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Lust_auf_literatur

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.04.2023

Ein großartiger Bergsteigerroman mit Tiefgang!

Der unendliche Gipfel
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Ich bin sehr, sehr, sehr begeistert!
In diesem Roman fand ich die volle Magie der Literatur für mich in perfekter Kombination: ein komplettes Abtauchen aus dem Alltag in ein spannendes Abenteuer und gleichzeitig ...

Ich bin sehr, sehr, sehr begeistert!
In diesem Roman fand ich die volle Magie der Literatur für mich in perfekter Kombination: ein komplettes Abtauchen aus dem Alltag in ein spannendes Abenteuer und gleichzeitig eine tiefe Reflexion über das, was uns Menschen antreibt und ausmacht!

Wie der Titel schon suggeriert, hat der Niederländer Heijmans hier einen Bergsteigerroman geschrieben. Sein ebenfalls niederländischer Protagonist Walter Welzenbach beginnt während des Studiums mit seinem Freund Lenny mit dem Klettern und bald besteigen die beiden ihre ersten Berge. Das Bergfieber wird zum Mittelpunkt von Walters Leben aber auch letztendlich seine Einsamkeit.
Dann am Berg kämpft jeder für sich alleine.

Heijmans Roman hat stellenweise den Charakter eines spannenden Abenteuerromans. Er beschreibt Kletter- und Bergsteigerszenen so authentisch und nervenaufreibend, dass ich googeln musste, ob Figur und Autor nicht doch etwa ein und die selber Person sind.
Das Rahmengerüst der Erzählung ist Walters einsame und quälende Besteigung seines letzten Gipfels. Zwischendurch streut Heijman Rückblicke aus Walters Erinnerung an die Freundschaft mit Lenny ein und an vergangene Bergabenteuer. Zusätzlich finden sich Reminiszenzen an bekannte Bersteigerlegenden, was mich ganz besonders freut. Sie sind alle da: Kurz, Bonatti, Mallory, Rutkiewicz, Messner, Krakauer und viele mehr, deren Geschichten und Schicksale mich schon lange faszinieren.

Unter der Oberfläche des Abenteuersszenarios stellt Heijman große Fragen. Fragen nach Freiheit und Verantwortung, nach Freundschaft und der Einsamkeit. Die Frage, ob der Mensch im innersten Kern doch immer alleine ist?
Eine eindeutige Antwort gibt Heijman nicht, er zeigt aber wie verletzlich, klein und verloren wir sein können angesichts der Größe der Berge und des Lebens.
Und so blättere auch ich verloren und emotional die letzten Seiten um und doch erfüllt von der Kraft dieser Wahnsinnsgeschichte!

Eine fette Empfehlung für euch und ein Muss für Liebhaber:innen von Bergabenteuern. Ein echtes Highlight!

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Veröffentlicht am 30.03.2023

Lesenswert und spannend. Ein dystopische Gesellschaftskritik!

Institut für gute Mütter
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◾️ Habt ihr Kinder?
Würdet ihr sagen, ihr seid ein gutes Elternteil?
Das bestimmt. Aber seid ihr immer perfekt und macht nie Fehler?

◾️ Frida ist die Mutter von Harriet und macht einen Fehler. Sie lässt ...

◾️ Habt ihr Kinder?
Würdet ihr sagen, ihr seid ein gutes Elternteil?
Das bestimmt. Aber seid ihr immer perfekt und macht nie Fehler?

◾️ Frida ist die Mutter von Harriet und macht einen Fehler. Sie lässt ihre einjährige Tochter für zwei Stunden alleine in der Wohnung zurück, weil sie nach einer schlaflosen Nacht nicht mehr klar denken kann. Ein Nachbar wird auf das schreiende Kind aufmerksam und die Polizei wird eingeschaltet.


