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Veröffentlicht am 15.03.2023

Großartig!

Der Granatapfelbaum
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Memed, Yusuf, Hösük, Ali der Barde und Klein Memed beschließen eines Tages, ihr Dorf zu verlassen und in der Çukurova Ebene nach Arbeit zu suchen. Sie brechen voller Hoffnung auf, wollen Geld verdienen ...

Memed, Yusuf, Hösük, Ali der Barde und Klein Memed beschließen eines Tages, ihr Dorf zu verlassen und in der Çukurova Ebene nach Arbeit zu suchen. Sie brechen voller Hoffnung auf, wollen Geld verdienen und ihren Familien ein besseres Leben ermöglichen. Was sie in der Ebene erwartet ist jedoch nicht Arbeit, sondern Krankheit, Durst, Hunger, Erschöpfung, Hitze und Demütigungen.

Yaşar Kemal schreibt meisterhaft über Menschen, deren Stimmen in der Literatur sonst kaum berücksichtigt werden. Er lässt Tagelöhner und Landarbeiter zu Wort kommen, gibt ihnen eine Bühne und schafft damit das Abbild einer Welt, in der soziale Ungerechtigkeit und Hierarchien, Armut und Ausbeutung den tagtäglichen Überlebenskampf der Menschen prägen.
Der Granatapfelbaum bedient sich einer klaren, hellen und gleichzeitig tiefgründigen Sprache. Es ist ein Roman, der großartig geschrieben ist und lange nachhallt.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Armut, Prekarität und Trostlosigkeit

Milch und Kohle
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Ralf Rothmann erzählt episodenartig aus dem Leben Simons, der im Ruhrgebiet der sechziger Jahre aufwächst. Simons Vater arbeitet auf der Zeche, hat einen Arbeitsunfall und muss ins Krankenhaus. Seine Mutter ...

Ralf Rothmann erzählt episodenartig aus dem Leben Simons, der im Ruhrgebiet der sechziger Jahre aufwächst. Simons Vater arbeitet auf der Zeche, hat einen Arbeitsunfall und muss ins Krankenhaus. Seine Mutter will leben und sucht, während der Vater seine Verletzungen auskuriert, in den Beziehungen zu anderen Männern nach Erfüllung und nach Freiheit. Simons Bruder ist geistig behindert, leidet unter Anfällen und verletzt sich bei einem Anfall so stark, dass er für längere Zeit ebenfalls ins Krankenhaus muss. Der Protagonist selbst geht auf die Berufsschule, aber scheint nicht wirklich bei der Sache zu sein. Stattdessen zieht er mit seinem Freund Pawel um die Häuser, der jedoch später bei einem Autounfall stirbt.

Rothmann erzählt mit viel schriftstellerischem Talent und Einfühlsamkeit aus dem Leben dieser Menschen. Er wertet nicht, blickt nicht auf sie herab, aber beschönigt auch nicht. Das Erzählte bleibt immer nachvollziehbar, greifbar und authentisch. Er schreibt über Armut, Prekarität, über die Trostlosigkeit und die schwere Arbeit auf der Zeche, aber trotz dieser düsteren Themen wirken seine Ruhrgebietsromane nie erdrückend, denn sie sind aus der Perspektive von Protagonisten erzählt, die nach Freiheit suchen und nach ihrem Platz in der Welt.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Portrait eines Arbeiters

Stellenweise Glatteis
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Der Roman versetzt den Leser in die 70er Jahre ins Ruhrgebiet. Karl Maiwald arbeitet in einem Betrieb, der Industriegase herstellt. Zuerst war er dort als Lastwagenfahrer angestellt, doch Bandscheibenprobleme ...

