Lehrreiches Buch mir Feingefühl
Er hieß JanAllgemeines:
Titel: Er hieß Jan
Autor: Irina Korschunow
Genre: Drama
ISBN-10: 3423782846
ISBN-13: 978-3423782845
Preis: 5,99€ (Kindle-Edition)
7,95€ (Taschenbuch)
12,99€ (Gebundene Ausgabe)
! Erhielt ...
Allgemeines:
Titel: Er hieß Jan
Autor: Irina Korschunow
Genre: Drama
ISBN-10: 3423782846
ISBN-13: 978-3423782845
Preis: 5,99€ (Kindle-Edition)
7,95€ (Taschenbuch)
12,99€ (Gebundene Ausgabe)
! Erhielt 1987 den Roswitha-Preis!
Inhalt:
Zwei Bäuerinnen und ein französischer Kriegsgefangener verstecken die siebzehnjährige Regine. In der Rückblende erfahren wir, was geschehen ist: Regine hat den polnischen Zwangsarbeiter Jan kennen gelernt. Anfänglich wollte sie mit dem »polnischen Untermenschen« nichts zu tun haben. Nach und nach aber beeindruckt sie der junge Mann tief. Die nun beginnende Liebesgeschichte bringt beide in tödliche Gefahr...
Über die Autorin:
Auch wenn ich sonst nicht oft etwas über die Autoren der Bücher schreibe, die ich vorstelle (da ich finde, dass der Lebenslauf nicht viel zur Entscheidung, ob man ein Buch liest oder nicht beiträgt), finde ich das Lebenswerk von Irina Korschunow einfach sehr beeindruckend und will ihn deshalb nochmals anführen. Lest selbst:
Irina Korschunow stammt aus einer deutsch-russischen Familie. Sie wurde am 31. Dezember 1925 in Stendal geboren und ist auch dort aufgewachsen. Sie studierte Germanistik in Göttingen und schrieb sich vor allem mit ihren Kinderbüchern in die Herzen ihrer Leser. Am 31. Dezember 2013 ist sie in München verstorben.
Als Kinderbuchautorin wurde sie zunächst durch ihre ›Wawuschel‹-Bände bekannt. Neben zahlreichen weiteren Kinderbüchern, die in viele Sprachen übersetzt und vielfach mit Preisen bedacht worden sind, wurden besonders ihre Erstlesetexte ›Hanno malt sich einen Drachen‹ und ›Der Findefuchs‹ große Erfolge und zählen längst zu Klassikern ihres Genres.
Neben unzähligen Kinderbüchern legte Irina Korschunow auch drei sehr erfolgreiche Jugendromane vor, die zeitnahe Probleme behandeln. In letzter Zeit ist Irina Korschunow besonders durch Romane für Erwachsene hervorgetreten, die große Beachtung fanden.
Für ihr Gesamtwerk erhielt sie die Roswitha-Gedenkmedaille, den Literaturpreis der Stadt Gandersheim. Irina Korschunow über ihr künstlerisches Selbstverständnis:
»Autorin, ganz einfach Autorin. Unter anderem deshalb, weil dann den Leuten, die sich theoretisch mit mir zu befassen haben, die Einordnung meiner schreibenden Person leichter fiele. Denn es gibt von mir neben Büchern für Kinder auch Bücher für Erwachsene, Grund für mancherlei Schwierigkeiten offenbar. Als ›Kinderbuchautorin und Schriftstellerin‹ hat man mich schon bezeichnet, in säuberlichem Kästchendenken, und sogar hin und her überlegt, ob ich vielleicht ein bisschen schizophren sei. Worüber sämtliche Schichten in mir, das Kind, der junge Mensch, der ältere, immer ältere, all das, was sich so übereinander schiebt im Laufe eines Lebens, nun wirklich lachen mussten.«
Allein bei dtv junior hat die Zahl ihrer verkauften Bände längst die Zweimillionengrenze überschritten, viele ihrer Bücher sind auch als Schullektüre bestens etabliert.
Bewertung:
Erster Satz: "Acht Quadratmeter, mehr nicht. Vier weiße Wände, ein Fenster, ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Ofen...
