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Veröffentlicht am 26.04.2023

Ein Versehrter, eine Aufmüpfige, ein Unangepasster und ein Zauberer

Brüderchen
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In einem Bergdorf in den Cevennen wird eines Tages ein unangepasstes Kind geboren, ein Brüderchen, das dritte Kind einer jungen Familie.

„Unangepasst“ hingegen benennt die Tatsache, dass das Kind nicht ...

In einem Bergdorf in den Cevennen wird eines Tages ein unangepasstes Kind geboren, ein Brüderchen, das dritte Kind einer jungen Familie.

„Unangepasst“ hingegen benennt die Tatsache, dass das Kind nicht nach gängigen Maßstäben funktionierte (eine Hand ist zum Greifen da, die Beine zum Laufen), dass es in vielerlei Hinsicht außen vor war, aber trotzdem am Leben teilhatte, wie ein Schatten in der Ecke des Gemäldes, der nicht so ganz dazuzugehören scheint, obwohl der Künstler ihn absichtlich dorthin gemalt hat.

Es ist schwierig zu beschreiben, was es für eine Familie bedeutet, ein besonderes Kind zu haben. Diese Geschichte erzählt und berichtet, wie die Kinder der Familie mit dieser Besonderheit zurechtkommen und mit ihr leben müssen. Sie werden ein Parallelleben aufbauen, eines für die Familie und eines für außerhalb. Und während der Ältere sich aufopferungsvoll um seinen kleinen Brüder kümmert, wird die Schwester dem Kleinen die Schuld geben, ihr den großen Bruder genommen zu haben.

Jeder lebt sein Leben, bis der Moment kommt, an dem klar wird, dass die Familie in Gefahr ist. Die Schwester spürt, dass es an der Zeit ist zu kämpfen.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Brüderchen ist ein ganz außergewöhnliches Buch. Es erzählt von einer intensiven Geschwisterliebe, von extremer Zuneigung und starker Ablehnung, von körperlichem Entzug, Wut und schlechtem Gewissen.

Faszinierend ist wie die Autorin die psychologische Seite der Geschwister tiefgründig und gleichzeitig überaus menschlich darstellt. Jedes Kind verkörpert ein Gefühl, wie man es in so einem Fall fühlen könnte. Und damit bietet sie dem Leser die Möglichkeit ein Auge auf die Geschwister zu werfen, die mit diesem Kind, dem es schlecht geht, zusammenleben. Dass sie den Steinen im Hof die Erzählerrolle zuteilt, finde ich eine geniale Idee. Sie stehen auf der Seite der Kinder, auch des Nachgeborenen, das vollkommen unerwartet in die Familie kommt und mit sich den Geist seines verstorbenen Bruders trägt.

Und so ist das die Geschichte einer Familie mit vier Kindern, jedes mit seinem ganz eigenen Charakter: ein Versehrter, eine Aufmüpfige, ein Unangepasster und ein Zauberer. Es überwiegt dabei ein unendliches Zartgefühl und obwohl der Stoff doch eigentlich ernst oder gar bedrückend scheinen mag, bestimmt hier nur die Einfühlungskraft der Romanfiguren.

In einem Interview hat Clara Dupont-Monod erklärt, dass die Geschichte einen autobiografischen Hintergrund hat. Die Autorin hatte selbst einen kleinen Bruder, der mit einer Behinderung zur Welt kam.

Fazit
„Brüderchen“ von Clara Dupont-Monod ist die Erzählung von 4 Kindern: eines Versehrten, einer Aufmüpfigen, eines Unangepassten und eines Zauberers, die in einem Bergdorf in den Cevennen aufwachsen. Es ist die Geschichte einer Familie, die am Unangepassten fast zerbricht, doch der die Zeit durch den Nachgeborenen, den Zauberer, Verbundenheit und Zuversicht zurückgibt.

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Veröffentlicht am 09.04.2023

Fiktion oder Realität - dies gilt herauszufinden

Melody
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Tom Elmer ist Jurist, wenngleich momentan nicht sehr erfolgreich. Die Vorstellungsgespräche verlaufen schleppend und so antwortet er auf eine Anzeige für die Position eines Nachlassverwalters. In seiner ...

