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Veröffentlicht am 20.04.2023

Freundinnen mit Geheimnissen

One of the Girls
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Schon das Cover von Lucy Clarke´s "One of the girls" macht neugierig: Eine von uns lügt. Eine von uns betrügt. Doch würde eine von uns töten? Und eine Leiche wird es geben, so viel verrät schon der Klappentext. ...

Schon das Cover von Lucy Clarke´s "One of the girls" macht neugierig: Eine von uns lügt. Eine von uns betrügt. Doch würde eine von uns töten? Und eine Leiche wird es geben, so viel verrät schon der Klappentext. Da scheint die hen night, der Juniggesellingenaben (oder viel mehr langes Wochenende) von sechs Britinnen auf einer griechischen Insel, gründlich aus dem Gefüge zu geraten....

Die Dynamik innerhalb der kleinen Gruppe ist von Anfang an von Konflikten überschattet. Da ist Bella, Trauzeugin, selbsternannte beste Freundin der Braut Lexi, die ständig die besondere Vertrautheit mit Lexi herausstreicht. Doch gleichzeitig hält sie an der Lexi vor zehn Jahren fest, einer lebenslustigen, wilden Frau, Partynächte auf Iniza, das Leben als Dauerrausch. Es ist die Art Leben, das Bella noch immer pflegt, auch um die Angst vor dem Scheitern der Beziehung zu ihrer Freundin Fen hat, die ein Fitnessstudio leitet und mit der Insel, auf der sie dank Fens Tante eine Villa nutzen können, ein paar schlimme Erinnerungen verbindet.

Doch mittlerweile unterrichtet Lexi Yoga, hat sich verlobt ud ist an einem sehr viel ruhigeren Leben interessiert - auch wenn Bella das nicht dulden kann. Dazu passt, dass sie nun besonders eng mit Ana befreundet ist, einer alleinerziehenden Mutter mit halbwüchsigen Sohn, die sie erst in London i ihrem Yogastudio kennengelernt hat.. Alleinerziehend ist auch Robyn, die zu Schulzeiten ein unzertrennliches Trio mit Lexi und Bella gebildet hat, Doch seitdem hat sich Entfremdung zwischen Robyn und Bella entwickelt.

Als Fremde in der Gruppe fühlt sich auch Elanor, Lexis künftige Schwägerin. Für sie ist das Partywochenende besonders schwierig - nicht nur weil sie niemanden kennt und eher introvertiert ist. Ihr eigener Verlobter ist kurz vor der geplanten Hochzeit gestorben. Unter dem Verlust leidet sie noch immer, Feierstimmung will sich bei ihr nicht breit machen.

Die Autorin legt allerlei Fußangeln, unterbricht immer wieder buchstäblich in cliffhanger-Situationen, um zu einem anderen Erzählstrang, einer anderen Perspektive zu wechseln. Denn die Villa der hen night liegt auf einem Felsen, hinter einem niedrigen Mäuerchen geht es lebensgefährlich tief hinab. Wanderungen auf steilen Klippen machen klar, wie schnell ein falscher Schritt tödlich enden kann. Hinzu kommt, dass jede Frau ein Geheimnis hat.

Die ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten der sechs Frauen sorgen für Konflikte, Spannungen und viel zwischenmenschliches Drama. Geheimnisse werden gelüftet, Bündnisse geschlossen und nicht nur die griechische Sommerluft brennt zwischen den Frauen. Beim Lesen bleibt immer wieder die Frage nach der noch ausstehenden Leiche. Wird es ein Unfall sein, ein eskalierender Streit, ein geplanter Mord? Wer ist Täterin, wer Opfer? Manche Situation, die schon direkt zu einer Toten zu führen scheint, endet dann doch ganz anders. Dass es dann noch einmal ganz anders kommt, ist schlüssig und bringt das Beziehungsgefüge in der griechischen Villa noch einmal durcheinander.

Das Mädelswochenende dürfte allen Beteiligten in Erinnerung bleiben - und auch seine Folgen bleiben nicht unerwähnt. "One of the girls" bietet spannende Unterhaltung, die vor allem psychologischer Art ist. Die Tatsache, dass die Handlung überwiegend in einer isolierten Villa spielt, trägt zudem zu einem "locked room drama" bei. Chick-Lit der dramatischern Art.

