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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.05.2023

Mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer - klingt bekannt, oder?

Mit dem Mut zur Liebe
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Sehr ergreifendes Buch, das den Leser direkt und von Anfang an in medias res bringt. Eine typisch deutsche Familie in den vierziger Jahren im 20. Jahrhundert, bestehend aus Mutter und drei Kindern, weil ...

Sehr ergreifendes Buch, das den Leser direkt und von Anfang an in medias res bringt. Eine typisch deutsche Familie in den vierziger Jahren im 20. Jahrhundert, bestehend aus Mutter und drei Kindern, weil der Vater an der Front ist, zeigt sich von seiner schönsten und menschlichsten Seite. Die junge Frau und ihre drei Kinder überstehen die wilden und gnadenlosen Bombardements von Dresden, verlieren trotz allem aber nicht ihre Menschlichkeit. So gelingt es den beiden Jungen heimlich polnisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen etwas Brot zuzustellen, die Mutter bringt die Frauen in einen abgeschlossenen Raum unter, stellt sich gegen den Reserveoffizier Huber und weist ihn in seine Schranken. Nachdem sie total ausgebombt wurden, müssen sie hinaus aufs Land fliehen, wo der Krieg nicht solche Verwüstungen angerichtet hat und wo die Flüchtenden den Alteingesessenen ein Dorn im Auge sind. Das Ende des Krieges erleben sie in Clausnitz, wo sie beim ehemaligen Arbeitgeber des Vaters Unterschlupf finden. Da gibt es auch ein Zwangsarbeitslager, aber von amerikanischen Soldaten. Die werden besser behandelt, die Soldaten geben den Kindern von ihren Schokoladen- und Kaugummi Rationen ab. Nach Kriegsende werden die US-Soldaten freigelassen und ziehen sofort ab Richtung Westen. Grete und ihre Kinder bleiben zurück, obwohl die Soldaten sie anflehen, mitzukommen. Aber sie wollen die Heimat nicht verlassen, ohne zu ahnen, wie viel Elend und Not auf sie zukommen wird. Zuerst werden Grete und Inge tagelang von russischen Soldaten vergewaltigt, dann der Weg zurück nach Dresden, mit einem Abstecher zu Gretes Vater und und ihrer Schwester in Chemnitz, wo sie nicht willkommen sind. In Dresden Notunterkünfte, dann Notwohnungen, die unerwartete Heimkehr des Vaters aus dem Krieg, endlich hat es den Anschein, es will aufwärts gehen. Aber mittlerweile ist der Kalte Krieg in vollem Gange, die politischen Lager sind voll abgehärtet, die Grenzen dicht. Dieto will unbedingt Artist werden, angespornt durch die Erzählungen des Vaters, wie er die russische Gefangenschaft überlebt hat. Dieto verwirklicht seinen Traum, es folgen Auftritte innerhalb der DDR, aber auch in den anderen sozialistischen Bruderländern. Zusammen mit seiner Verlobten Johanna, die aus einer Artistenfamilie stammt, wollen sie in den Westen fliehen, sie fühlen sich in den einengenden ostdeutschen Verhältnissen nicht mehr wohl.
Die Beschreibung der Gefahren und Strapazen, der Mühen und haarsträubenden Abenteuer, die das junge Paar auf sich genommen hat, bis sie endlich in den Westen gelangen, sind sehr eindrucksvoll und dramatisch beschrieben. Wie viele versuchen es nicht heute noch, mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer zu fliehen, weil sie das Leben in der Diktatur in ihren Herkunftsländern nicht mehr aushalten. Diese Parallele hat sich mir unwillkürlich aufgedrängt bei der Lektüre des Buches.
Der Erzählfluss ist abwechselnd, mal dramatisch, wie z.B. die Kriegszeit oder die Flucht in den Westen, mal fließt er ruhig dahin, beschaulich und gediegen. Belustigend fand ich die Begründung, weshalb ein Teil der Handlung von Hanau nach Salzburg verlegt wurde. Hera Lind hat einen sogenannten “Tatsachenroman”, nach wahren Begebenheiten verfasst, in Zusammenarbeit mit Dieto Kretschmann. Wenn wir diese Tatsachen als literarische “alternative Fakten” betrachten, kann ich gut damit leben. Literatur ist ja eine Vermischung von Wahrheit und Fiktion.
Manche Details erinnern dermaßen stark an die Ost-West Unterschiede, die normalerweise denen im Westen geborenen gar nicht auffallen würden: der Geschmack einer Cola, z.B., oder von Senf aus dem Westen. Oder der Qualitätsunterschied zwischen einem Koffer aus der DDR und einem Koffer aus der BRD Dieto wird auch der Unterschied zwischen einem dunkelgrünen Polyesteranzug hergestellt in einem VEB der DDR und einem echten Smoking schnell bewusst. Im Polyester darf er nicht in den noblen Speisesalon auf einem Kreuzschiff essen gehen. Das sind so Anekdoten, die das Leben schreibt.

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Veröffentlicht am 07.05.2023

Wiedersehen mit Gryszinski

Der treue Spion
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Ich habe schon die Begegnung mit Gryszinski in Uta Seebergers ersten Roman sehr genossen. Und jetzt stelle ich fest, der Mann und seine Familie gefallen mir noch besser.
Major Wilhelm Freiherr von Gryszinski ...

