Profilbild von schnaeppchenjaegerin

schnaeppchenjaegerin

Lesejury Star
online

schnaeppchenjaegerin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit schnaeppchenjaegerin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.12.2017

Mischung aus historischer Wahrheit, Mystik und Erforschung der eigenen Familiengeschichte - dramatisch und spannend

Die Schatten von Ashdown House
0

Gegenwart

Holly erhält einen verzweifelten Anruf von ihrer Nichte Florence, dass ihr Vater verschwunden ist. Holly lässt daraufhin in London alles stehen und liegen und fährt nach Oxford zum Ferienanwesen ...

Gegenwart

Holly erhält einen verzweifelten Anruf von ihrer Nichte Florence, dass ihr Vater verschwunden ist. Holly lässt daraufhin in London alles stehen und liegen und fährt nach Oxford zum Ferienanwesen der Familie. Florence wird von ihrer Mutter Tasha abgeholt, die auch nicht weiß, wo sich Ben befinden könnte. Holly ist einerseits wütend auf ihren Bruder, andererseits macht sie sich große Sorgen um ihn und versucht herauszufinden, was es mit seinem Verschwinden auf sich haben könnte.

Sie erfährt, dass sich Ben mit Nachforschungen zu ihrer Familiengeschichte beschäftigt hat. Möglicherweise war er dabei, ein jahrhundertealtes Familiengeheimnis um ihre vermeintlich adelige Abstammung und das Erbe, das sie damit tragen, zu entschlüsseln. Nach einem Gespräch mit Espen Shurmer, einem Kunstsammler, vermutet Holly, dass Ben die Sistrin-Perle gefunden haben könnte, die im 17. Jahrhundert im Besitz von Königin Elizabeth von Böhmen war. Zusammen mit einem diamantenbesetzten Kristallspiegel, der sich in der Sammlung des örtlichen Museums befindet, soll von diesen Utensilien eine böse Macht ausgehen.

1632-1662

Königin Elizabeth von Böhmen und ihr Ehemann Friedrich I. befinden sich im Exil in Den Haag am Wassenaer Hof. Friedrich, der weder in guter Stratege noch ein mutiger Ritter ist, setzt alles in die Vorhersage des Spiegels, dass er und seine Truppen erfolgreich sein werden und ihr Land zurückerobern.

Der "Winterkönig" stirbt allerdings an der Pest und sin ältester Sohn Karl Ludwig ist noch zu jung, um sein Erbe selbst zurückerobern zu können. An Elizabeths Seite ist der Ritter William Craven treu ergeben, der die kluge Frau respektiert und in den sie sich verliebt. Er ist derjenige, dem sie vertraut, das Grab ihres Ehemannes von Metz nach Sedan umzubetten, um den Leichmam vor Grabschändern zu schützen und um den Spiegel, der mit begraben ist, zu zerstören. Sie hat Angst vor seiner unheilvollen Macht, kann sich selbst aber nicht von der Sistrin-Perle trennen.

1801

Die Kurtisane Lavinia Flyte lebt in Ashdown House, wo sie mit Evershot verheiratet ist, der auf dem Anwesen intensiv nach etwas Wichtigem zu suchen scheint. Ihre Eindrücke schreibt Lavinia in ihren Memoiren nieder, die Holly in der Gegenwart lesen wird. In dem Buch, das sie bei ihren Großeltern findet, bemerkt sie einen handschriftlichen Notizzettel von Ben, was ihr weitere Anhaltspunkte für ihre Recherchen zu seinem Verschwinden bietet.

"Die Schatten von Ashdown House" ist ein Roman, der sich auf zwei Zeitebenen im 17. bzw. 21. Jahrhundert abspielt und durch die Aufzeichnungen von 1801 inhaltlich ergänzt wird. Es geht um die Geschichte von Hollys Familie und ob diese adeliger Abstammung sein könnte. Das herrschaftliche Gut Ashdown House war vor ihrem Tod für Elizabeth von Böhmen als Jagdresidenz errichtet worden.

