Cover-Bild Kleines Land
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12,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Piper
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 224
  • Ersterscheinung: 01.03.2019
  • ISBN: 9783492314053
Gaël Faye

Kleines Land

Roman
Brigitte Große (Übersetzer), Andrea Alvermann (Übersetzer)

»Bevor all das geschah, von dem ich hier erzählen werde, gab es nur das Glück, das nicht erklärt werden musste. Wenn man mich fragte, wie geht es dir, habe ich geantwortet: gut.« Damals traf sich Gabriel mit seinen Freunden auf der Straße, erlebte seine Kindheit wie in einem paradiesischen Kokon. Bis seine Familie zerbrach und fast zur selben Zeit sein kleines Land, Burundi, unvorstellbare Grausamkeiten erdulden musste. Und seine Mutter den Verstand verlor. Zwanzig Jahre später erst, nach der Flucht mit seiner Schwester in ein fernes, fremdes Frankreich, kehrt Gabriel in eine Welt zurück, die er längst verschwunden glaubte. Doch er findet dort etwas wieder, das er für unwiederbringlich verloren hielt. – »Kleines Land« ist ein überwältigendes Buch, voller Schrecken und Glückseligkeit, Güte und ewiger Verlorenheit – ein Stück französischer Weltliteratur im allerbesten Sinne.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.01.2019

Berührend, dramatisch, bedrückend wirkt dieser vielschichtige Roman noch lange nach.

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Gaël Faye wurde 1982 in Burundi als Sohn einer Tutsi und eines französischen Vaters geboren. Sein autobiografisch geprägter Roman "Kleines Land" erschien im Oktober 2017 als deutsche Übersetzung von Brigitte ...

Gaël Faye wurde 1982 in Burundi als Sohn einer Tutsi und eines französischen Vaters geboren. Sein autobiografisch geprägter Roman "Kleines Land" erschien im Oktober 2017 als deutsche Übersetzung von Brigitte Grosse und Andrea Alvermann im Piper Verlag. Das Buch wurde mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet.




Gabriels Familie lebt in Burundi. Er ist noch ein Kind und trifft sich mit seinen Freunden auf der Straße, sie kommen alle aus gutsituierten Familien und haben eine paradiesische Kindheit. Seine Eltern trennen sich und zu der Zeit zerbricht auch sein kleines Land als nach einem Militärputsch der furchtbare Völkermord in Ruanda beginnt. Als der Krieg in seiner Wohnstraße angelangt ist, schickt sein Vater Gabriel und seine Schwester Ana nach Frankreich. Es dauert zwanzig Jahre, bis Gaby in seine alte Heimat zurückkehrt.



"Hinter scheinbarer Ruhe, einer lächelnden Fassade und großen, optimistischen Reden waren beständig dunkle, unterirdische Kräfte am Werk, um Gewalt und Zerstörung freizusetzen... 1965, 1972 und 1988. Ein böser Geist schaute regelmäßig vorbei, um die Menschen daran zu erinnern, dass Friede nur ein kleines Intervall zwischen zwei Kriegen ist." Zitat Seite 117



Über den Völkermord in Ruanda und Burundi zwischen Hutu und Tutsi wissen wir hierzulande nur wenig, die Informationen der Nachrichten geben die immense Anzahl der Getöteten mit bis zu 1.000.000 Menschen an und zeigen damit auch das Ausmaß dieser kriegerischen Katastrophe.


In diesem Roman wird aus der Sicht eines Kindes, des 11jährigen Gaby, über die Entwicklung im Lande Burundi erzählt. Anfangs friedlich zusammenlebende Hutu und Tutsi liefern sich im Jahre 1994 einen erbitterten Bürgerkrieg.

Gaby erzählt über eine Heimat, die im Krieg auseinanderbricht, wo Nachbarn zu Feinden werden und die Grausamkeiten unvollstellbar sind.

Seine anfangs glückliche Kindheit zerbricht als sich die Eltern trennen und als der Krieg ausbricht. Auch seine Freunde werden gewalttätig und lassen sich von den Auseinandersetzungen voller Haß anstecken und mitreißen.


Der Erzählstil des Autors hat mich sehr berührt und gefesselt, hier muss ich auch ein großes Lob an die perfekt gelungene Übersetzung aussprechen.

