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Veröffentlicht am 10.12.2023

Kafkaeske Heimkehr

Galgenmann
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"Galgenmann", der Debütroman von Maya Binyam, stellt nicht nur seinen Erzähler vor mancherlei Rätsel. Der namenlose Ich-Erzähler kehrt nach 25 Jahren im Exil zurück in das Land seiner Herkunft, um seinen ...

"Galgenmann", der Debütroman von Maya Binyam, stellt nicht nur seinen Erzähler vor mancherlei Rätsel. Der namenlose Ich-Erzähler kehrt nach 25 Jahren im Exil zurück in das Land seiner Herkunft, um seinen sterbenden Bruder noch einmal zu sehen. Seine Reise in die fremd gewordene Heimat wird zu einer Odyssee mit surrealen, ja kafkaesken Elementen.

Der Erzähler weiß selbst nicht so recht, wie er überhaupt ins Flugzeug gekommen ist, wer seinen Koffer gepackt hat. Er hat Vermutungen, doch wirklich sicher kann er sich überhaupt nicht sein. Überhaupt scheint sich die Wirklichkeit zu verändern, während er noch über etwas nachdenkt, wie in einer Traumlandschaft bewegt sich der Emigrant, der durchgehend eher als hilfloses Objekt der Geschehnisse wirkt.

Woher der Mann kommt und wohin er reist, das bleibt weitgehend offen. Die Beschreibungen legen nahe, dass er in den vergangenen 25 Jahren in den USA lebte und nun in Äthiopien lebt, dem Land, aus dem auch der Vater der Autorin in die USA eingewandert ist.

Wie so viele Rückkehrer aus der afrikanischen Diaspora sieht sich auch der Erzähler einer geballten Erwartungshaltung seiner Angehörigen gegenüber: Ein Cousin erwartet eine Investition in sein Haus, der Bruder hat ohnehin schon seit jeher finanzielle Wünsche geäußert, die mit den Jahren immer größer werden und im Wunsch nach einer Bürgschaft für eine Einwanderung in die USA münden.

Der Erzähler mag die Landessprache seines Herkunftslandes sprechen, doch er gilt offenbar längst als Amerikaner, als Ausländer, der sich nicht auskennt und den man hemmungslos übervorteilen kann, angefangen von Gepäckträger am Flughafen über Taxifahrer zu Bankangestellten. Doch immer wieder gibt es auch die menschlichen Begegnungen, die Erinnerungen an die Vergangenheit und ähnliche Erfahrungen wecken. So wird es eine Reise in die Vergangenheit, zu den eigenen Wurzeln, zu Menschen, die er erst auf den zweiten Blick erkennt. Dass er sich irgendwie auch zeitlich in einem Niemandsland befindet, wird durch die Tatsache bestärkt, dass Emails an die Frau und an den Bruder nicht gesendet werden können.

"Galgenmann" kulminiert in einem überraschenden Ende, das für mich so nicht absehbar war. Ein interessantes, mitunter verwirrendes Debüt.

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Veröffentlicht am 26.11.2023

Aussteigerträume und Paranoia

No Escape
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Nachdem ich schon mehrere Psychothriller von Lucy Clarke gelesen habe, war ich gespannt auf "No Escape" um die beiden britischen Freundinnen Lana und Kitty, die auf einer Segelyacht unter Aussteigern den ...

Nachdem ich schon mehrere Psychothriller von Lucy Clarke gelesen habe, war ich gespannt auf "No Escape" um die beiden britischen Freundinnen Lana und Kitty, die auf einer Segelyacht unter Aussteigern den Traum von Freiheit träumten. Auch wenn ich von der Lektüre nicht enttäuscht wurde, ist das nicht das beste Buch der Autorin. Ich-Erzählerin Lana, mittlerweile nach einem heftigen Streit von Bord gegangen und in Neuseeland, wirkt auf mich ziemlich selbstgerecht und unreflektiert. Das macht es schwer, mit ihr warm zu werden.

Das Buch beschwört schöne Bilder vom Skipper Leben hervor, von Schnorcheln auf Riffen in der Südsee und einsamen Trauminseln - sicher eine wunderbare Kulisse für eine Verfilmung. Was Spannung und Suspense angeht, fällt "No Escape" aber deutlich von Clarkes Büchern "Castaways" oder "One of the Girls" ab. Die Charaktere sind deutlich flacher, und auch wenn im Verlauf der Handlung so manches Geheimnis gelüftet wird, das die Aussteiger mit sich herumschleppen, wirkt es auf mich ein bißchen so, als sei Clarke angesichts der vorangegangenen Erfolge ein wenig in Zugzwang gewesen, jetzt schnell einen mit heißer Nadel gestrickten neuen Roman liefern zu müssen.

