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Veröffentlicht am 12.04.2023

Menschen, die auf Bildschirme starren - eine verworrene Klima-Dystopie

°C – Celsius
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In Marc Elsbergs neuestem Buch "°C - Celsius" gibt es ein Motiv, dass sich ständig wiederholt: Menschen starren auf Bildschirme, Monitore, Handys oder in ihre AR-Brillen und lassen die Lesenden aus dieser ...

In Marc Elsbergs neuestem Buch "°C - Celsius" gibt es ein Motiv, dass sich ständig wiederholt: Menschen starren auf Bildschirme, Monitore, Handys oder in ihre AR-Brillen und lassen die Lesenden aus dieser Perspektive teilhaben an den spektakulären Ereignissen globalen Ausmaßes. Alle starren sie: Journalisten, Politiker und Regierungen, Wissenschaftler, Klimaaktivisten - sie starren viel und handeln wenig.


Es geht um ein sehr aktuelles Thema. Schon auf dem Einband wird die Frage gestellt: “Wenn Sie das Klima beeinflussen könnten, wen würden Sie vor der Katastrophe retten?” Der Mensch beeinflusst das Klima spätestens seit der industriellen Revolution (tatsächlich schon viel länger) in einer Art und Weise, die den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen, bedroht. Erderwärmung und Klimawandel, die daraus resultierenden sozialen und globalen Konflikte scheinen aktuell trotz aller Lippenbekenntnisse politisch nicht lösbar zu sein. Aber gibt es vielleicht eine technische Lösung? Das Zauberwort heißt Geoengineering und meint die vorsätzliche Beeinflussung des Klimas. In Elsbergs Klima-Dystopie beginnt China ohne Absprache mit den anderen Nationen der Welt mit einem spektakulären Projekt: Unser vulnerabler Planet soll eine Art Schutzschild erhalten, einen Sonnenschirm. Kann das gelingen und wird der Rest der Welt dabei einfach tatenlos zusehen? Wie wirken sich Klimaveränderungen auf die globale Wohlstandsverteilung aus? Und was ist technisch möglich und ethisch vertretbar?


Wie gewohnt, hat sich Marc Elsberg sehr intensiv in die wissenschaftlichen Grundlagen und das Für und Wider des Themas eingearbeitet. Es gelingt ihm auch gut, seine Recherchen allgemeinverständlich darzustellen - allerdings viel zu ausführlich und viel zu oft mit einem erhobenen Zeigefinger. In einem Interview mit der Kulturzeit auf 3sat vom 10.03.23 sagt Elsberg selbst, dass es die Kunst des Autors sei, die recherchierten Informationen zu verdichten. Er hätte auch 2000 Seiten zu diesem Thema schreiben können.


Tatsächlich sind es 608 Seiten geworden, und aus meiner Sicht ist es Elsberg eben nicht gelungen, die Materie ausreichend zu verdichten. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum mir das Buch leider gar nicht gefällt. Ich möchte nicht zu viel vom Inhalt verraten, deshalb kann und will ich in dieser Rezension nicht ins Detail gehen. Was uns in "°C - Celsius" begegnet ist eine Ansammlung dystopisch-apokalyptischer Szenarien, die teilweise aus einem Science-Fiction-Film stammen könnten. Was als spannender Thriller beginnt, verliert sich in verworrenen Handlungsfetzen, unterbrochen von Zeitsprüngen, chaotischen Perspektivwechseln und nicht immer nachvollziehbaren Wechseln zwischen der Realität de Buches und reiner Fiktion. Dabei benutzt Elsberg redundante Stilmittel, Worte, Gespräche, ganze Szenarien wiederholen sich.


Ein weiteres Manko des Buches besteht für mich darin, dass die zahlreichen Protagonisten nicht wirklich als Charaktere auftraten. Sie wirken wie Schablonen, ohne Tiefgang, ohne innere Entwicklung. Da verwundert es nicht, dass die meisten Figuren nicht einmal Namen erhalten, sondern nur in ihrer Funktion beschrieben werden. Die namentlich erwähnten Protagonisten tauchen in einem Personenregister am Anfang des Buches auf, welches eher so wirkt wie ein Schmierzettel, den jemand beim Lesen erstellt hat, um nicht den Überblick zu verlieren. Was fehlt ist ein Glossar, in dem die zahlreichen englischsprachigen Fachbegriffe des internationalen politischen Diskurses erklärt werden. Selbst wer des Englischen mächtig und mit der Thematik vertraut ist, muss sich deshalb den einen oder anderen Ausdruck ergoogeln.