Schon als Kind habe ich ihre Geschichten geliebt. "Hanno malt sich einen Drachen" oder "Der Findefuchs" gehörten zu meinen Erstlesebüchern, sie hat mich also schon früh beeinflusst. Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich ein Erwachsenenbuch von dieser Autorin gefunden habe.
Es gibt zugegebenermaßen viele Bücher über den zweiten Weltkrieg, doch diese Geschichte ist irgendwie anders. Die Geschichte des Lebens während des Krieges aus der Sicht eines deutschen Mädchens zu erzählen, die durch eine Liebesbeziehung mit einem polnischen Zwangsarbeiter in tödliche Gefahr gebracht wurde, ist eine sehr abwechslungsreiche und neue Art der perspektivischen Darstellung.
Das Buch beginnt ziemlich unverblümt mit der Flucht der Protagonistin Regine, die ihre derzeitige Zufluchtsstätte beschreibt. Ihr habt es oben gelesen: "Acht Quadratmeter, mehr nicht. Vier weiße Wände, ein Fenster, ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Ofen...". Viel hat die junge Frau nicht, fühlt sie eingesperrt, hoffnungslos, verängstigt und alleine. Man wird von ihren Emotionen geradezu überwältigt, obwohl man noch nicht einmal weiß, was eigentlich passiert war. Wir werden ganz langsam durch die Erinnerfetzen und Mini-Rückblenden gefüttert, die im Buch verstreut sind und erfahren, wie sie Jan kennenlernte und damit alles anders wurde. Der Einstieg ist alles andere als leicht, durch stetige Informationszufuhr wird die Story aber am Laufen gehalten und wir erfahren, wo sich Regine befindet, wer die anderen Personen sind und welche Einstellung sie eigentlich hatte. Sehr einfühlsam wird dem Leser durch viele Rückblenden gezeigt, wie es eigentlich zu ihrer Flucht kam, warum sie ihre Einstellung geändert hat, warum sie auf dem Bauernhof untertauchen konnte und nebenher bekommen wir auch den zweiten Weltkrieg gut aufgeklärt, aber eben in einer weniger schrecklichen, jugendgerechten Fassung.
Nun zum genauen Inhalt, der meiner Meinung nach im Klapptext des Buches mehr schlecht als Recht getroffen wurde:
Als die 17jährige Regine 1944 den jungen polnischen Zwangsarbeiter Jan in einer Gärtnerei kennenlernt, ist sie eine überzeugte Nationalsozialistin.
Sie hält Jan für einen 'Untermenschen' und will nichts mit ihm zu tun haben. Doch dann verliebt sich Regine in Jan. Sie müssen sich heimlich treffen, denn nach den nationalsozialistischen Gesetzen ist eine solche Beziehung verboten und eine tödliche Gefahr. Erst durch ihre Liebe zu Jan nimmt Regine die menschenunwürdige Behandlung der 'Fremdarbeiter' wahr und erkennt die Sinnlosigkeit. Ihr Glaube an die nationalsozialistischen Ideale zerbricht.
Regine und Jan werden an die Gestapo verraten und festgenommen. Vor den Augen der neugierigen Nachbarn scheren die Gestapo-Männer Regine das Haar und beschimpfen sie als „Polenhure". Regine schneidet man die Haare ab, als es nachts erneut Fliegeralarm gibt, lässt der Wärter Regine frei, da das Gefängnis bereits getroffen wurde. Sie flüchtet zum Henninghof, wo sie im Sommer bei der Ernte geholfen hat. Die Bäuerin versteckt sie in der Giebelkammer. Was aus Jan geworden ist, weiß sie nicht, sie befürchtet, dass er von den Nationalsozialisten getötet wurde. Doch was wird jetzt aus ihr?