Sowohl die Suche nach Ben als auch die Mystik um die Sistrin-Perle und den Kristallspiegel mit seiner zerstörerischen Macht ist unheimlich spannend zu lesen. Durch die detailreiche Schilderung der Vergangenheit taucht man als Leser in das Leben am Königshof ein und kann Elizabeths Handlungen und Gefühle nachvollziehen. Die Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart sorgen für keine Verwirrung, da sich die Details zu dem sagenumwobenen Spiegel in beiden Zeitebenen wiederfinden, sich ergänzen und aufeinander aufbauen.

Bis zum Schluss bleibt spannend zu erfahren, was mit Ben geschehen ist und was in der Vergangenheit getan wurde, um die unheilvolle Macht von Perle und Spiegel zu brechen. Ungewiss ist, ob Ben tatsächlich die Sistrin-Perle gefunden hat, ob dies wieder mit dem Spiegel vereint werden kann und welche Konsequenzen damit für Hollys Familie und Ashdown House ausgelöst werden könnten.

Die Mischung aus historischer Wahrheit, Mystik und der Erforschung der Familiengeschichte macht "Die Schatten von Ashdown House" zu einem fundierten, dramatischen Roman mit überraschenden Wendungen, in dem auch die Liebe nicht fehlen darf.

Veröffentlicht am 13.12.2017

Lebendiger Roman mit liebevoll gezeichneten Charakteren - gelungene Mischung aus Emotionen, Humor und einer Prise Romantik

Frühstück für einsame Herzen
0

Ellen Woods ist Mutter eines elfjährigen Sohnes und seit knapp einem Jahr Witwe. Da ihr Mann Nick unter Alkoholeinfluss und wegen überhöhter Geschwindigkeit bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ...

Ellen Woods ist Mutter eines elfjährigen Sohnes und seit knapp einem Jahr Witwe. Da ihr Mann Nick unter Alkoholeinfluss und wegen überhöhter Geschwindigkeit bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist, zahlt die Lebensversicherung nicht, weshalb Ellen trotz ihrer Anstellung als Lektorin fas mittellos ist. Ihr bleibt das schöne Haus im viktorianischen Stil, in welchem Nick viel selbst gestaltet hat.
Um für ein weiteres regelmäßiges Einkommen zu sorgen, wird sie von ihrer Schwester Hannah überredet, Untermieter in ihr Haus aufzunehmen und wenig später wird das Haus auch schon zu fünf bewohnt.

Die deutsche Sabine ist aus beruflichen Gründen nach London gezogen und braucht ein Zimmer. Autorin Allegra Howard, deren Haus zur Zeit unbewohnbar ist, kennt Ellen durch all ihre Bücher, die sie von ihr redigiert hat. Die exzentrische Frau befindet sich gerade in einer Schaffenskrise, weshalb Ellen ihren aktuellen Roman nicht nur korrigiert, sondern ihr auch den nötigen Input für neue Ideen liefert. Matt ist Junggeselle und von Manchester nach London gezogen, um als Kolumnist für das Männermagazin "Bang!" zu arbeiten. Seine One-Night-Stands mit Frauen sind dabei seine Inspiration.

Ellens Sohn Charlie ist froh, dass seine Mutter durch die neuen Mitbewohner wieder unter Leute kommt. Sie hat seit der Beerdigung seines Vaters das Haus nicht mehr verlassen. Er macht sich Sorgen, dass sie unter Agoraphobie leiden könnte, kann ihr aber nicht helfen. Ellen, die sich ihre Einkäufe liefern lässt, ist es bisher gar nicht aufgefallen, dass sie fast ein Jahr nicht einmal mehr in ihrem Garten war.

Durch die Untermieter, die Ellen gern gewinnt, und die Verantwortung, die ihr wieder für ihren Sohn bewusst wird, sowie Hannah, die offensichtlich selbst ein ernstes Problem hat, dass sie verschweigt, kommt Ellen langsam aus ihren Schneckenhaus heraus und reflektiert die Beziehung zu Nick, der für sie einst die große Liebe war.