Tom Elmer ist Jurist, wenngleich momentan nicht sehr erfolgreich. Die Vorstellungsgespräche verlaufen schleppend und so antwortet er auf eine Anzeige für die Position eines Nachlassverwalters. In seiner Funktion soll er das Leben des Schweizer Nationalrat Dr. Peter Stotz ordnen und regeln und der Nachwelt ein Bild präsentieren, das den Vorstellungen des Auftraggebers entsprecht.
Dem mächtigen Politiker und Financier bleibt nur wenig Zeit, Tom Elmer in sein persönliches Leben einzuführen. Bei intimen Kamingesprächen lernt Tom seinen Auftraggeber kennen und erfährt die Geschichte von Melody Alaoui, der Frau, die Dr. Peter Stotz vor 40 Jahren heiraten wollte.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Martin Suter ist ein großer Erzähler. Das merke ich schon von Anfang an, als die Geschichte mit der anonymen Stellenanzeige beginnt und meine Neugierde weckt. Hauptperson ist Dr. Peter Stotz, Alt-Nationalrat – Graue Eminenz, Vorstand vieler Schweizer Unternehmen, der am Ende seines Lebens steht und sein Erscheinungsbild nach seinem Ableben bestimmen will. Da ist die Frage legitim, warum er das denn unbedingt will.
Das Zusammenspiel von Personen und Handlungen der höheren Schweizer Gesellschaft, das ausgewählte Ambiente mit kulinarischen Höhepunkten der italienischen Küche, begleitet von stets passenden Weinen, und die Kamingespräche mit erlesenen Spirituosen schaffen einen faszinierenden Rahmen für eine versteckte kriminalistische Handlung. Das ist, es sei mir erlaubt, typisch für Suter und kommt in seinen Roman, die Serie um Friedrich von Allmen ausgenommen, des Öfteren vor. Darin liegt seine Meisterklasse, seine Kunst, den einfachen Leser gekonnt in ein Ambiente einzurühren, das Interesse weckt. Dabei lenkt er den Leser geschickt durch die Geschichte und legt dem Wachsamen kleine Fährten, die bedeuten, dass vielleicht nicht alles so ist, wie es präsentiert wird

Fazit
Melody, der neue Roman von Martin Suter, erzählt in meisterhafter Weise einen feinsinnig ausgeklügelten Fall über eine Nachlassverwaltung, die vor allem den gesellschaftlichen Ruf von Dr. Peter Stotz, Alt-Nationalrat – Graue Eminenz, Vorstand vieler Schweizer Unternehmen, regeln soll. Es würde mich schon reizen zu wissen wieviel Martin Suter in Dr. Peter Stotz steckt. Vielleicht bekomme ich einmal die Gelegenheit, das herauszufinden.

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Veröffentlicht am 04.04.2023

Ein Erzählband mit 12 Geschichten rund um das Thema Schwimmen

Wasserzeiten
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Wasserzeiten von Kristina Bilkau ist ein kleines feines Büchlein, ein Erzählband mit 12 Geschichten rund um das Thema Schwimmen.

Einige Geschichten sind sehr persönlich. Sie erzählen von den Schwimmerlebnissen ...

Wasserzeiten von Kristina Bilkau ist ein kleines feines Büchlein, ein Erzählband mit 12 Geschichten rund um das Thema Schwimmen.

Einige Geschichten sind sehr persönlich. Sie erzählen von den Schwimmerlebnissen der Autorin, geben auch Einblick in innige Erinnerungen an ihren Vater und erzählen vom Schwimmenlernen ihres Sohnes. Dann gibt es Geschichte, die nochmals andere Akzente setzen und sich mit geschichtlichen Ereignissen rund um das Thema beschäftigen oder sich kritisch über die Entwicklung im Schwimmsport äußern. Damit rundet Bilkau das Thema sehr gekonnt ab, sodass es nicht nur nicht weiter stört, sondern zum Nachdenken anregt.

Einer meiner Lieblingserzählungen trägt den Titel Diese schrecklich schöne Kälte. Das wäre absolut nichts für mich, weil ich mit Wasser so meine Problemchen habe aber wie sie über die Erfahrungen bei diesem Extremsport erzählt, hat mich beeindruckt.

