidungen. Denn egal in welcher Situation wir uns befinden sind es doch unsere Entscheidungen, die uns zu dem machen, was wir sind.

Todd: "Ich schaue ihm in die Augen, in das Schwarze seiner Augen, in eine Schwärze, die mich verschlingt.
ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH. Das ist alles, was ich noch hören kann."

Neben Todd und Viola stehen nach wie vor die beiden in Band 2 entwickelten Lager rund um den Bürgermeister Prentiss und Mistress Coyles "Antwort" im Vordergrund. In "Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl" wurden ja beide schon als zwei Seiten derselben Medaille enthüllt. Absolute Diktatur und terroristischer Widerstand, beide gefährlich für Land und Menschen. Besonders die Charakterentwicklung des Bürgermeisters, der ja von Anfang an sowohl etwas Wahnsinniges als auch etwas Geniales und Übernatürliches an sich hatte, hat mich hier sehr mitgerissen. Auf berührende Weise wird enthüllt, was hinter seinem wachsenden Wahnsinn und seiner wachsenden Macht steckt, was ihn zum besten Bösewicht aller Zeiten macht.
Mit dem gelandeten Schiff der Siedler kommen außerdem zwei neue Figuren und damit eine neue Partei mit hinzu, die moderne Waffensysteme zur Verfügung stehen hat, aber auch über die Zukunft von 5000 schlafenden neuen Siedlern im Raumschiff entscheiden muss.
Das mit Abstand BESTE an dieser Geschichte ist jedoch die vierte neue Partei und damit auch die zuvor erwähnte neue Erzählperspektive, die hier dazukommt: die Spackle! Zu Beginn eines jeden Kapitels dürfen wir einen Abschnitt aus der Perspektive von 1017 lesen, welcher dank Todd als einziger Spackle den Genozid des Bürgermeisters überlebt hat und seither auf Rache sinnt. Durch ihn bekommen wir einen Einblick in die kollektive Gemeinschaft der Spackle, die sich selbst "das Land" nennt und deren Lärm sich zu einer gemeinsamen Stimme vermischt hat, die durch ihren Anführer, "den Himmel", spricht. Die Beschreibung der Spackle, die klar keine Menschen sind, aber dennoch fühlende und intelligente Wesen, die wie ein einziger Organismus denken, aber dennoch aus Individuen bestehen und zugleich vom Wunsch nach Rache und dem Bedürfnis nach Frieden angetrieben werden, fand ich inspirierend, originell und wahrhaft großartig!!!!

1017: "Das Land zeigt mir den Weg. Aber bei all ihrer Hilfsbereitschaft vernehme ich auch ihre Zweifel. Wer bin ich denn schließlich? Bin ich ein Held? Ein Retter? Oder bin ich ein Gebrochener? Eine Gefahr? Bin ich Anfang oder bin ich Ende? Gehöre ich wirklich zum Land? Wenn ich ehrlich bin, ich weiß es nicht. Und so weisen sie mir den Weg zum Himmel, während ich durch ihre Mitte gehe, und ich fühle mich wie ein Blatt, das auf dem Fluss treibt, in dem Fluss, mit dem Fluss. Aber bin ich auch Teil des Flusses? Und dann senden sie Kunde aus von meinem Kommen. "Der Zurückgekehrte kommt", teilen sie einander mit. "Der Zurückgekehrte kommt." Denn so nennen sie mich: der Zurückgekehrte. Aber ich habe noch einen anderen Namen."

Damit werden in "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" die letzten verbliebenen Fragen und offenen Punkte des Worldbuildings geklärt. Das außerirdische, sehr ursprüngliche, naturbelassene Setting, das an das unkolonialisierte Amerika erinnert, nur dass die Weiten der Landschaft nicht von grasenden Büffeln, sondern von seltsamen Geschöpfen wie die vogelstraußartigen "Cassors" oder laut die "HIER!"-denkenden "Viecher" bewohnt werden und alle Lebewesen durch ihren Lärm sprechen können, war in Band 1 und 2 sowohl ein Quell an Originalität als auch Verwirrung. Wer sind die Spackle? Was ist im ersten großen Krieg passiert? Woher nimmt der Bürgermeister seine Kraft? Was ist sein Plan für die Welt? Weshalb kamen die Siedler ursprünglich nach New World? Was ist in Prentisstown wirklich passiert als Todd noch klein war? Und vor allem: Wie wird die Zukunft dieser Welt aussehen? Wie Patrick Ness es geschafft hat, neben der Charakterentwicklung, den vielen Themen, der Vorstellung einer gänzlich neuen Lebensform und dem unnormal hohen Erzähltempo auch noch all die offenen Fragen befriedigend zu beantworten ist wirklich ein Wunder. Ich ziehe mein Hut in Verehrung vor diesem Autor und packe alle seine weiteren Werke umgehend auf meine Wunschliste!


