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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.04.2023

Spannend und zum Nachdenken anregend

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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Großmutter Evelyn ist die letzte lebende Verwandte der 27-jährigen Hannah. Obwohl sie sie regelmäßig im Seniorenheim besucht, weiß Hannah kaum etwas über ihre eigene Familie. Deswegen überrascht es sie ...

Großmutter Evelyn ist die letzte lebende Verwandte der 27-jährigen Hannah. Obwohl sie sie regelmäßig im Seniorenheim besucht, weiß Hannah kaum etwas über ihre eigene Familie. Deswegen überrascht es sie auch, als sie einen Brief aus Israel findet, der Evelyn als Erbin von wertvollen, verschollenen Gemälden betitelt, die während des Nationalsozialismus eingezogen wurden.
Sie macht sich auf die Suche nach den Bildern - und nach ihrer Familiengeschichte.

Mit dem ungewöhnlichen Titel "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" hat Alena Schröder direkt mein Interesse geweckt. Ohne zu wissen, worum es geht, ahnt man doch direkt, dass Kunst hier eine Rolle spielt.
Und das tut sie auch: Die Suche nach den verschollenen Gemälden bietet eine spannende, informative Storyline. Sie formt aber nur einen Rahmen für die eigentlichen Themen des Buches; es geht viel um die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen zum Muttersein, zur Selbstverwirklichung und falschen Erwartungen.
Dies zieht sich in dem Roman über ganze vier Generationen von Frauen. Abwechselnd erzählt Schröder aus Hannahs Perspektive in der Gegenwart und Evelyns Mutter in der Vergangenheit, beginnend in den 1920er Jahren.
Beide Zeitstränge verlaufen chronologisch und zeichnen zusammen ein Familienbild voller Konflikte.

Schwere, geschichtliche Themen rund um den Nationalsozialismus und den zweiten Weltkrieg hat die Autorin geschickt in die Handlung eingewebt und es dabei geschafft, sich weder in historischen Details zu verlieren, noch sie unzulänglich zu thematisieren.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen, er regt zum Nachdenken an, hat dabei aber trotzdem genug Inhalt, um die Spannung aufzubauen und zu erhalten. Er konnte bei mir jedoch keine tiefen Gefühle erzeugen, so richtig warm wurde ich mit den Figuren nicht.

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Veröffentlicht am 12.04.2023

Kurzweilige Gesellschaftskritik

Die spürst du nicht
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Zwei gut situierte Familien planen einen erholsamen gemeinsam Urlaub in einer toskanischen Villa. Die vierzehnjährige Sophie Luisa darf ihre Schulfreundin Aayana aus Somalia mitnehmen.
Doch schon am ersten ...

Zwei gut situierte Familien planen einen erholsamen gemeinsam Urlaub in einer toskanischen Villa. Die vierzehnjährige Sophie Luisa darf ihre Schulfreundin Aayana aus Somalia mitnehmen.
Doch schon am ersten Abend kommt es zu einer Katastrophe, die alles verändert. Der Roman handelt hauptsächlich von den Handlungen, die nach dem Unglück geschehen.

In "Die spürst du nicht" wirft Daniel Glattauer viele Fragen auf, die sich damit beschäftigen, was ein Menschenleben eigentlich wert ist.
Er schafft dabei ein sehr überspitztes Gesellschaftsbild und bedient sich an vielen Stereotypen, um seine Aussage zu unterstreichen. Die einzelnen Figuren repräsentieren stellvertretend unsere aktuelle (Internet-)Gesellschaft.

Die Geschichte wird chronologisch und aus vielen verschiedenen Perspektiven erzählt, darunter auch Online-Artikel inklusive Kommentare der LeserInnen (von Gutmesch bis Internettroll ist alles vertreten). Dies verdeutlicht die Aussage des Buches: Dass man alles aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und niemals einseitig denken sollte.
Ich mochte sehr, dass hier einmal eine Flüchtlingsfamilie zu Wort kommen darf und ihre Geschichte bringt einem nochmal ins Gedächtnis, dass hinter jedem Flüchtenden ein Einzelschicksal steckt und niemand grundlos sein Heimatland verlässt.

