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Veröffentlicht am 08.08.2017

Gesellschaftskritischer Krimi aus der nahen Zukunft

Die Lieferantin
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London nach dem Brexit: Die Zeiten sind rauer geworden, die neuen Rechten gewinnen die Oberhand, rigorose Überwachung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gehören zum Alltag. Statt sich aufzuputschen nehmen ...

London nach dem Brexit: Die Zeiten sind rauer geworden, die neuen Rechten gewinnen die Oberhand, rigorose Überwachung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gehören zum Alltag. Statt sich aufzuputschen nehmen die Menschen Drogen, um der grauen Wirklichkeit zu entfliehen. Elliot Johnson hat dafür eine perfekte Dienstleistung entwickelt: Ihre Website informiert detailliert und ansprechend über das Angebot, das über eine komfortable App bestellt werden kann. Die Lieferung kommt umgehend per Drohne, ohne dass jedoch Rückschlüsse auf den Absender gezogen werden können. Ihre Konkurrenten, drei alt eingesessene Unterweltchefs, reagieren sauer: So schnell lassen sie sich keine Marktanteile abjagen. Die Jagd auf die Neue beginnt ...
Dieses Buch ist nicht nur ein Krimi, der im Drogenmilieu spielt, sondern auch eine deutliche Abrechnung mit einer Politik, die Populismus schürt und die Schwachen zugunsten der Starken weiter schwächt. Auch wenn es ein Zukunftsszenario darstellt: Die von Zoë Beck beschriebenen Zustände sind bereits jetzt in Ansätzen erkennbar und ohne Gegensteuern wird es sich wohl weiter in diese Richtung entwickeln.
Doch zurück zum Krimi: Durch verschiedene Perspektiven erhält man Einblick in die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereiche und wie diese trotz ihrer recht großen Unterschiede dennoch zusammenhängen. Ein Kneipenwirt bringt ungeplant einen Schutzgelderpresser um, worauf dessen Chefs erst einmal ein Komplott vermuten. Als Folge wird ein Drogenlieferant ermordet und durch ein einziges Wort, das bis zum Schluss nicht wirklich überzeugend bestätigt wird, gerät ein jahrelang mühsam austariertes Gleichgewicht in der Londoner Unterwelt ins Wanken. Es ist ein geniales Konstrukt, das die Autorin hier aufgebaut hat, denn irgendwie hängt Alles mit Jedem und Allem zusammen. Einiges mag vielleicht etwas zu plakativ sein (die Erklärung für Elliots Handeln oder die Verbindungen der Unterwelt mit der Politik), aber es fügt sich Alles wunderbar wie ein Puzzle zusammen und so manches Teil ist eine wirkliche Überraschung.
Auch wenn es ein bisschen viel an Gesellschaftsthemen sind, die Zoë Beck in diesem Buch anspricht (Rassismus, Überwachung, Gesundheitsversorgung, Zero-Tolerance bei Drogen - auch Nikotin, Alkohol usw.): Durch die schnellen Perspektivwechsel und die Unterschiedlichkeit der Personen wirkt der Krimi nicht überfrachtet, und ich war wirklich gefesselt von dieser spannenden Geschichte in einer Gesellschaft, die ich hoffentlich nie kennenlernen muss.

Veröffentlicht am 13.07.2017

Wunderschöne schräge Geschichte mit kauzigen, liebenswerten Figuren

Was man von hier aus sehen kann
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Dieses Buch ist wie eine Wundertüte, voller geheimnisvoller Dinge und Überraschungen, mit denen niemand rechnet. Denn eigentlich erzählt es die Geschichten der Menschen eines kleinen Dorfes im Westerwald, ...

Dieses Buch ist wie eine Wundertüte, voller geheimnisvoller Dinge und Überraschungen, mit denen niemand rechnet. Denn eigentlich erzählt es die Geschichten der Menschen eines kleinen Dorfes im Westerwald, das von außen betrachtet wohl eher öde und langweilig wirkt. Doch die Menschen und deren Leben sind alles andere als öde und langweilig. Da ist Selma, die Großmutter der Erzählerin Luise, die Rudi Carrell ungeheuer ähnlich sieht und gelegentlich von einem Okapi auf einer Wiese träumt, woraufhin innerhalb der nächsten 24 Stunden jemand stirbt. Der Optiker, der eine ganze Wohngemeinschaft von Stimmen in sich beherbergt und unsterblich in Selma verliebt ist, ihr es aber nie gesteht. Dafür schreibt er ihr Liebesbriefe, die aber immer nach spätestens dem zweiten Satz enden und die er nie abschickt. Elsbeth, die abergläubische Schwägerin von Selma, die gegen Alles ein Heilmittel weiß und hat: Gicht, ausbleibende Liebe und ausbleibenden Kindersegen, unausgebliebene Hämorrhoiden und quer liegende Kälber. Und natürlich Luise, die Ich-Erzählerin, die bereits ihr ganzes Leben zwischen und mit diesen und noch mehr Menschen verbringt und in diesem Buch davon berichtet.
Nun könnte man meinen, was gibt es da schon groß zu berichten, aus einem kleinen Dorf im Westerwald, was vermutlich auch Luises Vater so sieht (sein Lieblingssatz: "Ihr müsst dringend mal ein bisschen mehr Welt hereinlassen."), denn er verschwindet eines Tages um zu reisen. Doch hier gibt es Alles, was es auch in der großen weiten Welt gibt: es wird gelebt, geliebt und gestorben, Glück und Drama, Freude und Leid. Und Mariana Leky lässt Luise so wunderbar liebevoll, heiter und bildhaft von dieser kleinen Welt in der großen erzählen, dass ich am liebsten sofort aufgebrochen wäre, um all diese Menschen kennenzulernen. Wunderschöne Sätze folgen einer nach dem andern und ich schwelgte so richtig in dieser herrlichen Sprache: "Er sah ihn (den Hund) nur selten, das vereinfachte die Liebe, denn Abwesende können sich nicht danebenbenehmen."; "Es schien, als habe er (der Hund) mehrere Leben, die er alle hintereinander weglebte, ohne zwischendurch zu sterben."; "Marlies' Tante hatte sich umgebracht, im Alter von 92 Jahren hatte sie sich in der Küche erhängt, wofür Marlies kein Verständnis hatte, denn mit 92, fand sie, lohne das Aufhängen ja kaum noch."
Ein Buch über das Leben, die Liebe und den Tod - wunderschön!