"Frühstück für einsame Herzen" ist ein Roman, der bereits 2010 in England veröffentlicht wurde und erst jetzt - nach den Erfolgen der Autorin - in Deutschland veröffentlicht wurde. Ich weiß nicht, warum damit so lange gewartet wurde...

Ellen ist eine sympathische Frau, die ihr komplettes Leben auf ihren Ehemann und ihren Sohn ausgerichtet hatte und sich ansonsten in ihre Traumwelt der Bücher zurückgezogen hat. Aufgrund ihrer Trauer um den verstorbenen Nick hat sie das Haus nicht mehr verlassen, das ihr Sicherheit und Schutz gibt. Ihr wird durch ihre Mitbewohner jedoch auch langsam bewusst, dass sie schon während ihrer Ehe sehr eingeschränkt gelebt und dass ihr Mann ihren freien Willen (zu) stark beeinflusst hat.

Der Roman ist wie alle Romane von Rowan Coleman warmherzig und sehr lebendig geschrieben. Durch das "Buch im Buch", an dem Ellen zusammen mit Allegra arbeitet, ist der Roman zu dem sehr abwechslungsreich zu lesen, auch wenn ich nicht genau wusste, ob dieser erotische Groschenroman wirklich ernst gemeint war. So manche Leserin dürfte sich von dem Rollenbild, das darin vermittelt wird, abgeschreckt fühlen. Aber auch die Männerwelt bekommt ihr Fett durch die sexistische Sichtweise von Matt weg. Neben Ellen macht aber auch er eine - vielleicht etwas zu vorhersehbare - Entwicklung durch.

Trotz des traurigen Beginns und der anfänglichen Einsamkeit von Ellen ist es ein Roman, der sehr unterhaltsam und witzig geschrieben ist, in Bezug auf die Problemstellungen, Ellens Trauer, ihre Ängste, die Verbindung zu ihrer sehr unterschiedlichen Schwester sowie das Wagnis, sich nach einem Jahr der Trauer auch wieder offen für einen anderen Mann oder gar eine neue Liebe zu sein, aber nicht an der Oberfläche bleibt.

"Frühstück für einsame Herzen" ist eine gelungene Mischung aus Emotionen, Humor und einer Prise Romantik und ein Roman, de durch die liebevolle Zeichnung der Charaktere für Unterhaltung und Lebendigkeit sorgt.

Veröffentlicht am 11.09.2017

Tragikomischer Roman über Liebe und das Scheitern - turbulenter Roadtrip mit sehr überraschendem Verlauf

Eddie muss weg
0

Britta und Stan sind beide Mitte 30 und seit acht Jahren ein Paar. Beruflich hat keiner von ihnen bislang viel erreicht, weshalb sie zusammen in einer von Stans Vater gesponserten Wohnung leben. Als die ...

Britta und Stan sind beide Mitte 30 und seit acht Jahren ein Paar. Beruflich hat keiner von ihnen bislang viel erreicht, weshalb sie zusammen in einer von Stans Vater gesponserten Wohnung leben. Als die Schauspielerin Britta mal wieder eine Absage für eine Rolle erhalten hat und ein am selben Abend stattgefundenes Abendessen bei einer ehemaligen Kommilitonin von Stan misslungen endet, haben sie keine Lust in die gemeinsame Wohnung zurückzukehren, wo Kumpel Olli nach Trennung und Umzug von seiner Freundin seinen Rausch ausschläft und verbringen die Nacht in ihrem Volvo, in dem sie etwas über 300 € finden. Angeregt von der DVD "Brügge sehen... und sterben?" bucht Stan spontan ein Hotelzimmer für eine Nacht und fährt mit Britta nach Belgien.

In einer Kneipe in Brügge kommen sie in engeren Kontakt mit Kellner Eddie, der die beiden nach einem Heiratsantrag von Stan traut und werden ihn, als sie wieder zurück nach Deutschland fahren wollen, so einfach nicht los.

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Britta bzw. Stan erzählt. Die Perspektivenwechsel erfolgen zwar schnell, die Übergänge sind aber durch die chronologische Weitererzählung fließend, so dass man der Handlung problemlos folgen kann und Einblick in die Gefühlswelt beider Protagonisten erhält.