Fazit:


"Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" überzeugte mich mit einem großartig weiterentwickelten Worldbuilding, einer sinnigen politische Message, pointierten Figuren, einem intensiven Spannungsbogen und originellen Schreibstil. Mit Themen wie Krieg, Gehorsam, Macht, Rache, Wiedergutmachung, kollektivem Traumata, Genozid, Schuld und Menschlichkeit ist die Geschichte über Todd und Viola weiterhin emotional anstrengend und teilweise fast nicht zu ertragen. Mit diesem Finale gelingt Patrick Ness allerdings ein Geniestreich, der für alle emotionalen Unannehmlichkeiten entschuldigt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.03.2023

Ein absoluter Geniestreich!

Chaos Walking - Die Zukunft der Welt
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Mit "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" ist Mitte Januar endlich der dritte Teil der Chaos-Walking-Trilogie von Patrick Ness erschienen, welcher die Geschichte von Todd und Viola zu einem Ende bringt ...

Mit "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" ist Mitte Januar endlich der dritte Teil der Chaos-Walking-Trilogie von Patrick Ness erschienen, welcher die Geschichte von Todd und Viola zu einem Ende bringt und ein letztes Mal ins dystopische New World führt. Nachdem Lesen bin ich nun genau wie nach den vorherigen Bänden emotional gefangen zwischen Entsetzen und Faszination, Abscheu und Begeisterung und weiß nur, dass das, was auf diesen 608 Seiten passiert KRASS KRASS KRASS ist!

Wem die Handlung, der Autor oder die Namen der Figuren bekannt vorkommen: Patrick Ness´ Trilogie ist schon 2009 unter den Namen "New World - Die Flucht", "New World - Das dunkle Paradies" und "New World - Das brennende Messer" im Ravensburger Buchverlag erschienen. Schon im Januar 2021 ist Band 1 der Reihe erneut bei cbt erschienen und trug ein Filmcover passend zur Verfilmung von Lionsgate mit Tom Holland und Daisy Ridley (HIER geht´s übrigens zur Filmkritik). Band 3 ist nun genau wie Band 2 schon stark an der Originalausgabe orientiert und zeigt den Titel in großen, weißen Buchstaben, welcher sich vom dunklen Hintergrund mit wildem Buchstabengekritzel in einem interessanten Kontrast abhebt. Auch wenn mir sowohl der Kontrast als auch die optisch und haptisch hervorgehobenen Buchstaben des Hintergrund gut gefallen und ich auch den Untertitel "Die Zukunft der Welt" treffend gewählt finde, sind zwei Dinge an der Gestaltung schade. Erstens passt die äußere Gestaltung des zweiten und dritten Teils schlecht zum ersten (wobei die Paperbacks immerhin dieselbe Größe haben). Und zweitens gibt es keinen treffenderen Titel als den Originaltitel "Monsters of Men".

Erster Satz: "Krieg", sagt Bürgermeister Prentiss mit funkelnden Augen. "Endlich ist es soweit."

Dafür gefällt mir die innere Gestaltung dieses Finalbands wieder sehr gut. Genau wie in den vorherigen Bänden ist auch hier der sogenannte "Lärm" der männlichen Bewohner von New World als wildes Gekritzel in unterschiedlichen Schriftarten quer über die Seiten dargestellt und der Wechsel der Erzählperspektiven zwischen den beiden Hauptfiguren Todd und Viola wird ebenfalls durch einen Wechsel der Schriftart deutlich gemacht. Genau wie in Band 1 und 2 hat Patrick Ness seine Handlung darüber hinaus wieder in acht übergeordnete Abschnitte eingeteilt, welche wiederum in 24 Kapitel inklusive eines unnummerierten Prologs und Epilogs unterteilt sind. Zusätzlich erleichtert uns eine kurze "Was bisher geschah"-Zusammenfassung den Einstieg. Anders als zuvor kommt in "Chaoswalking - Die Zukunft der Welt" noch eine dritte Erzählperspektive hinzu, die den Einstieg in jedes der 24 Kapitel darstellt. Dazu später mehr...

Zeitlich knüpft Teil 3 wieder punktgenau an das Ende des zweiten Bandes an und erzählt, was passiert, nachdem Todd und Viola Bürgermeister Prentiss endlich bekämpft haben, nur um ihn angesichts der nahenden Spackle-Armee und des landenden Raumschiffs der Siedler wieder freilassen zu müssen. Eine unbedachte Handlung von Viola, der Kriegswille des Bürgermeisters und die Rachlust der Spackle treffen aufeinander und schon befindet sich New World in einem großen letzten Krieg mit mehreren Fronten, der das Ende des Planeten zu bedeuten scheint...

Todd: "Hier kommt es.
Das Ende
Das Ende von allem
"Oh ja, Todd", sagt der Bürgermeister und reibt sich die Hände. "Oh ja, in der Tat", wiederholt er, und sagt es, als wäre gerade sein allergrößter Traum in Erfüllung gegangen.
"Krieg".


