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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.04.2023

Lesen unter der Erde

Die Bibliothek der Hoffnung
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Und noch viel mehr war im London des Zweiten Weltkrieges möglich, wie wir durch diesen Roman erfahren. Denn der basiert auf der Wahrheit: es gab tatsächlich eine Bibliothek in der U-Bahn-Station Bethnal ...

Und noch viel mehr war im London des Zweiten Weltkrieges möglich, wie wir durch diesen Roman erfahren. Denn der basiert auf der Wahrheit: es gab tatsächlich eine Bibliothek in der U-Bahn-Station Bethnal Green. Und nicht nur das: wie heute in der Ukraine, zogen die Leute dorthin, um sich vor den - damals deutschen - Bomben zu schützen, es gab regelrechte Stockbetten, um die die Ratten huschten.

Hier stehen die beiden Freundinnen Clara und Ruby im Mittelpunkt, die die Bibliothek "wuppen". Und mehr als das: die ausgebildete Kinderbibliothekarin Clara organisiert eine Menge Events nicht nur für Kinder. Es ist eine Menge los dort unter der Erde und auch über die Bibliothek hinaus. Wir erfahren von geflüchteten Kindern, heißen und dramatischen Liebesbeziehungen, wie auch solchen, die sich auf leisen Sohlen entwickeln . Kurzum - stellenweise geht es ziemlich kitschig zu, was mir auch schon mal deutlich zu viel wurde.

Weswegen sich das Buch jedoch unbedingt lohnt: hier wird ganz klar aufgezeigt, wie Menschen im Krieg an ihre Grenzen stoßen, wie sie nicht mehr können, einknicken, Erlebtes nicht mehr verarbeiten können, auch noch lange nach dem Krieg. Ein Roman, der die Menschen so zeigt, wie sie sind bzw. sein können: stark, aber auch sehr, sehr schwach. Und das ist - neben den historischen Details - aus meiner Sicht die eigentliche Stärke dieses Buches!

Veröffentlicht am 28.03.2023

Ein ungewöhnliches Buch über gewöhnliche Menschen

Leonard und Paul
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Oder auch gerade nicht: denn Leonard und Paul sind zwei durchaus eigenwillige Typen, die einander bereits seit frühester Kindheit freundschaftlich verbunden sind. Auch, wenn wir ihr Alter nicht ...

Oder auch gerade nicht: denn Leonard und Paul sind zwei durchaus eigenwillige Typen, die einander bereits seit frühester Kindheit freundschaftlich verbunden sind. Auch, wenn wir ihr Alter nicht genau erfahren, gibt es sie schon einige Zeit - sicher sind beide so um die Dreißig.

Sie leben noch im jeweiligen Elternhaus, wobei Leonards Mutter vor kurzem verstarb, so dass er nun alleine im Haus der Familie lebt. Paul hingegen lebt bei seinen Eltern und wird zudem von seiner älteren Schwester Grace, die kurz vor ihrer Hochzeit steht, mitbetreut - und das bereits, seit er auf der Welt ist.

Die Mitglieder beider Familien sind ausgesprochen sympathische Typen, einander eng verbunden, die Atmosphäre von Warmherzigkeit geprägt.

Jeder wird so genommen, wie er eben ist - zumindest weitestgehend und bei neuen Lebenswegen soweit möglich unterstützt.

Die beiden Männer und die Menschen um sie herum lohnt es sich durchaus kennenzulernen, zumal Autor Ronan Hession über einen ganz besonderen, auf jeden Fall eher stillen Humor verfügt. Wenn es auch im Buch nicht immer nur leise zugeht. Denn auch die Stillen können ganz schön laut werden, wenn es gerade passt, nur muss es nicht die ganze Welt erfahren. Der Umgang miteinander rührt stellenweise zu Tränen, mich jedenfalls und ich bin nicht eine, die bei jedem emotionaleren Buch weint.

Was mich so gefesselt hat, das ist das warmherzige Interesse aneinander, der Wille, dem anderen Gutes, Unterstützendes angedeihen zu lassen.

Ein bisschen erschreckt hat mich die (potentielle) Partnerinnenwahl des Autors für Leonard, eine im Gegensatz zu beiden Familien sehr komplexe Person, die ihm das Leben auf Dauer ganz schön anstrengend werden lassen könnte. Wenn es denn mit beiden überhaupt klappt. Was ich Ihnen natürlich nicht verrate.

Aber man muss ja nicht jedes kleinste Detail im Buch mögen, ich empfehle es für Sie und Ihre Lieben als eine Ode auf die guten Dinge, die den Menschen so im Leben zuteil werden und die man oft viel zu wenig beachtet. Nicht so Ronan Hession!

Veröffentlicht am 27.03.2023

Die Hippies des 19. Jahrhunderts

Mary & Claire
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Als solche erscheinen mir Mary Shelley, ihr Mann Percy und ihre Stiefschwester Claire Clairemont. Vor allem Mary ist sehr frei erzogen worden und ist bereit für ein offenes Leben. Womit sie nicht gerechnet ...

Als solche erscheinen mir Mary Shelley, ihr Mann Percy und ihre Stiefschwester Claire Clairemont. Vor allem Mary ist sehr frei erzogen worden und ist bereit für ein offenes Leben. Womit sie nicht gerechnet hat, ist dass Percy und Claire zusätzlich die sexuelle Befriedigung aneinander suchen und zwar dauerhaft.

Zu dritt begegnen sie einem eitlen Pfau und Gecken, nämlich Lord Byron, einem Genie, in dem der Wahnsinn wohnt. Er wird zu Claires Objekt der Begierde, sie stalkt ihn richtiggehend. Er hingegen bedient sich an ihr, nimmt sie bei Bedarf, wie gewissermaßen auch Percy, der ihr jedoch längst nicht so viel bedeutet. Und doch eher Familie für sie ist - zusammen mit Mary, auch wenn sie eher zerstörend auf diese wirkt.