„Wasserzeiten“ ist einfach schön zu lesen! Es ist ein wunderbares Buch und ein bunter Mix rund um das Thema Schwimmen. Ich mag den persönlichen Erzählstil, ich mag wie die Autorin mich in ihre Schwimmwelt mitnimmt und genieße ihre Schilderungen der Gefühle, die sie im Element Wasser empfindet und das, obwohl ich das Element nicht wirklich mag. Ins Wasser (und bei weitem nicht in jedes) gehe ich nur, wenn ich zu warm habe, also im Sommer!! Ich mag das Büchlein trotzdem ungemein gerne und denke, dass es daran liegt, dass die Autorin es so gut schafft, mich in ihre Schwimmwelt mitzunehmen. Sie macht es einfach, fast so, als würde sie mich an die Hand nehmen. Das gefällt mir ganz ausgezeichnet.

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Veröffentlicht am 03.04.2023

Ein meisterhaft komponierter und exzellent geschriebener Roman über die Judenverfolgung in Deutschland in den 30ger Jahren

Requiem
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„Requiem“ erzählt die Geschichte des herausragenden Cellisten Erich Krakau, der Mitte der 30ger Jahre in einer Stadt in Westfalen Mitte erfahren muss, was es heißt, kein Christ zu sein.
Die Nationalsozialisten ...

„Requiem“ erzählt die Geschichte des herausragenden Cellisten Erich Krakau, der Mitte der 30ger Jahre in einer Stadt in Westfalen Mitte erfahren muss, was es heißt, kein Christ zu sein.
Die Nationalsozialisten sind an der Macht und Juden soll es verboten werden, in deutschen Orchestern zu spielen. Es gibt zwar noch Ausnahmen, wie im Fall Erich Krakau, doch das soll sich ändern, als der Bäckersohn Fritz Eberle, ein mäßig begabter Musiker, die Stelle im Orchester einnehmen will.
Als Mitglied der SA holt er sich Unterstützung bei seinen Kameraden und tritt damit eine Lawine los, aus der keiner verschont übrigbleibt. Erich Krakau wird Objekt eines Angriffs und der Kreis beginnt sich um ihn zu schließen.


Meine persönlichen Leseeindrücke
„Requiem“ – was für ein Roman! Unglaublich, dass dieses herausragende Werk so lange im Verborgenen schlummerte und Jahrzehnte nach seiner Erstehung den weiten Weg nach Deutschland gefunden hat.

In eindringlicher Weise schildert Loeser in einer sehr anschaulichen Darstellung, was in Deutschland nach der Machtübernahme von Hitler geschah und wie diese Verfolgung stattgefunden hatte. Die authentische Beschreibung dessen, was passiert ist, eingepackt in einen sehr interessanten Ton, lässt mich nachvollziehen, wie es tatsächlich gewesen ist das Leben in Deutschland in den 30ger Jahren. Loeser teilt jeder Romanfigur stellvertretend für die unterschiedlichen Bevölkerungsschichten und -gruppen, die in jener Zeit agierten, eine bestimmte Rolle zu und fasst somit übersichtlich und leicht verständlich zusammen, wie die neuen Spielregeln im Deutschen Reich funktionierten.

Da ist einmal der junge Fritz Eberle, der die Rolle des kleinen Vorboten spielt. Er ist ein Unbegabter, ein Stümper, ein Unzufriedener, ein Hasser, hinter dem die Masse der Gosse steht, die ganze organisierte Armee, die die Herrschaft innehatte.

Dann ist da der Journalist Wendt, der schielende, gewissenlose Opportunist, ein skrupelloser Filou mit zweischneidiger Zunge. Er scheut vor keiner Missetat zurück, um zu bekommen, was er will. Er steht für die Charakterlosen, die vielen Mitläufer, den Wesen ohne Rückgrat und Verantwortung. Es graust einem gar arg vor so einem Individuum.

