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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.04.2023

Lesenswert

Die Möglichkeit von Glück
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Die Protagonistin Stine wird 1986 in einem kleinen Ort an der Ostsee in der DDR geboren. Ihre Eltern und Großeltern sind überzeugte Sozialisten. Stine wächst im wiedervereinigten Deutschland auf, doch ...

Die Protagonistin Stine wird 1986 in einem kleinen Ort an der Ostsee in der DDR geboren. Ihre Eltern und Großeltern sind überzeugte Sozialisten. Stine wächst im wiedervereinigten Deutschland auf, doch die sozialistische Ideologie ist noch vielerorts spürbar. Stines Lebensgeschichte hat mich sehr bewegt, insbesondere ihre harte und von Gewalt geprägte Kindheit. Die "Erziehungsmethoden" ihrer Mutter waren schockierend und umso befremdlicher, da sie Erzieherin in einem Kinderheim war.

Als Stines Großvater Paul stirbt, der nie viel aus seinem Leben erzählt hat, macht sie sich über das Bundesarchiv und andere Stellen auf Spurensuche. Stine möchte mehr über ihre Familie wissen, ihre Großeltern und Eltern, die nie über Vergangenes gesprochen haben, verstehen und darüber letzlich auch zu sich selbst finden. Die Jugend der Großeltern im Dritten Reich, ihre Kriegserlebnisse und das Schweigen darüber, der Aufbau der DDR und der Glaube an ein besseres Deutschland wirken bis in Stines Generation hinein. Hinzu kommen die Unsicherheiten der Nachwendezeit. Stines Gedanken hierzu und ihre innere Zerrissenheit sind sehr eindrücklich beschrieben und ich konnte mich sehr gut in sie hineinversetzen.

Die Autorin springt häufig zwischen verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen her, war den Lesefluss leider etwas behindert. Allerdings spiegelt dieses Hin und Her Stines Gedankenwelt sehr gut wider.

Aufgrund der detaillierten Schilderungen von Stines Recherche zu Opa Paul in diversen Archiven und der Ich-Perspektive liest sich der Roman wie eine Autobiographie, ist aber fiktiv. Es wäre in einem Nachwort interessant gewesen zu erfahren, ob hier reale Biographien zugrunde lagen.

Fazit: Ein lesenswerter und bewegender Roman!

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Veröffentlicht am 31.03.2023

typisch Schalko!

Wir lassen uns gehen
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David Schalko ist mir bereits als Regisseur und Drehbuchautor ein Begriff, und da ich den tiefschwarzen Humor seiner Serie "Braunschlag"
sehr mochte und auch den wunderbaren Film "Touluse", war ich gespannt ...

David Schalko ist mir bereits als Regisseur und Drehbuchautor ein Begriff, und da ich den tiefschwarzen Humor seiner Serie "Braunschlag"
sehr mochte und auch den wunderbaren Film "Touluse", war ich gespannt auf "Wir lassen uns gehen", eine Sammlung von 20 Kurzgeschichten.

Diese Kurzgeschichten sind, wie bei David Schalko zu erwarten war, ziemlich skurril, teils abgedreht, teils diabolisch, auf jeden Fall speziell und kurios. Bei einigen musste ich aufgrund des boshaften Humors wirklich lachen, andere brachten mich zum Nachdenken, und wieder andere erschlossen sich mir nicht. Mir gefällt, wie Schalko die Menschen beobachtet und die Absurditäten und Abgründe unseres Handelns aufgreift und ins Extreme treibt.

Fazit: Wer David Schalkos eigenwilligen Humor und seinen Hang zum Skurrilen schätzt, wird an dieser Sammlung von  Kurzgeschichten auf jeden Fall seine Freude haben!

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Veröffentlicht am 30.03.2023

Ein dunkles Kapitel französischer Geschichte

Ein ehrenhafter Abgang
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In "Ein ehrenhafter Abgang" beleuchtet Eric Vuillard das dunkle und unrühmliche Kapitel der französischen Kolonialherrschaft in Indochina (heute Vietnam, Laos, Kambodscha).

Das Buch beginnt mit einer ...

In "Ein ehrenhafter Abgang" beleuchtet Eric Vuillard das dunkle und unrühmliche Kapitel der französischen Kolonialherrschaft in Indochina (heute Vietnam, Laos, Kambodscha).

Das Buch beginnt mit einer Schilderung der menschenverachtenden und von Gewalt gegenüber den einheimischen Arbeitern geprägten Zustände auf den Plantagen Michelins in Indochina und widmet sich dann dem Indochinakrieg. Hierbei stehen jedoch nicht die militärischen Ereignisse im Fokus, sondern die politischen Debatten über den Militäteinsatz im französischen Parlament. Vuillard zeichnet ein Bild machtbesessener Männer, von Seilschaften und seit Generationen bestehenden Pfründen, und von wirtschaftlichen Interessen als dem wahren Motor hinter allem.

Vuillard schreibt im Stil einer historischen Reportage, dennoch handelt es sich bei dem Buch um Fiktion, da er den Personen Gedanken, Intentionen und Aussagen zuschreibt, die er in diesen Details nicht wissen oder belegen kann.

Das Buch setzt bereits Wissen über den Indochinakrieg und französische Politik voraus, so dass ich mehrfach innehalten und anderweitig nachlesen musste. An vielen Stellen ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass sich in mancherlei Hinsicht an den Mechanismen der Macht bis heute nicht viel geändert hat.

Fazit: Ein interessantes und empfehlenswertes Buch über das Ende des französischen Kolonialregimes, das sich vor allem an Leser*innen richtet, die mit der Thematik bereits vertraut sind.