Doch eine Nacht zu viert am Genfer See wird zum Schicksal für die, die wirklich schreiben wollen - nämlich Mary und Lord Byron. In der Nacht brütet Mary den Titel ihres Schauerromanes aus, "Frankenstein" nämlich. Geboren wird das Epos erst Jahre später, als sie fast alle anderen bereits verloren hat.

Markus Orths präsentiert dem Leser vier junge Menschen, die ihrer Zeit voraus waren und/oder sich vom Leben nahmen, was sie wollten. Zumindest Mary musste es teuer bezahlen, sie blickte zurück auf einen ganzen Reigen an Toten, der sie immer wieder aufsuchte - jeder Einzelne auf seine Art.

Ein ebenso ungewöhnlicher wie lohnenswerter Roman, der uns mitnimmt auf einen wilden Parcours durch einen Teil des frühen 19. Jahrhunderts. Mary und Claire, Zeitgenossinnen von Annette von Droste-Hülshoff, doch mit ganz anderen Wertvorstellungen - so erscheint es zumindest nach diesem Buch!

Veröffentlicht am 21.03.2023

Marie geht ihren Weg

Die Reporterin - Zwischen den Zeilen
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Der nicht gerade frei von Steinen ist : diese werden Marie Louise Graf zunächst einmal von den sie von Herzen liebenden Eltern in den Weg gelegt. Vor allem der Vater wünscht sich, dass sie seinen Berufswunsch, ...

Der nicht gerade frei von Steinen ist : diese werden Marie Louise Graf zunächst einmal von den sie von Herzen liebenden Eltern in den Weg gelegt. Vor allem der Vater wünscht sich, dass sie seinen Berufswunsch, Apotheker zu werden, realisiert - ihm kam der zweite Weltkrieg und ein abgeschossener Unterschenkel dazwischen. Marie hingegen wollte schon von Kindesbeinen an Journalistin werden - ihr Großonkel bestärkt sie in dieser Zielsetzung. Aber es ist - wie gesagt - ein überaus steiniger Weg, wir schreiben immerhin erst die frühen 1960er Jahre. Nicht nur er glaubt an sie und stärkt ihr den Rücken, nein, auch ihre Freundin Roxy steht hinter ihr und Marie traut sich Dinge, die sie sich selbst nie zugetraut hätte. Und so wird aus Marie die Reporterin Malou Graf.

Ein eindringlicher Roman, bei dem für meinen Geschmack zeitweise die Liebe und andere Unwägsamkeiten etwas zu sehr im Vordergrund standen. Doch wie immer überzeugt Autorin Theresa Simon, selbst promovierte Historikerin, durch punktgenaue Sachkenntnis auch kleinster Details und macht gerade dadurch diesen Roman so spannungsreich, dass ich ihn nicht mehr aus der Hand legen wollte! Ein Roman, mit dem man herrlich in vergangene Zeiten reisen kann!

Veröffentlicht am 05.03.2023

Out of Katernberg

Keine gute Geschichte
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Und zwar Essen- Katernberg: das ist Arielle geglückt, die dort nach dem Verschwinden ihrer Mutter bei ihrer Oma aufgewachsen ist, die ihre Enkelin nun, nach vielen Jahren, auf subtile Art zurückbeordert ...

Und zwar Essen- Katernberg: das ist Arielle geglückt, die dort nach dem Verschwinden ihrer Mutter bei ihrer Oma aufgewachsen ist, die ihre Enkelin nun, nach vielen Jahren, auf subtile Art zurückbeordert hat. Denn freiwillig hätte Arielle nun wirklich keinen einzigen Fuß mehr nach Katernberg hineingesetzt, euben der größten sozialen Brennpunkte des Ruhrgebiets gesetzt, das hat sie sich mehr oder weniger geschworen.

Entsprechend unwohl fühlt sie sich dort - ihr Alltag findet inzwischen in einem ganz anderen Umfeld statt, in Düsseldorf nämlich, wo sie in der Werbebranche tätig ist. Erfolgreich. Naja, meistens jedenfalls.

Zurück in dem Milieu ihrer Kindheit und Jugend, trifft sie die ein oder andere Bekanntschaft aus ihrer Vergangenheit und auch ein paar neue Leute und erfährt, dass zwei kleine Mädchen verschwunden sind. Auf ähnliche Weise wie ihre Mutter, nur dass die kein kleines Mädchen mehr war.

Mehr und mehr drängt es sie, über ihre Mutter zu sprechen, gerade auch mit Menschen außerhalb der Familie. Trotzdem kommt es dadurch auch immer wieder zu einer Beschäftigung mit den beiden abgängigen Zehnjährigen - das lässt sich überhaupt nicht vermeiden.

Ein Roman für Leser, die offen an ihre Lektüre herangehen und bereit sind, auch Wörter und Sprüche zu lesen, die sie selbst nie in den Mund nehmen würden. Und sich mit einem Setting, in dem eine öffentliche Tischtennisplatte zu einem romantischen Treffpunkt wird, zufrieden geben.

Lisa Roys Erstling ist ein ungewöhnliches Werk - ein Familienroman, ein Roman mit sozialem Sendungsbewusstsein, ein Krimi? Es hat ein bisschen von allem etwas, aber längst nicht alles. Die Autorin ist so mutig, ihren eigenen Weg zu gehen. Ich kann mir vorstellen, dass er nicht jedermanns Sache ist - wichtig ist er allemal.