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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.05.2023

Lesenswerte und erschütternde Kurzgeschichten

Mann im Mond
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Inhalt:
"Mann im Mond" das sind zwölf Kurzgeschichten aus der Welt von Kindern, die nicht immer verstehen, was um sie herum und mit ihnen geschieht, die in schwierigen Situationen hilflos, stark, klug, ...

Inhalt:
"Mann im Mond" das sind zwölf Kurzgeschichten aus der Welt von Kindern, die nicht immer verstehen, was um sie herum und mit ihnen geschieht, die in schwierigen Situationen hilflos, stark, klug, mutig, resolut und/oder wütend handeln und aufgrund von abwesenden oder überforderten Erwachsenen entscheiden (müssen), zwölf Geschichten mit düsterer Grundstimmung, mit verstörenden und zum Nachdenken anregenden Szenen, poetisch, skurril, unterhaltsam und brutal direkt erzählt.

Meine Meinung:
Lana Bastašićs Roman "Fang den Hasen" hat mich vor zwei Jahren begeistert und so war es natürlich klar, dass ich auch weitere Bücher der Autorin lesen möchte. Dass es sich bei "Mann im Mond" um den 2020 unter dem Titel "Mliječni zubi" (Milchzähne) veröffentlichten Erzählband handelte, habe ich aufgrund des anderen Titels zuerst gar nicht realisiert und verstehe immer noch nicht wirklich, weshalb der Originaltitel nicht einfach ins Deutsche übertragen worden ist. Klar, "Mann im Mond" ist auch der Titel einer der zwölf Erzählungen, aber ganz ehrlich: "Milchzähne" hätte als Titel sehr viel besser zum Buch gepasst. In den Kurzgeschichten geht es immer darum, sich zu behaupten, erwachsen zu werden oder schlicht zu überleben. Die Kindheit und negative Erfahrungen werden überwunden, durchlitten oder abgestossen, wie abgetragene Kleidung (oder halt eben, wie Milchzähne).
Die Geschichten und die sehr beklemmende Grundstimmung haben mir sehr gut gefallen und mir einige Male eine Gänsehaut beschert und mich zum Nachdenken angeregt. Da ich eine bosnische Ausgabe des Buches besitze, habe ich ab und zu im Original gestöbert, was auch sehr spannend war und dabei ist mir trotz mangelhaften Bosnischkenntnissen aufgefallen, wie grandios Rebekka Zeinzinger Worte für die poetischen, skurrilen Bilder und Formulierungen gefunden hat, um sie dem deutschsprachigen Publikum so authentisch wie möglich aufzubereiten.

Schreibstil und Stimmung:
Die jungen Protagonist*innen der Erzählungen sind oft auf sich alleine gestellt, sind von ihren Eltern oder anderen eigentlich für sie verantwortlichen Erwachsenen verlassen oder blossgestellt worden und müssen in teilweise extremen Situationen der Gewalt, Vernachlässigung oder Scham für sich einstehen. Es geht um einige ziemlich aussergewöhnliche aber auch um mitten aus dem Leben gegriffene Situationen. Eine Situation beginnt oft harmlos und kippt dann ins Bedrohliche um, plötzlich geht es um Entscheidungen über Leben und Tod, um Entscheidungen für den eigenen Körper und gegen das Leben oder Wohlergehen einer übergriffigen Person. Fast skizzenhaft werden die entsprechenden Szenen und das beinhaltete Dilemma geschildert und nachdem die Szene mir rasant aufeinanderfolgenden Sätzen und Steigerungen zum Höhepunkt getrieben worden ist, bleiben eine Anspannung, ein offenes Ende und manchmal eine Leiche zurück.
Immer mal wieder kommt dabei auch ein zynischer Humor zum Vorschein, der für viele weitere Zwischentöne sorgt.

Meine Empfehlung:
"Mann im Mond" wirkt manchmal mitten aus dem Leben gegriffen und manchmal wie eine Traumerzählung. Genau diese schmale Gratwanderung zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Humor und Absurdität, zwischen Dunkelheit und Lichtblick macht diese zwölf Geschichten zu einem fesselnden, bewegenden und manchmal verstörenden Leseerlebnis, das nachhallt. Von mir gibt es eine herzliche Leseempfehlung für alle, welche bereit sind, sich auf diese intensiven Texte einzulassen.