Der sprachliche Tonfall ist leicht zu verfolgen, sehr treffend und trotz der dramatischen Ereignisse immer irgendwie schonungslos und sachlich beschreibend. Das verleiht dem Buch eine ganz intensive Wirkung, der man sich als Leser nicht entziehen kann.



Gaby sagt über seine Heimat: "Nichts ist süßer als der Augenblick, in dem die Sonne hinter den Berggipfeln versinkt." Zitat Seite 81

Soviel Romantik vermutet man bei einem jungen Autor gar nicht. Überhaupt sieht er die Schönheit seiner Heimat ganz bildhaft und intensiv. Je mehr er sich an seine Kindheit erinnert, umso schöner beschreibt er die Umgebung. Während die kriegerischen Auseinandersetzungen und Morde ihm eine Welt voller Gewalt und Grausamkeit vor Augen halten, in die er letzten Endes auch hineingezogen wird und zu einer grausamen Tat gezwungen wird.

"Völkermord ist ein schwarzer Sumpf, wer nicht darin untergeht, ist für sein Leben verseucht." Zitat Seite 188

Das zeigt die furchtbare Atmosphäre nach dem Militärputsch, in deren Ungewissheit und Schusswechselstimmung, Gabys Leben nur in verschlossenen Zimmern stattfinden ließ. Er findet Ablenkung in Büchern, verdrängt die Situation, so gut er kann.

Gaël Faye berichtet aus kindlicher Perspektive von seiner unbeschwerten Kindheit, aber auch von aufkommendem Krieg, Mord und Vertreibung. Vom Kippen des Friedens in Gewalt und Zerstörung. Wie schnell sich vollziehen konnte, mussten Tausende Afrikaner am eigenen Leibe erfahren.



In Gabys Fall könnte man auch sagen: Vom Kinderparadies in die Hölle. Die Schrecken dieser Zeit lassen Gaby nicht los, seine Freunde greifen zu Waffen und die Hölle bricht los.

Als er lange Zeit später zurückkehrt, findet er gefällte Bäume vor, hohe Mauern statt Mangobäumen und Büschen.



Dieser Roman hat mir sehr eindringlich gezeigt, wie schnell Menschen von Freunden zu erbitterten Feinden und Bestien werden können. Einige Szenen hallen noch in mir nach und so wird dieser Roman mir noch lange in Erinnerung bleiben.



Intensiv erzählt und berührend stellt "Kleines Land" glückliche Kindheits- und Heimaterinnerungen und schreckliche Kriegserlebnisse nebeneinander und ist ein herausragendes und sehr ergreifendes Buch. Ein wichtiger Appell an die Vernunft für Heimat und Frieden!

Veröffentlicht am 16.04.2023

Vielleicht ist das Krieg: wenn man nichts versteht.

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Der Rapper und Autor Gaël Faye schreibt in seinem ersten Roman über die eigene Kindheit und beginnende Jugend in Burundi, einem kleinen Nachbarstaat von Ruanda, auf den sich der Konflikt und später Völkermord ...

Der Rapper und Autor Gaël Faye schreibt in seinem ersten Roman über die eigene Kindheit und beginnende Jugend in Burundi, einem kleinen Nachbarstaat von Ruanda, auf den sich der Konflikt und später Völkermord zwischen Hutu und Tutsi ebenso katastrophal auswirkte, wie auf den bekannteren Nachbarn Ruanda.

Wir begleiten den Ich-Erzähler Gabriel, kurz Gaby, der das Alter Ego von Gaël Faye darstellt, in seine Kindheit, die zunächst von sehr alltäglichen Beobachtungen geprägt ist. Seine Mutter ist als Tutsi vor vielen Jahren mit ihrer Familie aus Ruanda geflohen, der Vater ist Franzose, der als weltoffener junger Hippie in das kleine afrikanische Land Burundi reiste, sich in Gabys zukünftige Mutter verliebte und blieb. Schritt für Schritt drängt sich in den unbeschwerten Alltag des Jungen der Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen, immer stärker radikalisieren sich Personen im sozialen Umfeld Gabys. Mit unserem heutigen Wissen sehen wir die politisch-gesellschaftliche Katastrophe herannahen und müssen miterleben wie Gaby und seine Familie davon überrollt wird, bis er dann zusammen mit der Schwester ins französische „Mutterland“ ausgeflogen wird.

