Mut in dunklen Zeiten
White Bird - Wie ein Vogel"White Bird" von R.J. Palacio erzählt die fiktive Geschichte des jüdischen Mädchens Sara, das in Frankreich in den 30er und frühen 40er Jahren ein behütetes und glückliches Leben führt. In der Schule wurde ...
"White Bird" von R.J. Palacio erzählt die fiktive Geschichte des jüdischen Mädchens Sara, das in Frankreich in den 30er und frühen 40er Jahren ein behütetes und glückliches Leben führt. In der Schule wurde sie neben Julien gesetzt, der aufgrund einer Behinderung seit einer Polioerkrankung von seinen Mitschülern gehänselt wird, und auch Sara behandelt ihn mit Geringschätzung. 1943 muss Sara bei einer Razzia vor den deutschen Soldaten fliehen. Sie wird von Julien gerettet und von seiner Familie über Monate versteckt.
Julien, der Held des Buches, wirkt zwar schwach und unscheinbar, ist jedoch wesentlich stärker als vermutet, mutig und selbstlos. Sara, verwöhnt und ichbezogen, wächst während ihrer Zeit im Versteck charakterlich durch den Kontakt mit Julien. Diese Entwicklung wird sehr eindrücklich beschrieben und hat mir sehr gut gefallen, weil sie zeigt, wie wichtig es ist, hinter Äußerlichkeiten zu blicken, Gerüchte zu hinterfragen und über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.
Das Buch vermittelt somit einige wichtige Botschaften an die jungen Leser*innen. Es zeigt auf, dass es auf die Taten jedes Einzelnen ankommt, um gegen das Böse zu kämpfen und Frieden, Freiheit und Menschlichkeit zu sichern. Es macht Mut, weil wir jeden Tag von Neuem die Möglichkeit haben, unsere Fehler zu erkennen, daraus zu lernen und unser Verhalten zu ändern. Und es lehrt uns, dass wir uns als Mitläufer schuldig machen, ob im Kleinen, wie beim Mobbing, oder während des Naziregimes. Das Buch ist somit ein wichtiger Aufruf zur Zivilcourage und zur Selbstreflexion.
Dennoch konnte mich das Buch nicht komplett überzeugen, da ich die Geschichte als zu glatt und in ihrer Intention zu durchschaubar empfand, um wirklich darin eintauchen zu können. Meines Erachtens lässt der Grundton des Romans deutlich erkennen, dass das Buch von einer amerikanischen Autorin geschrieben wurde. Der von Anfang an sehr lockere Umgangston zwischen Juliens Eltern und Sara entspricht für mich nicht den europäischen/französischen Gepflogenheiten der damaligen Zeit und wirkt nicht authentisch. Zudem habe ich insbesondere bei der Rahmenhandlung den Eindruck, dass sich das Buch an eine jugendliche Leserschaft richtet, die relativ wenig über das 3. Reich weiß. In Deutschland wird glücklicherweise dieses wichtige Thema sehr gründlich und ausführlich in den Schulen behandelt, so dass hier viel Hintergrundwissen vorhanden sein sollte. Der direkte Bezug im Epilog zwischen den unvorstellbar schrecklichen Geschehnissen im 3. Reich und aktuellen Ereignissen und Entwicklungen ist für mein Empfinden sehr pauschal und durchaus fragwürdig.
Fazit: Ein empfehlenswertes Jugenbuch, das wichtige Botschaften vermittelt, erzählerisch jedoch etwas hinter meinen Erwartungen zurückbleibt.