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Veröffentlicht am 15.05.2023

Sehr unterhaltsam, tolle Figuren

Rory Shy, der schüchterne Detektiv - Das Verschwinden der Amanda Kent (Rory Shy, der schüchterne Detektiv, Bd. 4)
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Inhalt:
Matilda liebt Amanda Kents Krimis und ist schockiert, als die berühmte Autorin nach einem denkwürdigen Abendessen bei ihrem Verleger verschwindet. Böse Zungen unterstellen ihr, das Verschwinden ...

Inhalt:
Matilda liebt Amanda Kents Krimis und ist schockiert, als die berühmte Autorin nach einem denkwürdigen Abendessen bei ihrem Verleger verschwindet. Böse Zungen unterstellen ihr, das Verschwinden inszeniert zu haben, um auf das Erscheinen ihres neuesten Krimis aufmerksam zu machen. Doch Matilda und Rory Shy glauben nicht an diese Erklärung. Bei ihren Ermittlungen stossen sie nämlich auf viele Lügen und noch mehr Tatmotive.

Meine Meinung:
Die Reihe um Rory Shy und seine Assistentin Matilda - die Die Reihe um Rory Shy und seine Assistentin Matilda - die eigentliche Hauptfigur der Serie - hat es mir seit dem ersten Band angetan und auch beim Lesen des vierten Bandes der Reihe bin ich voll auf meine Kosten gekommen. Das Buch ist wieder aussergewöhnlich leicht und lustig erzählt, die Figuren sind gewohnt und gekonnt überspitzt skizziert und sorgen definitiv für einige Lacher. Auch sehr gut haben mir die Verhöre und Matildas Interaktion mit ihrem Hund Dr. Herkenrath gefallen. Der Fall an sich war in meinen Augen tatsächlich weniger spektakulär als in den Vorgängerbänden und eigentlich dann doch ziemlich schnell aufgeklärt, dafür wurde ich beim Lesen mit äusserst amüsanten "Entwürfen" aus der Feder zweier Tatverdächtiger unterhalten. Diese versuchen sich nämlich im Verlauf des Buches an einem Krimi über einen schüchternen Ermittler.

Fazit:
Vielleicht ist dieser Fall ein wenig gar einfach gestrickt, die Wege, die zum Ziel führen, sind aber um so unterhaltsamer und die Figuren in diesem Buch haben mir wohl bisher am besten gefallen. Natürlich empfehle ich euch auch diesen vierten Band der Reihe weiter.

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Veröffentlicht am 10.05.2023

Ein wichtiger, faszinierender Text

Kindheit
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Meine Meinung:
Nachdem die Buchhändlerin und Bookfluencerin Maria-Christina Piwowarski anfangs 2021 unter dem Hashtag #tovelesen die neu übersetzte Kopenhagen-Trilogie ins Bewusstsein der ganzen deutschsprachigen ...

Meine Meinung:
Nachdem die Buchhändlerin und Bookfluencerin Maria-Christina Piwowarski anfangs 2021 unter dem Hashtag #tovelesen die neu übersetzte Kopenhagen-Trilogie ins Bewusstsein der ganzen deutschsprachigen Buchbubble gebracht hat, sind die Bücher mittlerweile aus keinem Instagram-Feed und Buchblog wegzudenken. Endlich habe ich den ersten Band der Trilogie gebraucht kaufen können. Es ist absolut schade, dass diese Bücher nicht viel früher mehr Aufmerksamkeit begonnen haben und ich bin um so glücklicher, die packende, aus dem Leben gegriffene und ungeschönte Erzählsprache der dänischen Autorin entdeckt zu haben.

Spannend: Ditlevsen erzählt autofiktional aus einer/ihrer Kindheit im Kopenhagen der 1920er Jahren. Klingelt das bei jemandem? Erst gerade habe ich "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" von Eeva-Liisa Manner gelesen, das im Finnland der 1920er/1930er spielt. Ich lese immer parallel und normalerweise bringe ich auch noch so ähnliche Geschichten nicht durcheinander. Bei diesen beiden Büchern ist es mir auf den ersten paar Seiten wirklich schwer gefallen, sie auseinanderzuhalten, weil die Zeit, die Lebensumstände der jeweiligen Protagonistin und vor allem auch die Sprache der Autorinnen sich so ähnlich sind. Manner ist viel lyrischer und Ditlevsen erzählt direkter und auch schonungsloser und nach einigen Kapiteln entwickelt sich die Geschichte der jungen Protagonistin ganz anders, aber man bemerkt doch, dass die beiden Geschichten zu einer ähnlichen Zeit spielen