Der Roman versetzt den Leser in die 70er Jahre ins Ruhrgebiet. Karl Maiwald arbeitet in einem Betrieb, der Industriegase herstellt. Zuerst war er dort als Lastwagenfahrer angestellt, doch Bandscheibenprobleme und Abszesse haben ihm das Fahren bald unmöglich gemacht. Jetzt arbeitet er in der Werkstatt und ist im Betriebsrat. Eines Tages entdeckt er durch Zufall, dass die Betriebsleitung die Arbeiter ohne deren Wissen abhört. Maiwald ist angesichts dieser Verletzung von Vertrauen und Privatsphäre entsetzt. Er findet heraus, dass die Gespräche unter den Arbeitern systematisch aufgeschrieben und in Akten angelegt werden. Zusammen mit seinem Kollegen bricht er in den Betrieb ein und stiehlt die Akten, um die Betriebsleitung bei der Weihnachtsfeier konfrontieren zu können.
Es folgen Streiks, Gerichtsverfahren, Erpressungen, Solidarität, Uneinigkeit und vor allem Enttäuschungen. Maiwald fühlt sich immer wieder missverstanden, ignoriert und alleingelassen. Nicht nur das kriminelle Verhalten der Betriebsleitung enttäuscht ihn, sondern auch die Tatenlosigkeit seiner Arbeitskollegen und sogar die Gewerkschaft, die später einen Teil des Unternehmens kauft und deshalb gar nicht an einer Aufklärung des Skandals interessiert ist.

Max von der Grün erzählt aus dem (Arbeits-)Leben eines Menschen, für den Moral und Gerechtigkeit Werte sind, für die es sich zu kämpfen lohnt, der aber immer wieder erfahren muss, dass er mit seinen Prinzipien alleine dasteht. Er erzählt von sozialer Ungerechtigkeit, die sich in allen Bereichen des Lebens manifestiert, zum Beispiel in der Aufteilung der Straße: Auf der einen Seite stehen die Villen der Ärzte und Anwälte, auf der anderen die Wohnungen der Arbeiter und hinter deren Häusern die Baracken der Gastarbeiter. Soziale Hierarchien und die Macht, bzw. Machtlosigkeit, die mit ihr einhergeht, prägen die Geschichte. Auch die Angst davor, den Job zu verlieren, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Prekarität ist allgegenwärtig und allein der Gedanke, dass der eigene Körper versagen könnte oder dass man aus anderen Gründen den Job verlieren könnte, ist maßgeblich an allen Entscheidungen, Handlungen und sogar Meinungen des sozialen Umfelds Maiwalds beteiligt.

Stellenweise Glatteis ist ein Roman, der durch seine Thematik überzeugt und durch sein klares Porträt eines Arbeiters, der an der Ungerechtigkeit der Arbeitswelt zu verzweifeln droht, aber trotzdem niemals aufhört, sich zur Wehr zu setzen und für seine Ideale einzustehen.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Muss man gelesen haben

Rosa Luxemburg: Briefe aus dem Gefängnis
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“So ist das Leben und so muß man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd - trotz alledem.”

Wenn man Rosa Luxemburg nicht schon vor der Lektüre dieses Büchleins mochte, dann tut man es spätestens danach. ...

“So ist das Leben und so muß man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd - trotz alledem.”

Wenn man Rosa Luxemburg nicht schon vor der Lektüre dieses Büchleins mochte, dann tut man es spätestens danach. Denn dass sie trotz der Umstände, trotz der Sinnlosigkeit und trotz der Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren ist, solch wunderbar positive, aufmunternde und poetische Briefe geschrieben hat, das Gute in der Welt gesehen hat und sich Büchern, Kunst, der Natur und Geologie gewidmet hat, ist absolut bemerkenswert. Sogar fünf Sterne können diesem Buch deshalb nicht gerecht werden.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Unbedingt lesen!

Winterbienen
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Natur und Krieg. Bienen und Menschen. Leben und Tod.

All dies verwebt Norbert Scheuer auf großartige und einfühlsame Weise in seinem Roman „Winterbienen“. Er erzählt in Tagebuchform über das Leben des ...