Veröffentlicht am 19.06.2017

Vom Anfang im Ende

Vom Ende an
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Während draußen England in den Fluten versinkt, bringt die namenlose Ich-Erzählerin ihr Kind zu Welt. Es herrscht Panik, die Krankenhäuser sind überfüllt und schon nach kurzer Zeit müssen Mutter und Kind ...

Während draußen England in den Fluten versinkt, bringt die namenlose Ich-Erzählerin ihr Kind zu Welt. Es herrscht Panik, die Krankenhäuser sind überfüllt und schon nach kurzer Zeit müssen Mutter und Kind das Krankenhaus verlassen. Gemeinsam mit dem Vater brechen sie auf zu den Schwiegereltern, die in höheren Lagen leben. Doch der Friede ist nur von kurzer Dauer. Die Auswirkungen der Katastrophe hinterlassen auch bei ihnen Spuren und zwar so schlimme, dass sie weiterziehen müssen.
Wer jetzt glaubt, eine Endzeit-Dystopie vor sich zu haben, hat sich getäuscht. Das ganze Buch (besser Büchlein, es hat gerade mal 157 Seiten. Und wenn man die Leeren abzieht, bleiben noch 127.) wird von der 'geriatrischen Erstgebärenden', wie sie sich selbst bezeichnet, aus deren Sicht erzählt. Allerdings nicht im herkömmlichen Erzählstil, der sich chronologisch durch die Zeit bewegt und gegebenenfalls noch Erinnerungen zulässt. Stattdessen sind es einzelne Sätze, die das Wichtigste widergeben: was ihr widerfährt, sowohl in der Gegenwart, Vergangenheit oder Wünsche und Träume, wobei ihr Kind klar im Mittelpunkt steht. Schlägt man das Buch auf, wirkt es wie eine Art Tagebuch, das jedoch weitestgehend emotionslos geschrieben wurde. Als ob sie zwischen sich und dem Erzählten die größtmögliche Distanz bringen will; selbst Personen werden nur mit Buchstaben statt mit Namen benannt. Doch trotz dieser scheinbar eher kargen Darstellungsweise war ich mir ihrer Situation stets vollkommen bewusst, denn die Autorin hat eine unglaublich bildreiche Sprache mit wunderbaren Neologismen (beispielsweise schmetterlingsflügelzarte Tritte). Vielleicht gerade deshalb berührten mich ihre Sätze so stark, dass ich die Liebe und die Furcht, die sie für und um ihr Kind und ihren Mann empfindet, fast schon zu spüren vermeinte.
Es ist ein wirklich überraschendes Büchlein, das trotz seines eher leidenschaftslosen Tonfalls jede Menge Gefühle zu wecken versteht, die mich die Lektüre nicht so schnell wieder vergessen lassen. Vielleicht auch, weil die eigenen Emotionen intensiver sind als die angelesenen

Veröffentlicht am 10.06.2017

Spannung pur - obwohl man eigentlich schon vorher Alles weiß

Hades
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Ein Szenario wie aus einem Albtraum: Auf einer Müllkippe werden die Leichen zweier Kinder angeliefert, denn Alle wissen, dass dort ‚Entsorgungen‘ völlig rückstandsfrei erfolgen sollen. Doch Hades, der ...

