Leider nicht mein Buch
Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habeDie Erinnerungen an ein Leben verändern sich im Laufe der Zeit, werden blasser, nehmen andere Gestalten an und manifestieren sich als diese Schatten im Gedächtnis, schreiben die Geschichte eines Lebens ...
Die Erinnerungen an ein Leben verändern sich im Laufe der Zeit, werden blasser, nehmen andere Gestalten an und manifestieren sich als diese Schatten im Gedächtnis, schreiben die Geschichte eines Lebens um. Doch letztlich ändert auch die Frage nach der Wahrhaftigkeit nichts mehr an dem Ist-Zustand, befindet die Protagonistin aus Doris Knechts neuem Roman „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“, hat sie schließlich ganz andere Probleme: Sie muss eine neue Wohnung finden. Und sie muss sich daran gewöhnen, alleine zu wohnen. Mit Hund. In lakonischen, anekdotenhaften Kapiteln erzählt Knecht aus der Perspektive ihrer Protagonistin von ihren gegenwärtigen Aufgaben, von den Dingen, die sie ein Leben lang begleiteten und solchen, die sie verloren hat, von Zeiten in ihrem Leben, die sie veränderten und prägten, etwa einem gewalttätigen Exfreund, einer Abtreibung, der Geburt ihrer Zwillinge. Dem ersten Moment in ihrem Leben, in dem sie sich gesehen und umsorgt fühlte. Und flugs fallen gelassen wurde, als sie ihre Aufgabe als Gebärmaschine erledigt hatte, nur noch Hülle war (vgl. S. 141). Es sind immer wieder diese Momente, Schlagwörter eines Lebens, die sie zu umfassenderen Betrachtungen des Lebens und der Gesellschaft, ihrem Wandel mit den Jahren veranlasst, etwa dem gesellschaftlichen Blick auf die Rolle der Frau oder das Familienleben, die Immobilienpreise und das Leben als paradoxes Konstrukt. Dabei hinterfragt sie aber auch immer wieder ihr eigenes Verhalten und das Bild, das sie anhand ihrer Erinnerungen und Wahrnehmung weiterträgt.
.
„Möglicherweise tut man den Kindern etwas Gutes, wenn man ihnen eine Rückkehr ins Kindersein, in den Mutterschoß so schwer wie möglich macht, vielleicht werden sie nur so erwachsen.“ (S. 23)
.
Das klingt alles ja eigentlich ziemlich fein. Naja, ihr merkt schon, was ich damit sagen möchte. Wirklich übergesprungen ist der Funke nicht, ein bisschen warm wurde mir schon, aber das war es auch. Ich mochte den bilderbuchartigen Aufbau und die Interaktion zwischen der Protagonistin und ihren Kindern, den leicht ironischen Ton sehr, fand mich auch das ein oder andere Mal in Mila und Max wieder (und entschuldigte mich gedanklich bestimmt mehr als einmal bei meinen Eltern für alles, was sie mit mir ertragen mussten). Und: die Reflexion eines Lebens, die melancholischen Gedanken, die bestimmte Gegenstände, sei es der Tisch Modell Ingo oder die Sonnenbrille aus dem Urlaub, auslösen, die Geschichten und Erinnerungen, die daran hängen. Könnte mich den ganzen Tag lang nur in solchen Gedanken verlaufen, das macht ein ganz wohliges Kribbeln unter der Haut. Aber: die Protagonistin hat mich unendlich genervt. Ich verstehe ja, dass sie vor großen Veränderungen steht, dass das aufregend ist und auch und vor allem finanzielle Schwierigkeiten mit sich bringt, aber es ändert auch nichts daran, wenn sie sich alle paar Seiten immer wieder darüber beklagt – zumal sie aber auch drei Immobilien besitzt, hä. Darüber hinaus hat für mich der Spannungsbogen gefehlt, plätschert die Geschichte so mehr oder weniger monoton vor sich hin, bis – das sollte kein Spoiler sein – die Kinder aus dem Haus, der Hund im Körbchen, die alte Wohnung verlassen ist. Einige Gedanken habe ich wirklich gerne weitergesponnen, auf mein Leben übertragen und in Frage gestellt, doch viel mehr konnte mir das Buch leider nicht geben. Schade!