Natur und Krieg. Bienen und Menschen. Leben und Tod.

All dies verwebt Norbert Scheuer auf großartige und einfühlsame Weise in seinem Roman „Winterbienen“. Er erzählt in Tagebuchform über das Leben des Imkers Egidius Arimond in der Eifel, der während des Zweiten Weltkriegs Juden in seinen Bienenstöcken bis zur belgischen Grenze schmuggelt. Das Fortschreiten des Krieges, die Frauengeschichten des Protagonisten und seine Epilepsie, die immer schlimmer wird, weil er sich keine Medikamente mehr besorgen kann und schließlich die zunehmend gefährlicher werdenden Fahrten mit den Flüchtlingen führen dazu, dass die Situation beklemmender und bedrückender wird.

Bevor die Geschichte jedoch an Rasanz zunimmt, gelingt es Scheuer, über den Krieg, der „doch immerzu anwesend [ist]; ein schrecklicher Dämon, der seit Menschengedenken existiert, versteckt in einem Winkel lauert und jederzeit unerwartet hervorkommen kann, um blindwütig die Natur und ihre Kreaturen zu schänden”, eindrücklich zu erzählen. Denn er stellt ihn dem Leben der Bienen und ihrem Rhythmus gegenüber, verbindet beides sprachlich miteinander und schafft so einen Kontrast, aber auch ein Nebeneinander.
Einerseits sind die Bienen untrennbar mit den Schrecken des Krieges verbunden und beschützen nicht nur die Flüchtlinge in den Bienenkästen, indem sie sich wie eine Traube um die Menschen legen, sondern auch die Notizen Egidius’ und eine Notration seines Medikaments, die in den Kästen der Bienen sicher aufgehoben sind. Auf einer metaphorischen Ebene lassen sich außerdem die abstürzenden Flugzeuge, die an der Front gefallenen Soldaten, von denen lediglich die Särge den Weg zurück in die Eifel finden, mit einer Krankheit vergleichen, die die Bienen ihres Orientierungssinns beraubt. Sie finden nicht mehr in den Stock zurück und sterben. Ein anderes Bild sind die Menschen im Bunker, die sich wie ein Bienenschwarm zusammenfinden: „Im hintersten Winkel des großen Bunkers in der Bahnhofstraße hängt der ganze Ort gleichsam wie eine zitternde Menschentraube zusammen.”
Andererseits aber, stehen die Bienen in ihrem Verhalten für all das, was der Krieg nicht ist. Sie arbeiten zusammen, sorgen besonders im Winter füreinander und verteilen “Wärme im Staat”, damit die Larven nicht erfrieren, während der Krieg Hass und Kälte im von menschlicher Hand geführten Staat verteilt. Der ewige Rhythmus der Bienen stellt sich dem Hass, dem Töten und der Zerstörung gegenüber. Sie bleiben vom Krieg unberührt: „Der Lärm der Angriffe scheint den Bienen nichts auszumachen; sie leben in einer anderen, wie es scheint, friedlichen Welt, sie interessiert der Krieg nicht.” Erst als Soldaten auf die Bienenstöcke schießen und diese mutwillig zerstören, hält der Krieg der Menschen selbst in der Bienenwelt Einzug.

Scheuers Roman ist wie der Tanz der Bienen, wie ihr „Sprachballett”. Er wird den Schrecken des Kriegs gerecht und schafft es gleichzeitig, dass diese nicht die Überhand gewinnen. Er bahnt sich erzählerisch einen Weg durch das Jahr 1944, indem er die Innenansichten des Protagonisten, historische Fragmente, Naturbeschreibungen der Eifellandschaft und den Rhythmus und das Leben der Bienen zu einem Gesamtbild verknüpft. Nicht zuletzt hat Scheuer Egidius Arimond mit diesem Roman ein ihm würdiges Denkmal gesetzt.

Ein absolut lesenswertes Buch!

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