◾️ Wir befinden uns in Amerika in einer fiktive Zukunft (oder der Gegenwart?), in der der Kinderschutz neue Dimensionen angenommen hat.
Und so findet sich Frida plötzlich in einem Albtraum wieder: Ihr wird wegen Vernachlässigung und Aussetzung ihrer Tochter der Prozess gemacht, dem eine Evaluierung ihres Verhaltens per permanenter Videoüberwachung vorausgeht.
Doch Fridas Abweichung vom perfekten Mutterbild ist zu groß und sie verliert das Sorgerecht an ihren Ex-Mann. Die einzige Möglichkeit, die Vormundschaft für Harriet wiederzuerlangen ist ein einjähriger Besuch des Instituts für gute Mütter…

◾️ Hier sollen die Frauen lernen, wahre, gute Mütter zu werden.
Denn eine gute Mutter stellt immer ihr Kind an erster Stelle.
Eine gute Mutter weiß was ihr Kind braucht.
Eine gute Mutter kann die Schmerzen ihres Kindes durch ihre Liebe heilen.
Eine gute Mutter opfert sich für ihr Kind auf.
Und eine gute Mutter kann alles schaffen, wenn sie ihr Kind wirklich liebt.

◾️ Dieses Institut…ist wie ein wahr gewordener Alptraum meiner eigenen Ängste! Chan entwirft in ihrem Roman eine Gesellschaft, in der das Mutterbild derart übersteigert ist, dass es entmenschlicht ist. Das Mütter nicht mehr als Menschen sieht, sondern als Care- und Liebesroboter und vor allem immer perfekt!

◾️ Ich empfinden den Roman und die darin enthaltene Gesellschaftskritik als brandaktuell und trotz der Überzeichnung als äußerst treffend und beängstigend. Chan zeigt in ihrem Roman, wie fest manifestiert ein gewisses Mutterbild in unseren Köpfen und in der Gesellschaft sein kann und welche perversen Konsequenzen daraus resultieren können.

◾️ Neben dem permanenten leichten Trigger, den das Lesen bei mir verursacht, ist der Roman auch noch gute Unterhaltung. Chan schreibt fesselnd und ich folge der Geschichte immer mit einer Mischung aus Spannung und Unbehagen.

◾️ Für mich ein wirklich großartiges Leseerlebnis, das neben der Unterhaltung zeitgemäße und wichtige Gesellschaftskritik bietet!

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Veröffentlicht am 17.03.2023

Ein literarisches Abenteuer

Über die Berechnung des Rauminhalts I
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Wegen solchen Romanen liebe ich das Lesen von Büchern!
„Über die Berechnung des Rauminhalts I“ ist ein großartiges Literatur Abenteuer.
Es ist ein sprachliches Erkunden, ein Erforschen, eine Reise ins ...

Wegen solchen Romanen liebe ich das Lesen von Büchern!
„Über die Berechnung des Rauminhalts I“ ist ein großartiges Literatur Abenteuer.
Es ist ein sprachliches Erkunden, ein Erforschen, eine Reise ins Unbekannte.

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Die Ich-Erzählerin Tara Selter ist in einer Zeitschleife gefangen. Immer wieder erlebt sie den 18. November von Neuem, während alle anderen Menschen um sie herum den 18. November das erste Mal erleben.
Je mehr 18. Novembers Tara erlebt, desto weiter weg rückt die Erinnerung an den 17. November, der doch für alle anderen erst „gestern“ war.
Kommt euch irgendwie bekannt vor? Genau, das Gerüst erinnert vage an den Filmklassiker „und täglich grüßt das Murmeltier“, ist aber damit nicht wirklich vergleichbar.

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In Balles groß angelegtem Romanprojekt, von dem das erst der erste Band von sieben ist, geht es weniger um die praktischen Mechanismen der Zeitschleife (wobei die Details auch thematisiert werden) als vielmehr um die inneren Mechanismen und zwischenmenschlichen Auswirkungen.
Tara ist mit Thomas verheiratet und ihre Beziehung ist sehr liebevoll und zärtlich.
Doch während für Thomas die Zeit nicht stehen bleibt, tut sie es für Tara.

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Ihre Realitäten entfernen sich voneinander.


Ich musste an die vielen ganz konkreten Situationen denken, in denen wir diesem Mechanismus begegnen. Mir sind viele Beispiele eingefallen, aber besonders dachte ich an meine allererste Elternzeit. Plötzlich fällt man aus der Zeit, während für alle anderen das Leben weitergeht. Ein Aufspalten der erlebten Realität, eine plötzliche Distanz zwischen mir und den anderen, die immer größer wird, je länger der Zustand andauert.

