Die Begegnung zweier Menschen ist niemals zufällig
Die BahnhofsmissionWir befinden uns in Berlin im Jahre 1908. In dieser Stadt tummelt sich alles was man sich vorstellen kann und dem begegnet man am häufigsten am Schlesischen Bahnhof. Dort kommen die Menschen an und fahren ...
Wir befinden uns in Berlin im Jahre 1908. In dieser Stadt tummelt sich alles was man sich vorstellen kann und dem begegnet man am häufigsten am Schlesischen Bahnhof. Dort kommen die Menschen an und fahren ab und in der Bahnhofsmission finden sich meistens die Menschen ein, die verzweifelt sind, aus welchen Gründen auch immer gestrandet, mit großer Hoffnung sich in die große Stadt aufgemacht haben um ein besseres Leben zu haben, wohlhabende Menschen, die es sich leisten können zu reisen wohin sie wollen und oft keinen Blick für die Gestrandeten und vom Leben benachteiligten Menschen haben und natürlich allerlei übles Gesindel, die nur darauf warten sich an die verzweifelt Suchenden heranzumachen.
An diesem ungewöhnlichen Ort der Bahnhofsmission, gegründet von einem Pfarrer und geführt von ganz unterschiedlichen Frauen, die ein Herz für die Menschen haben, die nicht gesehen und wahrgenommen werden, finden sich zwei komplett unterschiedliche Frauen. Das ist Natalie, eine kleine resolute Person, die schon seit ihrer Kindheit weiß, was es heißt ums Überleben zu kämpfen, die Licht und vor allem die Dunkelheit kennt und die sich trotz widrigster Umstände, Bedrohungen, Verletzungen und Enttäuschungen ihr großes Herz bewahrt hat und sich ganz besonders um die jungen Mädchen kümmert, die voller Hoffnung in die große Stadt kommen und oft durch die damals leider schon sehr aktiven Menschenhändler aller Hoffnung in rasender Schnelle beraubt werden und meistens in der Prostitution landen oder einfach verschwinden. Natalie liebt jeden, der im Bahnhof heimlich haust und so lernen wir durch sie Baba kennen, die ein schreckliches Geheimnis mit sich trägt. Auch da versteht Natalie sie bestens.
Auf der anderen Seite ist da Alice, Tochter einer sehr wohlhabenden und großbürgerlichen Medizinerfamilie aus Berlin, die ein sehr privilegiertes Leben führt, welches dennoch der gesellschaftlichen Norm dieser Zeit untergeordnet sein muss. Frauen haben zu heiraten, dürfen in Deutschland nicht studieren und sich ihren Beruf selbst wählen. Überhaupt hatten Frauen damals kein Wahlrecht. Doch damit will sich Alice nicht abfinden und fängt heimlich an in der Bahnhofsmission mitzuhelfen, was ihren Blick auf erschreckende Art und Weise weitet, sie jedoch in ihrer Entscheidung unabhängig zu leben bestärkt. Natürlich kommen die Heimlichkeiten und Notlügen irgendwann ans Licht und Alice sieht sich auf einmal in einer Sackgasse.
Die beiden jungen Frauen lassen mit ihrem Team nicht nach in der Arbeit die vorgeblich jungen Mädchen zu schützen und das zieht die Aufmerksamkeit einiger sehr gefährlich Dunkelmänner auf sich, die keinerlei Skrupel haben und für die ein Menschenleben nichts zählt. Das gilt auch für alle Organisationen im heute, die sich für Zwangsprostitution und Menschenhandel einsetzen, da hat sich leider nichts geändert. Nachdem ihre junge Schutzbefohlene Greta verschwunden ist, überschlagen sich die Ereignisse und die beiden jungen Frauen müssen sich auch vermehrt mit ihren Hoffnungen und Sehnsüchten, wie auch mit den Schatten ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, haben es mit alten und neuen Verehrern zu tun, die nicht alle das sind was sie vorgeben zu sein und während dieser ganzen Geschehnisse und Verwicklungen zieht sich ein im Dunkeln gespanntes Netz immer mehr um sie zusammen und droht ihnen in mehrfacher Hinsicht die Luft abzuschnüren.
Veronika Rusch ist ein ganz hervorragender historischer Roman gelungen, der den Geist der Bahnhofsmission perfekt einfängt, wie auch die Atmosphäre der Stadt Berlin in dieser Zeit, mit ihren verschiedenen Menschen und sorgsam getrennten Klassen, dem beständigen Brodeln an allen Ecken der Stadt und dem wohl organisierten Untergrund, der gewillt ist, sich von niemanden seine Geschäfte verderben zu lassen. Schöner Schein und Glanz sind nicht immer das was sie zeigen und das Vergessene, Stinkende und Schmutzige ist oft reiner wie die polierten Fassaden der Reichen. Dabei ist noch eine sehr spannende Krimimalgeschichte eingewoben und die beiden Protagonistinnen wie auch die zahlreichen Nebendarsteller auf eine sehr sympathische und bildhafte Weise beschrieben. Ich bin nur so durch die Seiten geflogen und diese Geschichte ruft definitiv nach einem Folgeband. Bis dahin übe ich mich in Geduld und Vorfreude!