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Veröffentlicht am 15.03.2023

Ein besonderer und lesenswerter Roman!

WEST
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Es ist das Jahr 1815 in Pennsylvania. John Cyrus Bellman hat seine Heimat England verlassen, um sich in der Neuen Welt niederzulassen. Doch seine Frau Elsie ist bei der Geburt der Tochter gestorben und ...

Es ist das Jahr 1815 in Pennsylvania. John Cyrus Bellman hat seine Heimat England verlassen, um sich in der Neuen Welt niederzulassen. Doch seine Frau Elsie ist bei der Geburt der Tochter gestorben und Cy kann ein Verlust nicht überwinden. Erst als er einen Artikel in der Zeitung über den Fund eines riesigen Skeletts im Westen des Landes liest, keimt neue Hoffnung in ihm auf. Er ist davon überzeugt, dass diese riesigen Tiere leben und beschließt, sich selbst auf die Suche nach ihnen zu begeben.

Der Roman begleitet Cy auf seiner Reise durch ein unbesiedeltes und zu großen Teilen noch völlig unentdecktes Land, das sich vor den Augen des Lesers entfaltet. Cys Hoffnung, in der wilden, unberührten Natur Erfüllung zu finden und seine Abenteuerlust durch sie stillen zu können, wird bald mit der Realität konfrontiert. Unbeholfen und klein wirkt der Mensch im Angesicht der Schlangen, Bären und Wölfe, der harten und menschenfeindlichen Winter und der gefährlichen Wege.

Gleichzeitig hat der Westen, auf den die Träume des Protagonisten projiziert werden, etwas Großes und Mythisches an sich. Er ist nicht nur Gefahr, nicht nur wilde Natur, sondern repräsentiert auch den unerschütterlichen Glauben der Menschen und den Drang zu entdecken und zu erforschen.

Davies erzählt unaufgeregt und in einer schlichten Sprache, die Bilder von großer Kraft und Ausdrucksstärke heraufbeschwört. Der Roman ist ein Western, der durch seinen poetischen und tiefgründigen Charakter hervortritt und sich von anderen vermeintlich ähnlichen Geschichten in dieser Hinsicht stark abhebt. Er verklärt die Zeit der Siedler nicht und zeichnet stattdessen ein glaubhaftes Bild von ihnen, das sich auch aus Vergewaltigungen und Betrügereien zusammensetzt.

Ein besonderer und lesenswerter Roman!

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Atmosphärisch

Die nicht sterben
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Nach einem Kunststudium in Paris kehrt die Protagonistin des Romans in den kleinen Ort B. in Rumänien zurück. Stets hat sie dort in der Villa ihrer Großtante die Sommerfrische verbracht. Doch B. ist in ...

Nach einem Kunststudium in Paris kehrt die Protagonistin des Romans in den kleinen Ort B. in Rumänien zurück. Stets hat sie dort in der Villa ihrer Großtante die Sommerfrische verbracht. Doch B. ist in ihrer Wahrnehmung nicht mehr so, wie es einst war. Das Gras vor den Villen ist hochgewachsen, der Asphalt aufgesprungen, die Straßenlaternen haben aufgehört zu leuchten und Internetempfang gibt es nur auf einem Hügel. Die Menschen ziehen weg, der Verfall ist allgegenwärtig.

Dann überschlagen sich die Ereignisse. Eine der Gäste der Großtante rutscht bei einer Wanderung aus und stürzt in den Tod. In der Familienkrypta, wo für sie Platz geschafft werden soll, wird ein übel zugerichteter Toter gefunden. Doch dessen nicht genug. Eines der Gräber entpuppt sich als das Grab Vlad des Pfählers, besser bekannt als Graf Dracula. Und die Protagonistin somit als seine Nachfahrin.

Grigorcea versteht es auf sehr gekonnte Weise, Vergangenes und Gegenwärtiges sowie Metaphorik und Kritik miteinander zu verbinden. Sie verwebt ihre politischen Aussagen mit einer schaurigen, archaischen und spannungsgeladenen Atmosphäre, die auf Symbolen, Andeutungen, Ahnungen und rhetorischen Fragen beruht. Ständiges Unheil scheint in der Luft zu liegen, Tod und Verwesung sind nie fern.

Doch das eigentliche Grauen ist letztlich nicht Vlad der Pfähler, ist kein wieder zum Leben erwachter Vampir. Das Grauen ist greifbar, real und lässt sich in der Gegenwart verorten. Denn die blutsaugenden Vampire, das sind im Roman die Politiker und die Machthungrigen. Es sind die, die es zulassen und unterstützen, dass das Land ausgebeutet wird, dass Gesetze missachtet werden, dass Korruption und Wahlbetrug allgegenwärtig sind, dass Gelder veruntreut werden und ausländische Investoren sich breit machen.

Die nicht sterben ist ein Roman voll atmosphärischer Dichte, der seinen ganz eigenen Stil findet. Ein lesenswerter Roman also, den es nicht zu verpassen gilt!