Äußerst eindrücklich erzählt Faye in seinem autobiografisch inspirierten Roman wie eine unbeschwerte Kindheit mit der Weltpolitik kippen kann und Kinder durch äußere Einwirkungen viel zu schnell erwachsen werden müssen, um in der gewalttätigen Welt um sich herum überleben zu können. Sprachlich ist der Roman jedoch mitunter eine Hängepartie. So gibt der Autor dem Jungen zu Beginn eine sehr naiv-kindliche Sprache, obwohl durch ein einleitendes Kapitel klar wird, dass der Ich-Erzähler als Mitte 30jähriger Mann auf sein Leben zurückblickt. Die Ausdrucksformen erscheinen dadurch zunächst nicht konsistent. So sind die Schilderungen aus der Ich-Perspektive heraus so kindlich, Gespräche zwischen den Erwachsenen mit politischem Inhalt werden jedoch haargenau in eloquenter, informierter Erwachsenensprache wiedergegeben. Das stößt stilistisch beim Lesen auf, erscheint es doch so, dass Faye die Gespräche zwischen den Erwachsenen eher ungeschickt einbaut, um die Lesenden davon in Kenntnis zu setzen, worum sich der Konflikt damals drehte. Auch haben die Erwachsenen sehr viel Wissen, was zu diesem Zeitpunkt politisch hinter den Kulissen geschieht und sehen in ihren Gesprächen politische Entscheidungen und Abläufe voraus, die wir zwar aus der heutigen Sicht kennen, aber sehr wahrscheinlich nicht den Menschen im Land vor der Eskalation bekannt waren. Es wird der Eindruck vermittelt, die Menschen hätten bereits zwei Jahre vor dem Völkermord genau gewusst, dass Frankreich indirekt Partei ergreifen wird, dass die Blauhelme mit Beginn eines bewaffneten Konflikts abgezogen und nicht eingreifen werden, dass ausländische Regierungen ihre Mitarbeiter abziehen werden und dass der Großteil der Tutsi von den Hutu flächendeckend abgeschlachtet werden wird. Hier hat sich Faye scheinbar dazu hinreißen lassen, seine Protagonist:innen mehr wissen zu lassen, als sie hätten wissen können. Aber vielleicht irre ich mich und für die Bevölkerung war ihr Schicksal damals tatsächlich so genau vorhersehbar. Um auf die Sprache zurückzukommen, so ist noch anzumerken, dass trotz der zunächst sehr kindlichen Wortwahl Gabys, er in Briefen an seine französische Brieffreundin übermäßig eloquent und poetisch schreiben kann. Das verwirrt und schafft eine noch größere Kluft zwischen den erzählten Passagen. Im Verlauf des Buches wird dann auch die Wortwahl Gabys reifer, was sicherlich seiner vorgezogenen Reifung durch die konfliktreiche Lage des Landes entsprechen soll. Dass er dann wiederum als 11Jähriger recht knifflige psychologische Überlegungen anstellt, wirkt schon wieder too much. Es hätte demnach schlüssiger gewirkt, wenn sich Faye dazu entschieden hätte, durchgängig die Erinnerungen als Erzählung eines erwachsenen Gabys anzulegen. Auch erscheint die Übersetzung von Brigitte Große und Andrea Alvermann in der ersten Hälfte des Romans noch ein wenig holprig. Idiome aus dem französischen Sprachraum werden mitunter direkt Wort für Wort ins Deutsche übersetzt und wirken dadurch störend.

Nichtsdestotrotz habe ich mit großer Sympathie die Geschichte von Gaby/Gaël verfolgt und wurde gerade in der zweiten Hälfte des Romans tief berührt und dadurch auf stark erschüttert durch die Beschreibung der Gräueltaten der Hutu an den Tutsi (und auch umgekehrt aus Rachegefühlen heraus, etwas, was Faye nicht unter den Teppich kehrt). Vieles erklärt Faye mithilfe der Worte Gabys, vieles kann aber auch nicht erklärt werden.

So sagt Gaby an einer Stelle: „Ich hatte keine Antwort auf die Frage meiner kleinen Schwester. Ich hatte keine Erklärung für den Tod der einen und den Hass der anderen. Vielleicht ist das Krieg: wenn man nichts versteht.“

Ein eindrucksvolles Buch, welches ich trotz sprachlicher Schwächen definitiv für eine Lektüre empfehlen kann, um sich durch einen hautnahen, zutiefst menschlichen Einblick in den verheerenden Konflikt zwischen Hutu und Tutsi und dem daraus hervorgegangenem Völkermord anzunähern.

4/5 Sterne

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