Ich hatte sehr geringe Erwartungen und noch weniger Ideen davon, in welche Richtung sich die Geschichte nach dem offenen Ende von Band 2 weiterentwickeln würde. Dass wir hier von Seite 1 an mitten in einem blutigen Krieg voller Psychospielchen, Populismus, Genozid, Terrorismus und Grausamkeit zu tun bekommen würden, hätte ich aber nicht in tausend Jahren gedacht. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen meiner großen Überraschung kann ich nur meinen Hut vor Patrick Ness ziehen, der hier auf interessante Art und Weise davon erzählt, wie sich scheinbar aus dem Nichts ein Krieg entwickeln und wie eine ganze Zivilisation von den Ideen einzelner gelenkt untergehen kann. Neben den erschreckenden Entgleisungen befasst sich der Autor auch auf eindringliche Art und Weise mit den Themen Gehorsam, Verantwortung, Moral, Macht, Rache, Wiedergutmachung, Frieden, kollektive Traumata, Schuld und Menschlichkeit und legt damit den Finger in eine aufgrund des aktuellen Weltgeschehens offene Wunde. Patrick Ness zeigt hier, dass die Entscheidung jedes einzelnen zählt und dass wir alle die Verantwortung dafür haben zu entscheiden, in was für einer Welt wir leben möchten.

Neben der politischen Message und den vielen schweren Themen überzeugt "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" auch mit einer verrückt hohen Handlungsdichte. Hier passiert auf jeder Seite ALLES und NICHTS ist unmöglich, ein Kampf folgt auf den nächsten, folgt auf den nächsten, folgt auf den nächsten und ich konnte kaum atmen, weil ich Angst hatte, was auf der kommenden Seite passiert. Ich habe selten so sehr mitgelitten, geschwitzt und gehofft, dass nicht doch noch etwas schief geht und die Situation weiter eskaliert. Ich habe selten so oft innehalten müssen, um zu verstehen, was gerade passiert ist. Selten so dringend weiterlesen müssen, um endlich zu erfahren, wie das Ganze ausgehen wird. Allein für den einzigartigen Zustand zwischen Hoffen und Bangen, in den mich die Geschichte versetzt hat, müsste ich schon 5 Sterne geben.

Viola: "Man kann einen Krieg nicht aus persönlichen Gründen führen", widerspreche ich ihm. "Sonst wird man nie die richtigen Entscheidungen treffen."
"Wenn man keine persönlichen Entscheidungen trifft, dann ist man kein Mensch mehr."


Ganz objektiv betrachtet hätte ich schon Band 1 und 2 für den meisterhaften Schreibstil, die originelle Grundidee, die schneidende Gesellschaftskritik, die irrsinnig hohe Spannung und die menschlichen Figuren, die uns selbst den Spiegel vorhalten mindestens 4,5 Sterne geben müssen. Ich habe das jedoch nicht getan, da sie beim Lesen eine Flut an negativen Gefühlen ausgelöst haben, die ich kaum ertragen konnte. "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" ist ebenso düster und ernst wie die vorherigen Bände, für mich war dieses Finale aber lange nicht so emotional belastend. Aufgrund der zuvor genannten Themen müssen wir auf den über 600 Seiten sehr viel Grausamkeit ertragen. Folter, sexuelle Übergriffe, Verstümmelung, Entwürdigung, Unterdrückung und gezielter Mord - die hier beschriebenen Verbrechen gegenüber Menschen (insbesondere Frauen), aber auch gegenüber der einheimischen Bevölkerung des Planeten, den Spackle ist kaum zu ertragen und unterstreicht erneut, dass "Chaos Walking" trotz des jungen Alters der Hauptfiguren keine wirkliche Kinder- oder Jugendbuchreihe ist! Auch das Leiden der beiden Hauptfiguren trägt zu dringlichen, düsteren, unter die Haut gehenden Atmosphäre der Geschichte bei, welche mich vor allem beim Lesen des zweiten Bandes dazu gebracht hat, das Buch an die Wand werfen zu wollen.

Todd: "Beherrsche deinen Lärm und du beherrschst dich selbst. Und wenn du dich sich selbst beherrschst..."
"Dann beherrschst du die Welt", beende ich seinen Satz. "Ja, ich habe Euch schon beim ersten Mal verstanden. Aber ich will nur mich selbst beherrschen, vielen Dank. Der Rest der Welt interessiert mich nicht."
"Das sagen sie alle. Bis sie die Macht zum ersten Mal gekostet haben."


