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Veröffentlicht am 15.03.2023

Wichtiges Thema!

Räuber
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Olli Leber wohnt mit seiner arbeitslosen Mutter in einer Sozialwohnung am Rand von Berlin. Die Familie hat eine Reihe von Schicksalsschlägen hinter sich. Sie wurden ein ums andere Mal aus ihren Wohnungen ...

Olli Leber wohnt mit seiner arbeitslosen Mutter in einer Sozialwohnung am Rand von Berlin. Die Familie hat eine Reihe von Schicksalsschlägen hinter sich. Sie wurden ein ums andere Mal aus ihren Wohnungen verdrängt, der Vater hatte einen schweren Arbeitsunfall, an dessen Folgen er gestorben ist und Olli musste seine Ausbildung abbrechen, um für sich und seine Mutter sorgen zu können. Nun soll auch noch ihre Wohnsiedlung an eine Wohnungsbaugesellschaft verkauft werden, doch Olli will nicht wieder vertrieben werden. Als er erfährt, dass es ein Vorkaufsrecht für Mieter gibt, beginnt er, sich zu wehren.

Man könnte der Autorin vorwerfen, dass manche Wendungen und Zufälle in der Handlung und manche Verknüpfungen unter den Charakteren zu konstruiert wirken und sehr zielführend sind. Allerdings hatte ich nie das Gefühl, dass diese Konstruiertheit die Aussagen des Romans in den Hintergrund rückt. Ganz im Gegenteil ist es Ladipo mit diesem Roman gelungen, eines der wichtigsten und drängendsten gesellschaftspolitischen Probleme unserer Zeit in seiner Vielschichtigkeit zu erfassen: die Gentrifizierung. Durch drei Handlungsstränge treten Stimmen und Personen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in die Handlung ein: Da ist Olli, der Bauarbeiter, der sich und seine Mutter gerade so über Wasser hält und dessen Leben von Chancenlosigkeit geprägt ist. Dann ist da Amelie, eine Journalistin und junge Mutter, die sich Vorwürfe macht, weil sie das Problem der Verdrängung als Journalistin ernster hätte nehmen müssen. Und schließlich Falk Hagen, der Ex-Finanzsenator von Berlin, der systematisch Sozialwohnungen an Fonds und Banken verkauft hat.

Neben der Gentrifizierung kommen auch andere Aspekte zur Sprache, wie z.B. die Ohnmacht derjenigen, die sich nicht zu wehren wissen gegen ein System, hinter dem Anwälte, Politik und Kapital stehen. Oder die soziale Unterdrückung und Hierarchisierung, die durch Sprache hergestellt werden und schließlich die körperlich schwere und gefährliche Arbeit der Bauarbeiter, die Wohnungen bauen und sanieren, die sie sich selbst niemals werden leisten können und die ihre eigene Verdrängung bedeuten.

Mit ihrer Zeitkritik sichert sich Eva Ladipo einen Platz unter einer Gruppe von zeitgenössischen deutschen Autorinnen, zu der z.B. auch Anke Stelling, Silke Scheuermann und Iris Hanika gehören, in deren Werken der Leser mit gesellschaftlichen Missständen konfrontiert wird.

Räuber ist ein lesenswerter Roman, der denjenigen eine literarische Stimme verleiht, für die Wohnen mit Unsicherheit verbunden ist.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Zeit- und Gesellschaftsportrait

Ein fliehendes Pferd
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Walser lässt in seiner Novelle zwei Ehepaare auftreten, die sich zufällig im Urlaub am Bodensee begegnen. Helmut und Klaus sind ehemalige Schulkameraden und haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen. In ...

Walser lässt in seiner Novelle zwei Ehepaare auftreten, die sich zufällig im Urlaub am Bodensee begegnen. Helmut und Klaus sind ehemalige Schulkameraden und haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen. In der Schulzeit noch Freunde, könnten sie nun kaum unterschiedlicher sein. Während Helmut introvertiert ist und sich gerne zurückzieht, ist Klaus aufdringlich und voller Energie. Gegen den Willen von Helmut und durch Klaus’ Initiative beginnen die beiden Paare Zeit miteinander zu verbringen.