Der ungewöhnlichen Schreibstil hat mir von Anfang an gefallen, immer wieder hatte ich das Gefühl, ein Theaterstück zu lesen.

Insgesamt liest sich das Buch wirklich flüssig und ich konnte es kaum aus der Hand legen, die Aussage finde ich sehr wichtig (schon allein deswegen sollte man das Buch gelesen haben) und den Schreibstil ansprechend.
Was mir hingegen gar nicht gefallen hat, war das Ende; es kam mir doch zu konstruiert vor, es gab zu viele Zufälle, war mir zu rund und dadurch leider wenig glaubwürdig.

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Veröffentlicht am 10.04.2023

Poetisch durch vier Generationen

Die Unschärfe der Welt
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Der Roman beginnt im rumänischen Banat der 1970er Jahre und erzählt die Geschichte einer Familie und die Lebenswege von sieben Personen über vier Generationen hinweg. Alles spielt sich vor dem Hintergrund ...

Der Roman beginnt im rumänischen Banat der 1970er Jahre und erzählt die Geschichte einer Familie und die Lebenswege von sieben Personen über vier Generationen hinweg. Alles spielt sich vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Ostblockes ab.

Ich wusste vor dem Lesen nicht viel über den Inhalt von "Die Unschärfe der Welt" und auch jetzt fällt es mir schwer, diesen wiederzugeben. Denn ehrlichweise gibt es keine große Handlung, das Buch besteht aus Momentaufnahmen und Erinnerungsfetzen von sieben verschiedenen Personen. Jede dieser Personen ist Mittelpunkt eines Kapitels und so bekommt man als LeserIn einen Einblick in sieben verschiedene Lebensweisen. Nach und nach offenbart sich eine geschickt gewobene Verbindung zwischen all diesen Figuren und man erfährt, welche Spuren jeder im Gedächtnis der anderen hinterlassen hat.

Iris Wolff erzählt mit einer tiefen Ruhe und Nachdenklichkeit, die sich auf die Lesenden übertragen. Ihr Blick ist auf die kleinen Momente im Leben gerichtet, die in Erinnerung bleiben. Sie schreibt dabei sehr poetisch und metaphorisch.
Sehr einprägsam gelingt es ihr, die jeweilige Stimmung durch eine sorgfältig getroffene Wortwahl wiederzugeben.
Viele Stellen fand ich so schön und klug, dass ich sie mehrfach gelesen habe.

Ich mochte, dass gewöhnliche Menschen hier ihre Geschichte erzählen durften, dass der Fokus in der Erzählung auf den kleinen Dingen liegt und wie alles miteinander verstrickt ist.
So ganz ist der Funke bei mir allerdings nicht übergesprungen, für mich hätte alles noch ein bisschen ausführlicher erzählt werden dürfen, um den Charakteren gerecht zu werden. Aber vielleicht ist das genau der Punkt: So bleibt alles etwas verschwommen, eben unscharf.

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Veröffentlicht am 03.04.2023

Stimmungsvoller historischer Krimi

Der treue Spion
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München, 1896: Major Gryszinski wird mit dem Vermisstenfall eines französischen Diplomaten betraut. Als dann noch eine Leiche, eine brisante technische Erfindung und ein russisches Hochstaplerpaar auftauchen, ...

München, 1896: Major Gryszinski wird mit dem Vermisstenfall eines französischen Diplomaten betraut. Als dann noch eine Leiche, eine brisante technische Erfindung und ein russisches Hochstaplerpaar auftauchen, begibt sich der Ermittler auf eine Reise quer durch ganz Europa.
Zwanzig Jahre später stößt Gryszinskis Sohn Fritz mitten im ersten Weltkrieg auf neue Indizien zum Fall. Kann er endlich zu Ende führen, was sein Vater begonnen hat?

"Der treue Spion" ist bereits Uta Seeburgs dritter Kriminalroman rund um Major Gryszinski, man kann ihn jedoch gut ohne Vorkenntnisse lesen. Für mich war es das erste Werk der Autorin.