Nach wie vor wird die Geschichte abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Todd und Viola erzählt. Der Autor nutzt dabei sehr viele direkte Gedanken, die manchmal in langen Satzreihen mit vielen Absätzen oder fließenden Nebensätzen beinahe gedankenstromartig aus den jungen Erzählern herausströmen. Wie beim "Lärm" - der innovativen Grundidee der Geschichte - scheint es hier keinen Filter zu geben, sodass sich die Erzählung sehr erlebnisnah liest. Diese Art der Erzählweise reißt zwar mit, man ist dem was passiert aber auch ausgeliefert. Genauso ist es auch mit dem allgemeinen Sprachstil, der recht derb und direkt ist und sich kaum Zeit für Beschönigungen, Erklärungen oder Beschreibungen nimmt. Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass Todd uns LeserInnen an einigen Stellen direkt anspricht, indem er Fragen stellt, sein Verhalten erklärt oder sich rechtfertigt. So ist man schon recht bald in einem Zwiespalt zwischen dem Drang, sich etwas von Handlung und Erzähler zu distanzieren und dem mitreißenden Sog durch die erlebnisnahe Erzählweise. Ich habe lange überlegt, weshalb dieser dritte Band in mir nicht denselben Abscheu und Abwehrmechanismen getriggert hat wie die vorherigen Bände und bin zu dem Schluss gekommen, dass es an der höheren Kontrolle der beiden Figuren über die Handlung liegt. Während Todd und Viola zuvor allen schrecklichen Geschehnissen hilflos ausgeliefert waren, sind sie nun endlich am Zug, gestalten mit und erhalten auch Unterstützung von verschiedenen Seiten.

Viola: "Ich hätte es genauso gemacht, Viola", sagt Todd noch einmal, und ich weiß, dass ist die reine Wahrheit. Aber mir geht ein Gedanke nicht aus dem Kopf, obwohl Todd mich zum Abschied wieder in den Arm nimmt. Wenn wir alles füreinander tun würden, tun wir dann das Rechte? Oder sind wir nicht doch eine Gefahr für alle anderen?"

Ein zweiter Punkt ist, dass die beiden deutlich älter und erwachsener wirken, durch die zu vorigen Geschehnisse gestählt und weiterentwickelt wurden. Auch wenn beide einige furchtbare Dinge tun, die ich ihnen nicht verzeihen kann (und sie selbst sich auch nicht) und ich vor allem Todd an einigen Stellen fast gehasst habe, ist es Patrick Ness´ große Stärke, hinterrücks dafür zu sorgen, dass man die Figuren trotz allem lieben muss. Denn all die Verfehlungen, all die Handlungen, all die Entscheidungen, all die Gefühle sind so menschlich und nachvollziehbar geschildert, dass man sich nie ganz sicher sein kann, dass man in der Situation nicht anders gehandelt hätte. Ich denke, dass jeder von uns davon überzeugt ist (oder zumindest stark hofft), in Situationen großer Ungerechtigkeit oder Grausamkeit nicht einfach nur dazustehen, sondern sich laut für die Wahrheit einzusetzen und NEIN zu sagen. Dadurch dass wir Viola und Todd trotz ihrer Fehler und Schwäche verstehen können, stellt genau diese intrinsische Überzeugung aber in Frage, was natürlich unbequem ist und weh tut - aber eben auch dringend notwendig ist, um uns in der Realität vor Gleichmut und Abstumpfung zu schützen. Somit ist "Chaos Walking" auch ein Buch über Freundschaft, über Liebe und über Entscheidungen. Denn egal in welcher Situation wir uns befinden sind es doch unsere Entscheidungen, die uns zu dem machen, was wir sind.

Todd: "Ich schaue ihm in die Augen, in das Schwarze seiner Augen, in eine Schwärze, die mich verschlingt.
ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH. Das ist alles, was ich noch hören kann."

Neben Todd und Viola stehen nach wie vor die beiden in Band 2 entwickelten Lager rund um den Bürgermeister Prentiss und Mistress Coyles "Antwort" im Vordergrund. In "Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl" wurden ja beide schon als zwei Seiten derselben Medaille enthüllt. Absolute Diktatur und terroristischer Widerstand, beide gefährlich für Land und Menschen. Besonders die Charakterentwicklung des Bürgermeisters, der ja von Anfang an sowohl etwas Wahnsinniges als auch etwas Geniales und Übernatürliches an sich hatte, hat mich hier sehr mitgerissen. Auf berührende Weise wird enthüllt, was hinter seinem wachsenden Wahnsinn und seiner wachsenden Macht steckt, was ihn zum besten Bösewicht aller Zeiten macht.
Mit dem gelandeten Schiff der Siedler kommen außerdem zwei neue Figuren und damit eine neue Partei mit hinzu, die moderne Waffensysteme zur Verfügung stehen hat, aber auch über die Zukunft von 5000 schlafenden neuen Siedlern im Raumschiff entscheiden muss.
Das mit Abstand BESTE an dieser Geschichte ist jedoch die vierte neue Partei und damit auch die zuvor erwähnte neue Erzählperspektive, die hier dazukommt: die Spackle! Zu Beginn eines jeden Kapitels dürfen wir einen Abschnitt aus der Perspektive von 1017 lesen, welcher dank Todd als einziger Spackle den Genozid des Bürgermeisters überlebt hat und seither auf Rache sinnt. Durch ihn bekommen wir einen Einblick in die kollektive Gemeinschaft der Spackle, die sich selbst "das Land" nennt und deren Lärm sich zu einer gemeinsamen Stimme vermischt hat, die durch ihren Anführer, "den Himmel", spricht. Die Beschreibung der Spackle, die klar keine Menschen sind, aber dennoch fühlende und intelligente Wesen, die wie ein einziger Organismus denken, aber dennoch aus Individuen bestehen und zugleich vom Wunsch nach Rache und dem Bedürfnis nach Frieden angetrieben werden, fand ich inspirierend, originell und wahrhaft großartig!!!!

