„Die Menschen wollen alle glauben, dass die Welt ein schöner Ort ist.“
(Kaiden in Vor uns die Dämmerung)
Worum geht’s?
Wenn Emery in die Augen ihrer Mutter schaut, erinnert sie alles an den Tod ihrer Schwester Logan. Ihre Krankheit. Ihren Verlust. Daher zieht Em zu ihrem Vater und versucht einen Neustart. Aber egal, wohin sie geht: Logan bleibt immer bei ihr. Unter einem großen Ahornbaum, wo ihre Schwester begraben wurde, fühlt sie sich ihr besonders nah. Was Em nicht weiß: Auch ihr neuer Stiefbruder Kaiden sucht diesen Ort auf. Er ist wütend, abweisend und so unglaublich gutaussehend, dass Em an nichts anderes mehr denken kann. Als die beiden sich näherkommen, lernt Em Schicht für Schicht den wahren Kaiden kennen – und lieben. Aber was Kaiden nicht weiß: Em leidet an der gleichen Krankheit wie ihre Schwester …
Vor uns die Dämmerung ist ein Einzelband und in sich geschlossen.
Inhaltliche Hinweise
Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive durch Emery erzählt. Das Buch beinhaltet potenziell triggernde Inhalte, insbesondere aus dem Bereich Erkrankung, Trauer und Verlust. Das Buch beinhaltet sexuellen Content.
Meine Meinung
Schönes Cover, interessanter Klappentext und ja – das Label „Books that make me ugly cry“. Das waren die Gründe, wieso ich dieses Buch unbedingt lesen wollte. Plus eine sehr überzeugende Leseprobe, die mit einem poetischen, gefühlvollen Schreibstil schon direkt mein Herz erreicht hat. Als dann die ersten überschäumenden Bewertungen zum Buch kamen, war ich sehr gespannt, ob das Buch „worth the hype“ ist. Und was soll ich sagen? Ja und nein.
Wer zu diesem Buch greift, sollte sich von Anfang an einer Sache bewusst sein: Das hier ist kein Zuckerwatte-Kuschelbuch. Vor uns die Dämmerung ist ein komplexes, ergreifendes Buch, was mit einer drückenden Atmosphäre, diversen Problematiken und jeder Menge intensiver Einblicke daherkommt. Es ist ein Buch, was einen von Anfang an in eine schmerzhafte Dunkelheit zieht, bei dem man verzweifelt nach Licht (und Hoffnung) sucht, aber manchmal nur sehr viele Schatten erhält. Dementsprechend sollte es eine bewusste Entscheidung sein, zu diesem Buch zu greifen. Es ist ein Buch, was an den Nerven, am Herzen zerren wird. Ein Buch, was möglicherweise triggernd sein kann, einen emotional ziemlich mitnehmen kann. Aber genug zum Vorab-Disclaimer.
In dem Buch geht es um Emery. Emery gab es einst als Doppelpack, denn sie hat eine eineiige Zwillingsschwester namens Logan gehabt. Aber Logan verstarb in Folge ihrer Lupus-Erkrankung und seitdem steht das Leben von Emery und ihrer Familie Kopf. Jahre sind vergangen, aber der Verlust beeinflusst das Leben jeden Tag. Emery vermisst ihre beste Freundin, aber auch ihre Mutter. Denn die hat sich seit Logans Tod zurückgezogen, gelegentlich nennt sie Emery sogar Logan. Und so entscheidet Emery sich, zu ihrem Vater zu ziehen, der die Familie vor Logans Tod bereits verlassen hat und zu dem sie seitdem keinen Kontakt hatte. Er hat eine neue Familie mit der liebevollen Cam und deren Sohn Kaiden gegründet. Und hier versucht Emery, ihr letztes Schuljahr zu absolvieren. Und am Leben zu bleiben, denn auch Emery ist lupuserkrankt.