In den Schreibstil musste ich mich erst einmal hineinfinden. Alles wird sehr genau und detailliert beschrieben, insbesondere die jeweiligen Schauplätze. Sobald ich mich daran gewöhnt hatte, fühlte ich mich aber gut ins Europa Ende des 19. Jahrhunderts versetzt und konnte die Umgebung ganz genau vor mir sehen.
Die Spannung baut sich nur langsam und subtil auf, was ich als sehr angenehm empfand. Die Erzählart ist unaufgeregt, es gibt keine reißerischen Phrasen, keinen hektischen Showdown o.Ä., es ist ein eher ruhiger, dafür stimmungsvoller Krimi.
Die beiden unterschiedlichen Zeitstränge werden abwechselnd erzählt und nach und nach verknüpft Seeburg sie auf geschickte Weise miteinander, sodass sie gemeinsam ein Bild ergeben.
Die Auflösung war nicht vollkommen verblüffend, dennoch zufriedenstellend.

Insgesamt mochte ich die ruhige Grundstimmung, die Atmosphäre und die klassische Ermittlungsarbeit Gryszinskis sehr gerne, die historischen Fakten wurden erstklassig recherchiert und obwohl die Spannung an keinem Punkt Übermaß annimmt, ist "Der treue Spion" durchgehend kurzweilig. Die Mischung aus Fiktion und Historie ist hervorragend gelungen.

Für mich war es kein Highlight, aber definitiv ein unterhaltsamer Krimi. Das Lesen der beiden Vorgänger werde ich auf jeden Fall noch nachholen.

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Veröffentlicht am 28.03.2023

Intensive Biografie mit sehr privaten Einblicken

Ich, ein Sachse
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Samuel Meffire wurde 1970 als Afrodeutscher in Leipzig geboren und wuchs in der DDR auf. Er schaffte es, erster Schwarzer Polizist Ostdeutschlands zu werden, fiel dann tief und landete im Gefängnis.
In ...

Samuel Meffire wurde 1970 als Afrodeutscher in Leipzig geboren und wuchs in der DDR auf. Er schaffte es, erster Schwarzer Polizist Ostdeutschlands zu werden, fiel dann tief und landete im Gefängnis.
In diesem Buch erzählt er im Rückblick seine bisherige Lebensgeschichte über Aufstieg, Fall und der Suche nach sich selbst.

Die Erzählung beginnt im Juli 2021: Meffires Tochter findet eine Kiste mit Erinnerungen. Daraufhin beginnt dieser, seinen Kindern aus seinem Leben zu erzählen.
Dabei gibt es immer wieder kurze Gegenwartssequenzen, die das Ganze auflockern und die Möglichkeit geben, einmal kurz aufzuatmen.
Denn in der Vergangenheit hatte der Autor es alles andere als leicht: Rassismus, Gewalt und Ablehnung gehörten zu seinem Alltag.

Meffire hat einen sehr ungezwungenen Schreibstil, man hat das Gefühl, man säße ihm gegenüber und er erzähle einem seine Geschichte persönlich.
Man erfährt schonungslos, offen und ehrlich von seinen intimsten Gedanken. Dabei hat man nicht das Gefühl, dass er sich in ein heroisches Licht stellen will; Meffire berichtet auch ganz klar von seinen negativen Seiten und inneren Dämonen.
Trotz all der ernsten Themen gibt es auch immer wieder Stellen, die einen schmunzeln lassen.

Ein kleiner Kritikpunkt ist für mich die massige Flut an Informationen und Details, mit denen man auf jeder Seite überhäuft wird: Es fiel mir ab und an schwer, nicht den Faden zu verlieren und ich musste sehr konzentriert lesen, um alles aufzunehmen.

Insgesamt ist es eine sehr lesenswerte, wichtige Biografie über Rassismus in Deutschland und einen Mann, der in seinem Leben so viele ungewöhnliche Erfahrungen gemacht hat, wie nur wenige andere.

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