Die Protagonistin will unbedingt schreiben, aber der Vater sagt ihr, dass Mädchen keine Dichter sein können. Um keine negative Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, stellt sie sich unwissend, träumt vor sich hin und geht unbeirrbar ihren Weg. Die Umstände sind schwierig, der Vater ist ohne Arbeit, die Mutter scheint ohne Liebe und der Bruder ist krampfhaft dabei, sich von der Familie abzunabeln.
Ich habe einige Kritik an der Sprache und dem starken autobiographischen Part gelesen und ja, das kann man mögen oder nicht und ja, ich wüsste nichts über Ditlevsens Leben, wenn Piwowarski deren Werk nicht pausenlos in die Kamera gehalten hätte...aber: Ditlevsen konnte schreiben. Ein Text aus weiblicher Feder, der vor etwa siebzig Jahren enstanden ist und so packend erzählt und so viel Freiheitsdrang und Unabhängigkeit ausstrahlt, ist wirklich aussergewöhnlich und mir hat er auch noch sehr gut gefallen.

Meine Empfehlung:
Die ersten paar Seiten haben mich gefordert, weil ich mich auf die Sprache und die Geschichte einlassen musste, aber ich habe diesen Text sehr gerne gelesen und freue mich sehr auf die Folgebände. Und vor allem anerkenne ich, wie aussergewöhnlich und ihrer Zeit voraus Ditlevsen geschrieben und erzählt hat und bin froh, dass die Autorin mehr Aufmerksamkeit bekommt und dass vielleicht dadurch auch generell vermehrt nach weiblichen Texten aus den letzten Jahrhunderten gegriffen wird.

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Veröffentlicht am 01.05.2023

Spannend und aktuell

Nobiltà
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Inhalt:
Eine Entführung empfindet Brunetti als besonders abscheuliches Verbrechen, zumal Entführungsfälle oft nicht gut ausgehen. Es scheint so, als wäre dies wieder der Fall, als die Leiche eines jungen, ...

Inhalt:
Eine Entführung empfindet Brunetti als besonders abscheuliches Verbrechen, zumal Entführungsfälle oft nicht gut ausgehen. Es scheint so, als wäre dies wieder der Fall, als die Leiche eines jungen, seit einiger Zeit vermissten Mannes, gefunden wird. Brunetti muss seine Beziehungen spielen lassen, um in genau diese Kreise der Gesellschaft zu kommen, die ihm weiterhelfen können.

Meine Meinung:
"Nobiltà" beinhaltet einen weiteren Brunetti-Fall, der tief in die wohlhabenden Kreise Venedigs führt. Es geht um Geld und Macht, um Familienbande und Vorurteile, Aussenwirkung und Betrug. Die Entführung bereitet Brunetti Bauchschmerzen und er geniesst die Zeit mit seiner Familie um so intensiver und dankbarer. Ausserdem bietet Brunetti seinem Vorgesetzten mehrfach die Stirn und setzt sich für diese Mitarbeiter ein, die besonders gute Arbeit liefern. Er bleibt loyal und sympathisch und kommt mit Intelligenz und Charme zumindest teilweise ans Ziel.

Aufbau:
Was mir bei diesem Krimi besonders gut gefallen hat, ist der Aufbau. Nach dem Leichenfund tappt Brunetti fast hundert Seiten lang im Dunkeln, hat zwar zahlreiche Vermutungen, findet aber keine Beweise für seinen Verdacht und trotzdem wird die Geschichte nie langweilig. Vielmehr erfahren wir, wie der Alltag in der Questura aussieht und erleben auch einige Szenen aus Brunettis Familienleben.
Mir erging es wie Brunetti, ich wusste nicht, worauf die Geschichte hinauslaufen würde und war vom Ende sehr überrascht und dies im positiven Sinne. Donna Leon ist da ein ganz aussergewöhnlicher Kniff gelungen, der mich wirklich überzeugen konnte.

Meine Empfehlung:
Von mir gibt es eine sehr herzliche Empfehlung für diesen spannenden Fall, der zwar nicht mehr ganz neu, aber trotzdem aktuell und spannend für beste Unterhaltung gesorgt hat.

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Veröffentlicht am 19.03.2023

Sprachgewaltiges Lesehighlight

Der Gott am Ende der Straße
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Inhalt:
Die schwangere Cedar muss sich in einer Welt behaupten, in der schwangere Frauen plötzlich zu Freiwild werden, in der sich die Gene und die Zeitachse verändern und in der sie eigentlich nur nach ...

