Lieblich unbeliebt
Eine unbeliebte Frau„Eine unbeliebte Frau“ von Nele Neuhaus erscheint 2009 als erster Teil der bisher elf publi-zierten Kriminalromane um die Ermittler Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff im List, ein Verlag der Ullstein ...
„Eine unbeliebte Frau“ von Nele Neuhaus erscheint 2009 als erster Teil der bisher elf publi-zierten Kriminalromane um die Ermittler Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff im List, ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH.
Die Handlung spielt im Main-Taunus-Kreis und erstreckt sich über fünfzehn Tage – vom 28. August bis zum 11. September 2005. Am selben Tag werden zwei Leichen gefunden: zum einen die des Oberstaatsanwalts Dr. Joachim Hardenbach, den Oliver von Bodenstein schon seit 20 Jahren gut kennt und diesen deshalb erschüttert, in einem Weinberg, zum anderen die einer attraktiven Frau vor einem Aussichtsturm. Handelt es sich bei Hardenbachs Tod gewiss um einen Suizid, so erfährt man schnell, dass die junge Isabel Kerstner an den Folgen eines Mordes gestorben sein muss. Bei den Ermittlungen um Isabel Kerstner, eine talentierte Pferdereiterin im Gut Waldhof, wird schnell deutlich, dass sie bei so gut wie allen in ihrem Bekanntenkreis unbeliebt war. Fast alle hätten einen Mordmotiv haben können.
Und fast alle auftretenden Figuren verdächtigt man mindestens ein Mal des Mordes. Nele Neuhaus schafft einen fortwährenden Spannungsbogen, der sich bis zum letzten Kapitel hält. Einerseits erzielt sie das, indem man als Leser oder Leserin raffiniert in die Irre getrieben wird. Bis zum Schluss konnte ich mir nicht sicher sein, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag, wer Isabel Kerstner letzten Endes ermordet hat. Andererseits schafft sie das durch ihren unkomplizierten, sehr flüssigen und alltagstauglichen Schreibstil. Ich hatte das Gefühl, die Seiten förmlich zu verschlingen. Grundsätzlich mag ich lange Kapitel nicht, da sie sich für mich wie eine halbe Ewigkeit anfühlen und eher einer Qual gleichen. Obwohl „Eine unbeliebte Frau“ mehrere Kapitel, die länger als zwanzig Seiten sind, umfasst, machte mir das nichts aus. Ich musste nämlich unbedingt erfahren, wie es weitergehen würde.
Auf stilistischer Ebene hat mir besonders der Umgang mit Humor gefallen. Es war nicht übertrieben eingesetzt, sondern mit Maß an geeigneten Stellen, sodass sich zwischendurch auch ein Lächeln auf dem Gesicht abzeichnete oder gar kurz schmunzelte. Das machte die Figuren meiner Meinung nach nahbarer und realitätsnah, das Lesen insgesamt unterhaltsam und kurzweilig. Ferner mochte ich ungemein, wie die Figuren umschrieben werden. So wird der Arzt, der die Leichenschau von Isabel durchführte, als Zwerg und die grimmige Tierarzthelferin als Mops beschrieben. Auch dies machte meine „Lesesitzungen“ unterhaltsam und kurzweilig.
Einzig die mehrfach verwendeten Floskeln nach dem Schema „Was hast du für einen Trottel von Ehemann?“ – das ist ein ausgedachtes Beispiel, um den sprachlichen Aspekt zu verdeutlichen – haben mich leicht gestört, da ich sie persönlich unschön finde, tragisch ist dies aber in keiner Weise.
Insgesamt mochte ich, wie Nele Neuhaus die Figuren in ihrem Kriminalroman aufgebaut hat. Ein mir sehr sympathischer Charakter, der öfters während der Lektüre auftritt, ist Thor-dis. Sie offenbart sich als taffe, junge Frau, die anfangs ein wenig mysteriös charakterisiert wird. Auch die – zugegebenermaßen etwas klischeehafte, neugierige und alles wissende – Nachbarin der Kerstners mit ihrem Akzent ist mir sympathisch in Erinnerung geblieben.
Zu den beiden Hauptfiguren Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff habe ich aber noch keine Brücke aufbauen können. Sie waren für mich nicht nahbar genug, auch wenn ich sie grundsätzlich auch sympathisch finde. Meines Erachtens hätten beide noch tiefgründiger herausgearbeitet werden können. Zwar erfährt man einiges über die familiären Umstände beider Figuren, aber dabei bleibt es auch. Ich hätte mir gewünscht noch mehr von ihrem In-nenleben zu erfahren.
Zuletzt möchte ich noch auf Titel und Cover eingehen. Das Cover deckt sich mit der düsteren Atmosphäre, die anfangs herrscht, und passt zum Taunus. Während der Vordergrund sehr scharf ist, erscheint der Hintergrund verschwommen. Dies steht in engem Zusammenhang mit der Handlung. Man meint als Leser oder Leserin den vollen Überblick zu haben, dabei hat man nie den vollständigen Durchblick hinter den Kulissen. Immer wieder übersieht man etwas. Immer wieder werden mehr Puzzleteile auf den Tisch geschüttet, die sich scheinbar nicht zu einem Bild zusammenfügen möchten. Immer wieder wird man in die Irre getrieben.
Der Titel „Eine unbeliebte Frau“ passt sehr. So gut wie alle Figuren berichten Negatives über die Ermordete. Sie scheinen alle eher froh zu sein, dass sie gestorben ist, anstatt ihr hinterherzutrauern.
Der Kriminalroman „Eine unbeliebte Frau“ ist ein solider Einstieg in die Buchreihe um die Ermittler Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein. Der Erzählstil von Nele Neuhaus ist meines Erachtens herausragend, was sich im Aufrechterhalten des Spannungsbogens und der unkomplizierten Sprache zeigt.
Lediglich die Hauptfiguren hätten tiefgründiger herausgearbeitet werden können, sodass ich mich ihnen besser nähern kann. Dies wird aber vielleicht in den folgenden Bänden gemacht.
Für Freunde der Kriminalliteratur ist „Eine unbeliebte Frau“ absolut lesenswert. Von mir gibt es eine eindeutige Kaufempfehlung. Diese richte ich zugleich auch an mich selbst für die weiteren zehn Bände, da ich nun wissen möchte, wie sich Pia Kirchhoff und Oliver von Bo-denstein im Laufe der ganzen Buchreihe entwickeln werden und welche weiteren spannenden Fälle sich Nele Neuhaus ausgedacht hat.