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Veröffentlicht am 15.03.2023

Anders

Bluets
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In "Bluets" verbindet Maggie Nelson ihre Liebe zur Farbe Blau mit dem Ende einer Beziehung. In zweihundertvierzig kurzen Abschnitten, die teils nur aus Sätzen, Zitaten oder Gedankensplittern bestehen, ...

In "Bluets" verbindet Maggie Nelson ihre Liebe zur Farbe Blau mit dem Ende einer Beziehung. In zweihundertvierzig kurzen Abschnitten, die teils nur aus Sätzen, Zitaten oder Gedankensplittern bestehen, benutzt sie die Farbe als einen Ausgangspunkt für Überlegungen zu Trennung, Verlust, Schmerz, Sex und das Leben. Was dabei entsteht ist ein Kaleidoskop an Eindrücken, ein blau gefärbtes Gedankenkonstrukt, das sich durch einen abstrakten und fragmentarischen Charakter auszeichnet.

Nur schwer lässt sich "Bluets" einordnen und definieren. Am ehesten kann das Buch wohl als ein experimenteller, lyrischer und autofiktionaler Essay beschrieben werden, der besonders durch seine Form besticht. Er denkt über das Schreiben selbst als einen Prozess der Verarbeitung und Bewältigung von Schmerz, Schicksalsschlägen und Depressionen nach. Der Bezug zur Farbe Blau, der das Einzelne zusammenhält und einen Rahmen bietet, kann dabei als eine Art Heilungsprozess verstanden werden. Er bindet die Autorin an die Welt, an das Leben. Nelson führt ein Zitat von Thoreau als Selbstcharaktierisierung des eigenen Werkes an: “Wenn unser Gefährte uns enttäuscht, übertragen wir unsere Liebe unmittelbar auf ein würdiges Objekt”.

Nelson fragt nach dem Wesen der Farbe und versucht die Farbwahrnehmung und das Bewusstsein für Farben jedes Einzelnen nachzuvollziehen. Sie betrachtet Farben als situationsbedingt, als individuelle Phänomene, als etwas nicht völlig Greifbares, denn: “Die Verwirrung darüber, was Farbe ist, wo sie ist oder ob sie ist, besteht trotz tausender Jahre des Anstoßes fort.”

Gleichzeitig verwebt "Bluets" Gedanken aus Kunst, Literatur, Philosophie, Religion und Kulturgeschichte. Dabei wird von Goethe bis Thoreau, von Leonard Cohen bis Yves Klein zahlreichen Denkern, Dichtern und Künstlern Raum gewährt. Auch die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Einzelsprachen der Farbe Blau bleiben nicht unerwähnt. Während das Englische Blau mit Depressionen verbindet (“I’m feeling blue”), ist es auf Deutsch Synonym für Rausch und Betrunkenheit (“blau sein”).

Schließlich betrachtet Nelson auch die Beziehung der Natur zur Farbe Blau. Einerseits oft als Gift auftretend (Beeren, Schimmel), bedeutet die Farbe an anderen Stellen Verführung, zum Beispiel bei den Seidenlaubenvögeln, deren Männchen das Nest mit blauen Gegenständen schmücken, um Weibchen anzulocken.

"Bluets" ist ein Erlebnis. Es ist träumerisch und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Trotz der Tatsache, dass das Buch zuweilen sehr persönlich ist und die Gefühle der Autorin manchmal nur schwer zu (be-)greifen sind, da sie düster und dunkel wirken und nie weit entfernt von einer Depression scheinen, liest man die einzelnen Abschnitte voller Aufmerksamkeit. Ein Buch also, dass sich durch sein Anderssein hervorhebt und alleine deshalb eine Empfehlung verdient.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Über eine interessante Frau

Vor Frauen wird gewarnt
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Heidi Rehn widmet sich in ihrem Roman “Vor Frauen wird gewarnt” dem Leben und Werk Vicki Baums. Beginnend mit ihrer Anstellung als Redakteurin beim Ullsteinverlag, zeichnet sie die Berliner Jahre der Autorin ...

Heidi Rehn widmet sich in ihrem Roman “Vor Frauen wird gewarnt” dem Leben und Werk Vicki Baums. Beginnend mit ihrer Anstellung als Redakteurin beim Ullsteinverlag, zeichnet sie die Berliner Jahre der Autorin nach: Von ihren ersten Tagen im Verlagshaus bis zu ihren nationalen Erfolgen als Schriftstellerin, der Verfilmung ihrer Romane und schließlich ihres internationalen Ruhms. Vicki Baum tritt dabei stets als willensstarke, selbstständige und freiheitsliebende Frau in Erscheinung. Sie verkörpert das Ideal der Neuen Frau, die modern sein will und sich nicht Regeln und Einschränkungen unterwerfen will. Sie genießt das Berliner Nachtleben, führt eine offene Ehe und stellt ihr berufliches Weiterkommen über alles andere.

