Ein typisches Patrick Ness Buch
Nachdem mich der letzte Teil der "Chaos Walking" Reihe des Autors so vom Hocker gehauen hat, habe ich beschlossen, mich noch weiteren Büchern von Patrick Ness zu widmen. Da kam mir sein brandneues Fantasy-Epos, ...
Nachdem mich der letzte Teil der "Chaos Walking" Reihe des Autors so vom Hocker gehauen hat, habe ich beschlossen, mich noch weiteren Büchern von Patrick Ness zu widmen. Da kam mir sein brandneues Fantasy-Epos, das am 29. März erschienen ist, gerade recht. Drachen, ein rassistisches Amerika der 50er Jahre, die Farm eines jungen Mädchens und das Ende der Welt? Das klang nach einer wilden Mischung, die nur Patrick Ness auf stimmige Weise zum Leben erwecken kann. Und ich hatte Recht: "Burn - Die Welt brennt wie Feuer" ist ein typisches Patrick Ness Buch mit einer originellen, aber super seltsamen Handlung, vielen überraschenden Wendungen, greifbaren Figuren und einer packenden Sogwirkung, die einen beim Lesen alles um sich herum vergessen lässt.
Das Cover ist eher minimalistisch gehalten. Auf pechschwarzem Grund sieht man, wie sich ein brennender Drache aus einem Flammenmeer erhebt. In weißen, vor Hitze verschwommenen Buchstaben sind zudem der Autorenname und der Titel abgedruckt. Damit hat die Verlagsgruppe Randomhouse das Design, das Hauptmotiv und den Titel der Originalausgabe vollständig übernommen und gibt uns LeserInnen schonmal einen feurigen Vorgeschmack auf die Weltuntergangsstimmung der Geschichte.
Erster Satz: "An einem kalten Sonntagabend zu Beginn des Jahres 1957 - genau an dem Tag, an dem Dwight David Eisenhower zum zweiten Mal den Amtseid als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ablegte - wartete Sarah Dewhurst mit ihrem Vater auf dem Parkplatz der Chevron-Tankstelle auf den Drachen, der er für die Farm angeheuert hatte."
"Burn" war eine Geschichte, die mich nicht von der ersten Seite an gepackt hat. Um ehrlich zu sein wusste ich in den ersten Kapiteln dieses Buches überhaupt nicht, was ich von der Kombination aus neuzeitlicher Gesellschaft und Drachen anfangen sollte, konnte mit der undurchsichtigen Handlung nichts anfangen und fand die vielen scheinbar unzusammenhängenden Handlungsstränge extrem seltsam. Bisher kannte ich Drachen nur aus High-Fantasy Settings mit mittelalterlichen Welten und nicht in zeitgenössischen Gesellschaften, die sich von unserer bis auf die Anwesenheit der großen magischen Ungetüme nicht unterscheidet. Dass der Autor wie von ihm bekannt nicht daran denkt, sein Worldbuilding und sein Handlungskonstrukt zu erklären oder sanft einzuführen, machte die Verwirrung für mich nur noch größer und sorgte dafür, dass ich zwischenzeitlich überlegt habe, ob ich das Buch nicht abbrechen soll.
"Er war das, worunter die Welt in den vier Milliarden Jahren ihrer Existenz am meisten gelitten hat: ein dummer Mann mit Macht. Wenn eines Tages die Lichter des Universums ausgingen, würde ein Mann wie Deputy Kelby neben dem Stecker stehen, den er trotz aller Warnungen gezogen hatte, weil er sich störrisch weigerte, Ratschläge zu befolgen, die nicht seinem eigenen, dumpfen Gehirn entsprungen waren."