Stan ist derjenige, der Britta stets vor allem Bösen bewahren möchte, weshalb er auch den Roadtrip unternimmt, um die Nachricht der Jobabsage für den Werbefilm noch hinauszuzögern. Er weiß in dem Moment allerdings nicht, dass Britta ihm etwas verschweigt und dass er sie nicht vor allem schützen kann.

Der Einstieg in den Roman hat mir gut gefallen. Ich mochte den trockenen Humor und die sarkastische Erzählart, wie man Britta und Stan kennenlernt und Einblick in deren Leben erhält.
Gerade auch das aberwitzige Dinner hat genau meinen Sinn für Humor getroffen. Der Aufenthalt in Brügge, die Begegnung mit dem ominösen Kellner in der Kneipe war mir dann fast schon zu absurd. Die Intention Eddies, die beiden in der geschlossenen Kneipe zu bedienen, mit ihnen zu kiffen und am nächsten Morgen dann mit einer Urne vor deren Auto zu erscheinen, war mir zunächst nicht ganz nachvollziehbar, wurde am Ende jedoch schlüssig erklärt.
Die Stimmung auf der Fahrt zurück nach Deutschland war dann eine andere als zu Beginn des Romans. Weniger Galgenhumor, sondern vielmehr tragische Elemente, mit denen das ganze Leben von Britta und Stan in Frage gestellt wurden, standen im Vordergrund. Dass die Geschichte nicht gut enden würde, konnte man allerdings schon anhand des Klappentextes erahnen.

Wie bereits in "Fortpflanzung nach Tagesform" handelt der neue Roman von Katinka Buddenkotte von einem Pärchen meiner Generation, von der Liebe und den Problemen im Alltag, von familiären bzw. gesellschaftlichen Erwartungen und dem Scheitern, wenn man dem gängigen Muster nicht entspricht.
Die Autorin hat einen hohen Wiedererkennungswert und wer eine lebendige Mischung aus Humor und Tragik mag und auch nicht vor einer unkonventionellen, stellenweise absurden Geschichte abschrecken lässt, wird Britta und Stan auf ihrem Roadtrip in der Hoffnung eines Weges aus der Krise gern begleiten. In der Mitte des Romans war ich zwar etwas irritiert, was allerdings gewollt erschien, da nicht einmal die Protagonisten selbst mehr Fiktion und Wirklichkeit zu unterscheiden schienen, hat mir der Roman am Ende, als alle Fäden zusammengeführt wurden, gut gefallen, auch wenn ich Brittas Vorgehensweise etwas extrem fand.

Veröffentlicht am 09.08.2017

Temporeicher, tiefgründiger Roman über den alltäglichen Wahnsinn - trotz aller Übertreibungen sehr authentisch

Sieh mich an
0

Katharina ist ungefähr 40 Jahre alt, verheiratet, Mutter von zwei Kindern und lebt an einem Ort an der Ostsee. Ihr Mann Costas hat nach seiner Arbeitslosigkeit eine Anstellung als Architekt in Berlin gefunden ...

Katharina ist ungefähr 40 Jahre alt, verheiratet, Mutter von zwei Kindern und lebt an einem Ort an der Ostsee. Ihr Mann Costas hat nach seiner Arbeitslosigkeit eine Anstellung als Architekt in Berlin gefunden und ist deshalb nur am Wochenende zu Hause. Den Alltag mit all seinen Tücken muss Katha allein bewältigen.
Eine besondere Herausforderung stellt ihre 11-jährige Tochter dar, die unter ADHS leidet und gerade in die Pubertät kommt. Katha schenkt Helli ihre gesamte Aufmerksamkeit, weshalb sie es kaum schafft, den Haushalt zu bewältigen, zumindest stundenweise ein Zubrot als Musikpädagogin zu verdienen, geschweige denn Zeit für sich selbst hat, um einfach nur hinzusitzen oder die Anrufe ihrer Schwester entgegen zunehmen.