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Auf diese Weise lädt uns Balle oft ein, in weitere Deutungsebenen abzutauchen und frei zu assoziieren und zu interpretieren.

Der Roman ist definitiv kein schneller Actionroman, im Gegenteil, die stellenweise monochromen Kapitel verdeutlichen die Monotonie der immer selben Tage, aus denen es für Tara keinen erkennbaren Ausweg gibt.
So bin ich überrascht (und erfreut), dass der Roman zum Ende hin deutlich an Spannung aufbaut, die zum Weiterlesen antreibt und schließlich mit einem Cliffhanger endet.

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Mir hat dieser erste schmale Band richtig gut gefallen. Ein tolles literarisches Abenteuer, losgelöst von den Zwängungen der rein fiktionalen Erzählung. Ich freue mich auf den nächsten Band der dänischen Schriftstellerin!

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Veröffentlicht am 13.03.2023

Intensive lyrische Spurensuche

Ein Geist in der Kehle
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Die Sunday Times schreibt „Außergewöhnlich, intensiv, lyrisch.“

Genauso.

Dieser wunderbare Roman hat mir außergewöhnlich gut gefallen, das Lesen der lyrischen Sprache ein wahrer Genuss, die behandelten ...

Die Sunday Times schreibt „Außergewöhnlich, intensiv, lyrisch.“

Genauso.

Dieser wunderbare Roman hat mir außergewöhnlich gut gefallen, das Lesen der lyrischen Sprache ein wahrer Genuss, die behandelten Themen intensiv.

Mir war anfänglich nicht ganz klar, dass es nicht um einen fiktiven Roman handelt, sondern um einen stark autobiographisch inspirierten Text.
Doireann Ní Ghríofa verwebt in ihrem Roman ihre eigene Geschichte mit der Geschichte von Eiblhín Dubh Ní Chonaill, einer irischen Adeligen, die im 18. Jahrhundert das Caoineadh geschrieben hat. Das Caoineadh ist ein national sehr bekanntes altes gälischen Klagelied, worin Eiblhín Dubh Ní Chonaill die Ermordung ihres Mannes beschreibt und ihre tiefe Trauer danach.

Ní Ghríofa hat, wie wieviele Schulkinder, den Text in ihrer Jugend kennengelernt und er begleitet sie seither.
Sie beschreibt wunderbar diese intime und verletzliche Zeit nach der Geburt ihrer Kinder und die erste Zeit mit einem neugeborenen Baby. Dieser Kokon aus Liebe und Aufopferung und dem tiefen weiblichen Band, das die Menschen zeitenübergreifend verbindet. Diese Ambivalenz zwischen erschöpfter Leere und Erfüllung. In meinen Augen eine der schönsten und nuanciertesten Beschreibungen von junger Mutterschaft, die ich in letzter Zeit gelesen habe.

𝙋𝙤𝙚𝙩𝙞𝙨𝙘𝙝 𝙪𝙣𝙙 𝙥𝙧𝙤𝙨𝙖𝙞𝙨𝙘𝙝 𝙯𝙪𝙧 𝙜𝙡𝙚𝙞𝙘𝙝𝙚𝙣 𝙕𝙚𝙞𝙩.

Ní Ghríofa spürt durch die Verszeilen des Caoineadh eine tiefe Verbundenheit mit Eiblhín Dubh Ní Chonaill und möchte mehr über das Leben der Adeligen erfahren. Eine obsessive Bessesenheit beginnt, die Ní Ghríofa über Jahre begleiten und über schwere Zeiten hinweghelfen wird. Die Autorin wird später selbst in einem Interview sagen, dass sie während des Schreibprozesses wie unter einem Bahn stand und das ist deutlich durch die Zeilen zu spüren. Eine Zwanghaftigkeit, eine Unabdingbarkeit Eiblhín Dubh Ní Chonaills Geschichte zu erzählen.
Getragen von dem Wunsch dieser Frau, deren Anwesenheit so oft aus männlichen Texten gelöscht wurde, eine neue Bedeutsamkeit zukommen zu lassen.