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Veröffentlicht am 30.03.2023

Unterhaltsame Lektüre

Bissle Spätzle, Habibi?
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Angesichts des Titels erwartete ich eine eher humorvolle, pointierte Culture Clash Geschichte wie Jan Weilers "Maria, ihm schmeckt's nicht". Hier ist der Titel etwas irreführend, da die Geschichte zwar ...

Angesichts des Titels erwartete ich eine eher humorvolle, pointierte Culture Clash Geschichte wie Jan Weilers "Maria, ihm schmeckt's nicht". Hier ist der Titel etwas irreführend, da die Geschichte zwar durchaus komische Momente hat, aber vor allem von der Zerrissenheit Amayas zwischen der Liebe zu Daniel und der Liebe zu ihren Eltern und deren traditionellen Vorstellungen von einem Ehemann handelt.

Der Roman enthält immer wieder ausführliche Rückblenden auf wichtige Erlebnisse in Amayas Kindheit und Jugend, die sehr eindrücklich ein warmherziges Elternhaus mit liebevollen Eltern und Geschwistern schildern. In vielen Punkten weltoffen, sind die Eltern hinsichtlich Ehe, Familie und Berufswahl jedoch muslimischen Traditionen und Moralvorstellungen verbunden. Diese Rückblenden wecken ein gewisses Verständnis für Amayas Zwiespalt und ihr langes Versteckspiel bezüglich Daniel.

An vielen Stellen fiel es mir dennoch schwer, Verständnis für Amayas Verhalten gegenüber Daniel aufzubringen, und wäre ich Daniel, hätte ich ehrlicherweise die Beziehung schon lange beendet, da ich Amayas Hinhaltetaktik und ihre damit verbundenen Lügen als äußerst verletzend empfunden hätte und bei ihr kein Entgegenkommen spürbar war. An keiner einzigen Stelle ist für mich erkennbar, dass sie bereit ist, um Daniel zu kämpfen.

An manchen Stellen wirkt die Geschichte etwas bemüht, insbesondere was die Figur von Lucas angeht - hier ist die Absicht der Autorin, Amayas Zwiespalt auf andere Konflikte zu übertragen, allzu auffällig.

Besonders positiv fand ich, dass die Autorin das Elternhaus und die Geschwister beschreibt, ohne dabei typische Klischees zu bedienen und stattdessen vielmehr facettenreiche, individuelle Figuren entwickelt, die auf ihre Art Aspekte zweier Kulturen in sich vereinen.

Fazit: Insgesamt eine kurzweilige Lektüre, die auf leichte und unterhaltsame Weise vom Leben in zwei Kulturen erzählt und den Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man allen, die man liebt, gleichermaßen gerecht werden möchte.

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Veröffentlicht am 27.03.2023

Regt zum nachdenken an

Die spürst du nicht
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Zwei gutsituierte österreichische Familien fahren gemeinsam in den Sommerurlaub in die Toskana. Mit dabei ist Aayana, eine Freundin der 14jährigen Tochter Sophie-Louise und Flüchtlingskind aus Somalia. ...

Zwei gutsituierte österreichische Familien fahren gemeinsam in den Sommerurlaub in die Toskana. Mit dabei ist Aayana, eine Freundin der 14jährigen Tochter Sophie-Louise und Flüchtlingskind aus Somalia. Der erste Ferientag verläuft geruhsam im Feriendomizil mit Pool, bis am Abend ein Unglück geschieht, das alles verändert.

Die Geschichte beginnt als herrlich bissige Gesellschaftssatire und wechselt nach dem Unglück etwas den Ton, die ironische Note tritt in den Hintergrund. Der Roman beleuchtet unseren Umgang als Gesellschaft und als Einzelne mit Migranten und Migrantinnen, geprägt von mangelnder echter Empathie, herablassender Ignoranz und kulturellen Missverständnissen.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die Tochter Sophie-Louise und ihre Mutter Elisa, die für die Grünen im Nationalrat sitzt. Die Erzählung wird immer wieder ergänzt durch Onlineberichte diverser Medien und zugehörige Postings, die sehr gut getroffen sind. Jede Figur hat ihre eigene Art, mit dem Unglück umzugehen, doch drehen sie sich alle im Grunde nur um sich selbst und ihre eigenen Befindlichkeiten.

Die Charaktere sind scharf getroffen, der Schreibstil ist toll zu lesen. Leider ist der Part um Sophie-Louise recht vorhersehbar. Die Beschreibung der somalischen Familie empfinde ich als weniger gelungen, die Figuren wirken unrund und ihr Verhalten wenig glaubwürdig.

Zum Hörbuch: Das ungekürzte Hörbuch mit einer Laufzeit von 8h 47 min wurde von Tessa Mittelstaedt und Steffen Groth eingesprochen, wobei Frau Mittelstaedt die eigentliche Geschichte vorträgt und Herr Groth die Passagen, die Presseberichte und zugehörige Postings beinhalten. Diese Aufteilung ist eine tolle Idee und sehr gelungen umgesetzt. Beide haben eine sehr angenehme Stimme und ein gutes Sprechtempo. Herr Groth trifft genau den richtigen Presse-Ton und spricht auch die einzelnen Postings und Kommentare facettenreich und teilweise mit wunderbarem Wiener Dialekt. Ein echter Zugewinn zum reinen Buch! Auch Frau Mittelstaedt verstimmlicht jede Figur gekonnt und verleiht ihr eine individuelle Note.

Insgesamt eine interessante, außergewöhnliche und zum Nachdenken anregende Geschichte und ein  sehr empfehlenswertes Hörbuch mit  hervorragenden Sprechern.

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