"Sieh mich an" schildert einen einzigen Tag in Kathas Leben. Es ist ein Freitag im Winter und das erste Wochenende, an dem Costas nicht nach Hause kommt, da er sich verpflichtet fühlt, zu einer betriebsinternen Weihnachtsfeier zu gehen. Katha nutzt die Gelegenheit, ihren Studienfreund Kilian wiederzusehen, den sie seit Jahren nicht getroffen hat und der an diesem Wochenende in der Gegend ist.

Der Tag beginnt schon denkbar schlecht, als Katha von Hellis Schule gebeten wird, ihre Tochter - mal wieder - wegen Nasenbluten abzuholen. Es folgen ein abgefahrener Seitenspiegel am Auto, ein Trockner, der in Flammen aufgeht und der transsexuelle Nachbar, der sich bei der Reparatur seines Rasenmähers den Daumen abtrennt. In dem ganzen Chaos muss Katha zudem jederzeit mit dem nächsten Ausraster ihrer überdrehten Tochter rechnen.

Scheinbar unberührt - oder einfach schon daran gewöhnt - gehen die Stunden für Katha voran, bis sie am Abend endlich Kilian am Bahnhof abholen kann. Was Katha eigentlich belastet, ist "das Etwas", das sie Tage zuvor in ihrer Brust ertastet hat und dessen gynäkologische Abklärung sie aufgrund ihrer erblichen Vorbelastung vor sich herschiebt.

"Das Etwas sitzt in meiner linken Brust und tut alles, was es nicht tun soll: Es wird nicht kleiner, ist nicht beweglich und schmerzt nicht. Es ist, was es ist. Aber es ist schließlich auch nicht seine Aufgabe, mir Hoffnung zu machen."

Mit Katha möchte man wahrlich nicht tauschen und so ist es bewundernswert, dass sie diese Abfolge an unvorhergesehene Ereignissen mit scheinbar stoischer Gelassenheit erträgt, als gehörten diese zu einem normalen Familienalltag. Tatsächlich hegt sie allerdings Selbstmordgedanken, wobei nicht ganz klar ist, wie ernst es ihr mit einem Abgang, der möglichst schonend für die Hinterbliebenen sein soll, tatsächlich ist.

"Sieh mich an" ist ein tragikomischer Roman über eine Frau, die als Studentin noch so viel vorhatte, aber dann zu früh in die Mutterrolle rutschte und mit zwei Kindern keine Zeit mehr für ihre Dissertation und eine Anstellung als Musikwissenschaftlerin hatte. Die ADHS-Erkrankung ihrer Tochter wurde zu spät erkannt und ihr Ehemann glänzt durch permanente Abwesenheit, weshalb auch er im Alltag keine Hilfe ist. Für ihn ist Katha "nur" Hausfrau, die Stunden der musikalischen Früherziehung, die sie an der Musikschule gibt, erkennt sie ja selbst nicht als berufliche Tätigkeit an. Katha funktioniert nur noch und nur die Liebe zur klassischen Musik und der turbulente Alltag lenken sie ab, damit sie sich nicht mehr Sorgen um ihre Gesundheit machen muss.

Das Thema Brustkrebs bleibt bis zum Ende des Roman eher im Hintergrund, so dass die amüsanten, wenn auch zum Teil bestürzenden Szenen, überwiegen und der Roman insgesamt sehr temporeich und humorvoll zu lesen ist. Als Leser taucht man direkt in die Gedankenwelt von Katha und ihren To-do-Listen ein und nimmt kaum wahr, dass es sich tatsächlich nur um einen Tag im Leben von Katha gehandelt hat und ist geradezu froh, dass man selbst ein so vergleichsweise eintöniges Leben führt.
Am Ende kann Katha ihre Emotionen aber nicht mehr kontrollieren, sie sieht derart pessimistisch in die Zukunft und da ist es plötzlich doch ihr Ehemann, bei dem sie Halt sucht.
"Sieh mich an" ist ein außergewöhnlich geschriebener, tiefgründiger Roman, bei der die Handlung trotz aller Übertreibungen nichts an ihrer Authentizität verliert und der sich mit der Frage beschäftigt, wie viel von der eigenen Individualität im täglichen Wahnsinn noch übrig bleibt.