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Ein Muss für Shakespeare-Fans

Der Tyrann
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Wie ist es möglich, dass ganze Nationen Tyrannen, Demagogen und Egomanen verfallen?
Diese Frage hat sich Stephen Greenblatt unweigerlich vor der Trump-Wahl stellen müssen. Das Buch “Der Tyrann” ist das ...

Wie ist es möglich, dass ganze Nationen Tyrannen, Demagogen und Egomanen verfallen?
Diese Frage hat sich Stephen Greenblatt unweigerlich vor der Trump-Wahl stellen müssen. Das Buch “Der Tyrann” ist das Ergebnis seiner Überlegungen. Auf eindrückliche Weise zeigt der Literaturwissenschaftler darin, wie zeitlos und allgemeingültig Shakespeares Charakterstudien tyrannischer Herrscherfiguren und die Mechanismen ihres Aufstiegs zur Macht sind. Die Parallelen zu heutigen Machthabern sind allzu offensichtlich, als dass man sie übersehen könnte. Ob eine Figur da Richard III. oder Trump heißt, scheint kaum noch von Bedeutung, denn das, was ihre Persönlichkeiten und ihre Strategien der Machtergreifung auszeichnet, ähnelt sich allzu sehr.

Shakespeares Tyrannen sind inkompetent, schamlos und wahnsinnig. Richard III., Macbeth, King Lear, Leantes oder Coriolan sind geistig ungeeignet, Entscheidungen zu treffen. Wahnsinn und Egomanie zeichnen sie aus. Richard sagt über sich selbst: “Oh, ich kann lächeln und beim Lächeln morden”. Die shakespearischen Herrscherfiguren haben das Bedürfnis, sich überlegen zu fühlen. Niemand darf ihnen widersprechen, ihren Befehlen ist Glaube zu leisten, das, was sie behaupten, auch wenn es nicht auf Tatsachen beruht, ist die Wahrheit. Denn: “Wenn der Tyrann träumt, es gebe Betrug oder Verrat, dann gibt es Betrug oder Verrat.” Demagogen wie Jack Cade aus “Heinrich VI.” machen dem Volk darüber hinaus falsche Versprechungen, (“alle solln fressen und saufen auf meine Kosten”) und gründen ihre Anliegen auf der Sehnsucht nach einer besseren und glorreichen Vergangenheit. Es hätte daher kaum überrascht, wenn ‘Make England Great Again’ Cades Wahlspruch gewesen wäre.

Doch warum scheint niemand zu sehen, welche gewaltbereite und grausame Männer die Macht an sich zu reißen versuchen? Warum bleiben alle tatenlos und sehen zu? Greenblatt erklärt es mit Richard III. folgendermaßen: “Richard ist für die höchste Machtposition so offensichtlich und grotesk unqualifiziert, dass sie ihn aus ihren Gedanken verbannen. Sie konzentrieren sich stets auf etwas anderes, bis es zu spät ist. Sie erkennen nicht schnell genug, dass das scheinbar Unmögliche wirklich geschieht. Die Struktur, auf die sie sich verlassen haben, erweist sich als unerwartet zerbrechlich.” Die Zerbrechlichkeit von Regierungsformen und Frieden sind für Shakespeare eine Voraussetzung für die Machtergreifung von Tyrannen. Eine weitere sind die Mitläufer, die Kollaborateure, die Befehlsausführer und die, die schweigen und wegsehen.

Für alle Shakespeare-Fans, für die, die Shakespeares Zeiten überdauernde Relevanz noch entdecken wollen und für all diejenigen, die an Zeitgeschehen und heutiger Politik interessiert sind, ist das Buch ein Muss!

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Surreal und fesselnd

Weiße Nacht
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Es ist der letzte Arbeitstag Ayamis in dem einzigen Hörtheater von Seoul. Am morgigen Tag soll es geschlossen werden. Aus einem Radio hört Ayami Stimmen und vor der Tür des Theaters droht ihr ein Mann, ...

Es ist der letzte Arbeitstag Ayamis in dem einzigen Hörtheater von Seoul. Am morgigen Tag soll es geschlossen werden. Aus einem Radio hört Ayami Stimmen und vor der Tür des Theaters droht ihr ein Mann, er wolle sie umbringen. Ihre Deutschlehrerin bittet sie außerdem, für einen bald in Korea ankommenden deutschen Dichter zu dolmetschen. Als Ayami jedoch mit dem Direktor des Theaters die Lehrerin besuchen will, ist diese verschwunden.

Schon der Versuch einer Inhaltsangabe wirkt fragmentarisch und unzusammenhängend. Bae Suahs Roman entzieht sich jeglicher einfachen Wiedergabe. Er ähnelt einem Traum, in dem die Protagonistin Geräusche hört, die sie eigentlich gar nicht hören kann, in dem Radios sich selbst anschalten und Busse ewig im Kreis fahren.