Dennoch, es gibt gut geschriebene Szenen über Stürme auf See, über die wachsende Paranoia der Crewmitglieder, nachdem ein blinder Passagier über Bord gegangen ist, die Spannungen, die sich innerhalb der kleinen Gruppe aufbauen. Das Verhältnis zwischen Lana und Kitty ist komplex, wobei Lanas Stimmungsumschwung, nachdem die Yacht nach einem Sturm in Seenot geraten ist und sie von ihrere neuen Heimat aus die Suche nach Überlebenden verfolgt, nicht ganz einleuchtend ist.

"No Escape" ist kein schlechtes Buch - aber Clarke hat gezeigt, dass sie es noch wesentlich besser kann. Insofern habe ich es mit gemischten Gefühlen am Ende zugeklappt.

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Veröffentlicht am 30.10.2023

Mörderische Zugfahrt

Mord im Christmas Express
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Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha ...

Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha Christie und den "Mord im Orient-Express", der Meisterdetektiv vor solche Herausforderungen stellt? Und der obendrein in gleich zwei Verfilmungen als hochkarätig besetztes spannendes Kammerspiel beeindruckte. Da werden jedenfalls gleich Assoziationen und Erwartungen geweckt.

Die Herausforderungen, vor denen Benedicts Protagonistin Roz steht, sind nicht nur dem Fall geschuldet. Denn eigentlich ist die Polizistin frisch pensioniert. Farewell, Metropolitan Police, hello Ruhestand mit gerade mal 59 Jahren, dafür aber voller Vorfreude auf das Enkelkind, das schon bald geboren werden soll. Ein wenig hofft Roz, dass der neue kleine Mensch auch hilft, das Verhältnis zu ihrer Tochter zu entspannen. Die kam bei der alleinerziehenden Mutter häufig zu kurz, ganz abgesehen von einer traumatischen Vergewaltigung während der Schwangerschaft, die Roz emotional lange lähmte.

Doch nicht allein, dass die Wehen vorzeitig einsetzen und Mutter und Baby um ihr Leben kämpfen müssen. Ausgerechnet in dem Moment, wo Roz sich so dringend gebraucht fühlt, entgleist der Nachtzug nach Fort William im Schneesturm. Roz bleiben nur hektische, besorgte Telefonate mit ihrer Tochter und deren Partnerin.

Und dann ist da natürlich noch der titelgebende Mord... zumindest aber ein verdächtiger Todesfall, als eine junge Influencerin tot in ihrem Abteil gefunden wird. Es bleibt nicht der einzige Todesfall und die Tatsache, dass in einer anderen Erzählperspektive eine Person namens "Killa" über ihre Mission nachdenkt, lässt dann noch den letzten Leser ahnen, dass es noch die eine oder andere Leiche geben wird, ehe die verschneiten Gleise freigeräumt werden.

Allerdings: Das Bemühen der Autorin, ein möglichst diverses Ensemble in ihrem Roman unterzubringen und Misogynie und Gewalt gegen Frauen in verschiedenen Formen zu thematisieren, ging hier auf Kosten glaubwürdiger Charaktere. Die meisten Romanfiguren bleiben flach und schablonenhaft, selbst Roz bleibt merkwürdig blass. Dabei finde ich es ja eigentlich gut, dass die Autorin auf Diversität und verschiedene sexuelle Identitäten setzt. Doch wenn dabei das Gefühl aufkommt, dass hier eine Liste abgehakt werden soll? Mein Eindruck war, dass Benedict hier viel wollte, vielleicht zu viel - das ging dann auf Kosten von Stringenz und Spannung. Aber immerhin: Sapiosexuell war mir bisher kein Begriff. Wieder was gelernt.

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Veröffentlicht am 15.04.2023

Urlaubskrimi mit viel Portugal-Feeling

Südlich von Porto lauert der Tod
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Mit "Südlich von Porto lauert der Tod" hat Mariana da Silva einen Cozy Krimi mit viel Portugal Feeling sowie Schlenkern zu den kulinarischen Verlockungen des Landes am Atlantik (Ich sage nur, Pasteis ...

Mit "Südlich von Porto lauert der Tod" hat Mariana da Silva einen Cozy Krimi mit viel Portugal Feeling sowie Schlenkern zu den kulinarischen Verlockungen des Landes am Atlantik (Ich sage nur, Pasteis de nata.... mmmmmm) geschrieben. Dabei ist ihr der landeskundliche Teil in meinen Augen deutlich besser gelungen als der Krimi-Plot und die Protagonistin, bei der ich mir ein bißchen weniger larmoyanten Blick zurück auf die offenbar traumatisierende Vergangenheit bei der Stuttgarter Kripo gewünscht hätte. Denn wirklich erklärt wird nicht, was Ria Almeida so nachhaltig schockte, dass sie sich in den Streifendienst versetzen ließ, mal abgesehen von der unharmonisch ausgegangenen Affäre mit dem Vorgesetzten.