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Veröffentlicht am 07.04.2023

Liebenswerte Pechvögel als Detektive

Die Hausboot-Detektei – Tödlicher Grund
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Immer, wenn ich in Amsterdam an den Grachten entlangspaziere, blicke ich auf die dort lagernden Hausboot und stelle, mir vor, wie schön es sein muss, auf so einem Boot zu leben. "Die Hausboot-Detektei" ...

Immer, wenn ich in Amsterdam an den Grachten entlangspaziere, blicke ich auf die dort lagernden Hausboot und stelle, mir vor, wie schön es sein muss, auf so einem Boot zu leben. "Die Hausboot-Detektei" von Amy Achterop weckte also gleich mein Interesse. Und tatsächlich habe ich diesen Cozy-Krimi mit großem Vergnügen gelesen, was vor allem an der liebenswerten Detektivgruppe liegt, die teils Außenseiter und Pechvögel sind, an der Liebe oder dem Leben gescheitert und die der Ex-Polizist Arie und Chef-Detektiv um sich gesammelt hat.

Arie ist der einzige Profi der Gruppe, aber seit er seinen früheren Partner und einst besten Freund im Bett mit seiner Frau überrascht hat, ist nicht nur die Ehe vorbei, sondern auch die Polizeikarriere. Maddie, kampfsporterfahren und mit Anger issues, kümmert sich um ihre jüngere Schwester, die das Down-Syndrom hat und davon träumt, Modedesignerin zu sein. Dann ist da noch Transmann Jan, mit Hipster-Bart und großem Herzen, der sich immer noch vergeblich danach sehnt, von der eigenen Familie anerkannt zu werden, die nach einer gescheiterten Liebe unter Schreibblockade leidende schwedische Krimiautorin Elin und der Engländer Jack, der mal Ingenieur war, aber jetzt nicht so recht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll.

Alles in allem also vielleicht nicht die qualifizierteste Detektivtruppe, auch wenn sie zwecks Mitarbeiterschulung auf dem Hausboot stundenlang Miss Marple-Filme schauen oder sich um das verwaiste Eichhörnchen Fru Gunilla kümmern, das vor allem von Jan liebevoll aufgepäppelt wird.

Dennoch kommen die Hausboot-Detektive, deren Schiff noch nicht einmal von einem Firmenschild geziert wird, schon bald an ihren ersten Fall. Man könnte auch sagen, es handelt sich um Industriespionage auf Sternen-Küche-Niveau. Denn zur Hochzeit seiner Tochter will ein Unternehmer zwischen zwei Spitzengastronomen wählen. Die sollen ihn zunächst aber mit einem außergewöhnlichen und noch nicht dagewesenen Dessert überzeugen.

Was die Polizei nicht weiß, die Leser aber schon sehr viel früher: Die beiden Gastronomen spielen gewissermaßen mit gezinkten Karten und haben so einiges zu verbergen. Die Hochzeit dürfte allen beteiligten in der Tat unvergesslich werden, allerdings nicht unbedingt aufgrund des besten Erinnerungen.

Turbulent geht es bei den Ermittlungen jedenfalls nicht nur wegen des temperamentvollen Eichhörnchens zu. Dieser Cozy-Krimi überzeugt mit seinen liebenswert-schrägen Figuren, die man beim Lesen richtig lieb gewinnt. Ich bin jedenfalls auf das nächste Abenteuer der Hausboot-Detektei gespannt. Hier kommt es weniger auf einen ausgefeilten, raffinierten Plot an als auf das Zwischenmenschliche. Zugleich ein Buch, das Toleranz und Inklusion groß schreibt, ganz ohne missionarischen Eifer, aber pragmatisch und mit warmem Humor. Spielt zwar in Amsterdam, erzeugt aber hyggelige Gefühle!

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Veröffentlicht am 22.03.2023

Eine große Liebe

Melody
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Der Jurist Tom, Langzeitstudent und gewissermaßen ehemals gutistuiert und privilegiert, ist nach dem Selbstmord seines überschuldeten Vaters plötzlich darauf angewiesen, seinen Leebnsunterhalt zu verdienen. ...