𝘿𝙚𝙣𝙣 𝙙𝙞𝙚𝙨 𝙞𝙨𝙩 𝙚𝙞𝙣 𝙬𝙚𝙞𝙗𝙡𝙞𝙘𝙝𝙚𝙧 𝙏𝙚𝙭𝙩.

Ich habe das Lesen von Ní Ghríofas magischer und lyrischer Sprache sehr genossen und fühlte mich in ihrem Text erkannt und gesehen.
Ich denke, es ist einer dieser Romane, mit dem nicht zwangsläufig jeder warm wird, da die Themen sehr persönlich und intim sind. Von mir eine klare Empfehlung, sich an diesem wunderbaren Roman zu versuchen und sich emotional ganz darauf einzulassen!

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Veröffentlicht am 08.03.2023

Feminismus- eine emotionale literarische Bestandsaufnahme

Einzeller
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🔸Ein dicker, dicker Kloß aus Trauer und Wut sitzt in meiner Brust. Gerade habe ich das Buch nach dem letzten aufwühlenden Kapitel zugeklappt.

Mein Kopf und mein Herz ist übervoll. Von Gedanken, Gefühlen ...

🔸Ein dicker, dicker Kloß aus Trauer und Wut sitzt in meiner Brust. Gerade habe ich das Buch nach dem letzten aufwühlenden Kapitel zugeklappt.

Mein Kopf und mein Herz ist übervoll. Von Gedanken, Gefühlen und Wünschen.

🔸Gertraud Klemms Romane begleiten mich schon viele Jahre und durch verschiedene Lebenssituationen. Schon lange freue ich mich auf ihren neuen Roman „𝗘𝗜𝗡𝗭𝗘𝗟𝗟𝗘𝗥“. Als ich ihn endlich in Händen hielt, waren die Erwartungen groß und auch ein klein wenig Angst enttäuscht zu werden.

🔸In „𝗘𝗜𝗡𝗭𝗘𝗟𝗟𝗘𝗥“ analysiert Klemm den Versuch einer feministischen Utopie: eine WG, nur aus Frauen bestehend, die solidarisch zusammenleben, als Keimzelle für sozialen Wandel. Zusammengebracht werden die Frauen aus verschiedenen Backgrounds und verschiedenen Generationen von Simone, einer Alt-Feministin des öffentlichen Lebens.
Klemm stellt ihrer Simone eine andere Protagonistin gegenüber, die junge Lilly, die das andere Ende auf der feministischen Skala und der Generationen abbildet.

🔸Doch dieses WG-Setting ist nur kurzfristig der Ausgangspunkt für die ganz großen Themen, die Klemm hier aufmacht. Alles vor dem Hintergrund eines Landes, durch das ein Rechtsruck geht, vor dem Hintergrund einer Welt, in der, in immer mehr Ländern die Frauenrechte beschnitten werden, in der Gewalt gegen Frauen zum Alltag gehört.
Die Geschichte entwickelt sich rasant und auch Simone und Lilly gehen durch persönliche Entwicklungen, die ich hier nicht vorweg nehmen will….
Es ist Klemms große Stärke, mit prägnanten Sätzen ganze Sachverhalte auf den Punkt zu bringen, die noch länger in mir nachhallen. Klemms Schreibkunst bewirkt, dass ich Simones Wut fühlen kann, aber auch Lilliys noch so junge Resignation.
Klemm kritisiert mit ihrem Roman ganz deutlich die feministischen Grabenkämpfe der letzten Jahre und benennt die Ursachen aber auch die Konsequenzen.
Ihre Figuren stehen stellvertretend für verschiedene Standpunkte und bieten viele Diskussionsmöglichkeiten.
Für mich besonders interessant war das Themenfeld Mutterschaft und Feminismus, das so viele komplexe Fragen stellt und so wenig Auswege.

🔸Insgesamt ein Roman, der danach schreit, besprochen und diskutiert zu werden, der wütend machen soll und nachdenklich.
Hat bei mir funktioniert und doch dieses Gefühl der Trauer hinterlassen. Eine kleine Resignation?

🔸Eine große Leseempfehlung für diesen großartigen Roman, der mich emotional auf voller Breitseite erwischt hat!

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