1017: "Das Land zeigt mir den Weg. Aber bei all ihrer Hilfsbereitschaft vernehme ich auch ihre Zweifel. Wer bin ich denn schließlich? Bin ich ein Held? Ein Retter? Oder bin ich ein Gebrochener? Eine Gefahr? Bin ich Anfang oder bin ich Ende? Gehöre ich wirklich zum Land? Wenn ich ehrlich bin, ich weiß es nicht. Und so weisen sie mir den Weg zum Himmel, während ich durch ihre Mitte gehe, und ich fühle mich wie ein Blatt, das auf dem Fluss treibt, in dem Fluss, mit dem Fluss. Aber bin ich auch Teil des Flusses? Und dann senden sie Kunde aus von meinem Kommen. "Der Zurückgekehrte kommt", teilen sie einander mit. "Der Zurückgekehrte kommt." Denn so nennen sie mich: der Zurückgekehrte. Aber ich habe noch einen anderen Namen."

Damit werden in "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" die letzten verbliebenen Fragen und offenen Punkte des Worldbuildings geklärt. Das außerirdische, sehr ursprüngliche, naturbelassene Setting, das an das unkolonialisierte Amerika erinnert, nur dass die Weiten der Landschaft nicht von grasenden Büffeln, sondern von seltsamen Geschöpfen wie die vogelstraußartigen "Cassors" oder laut die "HIER!"-denkenden "Viecher" bewohnt werden und alle Lebewesen durch ihren Lärm sprechen können, war in Band 1 und 2 sowohl ein Quell an Originalität als auch Verwirrung. Wer sind die Spackle? Was ist im ersten großen Krieg passiert? Woher nimmt der Bürgermeister seine Kraft? Was ist sein Plan für die Welt? Weshalb kamen die Siedler ursprünglich nach New World? Was ist in Prentisstown wirklich passiert als Todd noch klein war? Und vor allem: Wie wird die Zukunft dieser Welt aussehen? Wie Patrick Ness es geschafft hat, neben der Charakterentwicklung, den vielen Themen, der Vorstellung einer gänzlich neuen Lebensform und dem unnormal hohen Erzähltempo auch noch all die offenen Fragen befriedigend zu beantworten ist wirklich ein Wunder. Ich ziehe mein Hut in Verehrung vor diesem Autor und packe alle seine weiteren Werke umgehend auf meine Wunschliste!


Fazit:


"Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" überzeugte mich mit einem großartig weiterentwickelten Worldbuilding, einer sinnigen politische Message, pointierten Figuren, einem intensiven Spannungsbogen und originellen Schreibstil. Mit Themen wie Krieg, Gehorsam, Macht, Rache, Wiedergutmachung, kollektivem Traumata, Genozid, Schuld und Menschlichkeit ist die Geschichte über Todd und Viola weiterhin emotional anstrengend und teilweise fast nicht zu ertragen. Mit diesem Finale gelingt Patrick Ness allerdings ein Geniestreich, der für alle emotionalen Unannehmlichkeiten entschuldigt.

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Veröffentlicht am 26.01.2023

Der krönende Abschluss einer grandiosen Reihe!

ELFENTHRON
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Handlung: Nachdem ich Band 1 und 2 von Holly Blacks "The Folk of the Air"-Reihe in wenigen Stunden verschlungen habe, musste ich mich natürlich sofort an Band 3 machen. Genau wie "Elfenkrone" und "Elfenkönig" ...