Der Jurist Tom, Langzeitstudent und gewissermaßen ehemals gutistuiert und privilegiert, ist nach dem Selbstmord seines überschuldeten Vaters plötzlich darauf angewiesen, seinen Leebnsunterhalt zu verdienen. Wie gut, dass er trotz des angepeilten nächsten Bar Exams in den USA schon zwei Studienabschlüsse vorweisen kann. Die Härten des Arbeitslebens werden in seinem ersten Broterwerb jedenfalls so abgefedert, dass der Protagonist in Martin Suters Roman "Melody" wenig Grund zur Klage hat: Nationalrat Peter Stotz beauftragt ihn für ein üppges Gehalt nicht nur mit der Abwicklung seines Nachlasses. Auch Kost und Logis sind inbegriffen - in einer herrschaftlichen Villa am Zürichberg und dank der Kochkunst der sizialianischen Köchin Mariella ein tägliches Geschmacksfeuerwerk.

Stotz erweist sich als Arbeitgeber, der angenehm im Umgang ist. Schnell merkt Tom, dass der alte Mann, dem die Ärzte nur noch maximal ein Jahr lang geben, in seiner Villa einen regelrechten Schrein einer jungen schönen Frau errichtet hat. Melody, die Verlobte, die kurz vor der geplanten Hochzeit mit dem deutlich älteren Stotz spurlos verschwand. Seitdem hat er sie immer wieder gesucht.

Eine große Liebe, eine goße Hoffnung, vielleicht aber auch eine große Lüge und Täuschung? Tom lauscht den Erzählungen, hört unterschiedliche Deutungen, wird zunehmend selbst in den Bann gezogen dieser einen, intensiven Liebe im Leben des Nationalrats.

Ist Melody entführt worden, etwa einem Ehrenmord zum Opfer gefallen?`Ihre marokkanische Familie, die sie bereits für eine arrangierte Ehe verlobt hatte, war gegen die Verbindung mit Stotz gewesen. Ist sie geflohen? Hat sie einen anderen kennengelernt? Entspricht das, was Stotz erzählt, überhaupt der Wahrheit?

Zwischen eleganter Plauderei bei vielen alten Armagnacs und schweren Rotweinen macht sich nicht nur Tom, sondern auch der Leser Gedanken, was von dem Erzählen der Wahrheit entspricht, was vielleicht Wunschdenken oder Lebenslüge ist. Die Suche nach Melody hat über die Lebenszeit von Stotz hinaus Bestand und erfährt immer wieder neue Wendungen.

Eine Liebesgeschichte in großbürgerlichem Ambiente voll eleganter Leichtigkeit mit überraschendem Ausklang.

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Veröffentlicht am 22.03.2023

Von Liebe, Leid und Tod

Die schöne Müllerin
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Ein interessanter Ansatz, den Stefan Weiller für sein Hörbuch "Die schöne Müllerin" gewählt hat: Er kombiniert den Liederzyklus von Franz Schubert mit Texten, kurzen Geschichten über Liebende und Leidende, ...

Ein interessanter Ansatz, den Stefan Weiller für sein Hörbuch "Die schöne Müllerin" gewählt hat: Er kombiniert den Liederzyklus von Franz Schubert mit Texten, kurzen Geschichten über Liebende und Leidende, Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen oder Außenseiter sind. Der melancholische Ton der Musik der Romantik wird von Geschichten ohne Happy End oder große Hoffnung gespiegelt. Eine eigenwillige und gelungene Kombination, zu der auch die Sprecherinnen und Sprecher Birgitta Assheuer, Dagmar Manzel und Jens Harzer beitragen. Das könnte leicht in Sentimentalität oder Kitsch abgleiten - tut es aber nicht.

Mit nicht einmal zweistündiger Dauer ein ausgesprochen kurzes Hörbuch, das ich mir dennoch nur in kleinen Portionen - ein, zwei Geschichten am Stück - angehört habe. Dann ist es perfekt für die "blaue Stunde" ohne übermäßig depressiv zu wirken.

Wer ein Schubert-Konzert erwartet, ist hier fehl am Platz, auch wenn die unaufdringliche Klaviermusik die Texte einfühlsam begleitet und unterstreicht. Die Geschichten von Flucht, Selbstmordgedanken, Transphobie oder Obdachlosigkeit haben mit dem Liederzyklus der schönen Müllerin letztlich nur das Grundthema Liebe, Leid und Tod gemeinsam, stehen aber auch ganz wunderbar für sich.

Veröffentlicht am 12.03.2023

Wenn die Wut größer ist als die Angst

»Unser Schwert ist Liebe«
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Es gibt Länder, die erstarrt scheinen in einem menschenfeindlichen System, in dem die Angst vor der eisernen Faust der Staatsmacht größer zu sein scheint als der Wunsch, etwas zu ändern. Länder, in denen ...