Das änderte sich mit einer Wendung in der Hälfte des Buches dann jedoch sehr abrupt und es entrollt sich aus den vielen Andeutungen und Handlungssträngen auf den letzten 200 Seiten eine vielschichtige, interessante Geschichte mit spannendem Showdown, wie ich ihn nicht hätte kommen sehen. Die beiden Teile der Handlung, die auch vom Autor als solche gekennzeichnet worden sind, lesen sich dabei beinahe wie zwei unterschiedliche Bücher. Patrick Ness schlägt jedoch in beiden Hälften ein vergleichbar hohes Erzähltempo an. Zwischen einer rätselhaften Prophezeiung, einem jugendlichen Attentäter, einer religiöse Sekten, dem Aufschwung einer Göttin, tödlichem Drachenfeuer, dem Ende ganzer Städte, uralten Artefakten, Dimensionsreisen und Welten am Rande des Krieges hat man keinerlei Chancen, innezuhalten und kurz darüber nachzudenken, was hier gerade passiert. Auf der einen Seite ist das gut, da die Handlung, das Worldbuilding und die Grundidee sehr weit hergeholt sind, auf der anderen Seite hätte besonders ein Aspekt der Handlung noch mehr Potenzial gehabt. Da es unmöglich ist, inhaltlich genauer auf die Geschichte einzugehen, ohne zu spoilern, werde ich mich darüber hier aber nicht auslassen und auf ein Minimum beschränken. Wie auch in anderen Büchern des Autors ist es auch hier sinnvoll, mit möglichst wenig Vorwissen oder Erwartungen an die Geschichte heranzutreten und sich einfach von den ungewöhnlichen und überraschenden Pfaden mitreißen zu lassen, auf die der Autor uns führt.
"Wir befinden uns in den Händen von Göttinnen und Verrückten, Sarah Dewhurst."
Eine weitere Besonderheit von "Burn" ist, dass es hier eigentlich keine richtige Hauptfigur gibt. Statt einer Person zu folgen und sie in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen, erhalten wir hier eine ganze Gruppe von Figuren, die alle etwa zu gleichen Teilen zur Geschichte beitragen. Da in diesem Zuge aus mehr als zehn verschiedenen Perspektiven erzählt wird, sind die Figuren allesamt nur knapp angeschnitten. Seltsamerweise reichte das allerdings aus, um sie ins Herz zu schließen. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren, deren Leben und damit verbundene Themen wie der kalte Krieg, Rassismus, Fanatismus, Homophobie und Armut werden allerdings nur grob behandelt und entfalten nicht ihr ganzes Potenzial. Egal ob die Farmtochter Sarah und ihr Kindheitsfreund Jason, der ausgebildete Assassine Malcolm und sein Reisebegleiter Nelson, Agentin Woolf und ihr Partner Dernovich oder der blaue Drache Kasimir - alle haben aufgrund ihrer Ethnie, Sexualität, ihrer Vergangenheit und gesellschaftlicher Strukturen unterschiedliche Probleme, die man noch hätte weiter ausbauen können, die in diesem handlungsstarken Weltuntergangsszenario aber nicht umgesetzt werden können. Aus diesem Grund und der Tatsache, dass mich die erste Hälfte sehr ratlos zurückgelassen hat, kann ich der Geschichte trotz ihrer Vielschichtigkeit und Originalität keine 5 Sterne geben.
"Gläubig sein, bedeutet, zu glauben, ohne Beweis", sagte Malcolm. "Es ist ein Sprung ins Ungewisse, ein Akt der Tapferkeit. Mit Beweis müsste ich nicht glauben."
Fazit:
"Burn - Die Welt brennt wie Feuer" ist ein typisches Patrick Ness Buch mit einer originellen, aber super seltsamen Handlung, vielen überraschenden Wendungen, greifbaren Figuren und einer packenden Sogwirkung, die einen beim Lesen alles um sich herum vergessen lässt. Die Figuren, deren Leben und damit verbundene Themen wie der kalte Krieg, Rassismus, Fanatismus, Homophobie und Armut werden allerdings nur grob behandelt und entfalten nicht ihr ganzes Potenzial. Aus diesem Grund und der Tatsache, dass mich die erste Hälfte sehr ratlos zurückgelassen hat, kann ich der Geschichte trotz ihrer Vielschichtigkeit und Originalität keine 5 Sterne geben.