Handlung: Nachdem ich Band 1 und 2 von Holly Blacks "The Folk of the Air"-Reihe in wenigen Stunden verschlungen habe, musste ich mich natürlich sofort an Band 3 machen. Genau wie "Elfenkrone" und "Elfenkönig" entpuppte sich auch "Elfenthon" nach kurzer Zeit als fesselnde Geschichte, die einen krönenden Abschluss einer grandiosen Reihe bildet. Nachdem Jude in Band 2 durch eine spektakuläre Intrige von zwar von Cardan zur Hochkönigin der Elfen an seiner Seite erhoben, dann aber ins Reich der Menschen verbannt wurde, sehnt Jude nach Rache und danach, wieder an den Hof zurückzukehren. Als ihr dies mit der Hilfe ihrer Schwester gelingt, erwartet sie ein Königreich, das abermals kurz vor dem Krieg steht und ihr all ihr strategisches Geschick abverlangt... Genau wie in den vorherigen Bänden ist der Plot damit vielschichtig, unvorhersehbar und voller Wendungen erzählt und strotzt nur so von Intrigen, Gift, Spionen, rauschenden Festen, Verrat, Machtgier, Krieg, Magie, Mord und Lügen, sodass ein Sog entsteht, dem man sich nicht entziehen kann! Da man beim Lesen wieder einmal nicht in die Pläne der Figuren eingeweiht ist, muss man damit rechnen, dass jederzeit alles passieren kann, was mich lange Zeit um das Happy End bangen hat lassen. Der Showdown und der Epilog, mit denen die Autorin ihre Saga zum Ende bringt, sind aber grandios erzählt und machen Lust auf mehr Erzählstoff aus dem Holly-Black-Universum.

Schreibstil:
Holly Blacks Schreibstil ist düster, eigenwillig, rätselhaft und brutal, dabei aber durchweg magisch. Damit entspricht ihre Art zu Schreiben zu 100% ihren Figuren und dem interessanten Worldbuilding. Denn auch Elfenheim und dessen Bewohner sind düster, gefährlich und ein bisschen kaputt, dabei aber trotzdem wunderschön. Egal ob Kobolde mit umgedrehten Füßen, riesige Trolle, hungrige Nixen, bemooste Wurzelmänner, langnasige Pixies, knochige Greiskrautpferde, oder die gefährlichen Elfen - in Holly Blacks Welt kann die Begegnung mit jedem dort lebenden Wesen tödlich enden. Vor allem wenn man so verletzlich ist wie ein Mensch. Magische Prophezeiungen, Schwüre und gerissene Handel sorgen zusätzlich dafür, dass das Netz rund um unsere Figuren noch enger und komplexer wird. An Ideenreichtum und Abgründigkeit mangelt es der Geschichte demnach definitiv nicht und es macht Spaß, nach und nach in die düstere, aber schöne Welt einzutauchen. In diesem abschließenden Finale nimmt sich die Autorin abermals Zeit, ihr Worldbuilding weiterzuentwickeln, nimmt neue politische Konflikte in Angriff und ergründet, was es bedeutet, wahrhaftig zu herrschen...

Figuren:
Schon in Band 1 und 2 ist mir unsere Hauptfigur und Ich-Erzählerin Jude aller schlechter Eigenschaften zum Trotz sehr ans Herz gewachsen. Klar, sie ist ehrgeizig, rücksichtslos und machtgierig - sie ist aber hinter all den Intrigen und dem fiesen Getue auch eine der selbstlosesten und zu sich selbst ehrlichsten Figuren, von denen ich gelesen habe und deshalb hat sie trotz allen Zwiespalts sofort mein Herz gestohlen. In diesem Finale muss sie abermals über sich hinauswachsen, um ihrer neuen Rolle als Königin gerecht zu werden, sodass meine Bewunderung für sie ins Unermessliche gestiegen ist. Auch alle moralisch grauen Nebenfiguren habe ich mit großem Interesse weiterverfolgt. Egal ob der Elfenprinz Cardan, der eine prickelnde Enemies-to-lovers-Dynamik mit Jude entwickelt, Judes Zwillingsschwester Taryn, die ihren eigenen Weg gehen muss und dabei keine Rücksicht auf Judes Gefühle nimmt, ihre Halbschwester Vivi, die als einzige der Schwestern elfischer Herkunft es, die es aber in die Welt der Menschen zurückzieht, ihr Ziehvater Madoc, der ihre Eltern vor ihren Augen ermordet hat, sich aber trotzdem gut um seine Töchter kümmert oder die Mitglieder des Hofes - alle Figuren haben Abgründe und sind komplexer, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Am meisten entwickelt sich hier Cardan weiter, welcher vom rebellischen Prinzen zum Hochkönig aufgestiegen ist und nun ein eigenes Spiel spielen muss. Seine von widersprüchlichen und unterdrückten Gefühlen geprägte Annäherung an Jude hat mich abwechselnd zur Weißglut getrieben und das Herz erweicht. Auch wenn die Geschichte der beiden in "Elfenthron" ein perfektes Ende findet, möchte ich mich noch nicht von den Figuren verabschieden. Da trifft es sich gut, dass die Autorin noch jede Menge Spinn-Offs, Novellen und Sequels geschrieben hat, die mit der Elfenkrone-Reihe in Verbindung stehen...


Die Zitate:


"Du musst aufhören, höfische Politik wie Extremsport zu betreiben, nur weil du high auf Adrenalin bist."