Es ist eine von Hitze und Dunkelheit geprägte Nacht, in der die Geschichte spielt. Weiß beleuchtete Gegenstände tauchen plötzlich in ihr auf. Ein Geschäft, eine Figur, eine Krähe, ein Fisch. Wie auf einer Bühne beleuchtet die Erzählung nur Bestimmtes, lenkt den Blick des Lesers und taucht alles andere in Schwärze.

​“Weiße Nacht” bewegt sich in einer verstörenden fieberhaften Welt, die keinen Boden zu haben scheint und in der alles möglich ist. Strukturen sind in ihr stets im Auflösen begriffen, denn die Grenzen von Realität und Fiktion verschieben sich ständig und gehen ineinander über. Es gibt keine Anfänge und keine Enden und somit ist auch Zeit nicht mehr linear zu verstehen. Stattdessen entsteht eine Erzählstruktur, die von Echos und Parallelen getragen wird. Es drängt sich der Eindruck eines Loops auf, einer komplexen Schleife, in der es zu Überlagerungen und Wiederholungen kommt. Der Roman selbst führt schon zu Beginn den Begriff des Klangschattens ein, der als selbstreflexiv verstanden werden kann, denn seine Szenen, Motive und Figuren ertönen und hallen an späterer Stelle im Roman nach.

​“Weiße Nacht” erzählt, so scheint es, unterschiedliche Versionen einer Geschichte, die sich allesamt miteinander verhaken und voneinander zehren. Identitäten und die Individualität der Figuren haben dabei keine Bedeutung mehr. Denn: “Alles verschwindet so schnell, wie es entsteht. Das gilt auch für Erinnerung. Es kann passieren, dass man aus seinem Haus tritt, zehn Schritte geht, sich umdreht und das Haus, das immer dort stand, nicht mehr existiert. Man findet es nie mehr. Das Gleiche kann auch mit Menschen geschehen.”

​Bae Suah hat einen außergewöhnlichen Roman geschrieben, der sich an die Grenzen der Literatur heranwagt. Unter seiner fieber- und traumhaften Atmosphäre lösen sich die Vorstellungen von Realität und Wirklichkeit auf. Was bleibt, ist eine wunderbar surreale Welt, die den Leser gefangen hält und ihn auch nach der letzten Seite des Buches nur schwer wieder loslässt.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Ein wichtiges und starkes Buch

Die Entscheidung
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Amélie Cordonnier hat mit “Die Entscheidung” einen Roman über verbale Gewalt in der Ehe und in der Familie geschrieben. Ihrer Protagonistin sind die Wutausbrüche ihres Mannes Aurélien nicht unbekannt. ...

Amélie Cordonnier hat mit “Die Entscheidung” einen Roman über verbale Gewalt in der Ehe und in der Familie geschrieben. Ihrer Protagonistin sind die Wutausbrüche ihres Mannes Aurélien nicht unbekannt. Schon vor sieben Jahren gab es eine Zeit, in der er sie täglich beleidigte. Depressionen und eine vorläufige Trennung waren das Ergebnis. Doch er versicherte ihr, dass er sich therapieren lassen würde, dass er sich bessern würde. Bis zu dem Tag, an dem der Roman ansetzt.

Dreckige Sau oder Hündin, Ratte und Rhinozeros oder fette Kuh sind einige der eher harmlosen Beschimpfungen, mit denen die Protagonistin ständig konfrontiert wird. Sie notiert sie in einer Liste, die bereits seitenlang ist und die in ihr die Hoffnung aufrecht erhält, dass sich die Worte woanders festsetzen als in ihr.

Bemerkenswert ist, dass der Roman nie urteilend auf seine Figuren blickt, sondern ihnen gerecht zu werden versucht. Denn in gewisser Weise sind alle Beteiligten Gefangene der Gewalt, die über sie hereinbricht. Auréliens Wut- und Beleidigungsausbrüche gleichen Anfällen, in denen er die Beherrschung über sich verliert, aber die er schon kurze Zeit später wieder aufrichtig bereut. Sie entziehen sich seiner Kontrolle, sind eine Erkrankung, der er nicht Herr werden kann. Der Roman verurteilt Aurélien also nicht und stellt die Beziehung zwischen den Eheleuten nicht ausschließlich als eine Täter-Opfer-Beziehung dar. Das ist neben der wichtigen Thematik eine seiner großen Stärken.

Ebensowenig wird die Unfähigkeit der Protagonistin, sich von der Beziehung loszureißen, kritisiert. Denn: “Der Stärkste ist nicht immer der, von dem man es denkt. Der Schwächste übrigens auch nicht.”

Auf wenigen Seiten schreibt Amélie Cordonnier auf bewegende, schonungslose und konfrontative Weise darüber, was verbale Gewalt mit einem Menschen und sogar mit einer ganzen Familie macht. Sie legt das offen dar, was normalerweise nur hinter verschlossenen Türen stattfindet und sich den Blicken der Öffentlichkeit entzieht, auch weil es keine eindeutig physischen Spuren hinterlässt. Ein wichtiges und starkes Buch!

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