So fesselnd wie Super Mario - aber mit ganz viel Herz und Tiefe!
Die Spielekonsole im Aufenthaltsraum eines Krankenhauses ist der Ausgangspunkt für die Freundschaft zwischen Sam und Sadie – zwei augenscheinlich unterschiedliche Charaktere, die dennoch auf ganz besondere ...
Die Spielekonsole im Aufenthaltsraum eines Krankenhauses ist der Ausgangspunkt für die Freundschaft zwischen Sam und Sadie – zwei augenscheinlich unterschiedliche Charaktere, die dennoch auf ganz besondere Art und Weise miteinander verbunden sind und das nicht nur aufgrund der gemeinsamen Leidenschaft für Super-Mario-Hacks und Donkey-Kong-Highscores… „Morgen, Morgen und wieder Morgen“ ist die komplexe Biografie einer Freundschaft, die sich bis an die Grenzen einer Romanze vorwagt, die den Widrigkeiten und Spannungsfeldern einer Geschäftsbeziehung unterworfen ist, von gesamtgesellschaftlichen Einflüssen und Schicksalsschlägen auf die Probe gestellt wird und gleichzeitig sämtliche Facetten von Liebe umfasst.
Die Tiefe dieses Romans ist eine besondere, heimtückische Tiefe, die sich langsam aufbaut und von Kapitel zu Kapitel immer drängender, intensiver und teils sogar beklemmend wird. Während die ersten Seiten noch von nerdiger Leichtigkeit und Humor geprägt sind, erfährt die Geschichte schnell eine Wendung, die die Leserschaft mit einer fundamentalen Frage konfrontiert: „Was ist Freundschaft?“. Im Laufe der weiteren Kapitel dringt der / die LeserIn immer weiter in die komplexe Beziehung zwischen Sam und Sadie vor, begleitet die beiden beim Erwachsenwerden, ist in deren berufliche Karriere involviert und beobachtet, wie sich die beiden Hauptprotagonisten mehr oder weniger selbst reflektieren und es schaffen einander zu vergeben.
Gabrielle Zevin verpackt all diese fast schon philosophischen Themen und Wendungen in einen nüchternen, wenig emotionalen Sprachstil, durch den sie die Leserschaft aber umso mehr zum aufmerksamen Lesen, Nachfühlen und Reflektieren zwingt – und genau das ist es auch, was diesen Roman so spürbar und intensiv macht! Innerhalb weniger Seiten werden Passagen aus den Leben der beiden Freunde erzählt, die mal im Hier und Jetzt und mal in der Vergangenheit spielen und die so vollgepackt mit sämtlichen Facetten des menschlichen Fühlens und Erlebens sind, dass ich mich als Leserin in vielerlei Hinsicht gefordert fühlte. Das klingt anstrengend – ist es auch, jedoch in einer sehr bereichernden Art und Weise!
Die beiden Hauptprotagonisten werden authentisch und mit viel Tiefe gezeichnet, wobei es zu vereinfacht wäre die beiden in Schubladen einzuordnen oder in sympathisch beziehungsweise unsympathisch zu differenzieren. Als Leserin fühlte ich mich beinahe selbst abwechselnd einmal als Sam, mal als Sadie. Mal fühlte ich den physischen und psychischen Schmerz des jungen Mannes, der eine Odyssee an Operationen hinter sich hat und sich ein Leben lang minderwertig fühlt. Im nächsten Moment empfand ich Abscheu für Sam und seine vermeintlich manipulativen, egozentrischen Machenschaften. Über viele Kapitel hinweg konnte ich mich in die an sich selbst zweifelnde Sadie einfühlen, die sich nicht von ihrer narzisstischen, dysfunktionalen, viel zu autoritären ersten Liebe lösen kann. Im weiteren Verlauf der Geschichte machte sie mich mit ihrer Ignoranz und ihrer Unfähigkeit zu kommunizieren geradezu wütend.
Sam und Sadie werden in Form weiterer, detailreicher und spürbarer NebendarstellerInnen flankiert und all das bettet Gabrielle Zevin in einen Gesamtkontext ein, der mal mehr und mal weniger gesellschaftskritische und politische Fragen aufwirft – manchmal vielleicht auch ein wenig zu viel will.
Den roten Faden des Romans stellt die Leidenschaft für Gaming und Videospiele dar und alleine das wäre an sich schon politisch genug! Schließlich wird hierüber nicht nur die Geschichte junger Firmengründer erzählt („American Dream“ trifft Start-Up-Mentalität mit sämtlichen Abgründen und Vorzügen), sondern es wird auch gleichermaßen die Sehnsucht aufgegriffen, dem anstrengenden Lebensalltag und der Gesellschaft zu entfliehen. Ein Bedürfnis, das in der immer komplexer, liebloser, schneller werdenden Welt eine willkommene und hoch aktuelle Exitstrategie darstellt und das nicht nur in Kindheit oder Jugend.
All dies mit dem Thema Freundschaft zu verbinden, wozu jede / r LeserIn schnell einen Bezug findet, ist nicht nur originell, durchdacht und klug, sondern sorgt auch für große Freude beim Lesen. Insgesamt ist „Morgen, Morgen und wieder Morgen“ eine unterhaltsame, in eine andere Welt entführende, zum Reflektieren und Philosophieren anregende Überraschungsliteratur – absolut lesenswert!