Wie gesagt, basiert ein Großteil der Geschichte auf Rückblenden, was das Lesen etwas schwierig, aber sehr interessant macht. Das Buch ist in der Ich-Form geschrieben und schildert die Ereignisse im Rückblick aus Regines Sicht. Regine berichtet aus der Giebelkammer über die Ereignisse mit Jan, den Krieg sowie das gegenwärtige Geschehen auf dem Hof. Durcheinander, unchronologisch, unreflektiert und ungeschönt erfahren wir langsam, was passiert ist und lernen die einzelnen Personen kennen. Ihre Mutter, die eigentlich ein guter Mensch ist, aber für die jedes Wort Hitlers Gesetz ist; Ihre Großmutter, für die Ordnung die Welt ist; Herr Steffens, bei dem Jan wohnt wie viele andere Zwangsarbeiter; Jan, der so anders ist und gar nicht in Regines Weltbild passt und natürlich unsere Protagonistin selbst.
Zwischendurch wird das Leben auf dem Bauernhof geschildert und auch dort kann man sich die Personen lebhaft vorstellen.
"Ich möchte, dass wir den Krieg verlieren. Vor vier Monaten - wenn ich vor vier Monaten diese Worte gehört hätte, ich wäre zur Polizei gegangen. Einer, der uns in den Rücken fällt, den Soldaten, der Heimat, dem Führer. Ich hätte ihn angezeigt, vor vier Monaten noch. Auch damals hieß ich Regine Martens, hatte blonde Haare, graue Augen, war 158 groß, schlank, mit langen Beinen. Genau wie heute."
Die 17-jährige Regine war mir zu Beginn wirklich unsympathisch, da sie blind den Nazi-Idealen hinterherlief und nichts hinterfragte, was ihr gesagt wurde. Sehr interessant war es dann zu sehen, wie sie sich langsam entwickelte, begann, Fragen zu stellen und ihr Weltbild zu überdenken.
Zuerst glaubte sie und ihre Mutter noch felsenfest an den Teilsieg Polens und den Endsieg Deutschlands im Krieg, denn ihre norddeutsche Stadt Steinbergen und deren 30000 Einwohner waren bisher noch von Bomben- und Giftgasangriffen verschont geblieben. Obwohl der Vater in Russland ist, verdrängt die junge Gymnasiastin die Gedanken an das Schicksal der jüdischen Mitbürger, der Anhänger von SPD und KPD, sowie der Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter. Die Suche nach dem kleinen privaten Glück in Form von Tanzstunden oder zusätzlichen Essensrationen ohne Marken steht im Vordergrund. Dies ändert sich für Regine aber schlagartig, als sie den 22-jährigen polnischen Fremdarbeiter Jan kennen und lieben lernt.
**Achtung Spoiler:*
Diese eine Begegnung ändert alles:
Es ist der 12. September 1944, Regines 17. Geburtstag, nachts unmittelbar nach einem Fliegeralarm in der norddeutschen Stadt Steinbergen. Im Freien liegt ein verwundeter Pole, während sein Kollege nach Hilfe Ausschau hält. Als er Regine mit ihrer „Erste-Hilfe-Tasche“ erblickt, spricht er sie an und bittet sie um Hilfe. Obwohl Regine überzeugte Nationalsozialistin ist, leistet sie dem Polen Erste Hilfe. Am nächsten Morgen, als sie beim Gärtner Steffens Gemüse holen geht, sieht sie den Freund des verwundeten Polen wieder.
Der Student, dessen Vater gleich nach Kriegsbeginn von den Nazis in Polen umgebracht wurde, arbeitet in der Gärtnerei von Herrn Steffens, welcher ihn gut behandelt, weil er ihn an seinen eigenen Sohn erinnert, der Soldat in Russland ist, heißt Jan.
Regine erzählt, dass sie Geburtstag hat. Daraufhin lädt Herr Steffens die beiden auf einen Schnaps ein. Regine und Jan lernen sich besser kennen und verlieben sich ineinander. Sie treffen sich regelmäßig nachts in Herrn Steffens Schuppen. Dort reden sie über viele Dinge, insbesondere über den Krieg. Durch den Kontakt mit Jan verliert Regine allmählich ihre nationalsozialistische Überzeugung. Wie kann sie sich in jemanden verlieben, der nichts wert ist, keine Seele hat? So will sie aus der von den Nazis reglementierten Welt ausbrechen, nicht weil sie revolutionär ist, sondern weil sie sich gegen ihre Liebe nicht wehren kann. Rapide ändert sich ihre Einstellung, ihre Wahrnehmung, was man auch sehr gut an ihrem Berichtstil erkennen kann.