Für einen Thriller hatte diese Dystopie leider zu wenig Handlung. Mich hat Elsberg ab S. 285 leider nicht mehr begeistern können, und so verschwand nach und nach nicht nur die Leselust - das Lesen wurde tatsächlich zur Qual. 285 von 608 Seiten reichen leider nicht aus, um ein Buch noch empfehlen zu können. Schade, denn das Buch hätte das Potential für einen bewegenden Thriller in sich getragen. Und der Autor hat z.B. mit Blackout bewiesen, dass er eigentlich auch dazu in der Lage ist, einen Pageturner zu schreiben.

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Veröffentlicht am 08.02.2023

Actionthriller im Eis der Antarktis

Der Riss
9

Ein Antarktis-Thriller - Ausgangsort der Handlung ist die deutsche Polarforschungsstation Neymayer III. Hierhin begibt sich die Vulkanologin Antonia Rauwolf, um ihren verschollenen Kollegen Pietro Malatesta ...

Ein Antarktis-Thriller - Ausgangsort der Handlung ist die deutsche Polarforschungsstation Neymayer III. Hierhin begibt sich die Vulkanologin Antonia Rauwolf, um ihren verschollenen Kollegen Pietro Malatesta zu ersetzen. Die Zeit drängt, denn sie soll vor dem Einbruch des antarktischen Winters erforschen, wie aktiv die neu entdeckten Vulkane sind und welche - unter Umständen - globale Gefahr von Ihnen ausgeht. Doch Antonia verfolgt ihr eigenes Ziel. Sie will ihren mit Malatesta ebenfalls verschollenen Bruder Emilio finden und retten. Schnell wird klar, dass es sich bei dem Verschwinden der beiden nicht um einen tragischen Unfall gehandelt hat, sondern dass skrupellose Kriminelle am Werk sind.

Autor des Buches ist ein deutscher Schriftsteller und Wissenschaftsjournalist, der mit "Der Riss” unter dem Pseudonym Thilo Winter im Genre der Thriller debütiert.

Meine Erwartungshaltung an das Buch war hoch, denn die Antarktis mit ihrer wundervollen und einmaligen Landschaft und eine Polarstation mit einer interdisziplinären Besatzung ließen mich auf einen realitätsnahen und dennoch spannenden Roman hoffen. Leider wurde diese Hoffnung sehr schnell enttäuscht.

So hält sich der Autor nicht lange mit Naturbeschreibungen auf. Die Antarktis ist im Wesentlichen nur eine Kulisse, in der es kalt und lebensbedrohlich zugeht. Man merkt dem Buch durchaus an, dass Thilo Winter sich mit der Antarktis auseinandergesetzt und zu diesem Setting recherchiert hat. An manchen Stellen überfrachtet er das Buch geradezu mit all seinen Erkenntnissen: die neuere Geschichte der Antarktis, die Geologie, die Bedeutung des arktischen Eisschildes für die Weltbevölkerung, die Rohstoffvorkommen, der moderne Tourismus - all das wird thematisch angerissen und miteinander verwoben. Aber Winter bleibt dabei immer an der Oberfläche, kein Thema wird tiefgehender thematisiert. Für einen Wissenschaftsthriller - denn als solcher wird der Roman durch den Verlag beworben - ist mir das nicht genug. Zudem wird im Verlauf der Geschichte weder geforscht noch benehmen sich die Protagonisten so, wie man es im Kontext einer Polarstation erwarten würde.

Thilo Winter schafft es aus meiner Sicht nicht, überzeugende Charaktere zu erschaffen, mit denen ich hätte mitfiebern können. Antonia Rauwolf als Hauptperson der Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür. Sie agiert von Anfang an wie eine einsame Actionheldin, teilt verbal aus, noch bevor jemand die Möglichkeit hat, ihr die Hand zu reichen und liefert sich nervtötende verbale Schlachten anstelle von zielführenden Dialogen. Keine der Figuren reflektiert das eigene Handeln, niemand entwickelt sich. Dadurch ist einiges im Handlungsablauf vorhersehbar. Der Schreibstil ist schnell und für meinen Geschmack zu hektisch. Häufige Perspektivwechsel und immer dramatischere Entwicklungen lassen den Lesenden wenig Spielraum für eigene Vermutungen. Aus dem Wissenschaftsthriller wird zunehmend ein Actionthriller mit Elementen aus SciFi und Fantasy.

Fazit: “Der Riss” ist ein Buch, das alles zugleich sein möchte und mich dadurch sehr enttäuscht hat.

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