Im Laufe der Erzählung fangen jedoch die Fassaden zu bröckeln an, Masken fallen und Rollen, die man sich gegenseitig vorgespielt hat, werden als solche entlarvt. Walser gelingt es meisterhaft, menschliche Beziehungen mit all ihren Verlogenheiten bloßzulegen. Er erzählt von gesellschaftlichen Erwartungen, die uns davon abhalten, wir selbst zu sein.

Die Novelle ist ein Zeit- und Gesellschaftsportrait, das durch seine Klarheit und sprachliche Virtuosität hervorsticht.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Eine wichtige und notwendige Neuerzählung der amerikanischen Geschichte

Der Wassertänzer
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Hiram Walker wächst als Sohn einer Sklavin und eines Plantagenbesitzers auf. Als er noch ein Kind ist, wird seine Mutter verkauft und er arbeitet fortan auf den Plantagen des Vaters. Doch Hiram ist wissbegierig ...

Hiram Walker wächst als Sohn einer Sklavin und eines Plantagenbesitzers auf. Als er noch ein Kind ist, wird seine Mutter verkauft und er arbeitet fortan auf den Plantagen des Vaters. Doch Hiram ist wissbegierig und hat vor allem ein außergewöhnliches Gedächtnis, das schon bald die Aufmerksamkeit des Vaters erregt. So steigt Hiram auf und wird zum Diener des eigenen Bruders Maynard. Als die Brüder während einer Kutschfahrt verunglücken, stirbt Maynard und Hiram entdeckt in sich eine Fähigkeit, die so außergewöhnlich ist, dass sogar der Underground auf ihn aufmerksam wird.

Die Geschichte begleitet Hiram fortan auf seinem Weg in die Nordstaaten. Er muss Gefangenschaften und Qualen über sich ergehen lassen, doch die Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit gibt ihm den Willen, weiterzugehen.

Ta-Nehisi Coates’ Roman erzählt auf eindrückliche Weise vom Grauen, den Verbrechen und von der Unwürdigkeit der Sklaverei. Er erzählt von Eltern, die von Kindern getrennt werden, von Familien, die auseinandergerissen werden, von Gefangenen, die gedemütigt werden, von Trauma, Verlust und schließlich auch von Unterdrückten, die sich gegen die Unmenschlichkeit der Gesetze aus dem Untergrund heraus aufzulehnen beginnen.

Das Bild, das dabei von der Zeit der Sklaverei entsteht, ist detailliert und vielschichtig. Es ist an die Realität angelehnt und in einer historischen Zeit verankert, in der die großen Sklavenplantagen Virginias bereits dem Untergang geweiht waren. Doch historische Wirklichkeit und Fantastisches bedingen sich in der Geschichte, denn Coates baut Elemente des magischen Realismus in sie ein und stattet seinen Protagonisten mit übernatürlichen Kräften aus. Damit überträgt er die Idee des weißen amerikanischen Superhelden auf einen Sklaven und das ist sicherlich eine der bemerkenswertesten Errungenschaften dieses Romans.

Der Wassertänzer ist eine wichtige und notwendige Neuerzählung der amerikanischen Geschichte, die endlich diejenigen als Helden darstellt, die es wirklich verdient haben.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Außergewöhnlich

Das Fluchholz
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Habt ihr Lust auf eine Geschichte, die aus einer außergewöhnlichen Perspektive erzählt wird? Auf eine Geschichte, die Jahrhunderte umspannt? Dann sollte Johan De Booses Roman „Das Fluchholz“ eure nächste ...

Habt ihr Lust auf eine Geschichte, die aus einer außergewöhnlichen Perspektive erzählt wird? Auf eine Geschichte, die Jahrhunderte umspannt? Dann sollte Johan De Booses Roman „Das Fluchholz“ eure nächste Lektüre werden!

Im Roman erlebt ein Stück Holz die Knotenpunkte der letzten 2000 Jahre der Menschheitsgeschichte. Beginnend als Olivenbaum in Palästina, in dessen Schatten Maryam und später ihr Sohn Jeschua sich regelmäßig niederlassen, muss der Baum schon bald tatenlos zusehen, wie er gefällt und sein Holz für das Kreuz, an das man Jeschua nageln wird, genutzt wird.

