Man hat immer nur eine Gelegenheit
Das glückliche Geheimnis"Das glückliche Geheimnis" von Arno Geiger ist eines der Bücher von denen ich mir wünschte, nie ans Ende zu kommen. Es sind nur 237 Seiten, auf denen uns der Autor an seiner persönlichen Entwicklung teilhaben ...
"Das glückliche Geheimnis" von Arno Geiger ist eines der Bücher von denen ich mir wünschte, nie ans Ende zu kommen. Es sind nur 237 Seiten, auf denen uns der Autor an seiner persönlichen Entwicklung teilhaben lässt. Es ist ein Buch über sein Leben, seine Gedanken - aber auch eine Anleitung wie man ein erfolgreicher Schriftsteller wird.
Alles begann damit, dass der Autor während seiner Studienzeit Bücher und sonstige Schriften containerte. Zwar war es ihm furchtbar peinlich im Abfall anderer Leute zu wühlen. Trotzdem zog es ihn immer wieder früh am Morgen auf seine Streifzüge. Es war wie ein Sog. Die Bücher verkauften er und seine damalige Freundin auf dem Flohmarkt um finanziell besser über die Runden zu kommen. Wahre Schätze fand er im Papiercontainer. Neben Büchern wurden auch Tagebücher, Ansichtskarten oder z. B. Protokolle von Aufnahmegesprächen mit Frauen, die gescheiterte Suizidversuche hinter sich hatten (S. 31) gefunden und mitgenommen. "Tristesse hoch drei. Die sollten mich bloß in Ruhe lassen." Zu Hause wurde sortiert und gelesen. Was er in den Containern fand entsprach oftmals nicht seinem Faible für die Sprache. Was er fand war das wahre Leben.
" Ich hatte keine Lust, bei der grauen Wirklichkeit an die Tür zu klopfen, die kannte ich auss meinem Elternhaus und hatte mir geschworen, ihr nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Ich sehnte mich nach der Farbigkeit des Lebens." (S. 30/31)
Wir begegnen dem Studenten Arno Geiger, der in einer billigen Behausung mit der Toilette auf dem Flur lebte. Das Leben fern des Elternhauses mit der gewonnenen Freiheiten hatte gerade angefangen. Aus dem Text spricht der Überschwung und die Neugierde auf das, was nun kommen würde. Eins wusste er: Er wollte Schriftsteller werden. Doch bis zu den ersten, kleinen Erfolgen war es ein beschwerlicher Weg. Doch auch jetzt durchstöberte er noch immer die Papiercontainer, fand Ansichtskarten, Tagebücher und auch Briefe. Das Lesen dieser Funde bringt Arno Geiger immer weiter, eröffnet ihm den Weg, die Menschen zu verstehen wie sie sind und nicht wie man sich die Menschen vorstellt. An dieser, seiner Entwicklung lässt er den Leser teilhaben.
(S. 65) "Beim Finden weiß ich: Alles ist Zufallsfund. Es gibt für alles immer nur eine Gelegnheit. Was ich versäume, ist unwiederbringlich versäumt, denn diese Dinge halten sich mir nicht zur Verfügung wie Dokumente in einem Archiv. Für wenige Tage sind sie greifbar, möglicherweise nur für einen Tag. Und entweder ich finde sie innerhalb der eng begrenzten Frist, oder sie existieren nicht mehr. Bei Briefkonvoluten und Fotografien hat das etwas Geisterhaftes."
In die Sätze des Autors schleicht sich immer mehr Nachdenklichkeit. Gleichzeitig lebt er eiin unbeschwertes Junggesellenleben. Hat eine feste Freundin und gleichzeitig mehrere Geliebte. Eine jungenhaft Leichtlebigkeit. Auch das gehört zum Autor. Stipendien ermöglichten Arno Geiger sich voll und ganz dem Schreiben zu widmen. Wir erleben die Geburt seiner Romane. Jedes Buch entwickelt sich auf seine spezielle Art.
Auch als erfolgreicher Autor schlüpft er immer wieder in seine Arbeitskleidung und durchstöbert Container. "Am Abend machte ich im Schauspielhaus eine Veranstaltung vor vollem Saal und Fernsehkameras. Zwei Tage später schlüpfte ich in Arbeitskleidung, und dann konnte ich wieder auf dem Rad beobachtet werden als anonymer Irgendwer, der dreckig seine Runde dreht. Je erfolgreicher ich wurde, desto weniger beunruhigt war ich bei dem Gedanken, wie wundersam die Haltbarkeit meines Doppellebens war, wie doppelt genäht." (S.117)
Viele kluge Sätze kann man lesen. Über die Logik des Lebens oder wie auf S. 139: "Krisen bekommen ihre Bedeutung erst vom Ende her zugewiesen."
Sehr einfühlsam beschreibt Arno Geiger, wie er sich wieder mehr seinen alternden Eltern zuwendet. Die fortschreitende Demenz seines Vaters verarbeitete er in einem Roman.
Der letzte Teil des Buches "Das glückliche Geheimnis" gefiel mir besonders gut. Im Grunde gibt es nur wenig Handlung, dafür umso mehr philosophische Betrachtungen über die Menschen und das Leben an sich. Und dann sind da noch die Schriftsteller in ihrer Blase und ihre Motivation zu schreiben.
Arno Geiger hat in diesem Buch sein Geheimnis gelüftet.