Beim Lesen des Buches schlugen zwei Herzen in mir, das eine war begeistert, das andere leider nicht. Und ich möchte hier versuchen zu erklären, wieso. Denn das Buch hat wunderbare Elemente, aber auch nicht gelungene Momente. Ich fange mit dem an, was mich nur bedingt begeistert hat: Kaiden. Kaiden und Emery. Das anfängliche Familienleben. Denn Emery hatte ewig keinen Kontakt zu ihrem Vater (was später noch ein relevantes Thema wird) und anfangs bemüht sich ihr Vater auch irgendwie null um sie. Lediglich Cam ist von Anfang an liebevoll und motiviert, versucht Emery einzubinden und ihr ein gutes Gefühl zu geben. Kaiden hingegen ist von Anfang an das klassische Badboy Klischee. Er ignoriert Emery, er ist unhöflich zu Emerys Dad und auch zu seiner eigenen Mutter, er verschwindet nachts und trägt jede Menge Wut in sich. In der Schule sorgt er dafür, dass kaum jemand mit Emery redet. Und alles war irgendwie so… sinnlos? So anlasslos? Und das hat es mir tatsächlich schwer gemacht. Denn sein Handeln wirkte einfach nur so, als würde die Autorin ein wenig Klischee und beliebte Tropes (Enemies to lovers) einbauen wollen. Glücklicherweise bricht Kaidens Fassade im Verlauf etwas auf, wenngleich mir einfach der Anlass dafür fehlte. Quasi über Nacht wird er liebevoll und sorgsam zu Emery, verbringt Zeit mit ihr und naja, unweigerlich verlieben sie sich. Ab dem Zeitpunkt scheint beide tendenziell eher Sex als alles andere miteinander zu verbinden. Ganz ehrlich? Die Lovestory war unglaublich schwach, als hätte sich die Autorin überhaupt keine Mühe geben wollen, da Substanz einzubauen und ein zumindest einigermaßen solides Fundament zu bauen. Generell gibt es einen Punkt in der Geschichte, der dazu führt, dass die Charaktere sich verändern, nur mir ist nicht wirklich klar geworden, wieso eigentlich. Ab diesem Punkt fand ich das Buch aber deutlich angenehmer zu lesen, einfach weil die Charaktere langsam Sinn gemacht haben und nicht wie zurechtkonstruierte Abziehbildchen wirkten. Und das war auch nötig, denn der Kern des Buches liegt nicht auf der Lovestory, sondern auf…
Emerys Geschichte. Und das ist, was mich an dem Buch unglaublich begeistert hat. Die Autorin hat in einer unglaublichen Form geschafft, einem die Lupus-Erkrankung, die Folgen, die inneren Vorgänge von Emery und den steten Wandel zwischen Hoffnung und Verzweiflung nahezubringen. Dies führt eben auch zu der benannten drückenden Stimmung im Buch, da man doch sehr mit Emery leidet und von ihrem Schicksal ergriffen ist. Die Schwester verloren, nun selbst schwer krank, eine Mutter vom Verlust der Tochter so mitgenommen, dass sie für ihre andere Tochter nicht mehr da sein kann. Hier liegt unglaublich viel Gewicht und Schmerz in der Geschichte. Und wenn man das Nachwort liest, versteht man auch, wieso das der Autorin alles so gut gelungen ist. Es sind rohe Gefühle, ungefilterte Gedanken, hoffnungsvolle Erinnerungen und zerschmetternde Erlebnisse, die der Leser mit Emery erleben darf und muss. Irgendwann im Verlauf der Geschichte habe ich auch gedacht, dass es für mich die ganze Liebesgeschichte nicht gebraucht hätte. Kaiden und Emery hätten Freunde sein können, Geschwister. Die Lovestory war für mich nicht unterstützend und nicht relevant. Aber Emerys Empfindungen sind es. Manchmal möchte man sie anschreien, weil sie bewusst die Augen verschließt. Manchmal möchte man sie in den Arm nehmen, weil man mit ihr leidet. Manchmal möchte man ihr den Schmerz nehmen, ihr Hoffnung geben. Und gleichzeitig hat man Angst. Angst davor, wie dieses Buch ausgehen wird.
Und das führt mich zum letzten Punkt. Das Ende. Es wird wahrscheinlich polarisieren. Es wird Leute zufrieden stellen und andere Leute werden es hassen. Es wird für einige Sinn machen, für einige nicht. Es ist ein schnelles Ende, plötzlich und irgendwie mittendrin. Es lässt Raum für Gedanken. Aber vor allem ist es eins: Mutig. Mutig von der Autorin, dem Leser mit einem derartigen Ende herauszufordern. Mutig von der Autorin, der Protagonistin derartigen Raum zu geben. Mutig vom Leser, bis hierhin gelesen zu haben, auch wenn sein Gefühl ihn warnt, es zu tun. Es ist ein Ende, was ich mir häufiger in Büchern wünsche, weil es realistisch ist. Auch wenn es wehtut.
Mein Fazit
Vor uns die Dämmerung überzeugt mich nicht als Liebesgeschichte, aber als Lebensgeschichte. Die Autorin beschreibt Emerys Gefühlswelt unglaublich berührend und behutsam, das Drumherum verkommt leider aber doch ziemlich. Eine etwas andere Geschichte, voller Schwere, Verzweiflung und Hoffnung. Für mich eine Leseempfehlung, aber man sollte sich bewusst sein, auf welche Reise man sich begibt.
[Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das mir freundlicherweise vom Verlag überlassen wurde. Meine Meinung ist hiervon nicht beeinflusst.]