Ein Szenario wie aus einem Albtraum: Auf einer Müllkippe werden die Leichen zweier Kinder angeliefert, denn Alle wissen, dass dort ‚Entsorgungen‘ völlig rückstandsfrei erfolgen sollen. Doch Hades, der Herr über diesen Ort, hat sein eigenes Rechtssystem. Und Mord an Kindern geht überhaupt nicht. Als sich herausstellt, dass die Beiden noch leben, nimmt er sie an Kindes statt an. Beide, Eden und Eric, werden Polizisten bei der Mordkommission, wo Frank Bennett ihnen begegnet.
Ich fand es schon ziemlich widersinnig, dass ich beinahe atemlos Seite um Seite las (mehr oder weniger alle 340 Seiten am Stück), obwohl Täter, Opfer und auch Motiv praktisch schon von Anfang an bekannt sind. Natürlich nicht in allen Details, aber schon der Beginn macht klar, was den beiden Kindern geschah und dass es ihr Leben bestimmen wird. Der Thriller ist in zwei Hauptstränge und diverse Nebenstränge aufgeteilt, was zumindest zu Beginn vielleicht kurz für Verwirrung sorgen könnte. Der Eine wird von Frank Bennet erzählt, der frisch zur Mordkommission kommt und der neue Partner von Eden wird. Im zweiten Strang erfährt man die Geschichte der beiden Kinder, wie sie zu dem wurden, wer und was sie jetzt sind. Dazwischen liest man teils vom Täter, teils von den Opfern. Wie ich schon geschrieben habe: Es ist praktisch klar, was geschehen wird (bis auf ein paar eher wenige Überraschungen). Doch trotzdem sind die Details hinter diesem Fall (bzw. eigentlich sind es zwei, wenn nicht sogar drei Fälle) so packend und fesselnd erzählt, dass ich nicht aufhören konnte zu lesen. Was macht Hades mit den Kindern? Was geschah mit dem verschwundenen Mädchen? Was trieb den Täter? Zeitweise hatte ich das Gefühl, mehrere spannende Geschichten gleichzeitig zu lesen, die in eine ebensolche Rahmenhandlung gepackt wurden. Und kaum die war die Eine beendet, kam die Nächste und die Rahmenhandlung hielt mich zudem noch gefangen.
Ein rundum gelungener klasse Thriller, der Wahnsinnslust macht auf den nächsten Band.

Veröffentlicht am 12.11.2021

Folgen der modernen Sklaverei

Wenn ich wiederkomme
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Auf der ganzen Welt verlassen Frauen ihre Familien um Geld zu verdienen, damit ihre Kinder eine bessere Zukunft haben sollen. Doch um welchen Preis? Von einer dieser Frauen und ihrer Familie handelt Marco ...

Auf der ganzen Welt verlassen Frauen ihre Familien um Geld zu verdienen, damit ihre Kinder eine bessere Zukunft haben sollen. Doch um welchen Preis? Von einer dieser Frauen und ihrer Familie handelt Marco Bolzanos neues Buch, und es macht deutlich, welche Bürde auf solchen Familien lastet.

Daniela aus einem kleinen Dorf in Rumänien verschwindet ohne jemandem Bescheid zu sagen buchstäblich bei Nacht und Nebel nach Italien, um sich dort wie viele ihrer Landsfrauen eine Arbeit als Pflegerin zu suchen, damit sie ihren Kindern ein Studium finanzieren kann. Nur einen Brief hinterlässt sie für den zwölfjährigen Manuel und die 20jährige Angelica und so versuchen sie sowie ihr Vater und die Großeltern, ihr Leben so gut wie möglich weiterzuleben.

Erzählt wird aus den Perspektiven Danielas sowie der Kinder, und so unterschiedlich diese auch sein mögen, ist schnell klar, dass alle sehr unter der Situation zu leiden haben. Als der mittlerweile 16jährige Manuel einen schrecklichen Unfall erleidet, ist Daniela sofort an seiner Seite, voller Schuldgefühle und schlechtem Gewissen, das durch die Distanz zu ihrer nunmehr 24jährigen Tochter noch verstärkt wird.

Marco Bolzano macht mit den unterschiedlichen Sichtweisen deutlich, welche Probleme durch die Entscheidung Danielas entstanden sind und was diese Arbeit in der Ferne für Alle bedeutet. Manuel, mit 12 Jahren noch ein Kind, fehlt die ihn unterstützende und liebende Mutter am meisten; als sein Großvater stirbt, der einzig verbliebene Vertraute, bricht ihm sein letzter Halt weg. Daniela hingegen, die in der Fremde in einer Art modernem Sklaventum lebt und daran fast zugrunde geht, erwartet dafür zumindest in gewisser Weise eine Form der Dankbarkeit, die ihr jedoch verwehrt wird. Zu stark ist das Gefühl der Kinder, verraten worden zu sein; zu groß der Abstand geworden in den Zeiten zwischen ihren jährlichen Besuchen; zu erdrückend das Schweigen über die Dinge, die gesagt werden müssten. Und Angelica findet sich mit 20 Jahren ungefragt in der Rolle einer Erziehungsberechtigten wieder, in der sie sich nicht sieht, die sie aber dennoch versucht auszufüllen; einer Rolle, der sich der Vater verweigert und stattdessen davor flüchtet.

Es ist ein belastendes weil realistisches Szenario, das hier dargestellt wird; insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass dieser Exodus von Frauen, die ihre Familien hinter sich lassen, um ihnen eine bessere Zukunft zu bieten, noch immer alltäglich ist und vermutlich so bald kein Ende finden wird. Nicht nur in Italien – überall auf der Welt, auch bei uns.

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