Inhalt:
Die schwangere Cedar muss sich in einer Welt behaupten, in der schwangere Frauen plötzlich zu Freiwild werden, in der sich die Gene und die Zeitachse verändern und in der sie eigentlich nur nach ihren leiblichen Ojibwa-Eltern suchen wollte, um Antworten auf Fragen zu finden, die ihr ihre Adoptiveltern nicht geben konnten. Am besten ist es aber, wenn ihr gar nicht genau wisst, worum es in diesem Buch geht. Vertraut mir, lasst euch ein auf diesen wilden, apokalyptischen Ritt rund um Selbstbestimmung, Freiheit, Mutterschaft, Rassimus und der Suche nach den eigenen Wurzeln.

Meine Meinung:
Endlich wieder einmal habe ich es geschafft, in Marias Lesekreis mitzulesen und dies sogar überpünktlich, das Buch wird nämlich erst im April abschliessend besprochen. Trotzdem will ich euch meine Rezension nicht vorenthalten. Schliesslich ist es lange her, dass ich beim Lesen eines Buches von der ersten Seite an wusste, ein absolut grossartiges Stück Literatur in Händen zu halten.
Am Anfang dieser Lektüre werden wahrscheinlich ein paar Fragen aufgeworfen, aber ich verspreche euch, dass ihr zumindest einige Antworten finden werdet und vor allem mit einer sehr spannenden, düsteren Handlung und einer bildgewaltigen und fesselnden Sprache belohnt werdet. Cedar behauptet sich, will leben, will frei sein und will ihr Kind um jeden Preis bekommen. Sie schreibt als überzeugte Katholikin und Religionswissenschaftlerin an einem wichtigen Zeitungsartikel und hält ihre Erlebnisse gleichzeitig in einem Tagebuch fest, von dem sie hofft, dass ihr noch ungeborenes Kind dies einmal finden und lesen wird. Einige Katastrophenszenarien wie das Hamstern von Nahrungsmitteln aber auch Waffen fühlen sich nach den Coronajahren unangenehm vertraut an. Ausserdem haben mich die spannenden Diskussionen mit Cedars Elternpaaren sowie deren individuelle Geschichte für sich einnehmen können. Das Buch ist voller Symbole und Andeutungen, niemand weiss so richtig, was geschieht und diese Ungewissheit ist stets greifbar.

Sprache und Aufbau:
Cedar ist äusserst belesen und weiss, dass sie im zweifelsfall nur auf sich selber vertrauen kann. Sie ist sich nicht sicher, wie viel an den Gerüchten über die deportieren Schwangeren und Gebärfreiwilligen wahr ist und kann auch nicht abschätzen, inwiefern sich die Zeit wirklich rückwärts entwickelt, aber sie weiss, dass sie alles tun muss, um ihr ungeborenes Kind gesund zu halten und zur Welt zu bringen.
Der indigene Part ihrer Familie kennt Geschichten und Symbole, die für sie zu Gallionsfiguren und Ratgebern werden, ihre weissen Vorfahren versuchen, mit Ratio und Geschick durch die Krise zu kommen. Besonders gut gefallen haben mir persönlich Cedars Tagebucheinträge, leider ein wenig kritisieren muss ich, dass die Beklemmung gegen Ende des Buches ein wenig abgenommen hat. Obwohl wir in einer dystopischen Welt sind, verschwimmen die Grenzen zwischen unserer Welt und der Dystopie. Die Unterdrückung von Frauen, die Beschneidung der Selbstbestimmungsrechte von Schwangeren und der Zusammenschluss verschiedenster Ideologien fühlen sich unangenehm echt und bedrohlich an, die dystopische Bedrohung dieses erfundenen Amerikas werden aber zu wenig konkret und fassbar. Es kann gut sein, dass die Autorin bewusst diesen Weg gewählt hat, damit wir Leser*innen uns an unseren Alltag und dessen Gefahren erinnert fühlen. Gewollt oder nicht, überzeugend und spannend ist diese Lektüre mit bitterböschwarzem Humor allemal.

Meine Empfehlung:
Braucht ihr noch mehr Argumente? Lest dieses Buch, gebt euch seinem Sog und seiner grossartigen Erzählsprache hin. Von mir gibt es eine sehr herzliche Leseempfehlung für dieses literarische Highlight.

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