Aber es gibt auch die guten Figuren in „Requiem“ wie z.B. den Theaterintendanten und seinen Freund, den Gauleiter. Beide haben zusammen im ersten Weltkrieg gekämpft und noch ein Ehrgefühl für Werte und Gerechtigkeit. Beide haben gesellschaftlich geachtete Positionen inne, doch die politischen Änderungen entzweit beide mehr als sie wahrhaben wollen. Der Gauleiter wird seiner militärischen Ehre durch die Rettung Krakaus gerecht, doch steht der Selbstmord des alten Wehrmachtsoldaten für die Kapitulation der alten Militärgilde vor der neuen Macht der Nationalsozialisten. Eine Entwicklung, die allen Angst macht, die die Gefahr erkennen, egal ob Deutsche oder Juden.
Eine besondere Rolle wird Lisa Krakau zuteil. Obwohl sie als liebreizende, schwache junge Frau dargestellt wird, hat sie so endlich viel Courage, dass sich alle anderen eine Riesenscheibe davon abschneiden könnten! Sie stellt sich dem Übel mit all ihrer Kraft und ihrem Mut entgegen und obwohl die Lage ausweglos scheint, schöpft sie all ihre Möglichkeiten aus, um ihren Mann zu retten.
Und genau darum geht es in diesem Roman! Jeder Mensch kann etwas bewegen, nur, die meisten denken, ihr Etwas wäre so wenig, dass es sich nicht lohnt, eine Anstrengung zu unternehmen. Und das Unterlassen ist um so viel bequemer, schreibt Loeser. Wie wahr; gerade auch in unserer heutigen Zeit!

Fazit
„Requiem“ von Alfred Loeser ist meisterhaft komponierter und exzellent geschriebener Roman, der mir unendlich viel bedeutet, seit ich ihn gelesen habe.

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Veröffentlicht am 26.03.2023

Ein gelungener, vorzüglicher historischer Krimi und ein ganz feiner Wiener Lesegenuss!

Der Kuss des Kaisers
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Wien im Herbst 1908 – Gustav Klimts Bild „Der Kuss“ soll im Auftrag des Kaisers von Österreich angekauft und in der Modernen Galerie im Unteren Belvedere ausgestellt werden. Im Oberen Belvedere, dem Schloss, ...

Wien im Herbst 1908 – Gustav Klimts Bild „Der Kuss“ soll im Auftrag des Kaisers von Österreich angekauft und in der Modernen Galerie im Unteren Belvedere ausgestellt werden. Im Oberen Belvedere, dem Schloss, residiert zur Zeit der Thronfolger Franz Ferdinand, dessen Frau in anderen Umständen ist und bald einen Jungen erwartet. Es ist die Aufgabe des k. u. k. Amtsdirektors Josef Krzizek sich um den Neuerwerb kümmert und die Galerie für den Aushang entsprechend herzurichten. Während der Vorbereitungszeiten geschieht ein grausamer Mord. Die zerstückelten Leichenteile eines jungen Mannes werden in den Brunnen des Schlossparkes gefunden, allein der Kopf fehlt, was für große Unruhe sorgt und einiges im Oberen und Unteren Belvedere durcheinanderbringt.
Die Kriminalbeamten der Geheimpolizei Pospischil und Fritsch müssen in dem heiklen Fall schnell und ohne Aufsehen zu erregen ermitteln. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Das ist ein sehr gelungener, vorzüglicher historischer Wien-Krimi, den Christine Neumeyer hier geschrieben hat. Ich mag so ziemlich alles an dem Buch. Da ist einmal der feine Schreibstil, der charmant und wie selbstverständlich den Wiener Dialekt einfließen lässt. Dann gibt es einen ungewöhnlichen Kriminalfall, den die Autorin rund um das Gemälde „Der Kuss“ von Gustav Klimt aufbaut und dessen Lösung bis zum Schluss spannend bleibt – mit einer überraschenden Wendung auf den letzten Seiten. Weiteres gibt es originelle und feingezeichnete Protagonisten. Jede einzelne Romanfigur ist mit Sorgfalt ausgesucht und gekonnt in Szene gesetzt. So entsteht ein Plot, in dem Personen, Handlungen und Locations im Flair der k. u. k. Zeit perfekt aufeinander abgestimmt sind.

Fazit
„Der Kuss des Kaisers“ von Christine Neumeyer entführt in das Wien im Herbst des Jahres 1908. Ein grauslicher Mord geschieht und Leichenteile werden in der Parkanlage des Schloss Belvedere gefunden, der Residenz des Thronfolgers Franz Ferdinand. Die Ermittlungen müssen schnell abgeschlossen werden, denn die Präsentation des neuen Werkes von Gustav Klimt soll in der Modernen Galerie im Unteren Belvedere in wenigen Tagen stattfinden. Ein gelungener, vorzüglicher historischer Krimi und ein ganz feiner Wiener Lesegenuss!

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