"Ich habe mich immer schon vor dir gefürchtet. Du hast mir Grund genug dafür gegeben, mich vor deinen Launen und deiner Grausamkeit in Acht zu nehmen."

"Es wird still unter dem Hügel, als wir hereinkommen und angekündigt werden. Ich höre die Worte wie aus weiter Ferne. "Der Hochkönig und die Hochkönigin von Elfenheim." Die Kobolde und Zwerge, die Waldgeister, Trolle und Hexen - alle schönen und herrlichen und grässlichen Wesen aus dem kleinen Volk von Elfenheim sehen in unsere Richtung. Ihre schwarzen Augen glänzen. Ihre Flügel und Schweife und Schnurrhaare zittern. Der Schock dieses Anblicks - eine Sterbliche im Bund mit ihrem König, eine Sterbliche, die ihre Herrscherin sein soll - bringt die Luft zum Knistern."

"Du und ich, wir haben so lange in unseren Rüstungen gelebt. Jetzt weiß ich nicht, ob wir überhaupt dazu fähig sind, sie abzulegen."

"Ich eigne mich für die Schatten, für die Kunst der Dolche und des Blutvergießens und Umstürzens, für vergiftete Worte und vergiftete Kelche. Niemals hätte ich erwartet den Thron zu besteigen. Und ich fürchte, dass ich für diese Aufgabe nicht geeignet bin."

"Sterbliche sind kaputtbar", sage ich. "Du doch nicht […]. Du gehst nicht kaputt."



Das Urteil:


Mit "Elfenthron" geht die Geschichte um Jude und Cardan fesselnd, ambivalent, episch, düster und unvorhersehbar zu Ende. Abermals konnten mich der lebendige Schreibstil von Holly Black, das faszinierende Worldbuilding, die kantigen, moralisch grauen Figuren, und die packenden Enemies-to-Lovers-Dynamik verzaubern, sodass ich nicht mehr mit dem Lesen aufhören konnte.

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Veröffentlicht am 26.01.2023

Der krönende Abschluss einer grandiosen Reihe!

ELFENTHRON
0

Handlung: Nachdem ich Band 1 und 2 von Holly Blacks "The Folk of the Air"-Reihe in wenigen Stunden verschlungen habe, musste ich mich natürlich sofort an Band 3 machen. Genau wie "Elfenkrone" und "Elfenkönig" ...

Handlung: Nachdem ich Band 1 und 2 von Holly Blacks "The Folk of the Air"-Reihe in wenigen Stunden verschlungen habe, musste ich mich natürlich sofort an Band 3 machen. Genau wie "Elfenkrone" und "Elfenkönig" entpuppte sich auch "Elfenthon" nach kurzer Zeit als fesselnde Geschichte, die einen krönenden Abschluss einer grandiosen Reihe bildet. Nachdem Jude in Band 2 durch eine spektakuläre Intrige von zwar von Cardan zur Hochkönigin der Elfen an seiner Seite erhoben, dann aber ins Reich der Menschen verbannt wurde, sehnt Jude nach Rache und danach, wieder an den Hof zurückzukehren. Als ihr dies mit der Hilfe ihrer Schwester gelingt, erwartet sie ein Königreich, das abermals kurz vor dem Krieg steht und ihr all ihr strategisches Geschick abverlangt... Genau wie in den vorherigen Bänden ist der Plot damit vielschichtig, unvorhersehbar und voller Wendungen erzählt und strotzt nur so von Intrigen, Gift, Spionen, rauschenden Festen, Verrat, Machtgier, Krieg, Magie, Mord und Lügen, sodass ein Sog entsteht, dem man sich nicht entziehen kann! Da man beim Lesen wieder einmal nicht in die Pläne der Figuren eingeweiht ist, muss man damit rechnen, dass jederzeit alles passieren kann, was mich lange Zeit um das Happy End bangen hat lassen. Der Showdown und der Epilog, mit denen die Autorin ihre Saga zum Ende bringt, sind aber grandios erzählt und machen Lust auf mehr Erzählstoff aus dem Holly-Black-Universum.

Schreibstil:
Holly Blacks Schreibstil ist düster, eigenwillig, rätselhaft und brutal, dabei aber durchweg magisch. Damit entspricht ihre Art zu Schreiben zu 100% ihren Figuren und dem interessanten Worldbuilding. Denn auch Elfenheim und dessen Bewohner sind düster, gefährlich und ein bisschen kaputt, dabei aber trotzdem wunderschön. Egal ob Kobolde mit umgedrehten Füßen, riesige Trolle, hungrige Nixen, bemooste Wurzelmänner, langnasige Pixies, knochige Greiskrautpferde, oder die gefährlichen Elfen - in Holly Blacks Welt kann die Begegnung mit jedem dort lebenden Wesen tödlich enden. Vor allem wenn man so verletzlich ist wie ein Mensch. Magische Prophezeiungen, Schwüre und gerissene Handel sorgen zusätzlich dafür, dass das Netz rund um unsere Figuren noch enger und komplexer wird. An Ideenreichtum und Abgründigkeit mangelt es der Geschichte demnach definitiv nicht und es macht Spaß, nach und nach in die düstere, aber schöne Welt einzutauchen. In diesem abschließenden Finale nimmt sich die Autorin abermals Zeit, ihr Worldbuilding weiterzuentwickeln, nimmt neue politische Konflikte in Angriff und ergründet, was es bedeutet, wahrhaftig zu herrschen...

