Vielschichtiger Familienroman
Simon ist weg. Verschwunden. Seit mehreren Jahren schon. Grund genug, nicht nur seine Geschichte zu erzählen, sondern auch die seiner Schwester, seiner Eltern und auch Großeltern.
„Flugschnee“ ist der ...
Simon ist weg. Verschwunden. Seit mehreren Jahren schon. Grund genug, nicht nur seine Geschichte zu erzählen, sondern auch die seiner Schwester, seiner Eltern und auch Großeltern.
„Flugschnee“ ist der Titel dieses Familienromans von Birgit Müller-Wieland, einer österreichischen Schriftstellerin, die mittlerweile in München lebt. Symbolisch steht der Flugschnee für den Zustand der Familie: die Gefährdung des „Familienhauses“ wie auch die Kälte und Nässe, die sich in der Familie einnistete – durch Ungesagtes, Verschwiegenes und Verleugnetes.
In der Rahmenhandlung, die in der Gegenwart spielt, ist es Simons Schwester Lucy, die sich auf die Suche nach ihrem Bruder macht – herausfinden will, was mit ihm passiert ist, wer er überhaupt war und wer er ist. Lucy begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit, ihre früheste Kindheit. Bald schon landet sie bei einem Weihnachtsfest, an das sie sich kaum noch erinnern kann. Was ist damals passiert im Haus ihrer Großeltern in Hamburg?
„Flugschnee“ erzählt vielschichtig. Auf unterschiedlichen Zeitebenen und aus unterschiedlichen Perspektiven. Und ja: das Verschwinden Simons gerät mehr und mehr in den Hintergrund. Bruchstückhaft wird erzählt, was in der Zeit des Dritten Reichs geschah, was vor 20 Jahren. Die Geschichte der Großeltern und Eltern wird aus der Versenkung geholt. Stück für Stück. Einfach ist das nicht, denn Lucys Großmutter leidet an Demenz und es fällt ihr merklich schwer, aufkommende Erinnerungsbilder zu verstehen.
Beim Versuch, alles zu verstehen, schreitet Lucy nur langsam voran. Hinzu kommt, dass die Mutter-Tochter-Beziehung nicht ohne Konflikte ist. „Flugschnee“ greift ein breites Spektrum an Themen auf – ein weit ausholender Familienroman, der auch vor Themen wie Demenz, Abtreibung und Traumata nicht halt macht. Auch sprachlich erweist sich Birgit Müller-Wielands „Flugschnee“ als hohe Literatur.
„Flugschnee“ ist ein Buch, das man ein zweites Mal lesen muss, um all die verworrenen und doch miteinander verknüpften Fäden zu erkennen.