Berührend, dramatisch, bedrückend wirkt dieser vielschichtige Roman noch lange nach.
Gaël Faye wurde 1982 in Burundi als Sohn einer Tutsi und eines französischen Vaters geboren. Sein autobiografisch geprägter Roman "Kleines Land" erschien im Oktober 2017 als deutsche Übersetzung von Brigitte ...
Gaël Faye wurde 1982 in Burundi als Sohn einer Tutsi und eines französischen Vaters geboren. Sein autobiografisch geprägter Roman "Kleines Land" erschien im Oktober 2017 als deutsche Übersetzung von Brigitte Grosse und Andrea Alvermann im Piper Verlag. Das Buch wurde mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet.
Gabriels Familie lebt in Burundi. Er ist noch ein Kind und trifft sich mit seinen Freunden auf der Straße, sie kommen alle aus gutsituierten Familien und haben eine paradiesische Kindheit. Seine Eltern trennen sich und zu der Zeit zerbricht auch sein kleines Land als nach einem Militärputsch der furchtbare Völkermord in Ruanda beginnt. Als der Krieg in seiner Wohnstraße angelangt ist, schickt sein Vater Gabriel und seine Schwester Ana nach Frankreich. Es dauert zwanzig Jahre, bis Gaby in seine alte Heimat zurückkehrt.
"Hinter scheinbarer Ruhe, einer lächelnden Fassade und großen, optimistischen Reden waren beständig dunkle, unterirdische Kräfte am Werk, um Gewalt und Zerstörung freizusetzen... 1965, 1972 und 1988. Ein böser Geist schaute regelmäßig vorbei, um die Menschen daran zu erinnern, dass Friede nur ein kleines Intervall zwischen zwei Kriegen ist." Zitat Seite 117
Über den Völkermord in Ruanda und Burundi zwischen Hutu und Tutsi wissen wir hierzulande nur wenig, die Informationen der Nachrichten geben die immense Anzahl der Getöteten mit bis zu 1.000.000 Menschen an und zeigen damit auch das Ausmaß dieser kriegerischen Katastrophe.
In diesem Roman wird aus der Sicht eines Kindes, des 11jährigen Gaby, über die Entwicklung im Lande Burundi erzählt. Anfangs friedlich zusammenlebende Hutu und Tutsi liefern sich im Jahre 1994 einen erbitterten Bürgerkrieg.
Gaby erzählt über eine Heimat, die im Krieg auseinanderbricht, wo Nachbarn zu Feinden werden und die Grausamkeiten unvollstellbar sind.
Seine anfangs glückliche Kindheit zerbricht als sich die Eltern trennen und als der Krieg ausbricht. Auch seine Freunde werden gewalttätig und lassen sich von den Auseinandersetzungen voller Haß anstecken und mitreißen.
Der Erzählstil des Autors hat mich sehr berührt und gefesselt, hier muss ich auch ein großes Lob an die perfekt gelungene Übersetzung aussprechen.
Der sprachliche Tonfall ist leicht zu verfolgen, sehr treffend und trotz der dramatischen Ereignisse immer irgendwie schonungslos und sachlich beschreibend. Das verleiht dem Buch eine ganz intensive Wirkung, der man sich als Leser nicht entziehen kann.
Gaby sagt über seine Heimat: "Nichts ist süßer als der Augenblick, in dem die Sonne hinter den Berggipfeln versinkt." Zitat Seite 81
Soviel Romantik vermutet man bei einem jungen Autor gar nicht. Überhaupt sieht er die Schönheit seiner Heimat ganz bildhaft und intensiv. Je mehr er sich an seine Kindheit erinnert, umso schöner beschreibt er die Umgebung. Während die kriegerischen Auseinandersetzungen und Morde ihm eine Welt voller Gewalt und Grausamkeit vor Augen halten, in die er letzten Endes auch hineingezogen wird und zu einer grausamen Tat gezwungen wird.
"Völkermord ist ein schwarzer Sumpf, wer nicht darin untergeht, ist für sein Leben verseucht." Zitat Seite 188
Das zeigt die furchtbare Atmosphäre nach dem Militärputsch, in deren Ungewissheit und Schusswechselstimmung, Gabys Leben nur in verschlossenen Zimmern stattfinden ließ. Er findet Ablenkung in Büchern, verdrängt die Situation, so gut er kann.
Gaël Faye berichtet aus kindlicher Perspektive von seiner unbeschwerten Kindheit, aber auch von aufkommendem Krieg, Mord und Vertreibung. Vom Kippen des Friedens in Gewalt und Zerstörung. Wie schnell sich vollziehen konnte, mussten Tausende Afrikaner am eigenen Leibe erfahren.
In Gabys Fall könnte man auch sagen: Vom Kinderparadies in die Hölle. Die Schrecken dieser Zeit lassen Gaby nicht los, seine Freunde greifen zu Waffen und die Hölle bricht los.
Als er lange Zeit später zurückkehrt, findet er gefällte Bäume vor, hohe Mauern statt Mangobäumen und Büschen.
Dieser Roman hat mir sehr eindringlich gezeigt, wie schnell Menschen von Freunden zu erbitterten Feinden und Bestien werden können. Einige Szenen hallen noch in mir nach und so wird dieser Roman mir noch lange in Erinnerung bleiben.
Intensiv erzählt und berührend stellt "Kleines Land" glückliche Kindheits- und Heimaterinnerungen und schreckliche Kriegserlebnisse nebeneinander und ist ein herausragendes und sehr ergreifendes Buch. Ein wichtiger Appell an die Vernunft für Heimat und Frieden!