In einem Deutschaufsatz schreibt sie über die Sinnlosigkeit des Krieges und nur durch Jans Eingreifen wird sie dabei vor Schlimmerem bewahrt. Sie glaubt nun nicht mehr länger an die Propagandasprüche des NS-Systems und verrät sich beinahe während einer Geburtstagsfeier, als sie sich scharf gegen die Abwertung russischer Gefangener als Tiere wendet.
Ihre Entwicklung und die Geschichte enden dann auf dem Bauernhof, wo die Geschichte begann. Das dauernde Eingeschlossensein, die Angst vor nochmaliger Entdeckung ließen sie zuerst nicht zur Ruhe kommen. Doch nachdem sie die ganze Geschichte während der Erzählung des Buches reflektiert hat und mit fortschreitender Zeit, die nun im Gegensatz zu früher für sie langsam zu vergehen scheint, gelingt es ihr, durch Erinnerungen an die Vergangenheit, mit sich ins Reine zu kommen. Auch die Gespräche, die sie mit den drei Hofbewohnern der alten Bäuerin Frieda Henning, ihrer Tochter Gertrud Happke und dem französischen Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter Maurice führen kann, helfen ihr bei diesem Selbstfindungsprozess. Am Schluss des Buches wird ihr mehr und mehr klar, dass sie den geliebten Jan wohl nicht wieder sehen wird. Aber sie hat nun keine Angst mehr vor
dem Weiterleben und will nach dem Ende des Krieges damit beginnen, »Spuren zu legen«, was Jan
einmal als den Sinn des Lebens bezeichnet hat.
*Spoiler Ende**
Die Geschichte von Regine und Jan vermittelt authentische Informationen über die Zeit des Nationalsozialismus und vor allem über Leben und Verhalten der Menschen in einer deutschen Stadt während des Krieges: Die unmenschliche Behandlung von Zwangsarbeitern, die Angst vor Denunziation und die Strafmaßnahmen gegenüber denen, die nationalsozialistische Gesetze missachteten. Sie erzählt aber auch von Menschen, die sich ihre Menschlichkeit bewahrten und anderen halfen.
Das Buch ist meiner Meinung nach allen Jugendlichen zu empfehlen, die sich in irgendeiner Form mit der Thematik beschäftigen, sei es in der Schule in Jugendgruppe oder auch zu Hause. Es sollte allerdings lieber nicht früher als 12 Jahre gelesene werden, da es sich um hierbei ein komplexes Thema handelt, das ohne eine gewisse Reife nicht verstanden und aufgearbeitet werden kann. Doch dieses Potential birgt dieser Roman auf jeden Fall!
Der Schreibstil Irina Korschunow ist wirklich beeindruckend: Sie schildert das Leben in Deutschland während des Krieges so genau, dass man fast denkt es wäre kein Roman so eine Auto-Biographie. Auch durch gekonnte Dialoge beweist sie immer wieder, dass sie das Handwerk des Schreibens exzellent beherrscht.
Das Ende des Buches ist ein wenig eigen. Mas steht kurz vor dem Ende des Krieges und geht daovn aus, dass dieser auch noch im Buch endet und Regine sich zumindest auf die Suche nach Jan machen kann. Doch das ist nicht der Fall, und das Buch endet einige Monate vorm Kriegsende. Das ist auf der einen Seite etwas schade, denn auch wenn man weiß, dass sie überleben wird, fehlt einfach der Abschluss der Liebesgeschichte. Auf der anderen Seite endet das Buch super mit einem Zitat Jans, das dem Leser klar macht, dass sie über ihn hinweg ist und neuen Mut gefunden hat, weiter zu leben, ob sie ihn nun findet - tot oder lebendig.
Fazit:
Ein lehrreiches Buch mit Feingefühl, das zugleich traurig und wunderschön ist und sich auf sehr interessante Weise mit den Geschehnissen des zweiten Weltkrieges auseinander setzt. Eine Empfehlung an alle!