Der Roman beschwört die Zwanziger Jahre auf lebendige Weise herauf und lässt ihre Leser an der Atmosphäre dieser Zeit teilhaben. Vickis Beziehungen, ihre Freundschaften, ihr Alltag, ihre Gedankenwelt und auch die Kämpfe, die sie als Frau auszutragen hat, fügen sich zu einem Bild zusammen, das durch seine Vielschichtigkeit besticht.

“Vor Frauen wird gewarnt” gibt Einblicke in das Leben einer beeindruckenden Persönlichkeit und macht Lust darauf, sich Vicki Baums Werk intensiv zu widmen und es der Vergessenheit zu entreißen. Denn mit dem Wissen über die Entstehungs- und Editionsgeschichten sowie über die Reaktionen der Zeitgenossen zu ihren Romane, entsteht ein neuer Bezug zu Vicki Baums Werk, der vertieft werden will. “Vor Frauen wird gewarnt” ist daher ein gelungener Einstieg und eine Hommage an eine Autorin, über deren Leben zu Unrecht wenig bekannt ist.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Erinnerungen

The Beautiful Struggle
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Ta-Nehisi Coates erzählt in seinem autobiographischen Buch “The Beautiful Struggle” von seiner Kindheit und Jugend im Baltimore der 80er Jahre, die von Rassismuserfahrungen, von Gewalt, Drogen und Bandenkriminalität ...

Ta-Nehisi Coates erzählt in seinem autobiographischen Buch “The Beautiful Struggle” von seiner Kindheit und Jugend im Baltimore der 80er Jahre, die von Rassismuserfahrungen, von Gewalt, Drogen und Bandenkriminalität geprägt ist.

Coates erfährt schon früh, wie allgegenwärtig die Gewalt ist, denn er gilt als Schwächster in der Schule. Prügel, Schläge und Kämpfe lauern hinter jeder Ecke und es sind “[d]ie gewöhnlichsten Dinge - der Weg zur Schule, eine Radfahrt um den Block, der Gang zum Supermarkt”, die schief laufen können.

Dass Coates selbst nicht in die Kriminalität abrutscht, hat er vor allem seinem Vater zu verdanken, einem Black Panther Aktivisten, der ihn lehrt, wie man auf den Straßen überlebt: “Du bist groß und du bist ein junger Schwarzer. Du musst vorsichtig sein mit dem, was du tust und was du sagst”.

Doch es ist auch die HipHop Musik, mit der Coates sich identifizieren kann und der er sich nahe fühlt. Er findet durch die Texte, Reime und Rhythmen zu sich selbst und entwickelt allmählich ein Bewusstsein für die Geschichte der Schwarzen.

“The Beautiful Struggle” sind die Erinnerungen eines klugen und talentierten Autoren. Coates stellt die eigene Jugend als Gratwanderung dar und zeigt, wie schwer es ist, sich ungewollt immer an der Grenze zum falschen Weg und zur Gewalt entlang bewegen zu müssen. Seinen Erinnerungen lauschen zu dürfen, ihren Nachhall noch lange verspüren zu dürfen, habe ich als Bereicherung empfunden.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Eine Seefahrt

Unter Deck
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Zu Beginn des Romans lernt Olivia Mac kennen, einen Bootsbesitzer, der sie ihren Rausch auf seinem Segelboot hat ausschlafen lassen. Er bietet ihr an, mit ihm und einer Freundin in den nächsten Wochen ...

Zu Beginn des Romans lernt Olivia Mac kennen, einen Bootsbesitzer, der sie ihren Rausch auf seinem Segelboot hat ausschlafen lassen. Er bietet ihr an, mit ihm und einer Freundin in den nächsten Wochen zu segeln. Der Segeltörn mit Mac und Maggie bringt Olivia dem Meer nahe und veranlasst sie dazu, die nächsten vier Jahre auf Segelschiffen zu arbeiten. Bis zu einem Törn, bei dem sie sich als einzige Frau mit einer Gruppe von Männern auf einer Yacht wiederfindet. Der Törn wird für sie zum Trauma. Eine Vergewaltigung und Demütigungen reihen sich aneinander und führen dazu, dass sich Olivia vom Leben auf dem Wasser verabschiedet. Sie zieht nach London, arbeitet fortan in einer Galerie und kuratiert Ausstellungen für Künstlerinnen. Doch die Erlebnisse der Vergangenheit lassen sie nicht los und sie merkt, dass sie sich ihnen stellen muss.