Es gibt Länder, die erstarrt scheinen in einem menschenfeindlichen System, in dem die Angst vor der eisernen Faust der Staatsmacht größer zu sein scheint als der Wunsch, etwas zu ändern. Länder, in denen die Aufrechten und Mutigen sich sehr einsam und allein fühlen müssen. Der Iran gehörte zweifellos dazu. Seit einige Monaten gibt es aber auch erstaunliche Bilder Mutes, gerade sehr junger Menschen: Mädchen, die als Zeichen des Protestes ihre langen Haare abschneiden, auf der Straße das Kopftuch schwenken, wie zum Hohn gegen die Sittenpolizei und die Mullahs: Seht her, wir haben keine Angst mehr für euch..

Wie hoch der Preis für diesen Mut sein kann, beweisen die Todesurteile gegen Demontrantinnen, die Berichte über Verhaftungen. Dass iranische Sicherheitsbehörden foltern, m fragwürdige Geständnisse zu erzielen, ist schon lange bekannt. Mit ihrem Buch "Unser Schwert ist Liebe" hat Gilda Sahebi die feministische Revolte im Iran beschrieben.

Die Ärztin und Journalistin ist nah dran an ihrem Thema: Sie ist selbst im Iran geboren, kam aber bereits mit drei Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland. Ihr letzter Besuch im Iran fand im Alter von 14 Jahren statt. Die Situation ihrer Angehörigen und die Lage im Iran kann sie nur aus der Entfernung verfolgen, über soziale Medien und Internet-Recherchen.

Sahebi ist nicht gleichgültig, wenn es um das Schicksal der Frauen im Iran geht, sie ergreift Partei. Das ist sowohl Stärke als auch Schwäche des Buches, denn sie kann sich darin nicht zwischen der Rolle der Aktivistin und der Journalistin entscheiden. Selbst einige der Kapitel in dem Buch sind Reden, die zuvor auf Demonstrationen gehalten wurden.

Für viele Leser
innen ist das Buch so vielleicht lesbarer, leidenschaftlicher, emotionaler. Als Dokument von Menschenrechtsverletzungen und Analyse der Protestbewegung im Iran verliert es allerdings an Glaubwürdigkeit, lässt mich fragen, wo die Recherche von der eigenen Gefühlslage ausgebremst worden sein mag.

Manche Wiederholungen im Text sind der Tatsache geschuldet, dass ältere Texte für das Buch recycelt wurden - sei´s drum. Besonders überzeugend ist das Buch dort, wo Sahebi und andere Exil-Iranerinnen ihren eigenen Blick aus der Ferne auf das Geschehen im Iran reflektieren, auf die Gleichgültigkeit, die sie in Deutschland oft erleben, wenn Gewalt und Menschenrechtsverletzungen der Mehrheitsgesellschaft sehr weit weg erscheinen.

Ich vermute, "Unser Schwert ist Liebe" wird vor allem von denjenigen gekauft, die sich für den Protest der Frauen im Iran, oder das Leben von Frauen in streng islamisch geprägten Gesellschaften interessieren. Von Jina Mahsa Amini, der jungen Kurdin, deren Tod - und die staatlichen Lügen über die Todesursache - die Proteste auslösten, haben diese Leser
innen wohl alle schon längst gehört, und auch der Ruf "Frau, Leben, Freiheit" ist ihnen nicht unbekannt. Beides mehrfach zu beschreiben, ist also eigentlich überflüssig.

Lieber hätte ich Antworten auf die Frage erhalten: Warum jetzt? Denn die Unzufriedenheit vor allem junger Menschen ist ja nicht neu. Selfies ohne Kopftuch gibt es seit Jahren. Es gab Protestbewegungen in der Vergangenheit, die aber nicht dieses Ausmaß erreichten. Was ist nun also anders?`Das Internet kann es nicht sein, das existiert ja schon seit geraumer Zeit, ebenso wie Vernetzung über soziale Medien. Hier hätte ich mir dann doch mehr journalistische Analyse und weniger aktivistische Betroffenheit gewünscht. Dennoch ein gut lesbares Buch, das auch den fast 500 bislang bekannten Todesopfern des Protests ein Denkmal setzt.