Figuren:
Schon in Band 1 und 2 ist mir unsere Hauptfigur und Ich-Erzählerin Jude aller schlechter Eigenschaften zum Trotz sehr ans Herz gewachsen. Klar, sie ist ehrgeizig, rücksichtslos und machtgierig - sie ist aber hinter all den Intrigen und dem fiesen Getue auch eine der selbstlosesten und zu sich selbst ehrlichsten Figuren, von denen ich gelesen habe und deshalb hat sie trotz allen Zwiespalts sofort mein Herz gestohlen. In diesem Finale muss sie abermals über sich hinauswachsen, um ihrer neuen Rolle als Königin gerecht zu werden, sodass meine Bewunderung für sie ins Unermessliche gestiegen ist. Auch alle moralisch grauen Nebenfiguren habe ich mit großem Interesse weiterverfolgt. Egal ob der Elfenprinz Cardan, der eine prickelnde Enemies-to-lovers-Dynamik mit Jude entwickelt, Judes Zwillingsschwester Taryn, die ihren eigenen Weg gehen muss und dabei keine Rücksicht auf Judes Gefühle nimmt, ihre Halbschwester Vivi, die als einzige der Schwestern elfischer Herkunft es, die es aber in die Welt der Menschen zurückzieht, ihr Ziehvater Madoc, der ihre Eltern vor ihren Augen ermordet hat, sich aber trotzdem gut um seine Töchter kümmert oder die Mitglieder des Hofes - alle Figuren haben Abgründe und sind komplexer, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Am meisten entwickelt sich hier Cardan weiter, welcher vom rebellischen Prinzen zum Hochkönig aufgestiegen ist und nun ein eigenes Spiel spielen muss. Seine von widersprüchlichen und unterdrückten Gefühlen geprägte Annäherung an Jude hat mich abwechselnd zur Weißglut getrieben und das Herz erweicht. Auch wenn die Geschichte der beiden in "Elfenthron" ein perfektes Ende findet, möchte ich mich noch nicht von den Figuren verabschieden. Da trifft es sich gut, dass die Autorin noch jede Menge Spinn-Offs, Novellen und Sequels geschrieben hat, die mit der Elfenkrone-Reihe in Verbindung stehen...


Die Zitate:


"Du musst aufhören, höfische Politik wie Extremsport zu betreiben, nur weil du high auf Adrenalin bist."

"Ich habe mich immer schon vor dir gefürchtet. Du hast mir Grund genug dafür gegeben, mich vor deinen Launen und deiner Grausamkeit in Acht zu nehmen."

"Es wird still unter dem Hügel, als wir hereinkommen und angekündigt werden. Ich höre die Worte wie aus weiter Ferne. "Der Hochkönig und die Hochkönigin von Elfenheim." Die Kobolde und Zwerge, die Waldgeister, Trolle und Hexen - alle schönen und herrlichen und grässlichen Wesen aus dem kleinen Volk von Elfenheim sehen in unsere Richtung. Ihre schwarzen Augen glänzen. Ihre Flügel und Schweife und Schnurrhaare zittern. Der Schock dieses Anblicks - eine Sterbliche im Bund mit ihrem König, eine Sterbliche, die ihre Herrscherin sein soll - bringt die Luft zum Knistern."

"Du und ich, wir haben so lange in unseren Rüstungen gelebt. Jetzt weiß ich nicht, ob wir überhaupt dazu fähig sind, sie abzulegen."

"Ich eigne mich für die Schatten, für die Kunst der Dolche und des Blutvergießens und Umstürzens, für vergiftete Worte und vergiftete Kelche. Niemals hätte ich erwartet den Thron zu besteigen. Und ich fürchte, dass ich für diese Aufgabe nicht geeignet bin."

"Sterbliche sind kaputtbar", sage ich. "Du doch nicht […]. Du gehst nicht kaputt."



Das Urteil:


Mit "Elfenthron" geht die Geschichte um Jude und Cardan fesselnd, ambivalent, episch, düster und unvorhersehbar zu Ende. Abermals konnten mich der lebendige Schreibstil von Holly Black, das faszinierende Worldbuilding, die kantigen, moralisch grauen Figuren, und die packenden Enemies-to-Lovers-Dynamik verzaubern, sodass ich nicht mehr mit dem Lesen aufhören konnte.

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