“Unter Deck” ist ein Roman über den Umgang von Männern mit Frauen in der heutigen Gesellschaft. Oli wird von den Männern auf der Yacht nicht als vollwertig genommen. Sie trauen ihr nicht zu, dass sie das Boot alleine segeln kann, trotz ihrer vierjährigen Erfahrung. Stattdessen sehen sie in ihr an erster Stelle ein Objekt der Begierde und höchstens noch eine Köchin. Ähnlich geht es vielen Künstlerinnen. Auch sie werden mit ihrer Arbeit nicht wahr- und ernstgenommen.
Der Roman erzählt davon, wie es ist, mit den eigenen Talenten, Wünschen, Zielen und Anliegen nicht in der Mitte stehen zu dürfen, sondern ständig an den Rand gedrängt zu werden. So wird auch der Zugang für POC zur höheren Bildung angesprochen oder der Umgang des sozialen Umfelds von Homosexuellen mit deren sexueller Identität.
Dass all diese Themen erwähnt werden ist theoretisch lobenswert. Allerdings sorgt es im Falle dieses Romans dafür, dass er teilweise zu konstruiert und überladen wirkt. Es entsteht das Gefühl, dass die Autorin alle nur erdenklichen Themen und Probleme der Gegenwart in ein Buch fassen wollte: #metoo, Klimawandel, die Verbrechen der Kolonialisierung, institutioneller Rassismus, usw. Das führt dazu, dass der Roman an Glaubwürdigkeit verliert und dass auch das Trauma, das seinen Mittelpunkt bilden soll, in den Hintergrund gerückt wird.

Sprachlich ist der Roman hingegen intensiv und wirkt oft poetisch, was auch mit der Synästhesie der Protagonistin zu tun hat, die sie Gefühle, Menschen, Szenen und Gegenstände in Farbe wahrnehmen lässt. Es sind vor allem die traumatischen Erlebnisse auf dem Boot, die sprachlich am meisten herausstechen. Der Autorin ist es gelungen, die Gefühlswelt der Protagonistin während dieser Zeit auf sehr eindrückliche und authentische Weise zu beschreiben, was schwierig ist und daher umso bemerkenswerter.

Ein Roman also, der nicht vollständig zu überzeugen vermag, aber sprachlich und hauptthematisch durchaus stark ist.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Gelungene Gesellschaftskritik

Drei Kameradinnen
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Shida Bazyars Roman beginnt mit einem Zeitungsartikel, aus dem hervorgeht, dass Saya, eine der drei Protagonistinnen, einen Brand gelegt hat, bei dem mehrere Menschen ums Leben gekommen sind. Dass die ...

Shida Bazyars Roman beginnt mit einem Zeitungsartikel, aus dem hervorgeht, dass Saya, eine der drei Protagonistinnen, einen Brand gelegt hat, bei dem mehrere Menschen ums Leben gekommen sind. Dass die Perspektive des Artikels sehr einseitig ist, fällt auf, obwohl man den Rest der Geschichte noch nicht kennt.
Diese wird rückblickend von Kasih erzählt. Sie gehört zu einem Trio von Freundinnen, die sich seit ihrer Kindheit kennen und zusammen in einer Siedlung am Rande der Stadt aufgewachsen sind, nachdem die Familien nach Deutschland geflohen sind. Im Laufe des Romans beschreibt Kasih den Alltag dieser drei Frauen, der von Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Vorurteilen und von Rassismus geprägt ist. Sie erfahren eine doppelte Marginalisierung, da sie als Mädchen bzw. als Frauen täglich Sexismus ausgesetzt sind, sich mehr anstrengen müssen als die Männer und weil ihr Migrationshintergrund ihnen ein ums andere Mal Türen verschließt, die für andere offen stehen.

Ihnen wird ein Platz in der Mitte der Gesellschaft verwehrt. Das drückt sich beispielsweise darin aus, dass in der Schule die Bestnoten den Kindern ohne Migrationshintergrund vorbehalten sind oder dass Kasih trotz eines sehr guten Studienabschlusses keinen Job findet. Kasih fasst es folgendermaßen zusammen: “Dass man sie nach Maßstäben bewertet hatte, die sich von den allgemeinen Maßstäben zu unterscheiden schienen”. Das wohl stärkste Symbol dieser Marginalisierung ist die Buslinie, die die Siedlung, in der die Mädchen aufwachsen, mit der Stadt verbindet. Eines Tages wird diese einfach gestrichen. Die Verdrängung hat ihren Höhepunkt erreicht. Rassismus, und das zeigt der Roman, ist ein institutionelles, ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Die Sprache und der Stil des Romans wirken fließend, authentisch und direkt. Kasihs Stimme lenkt die Wahrnehmung des Lesers. Sie spricht ihn direkt an und ist teilweise provozierend, vielleicht sogar anmaßend, aber gerade dadurch gewinnt das Erzählte an Eindringlichkeit. Denn dem Leser wird vor Augen geführt, dass er Teil der Gesellschaft ist, in der die beschriebenen Probleme so tief verankert sind. Er kann sich von der Geschichte nicht loslösen, sich nicht getrennt von ihr betrachten, sondern wird in sie hineingezogen. Dadurch entsteht ein engerer und stärkerer Bezug zur Wirklichkeit.

Man könnte vielleicht behaupten, dass der Roman manchmal zu viele Themen gleichzeitig anzusprechen versucht, doch ich hatte nie das Gefühl, dass dabei der Fokus verloren geht und deshalb hat es mich nicht gestört. Der Roman ist meiner Meinung nach eine gelungene Gesellschaftskritik, der mit seiner Erzählerin eine Stimme gefunden hat, die es verdient hat, gehört zu werden.

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