Im Folgenden wird ein Stück dieses Kreuzes ständig weitergereicht. Zunächst landet es bei den Römern, später findet es sich in einem Kloster in Belgien wieder, wird von russischen Mönchen in ihre Heimat getragen und zur Ikone umfunktioniert. Auch nach Andalusien, in Darwins England, in den Vatikan, in die Zeit der Russischen Revolution, zu Stalin, in den Kalten Krieg und schließlich sogar ins Weltall verschlägt es unseren Erzähler.

Auf etwas mehr als zweihundert Seiten gelingt es De Boose nicht nur, die Menschheitsgeschichte seit der Geburt von Jesus nachzuzeichnen, er schafft es auch, sie zu entmystifizieren. Sein Blick auf die Geschichte ist zwar durch die Religion geprägt, aber sie dient ihm lediglich als roter Faden, denn die Erzählinstanz zeichnet sich dadurch aus, dass sie klarsichtig ist, logisch denkt und keine Direktheit scheut. Sie steht über jeglichen religiösen Mythen und dass das auf manch einen Leser befremdlich oder sogar provokativ wirken kann, ist nicht auszuschließen. So hinterfragt das Holz gleich zu Beginn indirekt die Glaubwürdigkeit religiöser Überlieferungen, wenn es Zeuge der Vergewaltigung Maryams durch römische Soldaten wird, die ihre Schwangerschaft erklärt.

„Das Fluchholz“ ist humorvoll, geistreich, ironisch, voller Witz und Klugheit und tut sich und allen Lesern den Gefallen, von Aberglaube und verstaubten Mythen befreit zu sein. Es lässt uns an Umbrüchen und Veränderungen in der Geschichte teilhaben und macht gleichzeitig deutlich, dass Gewalt, Krieg und Religion uns immer begleitet haben.

Ein außergewöhnlicher Roman!

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Liest sich wie ein Thriller

Undercover
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Murat Cem kommt als Kind türkischer Gastarbeiter nach Deutschland. Sein Umfeld ist geprägt von Gewalt, Drogen und gescheiterter Integration. Haltlos rutscht er in die Drogenszene seines Problemviertels ...

Murat Cem kommt als Kind türkischer Gastarbeiter nach Deutschland. Sein Umfeld ist geprägt von Gewalt, Drogen und gescheiterter Integration. Haltlos rutscht er in die Drogenszene seines Problemviertels hinein. Als die Polizei ihn festnimmt, verrät er seinen besten Freund, der gleichzeitig sein Partner im Drogengeschäft ist und entgeht so einer längeren Gefängnisstrafe.

Im Folgenden entwickelt er eine immer engere Beziehung zur deutschen Polizei. Schon bald hilft er ihnen dabei, Kriminelle und Drogendealer zu entlarven. Es gelingt ihm sogar, einen Mordfall aufzuklären und dem Mörder ein Geständnis abzuringen. Seine Arbeit wird für die Polizei so wertvoll, dass er immer häufiger Aufträge bekommt, teilweise an mehreren Orten gleichzeitig arbeitet und schließlich als wichtigste Vertrauensperson in den innersten Kreis der Salafistenszene eindringt und Anschläge verhindert.

Doch nicht immer geht alles glatt. Einmal fliegt Cem durch seine echten Papiere auf, einmal errät seine Zielperson, dass er ein Spitzel ist, ein anderes Mal fährt er mit einer Handgranate im Kofferraum durch die Gegend.

Ein Jahr lang haben die Redakteure des Spiegel mit Cem über sein Leben, seine Familie und seine Tätigkeit als V-Mann geredet. Entstanden ist ein Porträt, das durch seinen Detailreichtum und seine unbeschönigten Einblicke in von Gewalt, Kriminalität, Fanatismus und Radikalität geprägte Welten besticht.

Gleichzeitig ist es ein kritisches Porträt, das einem im System Unsichtbaren und Stummen eine Stimme verleiht. Das Buch offenbart die Mängel und gesetzlichen Lücken, die dazu führen, dass die eigenen Mitarbeiter nicht geschützt werden, an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, letztlich ihr Leben in einem Zeugenschutzprogramm fristen müssen und, wie im Falle von Cem, arbeitslos sind.

Das Buch lebt von seinem Protagonisten, von dessen Wandelbarkeit, dessen Anpassungsfähigkeit und dessen scheinbar mühelosem Wechsel zwischen den Welten. Auf 300 Seiten fasst dieses Buch zwanzig Jahre eines Ausnahmelebens zusammen, das es in sich hat.

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