Hinter den unsichtbaren Mauern einer Besserungsanstalt
Der unfassbar und unverhältnismäßig harte Umgang der US-Behörden mit minderjährigen "Straftätern" ist mir seit dem Film Sleepers (1996) im Gedächtnis geblieben. Der Film hat mich seinerzeit schwer erschüttert.
Colson ...
Der unfassbar und unverhältnismäßig harte Umgang der US-Behörden mit minderjährigen "Straftätern" ist mir seit dem Film Sleepers (1996) im Gedächtnis geblieben. Der Film hat mich seinerzeit schwer erschüttert.
Colson Whiteheads Pulitzerpreis-Roman hat mich sofort daran erinnert. Auch dieser Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt, einmal in den 1960er Jahren (der Zeit im Nickel) und dann Jahrzehnte später. Elwood Curtis ist 16 Jahre alt, als er in der Besserungsanstalt Nickel Academy landet. Der Grund für seine Einweisung ist bezeichnend für den Umgang mit Schwarzen und entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Es gibt im Nickel keine Zäune und von außen sieht alles nach einem gepflegten Anwesen aus; einer Schule, die aus den Jungs etwas machen will. Elwood lernt jedoch schnell, dass der äußere Schein mehr als trügt.
Whiteheads in drei Teile gegliederter Roman ist schwere Kost. Jedoch versteht er es, die Brutalität nicht reißerische auszuwalzen, vieles bleibt unerzählt. Wenn sich aber die Türen hinter den Jungs schließen, spielt sich ein Kopfkino sondergleichen ab. Whiteheads ruhige Sprache, die auch dem Charakter von Elwood entspricht, steht in verstörendem Gegensatz zu den Ereignissen. Das Perfide an dem System der "Schule" sind die dort herrschenden geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze, gepaart mit absoluter Unberechenbarkeit und Willkür. Die Jungs müssen schmerzlich erfahren, dass es kein "richtiges" Verhalten gibt, um diesem Haus unbeschadet zu entkommen. Gewalt, Rassismus und Korruption herrschen in diesem Mikrokosmos.
Der Roman hat mir sehr, sehr gut gefallen: Die treffende Sprache des Autors, die Dialoge und die Story an sich, die auf wahren Ereignissen beruht (siehe das Nachwort) und in hohem Maße geschickt aufgebaut ist, bis zur letzten Szene. Zudem erkennt man hier schon Spuren des späteren Werks Harlem Shuffle: der Charakter des Schwarzen Unternehmers und Kleinkriminellen Ray Carney blitzt im letzten Drittel auf.
Wie in Sleepers gibt es auch hier Jungs, die an ihren Erlebnissen zerbrochen sind und andere, die einen Weg gefunden haben, weiterzumachen.
Große Leseempfehlung.