Veröffentlicht am 31.07.2017

Ein absurder Roman mit exzentrischen Charakteren, der für Kopfschütteln und Lachanfälle sorgt

Geborene Freaks
0

Durch einen Ablesefehler von Frenk in Freak umbenannt, war die Familie Freak seit der Einwanderung von England nach Kanada von jeher anders als die Durchschnittsfamilie. Kurz vor ihrem Tod eröffnet Großmutter ...

Durch einen Ablesefehler von Frenk in Freak umbenannt, war die Familie Freak seit der Einwanderung von England nach Kanada von jeher anders als die Durchschnittsfamilie. Kurz vor ihrem Tod eröffnet Großmutter Annie Freak ihrer jüngsten Enkelin Angie, dass sie Angie und ihre vier Geschwister zur Geburt jeweils mit einer gut gemeinten Eigenschaft ausgestattet hat, die sich als "Flegen" (Fluch + Segen) herausgestellt hat. Oma Freak möchte dies rückgängig machen und bittet deshalb Angie, bis zu ihrem Tod in knapp zwei Wochen die Geschwister bei ihr am Krankenbett zu versammeln. Die hochschwangere Angie ist skeptisch, wird von ihrer Großmutter aber derart unter Druck gesetzt, dass sie dieser glaubt. Knapp einem Flugzeugabsturz entkommen, macht sie sich auf den Weg, ihre Geschwister einzusammeln, die in Kanada bzw. dem fiktiven Königreich Uplifta verstreut leben und zu denen sie zum Teil seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte.

Angies Fluch ist, dass sie jedem verzeihen muss, was sich vor allem negativ auf ihr Liebesleben auswirkt. Männer nehmen sie nicht wirklich ernst und betrügen sie, das sie ihnen ohnehin vergeben wird. Schwester Lucy hat einen ausgeprägten Orientierungssinn, Abba verliert nie die Hoffnung, Richard wittert jegliche Gefahr für sch und Kent ist eine Kämpfernatur - alles Eigenschaften, die eigentlich positiv sind und hilfreich sein sollten, das Leben der Geschwister bislang allerdings stark beeinträchtigt und negativ beeinflusst haben.
Lucy hat Angst sich zu verlieren und stürzt sich von einem Sexabenteuer ins nächstem um sie emotional nicht binden zu müssen, Abba lebt als Königin von Uplifta in ihrem rosa Schloss in einer eigenen Traumwelt, Richard scheut jedes Risiko und kann deshalb keine Beziehungen aufbauen und Kent neigt zu gewalttätigen Ausbrüchen.

Der Roman ist ein Roadtrip, auf dem der Leser die Familienmitglieder der Freaks mit all ihren unterschiedlichen Spleens kennenlernt. Dabei erfährt man in Rückblenden einiges über die Kindheit der fünf Geschwister und ihre Eltern. Während Mutter Nicola nach dem Tod ihres Ehemanns jeglichen Bezug zur Realität verloren zu haben scheint und in einem Pflegeheim die Vorstellung lebt, Friseurin zu sein, wurde die Leiche von Papa Freak nach einem Unfall mit seinem geliebten Maserati nie gefunden.
Die Geschwister waren seit diesem tragischen Ereignis auf sich allein gestellt und umso schöner ist es zu lesen, dass sich die fünf durch die gemeinsame Reise zur Oma wieder annähern.

"Geborene Freaks" ist so liebenswürdig absurd geschrieben, dass man als Leser zwischen Kopfschütteln und Lachanfällen schwankt und unweigerlich weiterlesen muss. Es ist nicht nur eine Abfolge skurriler Situationen aufgrund der exzentrischen, schrulligen Charaktere, sondern eine Art modernes Märchen mit einer tiefer gehenden Botschaft über die Notwendigkeit des Zusammenhalts innerhalb der Familie und Geschwisterliebe, die nicht mit dem Ende der Kindheit aufhört sowie mit der Erkenntnis, dass man auch auf seltsame Weise glücklich sein kann.