Doch jetzt ist Stuttgart weit, Ria ist zu Besuch im Dorf, aus dem ihre Familie stammt. Der Tod und die Beerdigung des Großvaters sind der Anlass, eine längere Auszeit bei der Familie zu nehmen. Als eine tote Restauratorin gefunden wird und die Leiche kurz danach verschwindet, werden aber auch Rias Ermittlerinnen-Instinkte wieder geweckt. Kurzentschlossen unterstützt sie Joao, den Mann ihrer Cousine, der Dorfpolizist des Dorfes ist. Mordermittlungen gehörten bisher nicht zu seinem Erfahrungsschatz. Als der eher arrogant auftretende Ermittler aus der Stadt dazukommt, tun sie einfach so, als gehöre auch Ria zur örtlichen Polizei. Wie der Leser schon ahnt, die kleine Lüge wird noch Folgen haben.

Es geht um Kunst, Tourismus und Wirtschaftsaufschwung, um politische Ambitionen und private Passionen, aber irgendwie kratzt der Plot nur an der Oberfläche, da die Autorin sich übertrieben viel Zeit für ihre Protagonistin nimmt, die für eine erfahrene Ermittlerin irgendwie ziemlich unsicher, emotional und unanalytisch wirkt. Die Stimmungsschwankungen und Selbstzweifel Rias sind für mich dann irgendwann zuviel des Guten, die Beziehungen und Entwicklungen der Figuren lassen wenig Raum für Überraschungen und nur das Portugal-Ambiente versöhnt mit dem kriminalistischen Teil des Buches, das eher durchschnittlich gerät.

Nette Idee der Autorin ist, jedem Kapitel ein landeskundliches Schnipselchen voranzustellen und dann irgendwie im Text unterzubringen.

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Veröffentlicht am 01.04.2023

Kegelturnier mit Leiche

Fiese Brise in St. Peter-(M)Ording (St. Peter-Mording-Reihe 2)
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Mit "Fiese Brise in St Peter-(M)Ording hat Tanja Janz ein zweites Mal ihre Küstenermittler auf einen Fall losgelassen. Küstenpolizist Feddersen und sein ursprünglich aus dem Ruhrpott stammender Kollege ...

Mit "Fiese Brise in St Peter-(M)Ording hat Tanja Janz ein zweites Mal ihre Küstenermittler auf einen Fall losgelassen. Küstenpolizist Feddersen und sein ursprünglich aus dem Ruhrpott stammender Kollege sind diesmal mit eine Kegelturnier mit tödlichen Begleiterscheinungen beschäftigt - einer der Favoriten des Turniers liegt tot in seinem Wohnwagen.

Feddersens "Muddi" strebt zwar selbst die Kegelkrone an, steht aber nicht unter Tatverdacht, während Schwester Ilva, die eigentlich Lehrerin ab der Nordseeschule ist, sich nur zu gerne wieder als Hobby-Schnüfflerin betätigen will. Feddersen darf ja eigentlich nichts erzählen, aber Fischbrötschen korrumpieren auch ihn.

Wer Hochspannung und Nervenkitzel sucht, ist hier falsch. Dieser Küstenkrimi ist nicht nur cozy, er stellt seine Leser auch nicht sonderlich vor Rate-Herausforderungen. Mir war jedenfalls ziemlich schnell klar, wer der Bösewicht in der Geschichte ist und tatsächlich gab es bei der Auflösung des Falls keine Überraschung.

Im Vergleich zu Janz´ ersten Küstenkrimi kommt mir dieser ein wenig zerfasert vor, viel Unruhe durch Nebenstränge, die wenig zum Gesamtbild des Buches beitragen, die sich wiederholenden Sprüche ("Kerle Kiste") wirken beim gefühlten 20. Mal auch nicht origineller. Es gart irgendwie alles im eigenen Saft. Irgendwie waren liebenswerte Schrullen im ersten Band besser herausgearbeitet.

Als Strandkorblektüre ist die "Fiese Brise" nett wegzulesen, aber mehr sollte man besser nicht erwarten. Schade, denn ich hatte mich auch die Fortsetzung mit neuen Abenteuern der Waterkant-Ermittler gefreut. Immerhin: Die Strände und Salzwiesen von St Peter-Ording wecken Erinnerungen an Sommer an der Nordsee, Deichspaziergäge und weiten Himmel. Das ist nie verkehrt.

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