Ich habe schon die Begegnung mit Gryszinski in Uta Seebergers ersten Roman sehr genossen. Und jetzt stelle ich fest, der Mann und seine Familie gefallen mir noch besser.
Major Wilhelm Freiherr von Gryszinski liebt und genießt sein Leben in München. Die vielen Schmankerln in den diversen Metzgereien, Bäckereien, Cafés und Restaurants haben es ihm angetan. Und seiner Leibesfülle. “Seitdem er zum ersten Mal auf eine knusprige Bratenkruste gebissen hatte, schätzte Gryszinski den infernalischen Krach der beim Kauen im Kopf entstand und alles andere ausblendete. Es glich einer meditativen Übung. Zudem war die Bratensemmel das ideale Isntrument, um die Gryszinski’sche Praxis zur Festigung flüchtiger Gedanken zu erproben: Diese Gedanken, die wie kleine Vögel im Innern seiner körperlichen Hülle umherflatterten und sich nur rein zufällig berührten oder einander auswichen, wurden nach seiner Methode von einer schweren Menge Essen eingefangen, nach unten gedrückt und komprimiert, um am Ende als konsistente Idee wie Phönix aus der Asche zu entsteigen und emporzuschweben, und zwar direkt in seinen Kopf. Ein geniales System, fand Gryszinski, auch wenn seine Gemahlin ihn schlicht als verfressen bezeichnete.” (S. 60 - 61)
Die allabendliche Runde, die Vater und Sohn Fritz fast schon ritualhaft in der Küche absolvieren, das "Topfgucken" finde ich herrlich. Ganz entgegen den Gepflogenheiten seiner Zeit zeigt Gryszinski seine Liebe zu Frau und Kind offen, spielt mit dem Sohn in den wenigen Momenten, in denen er Zeit hat, lässt seine Frau als Schriftstellerin unter eigenem Namen veröffentlichen, bespricht seine schwierigen Fälle mit ihr, geht mit ihr auf Ermittlungsreisen nach Paris und St. Petersburg. Genau 20 Jahre später, mitten im Ersten Weltkrieg, wird sein Sohn Friedrich Gryszinski die Reise des Vaters wiederholen, nach Paris und dann St. Petersburg, um einen alten ungelösten Fall des Vaters endlich zu lösen. Beide Reisen werden im Buch spannend erzählt. Als Friedrich reist, kommt noch die Gefahr hinzu, als deutscher Spion in Feindesland entlarvt zu werden.
Die zwei Handlungsebenen, in denen der Roman spielt, 1896 und 1916, einmal in Friedenszeiten und dann in Kriegszeiten geben gekonnt den Zeitkolorit und die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen wieder.
Einen kleinen bitteren Wermutstropfen fand ich dann doch im Buch, leider. In der Beschreibung, wie Haussmann Paris neu gestaltete, ist Seeburg ein Patzer unterlaufen: “Der mit derselben erlöserhaften Geste, mit der Jesus das Rote Meer teilte…”. (S.126) Sorry, Frau Seeburg, das war nicht Jesus. Moses hieß der Mann. Ist bestimmt nur ein Flüchtigkeitsfehler, den leider auch das Lektorat übersehen hat. Aber das ist in meinen AUgen nur ein kleiner Schönheitsfehler, der diesem gelungenen historischen Krimi keinen Abbruch tut. Also volle Punktzahl meinerseits.

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Veröffentlicht am 01.05.2023

Fängt die Alegria und die Saudade Portugals ein (und ein wenig Foda-se)

Südlich von Porto lauert der Tod
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Zuerst einmal: das Coverbild ist bezaubernd. Die Mischung von maritimer Landschaft und die landestypischen portugiesischen Azulejos (Kacheln)ist einmalig gelungen. Es bereitet uns vorab auf die portugiesische ...

Zuerst einmal: das Coverbild ist bezaubernd. Die Mischung von maritimer Landschaft und die landestypischen portugiesischen Azulejos (Kacheln)ist einmalig gelungen. Es bereitet uns vorab auf die portugiesische Szenerie und Mentalität vor.
Die Handlung ist linear, ohne viele Nebenhandlungen aufgebaut. Eine deutsche Polizistin mit portugiesischen Wurzeln wird ohne ihr Wollen und Dazutun in die Ermittlungen zum Todesfall einer Fresko-Restauratorin hinzugezogen. Am Ende ist der Fall restlos geklärt, der Mörder ist wieder mal nicht der Gärtner. Der Polizeichef schluckt die Kröte, dass Ria nicht Mitglied der portugiesischen Polizei ist und akzeptiert sie. Er kann einfach nicht auf Ihre Kompetenz, Fachwissen und Intuition bei den Ermittlungen und Verhören verzichten. Zum Schluss bietet sich der jungen Frau die Gelegenheit, offiziell bei der Polizei von Torreira anzuheuern. Das bedeutet, wir dürfen uns auf weitere Krimis mit Ria Almeida als Ermittlerin freuen.
Handlung und Schreibstil sind überzeugend. Jedem Kapitel ist ein Begriff aus dem Portugiesischen vorangestellt, mit einer detaillierten Übersetzung und einem festen Bezug zum Kapitel. Beim Leser wird dadurch auch der Bezug zu Portugal hergestellt. Auch die kurzen und interessanten Beschreibungen von portugiesischen Orten, Straßen, Lokalen tragen dazu bei.
Die portugiesischen Leckereien, die im Buch erwähnt werden, ließen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Absolut lecker. Aber ich frage mich, bei so vielen Leckereien, ob es noch schlanke Menschen in Portugal gibt und mit wie viel Hüftgold Touristen in ihre Heimatländer zurückkehren?

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Veröffentlicht am 17.04.2023

Nie wieder Diktatur!

Morgen und für immer
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Ein beeindruckendes Buch. Ein wenig Menschlichkeit im gnadenlosen Krieg: Ein alter Mann und sein Enkel nehmen einen deutschen Deserteur bei sich auf, helfen sich gegenseitig. Der deutsche Soldat hilft ...

Ein beeindruckendes Buch. Ein wenig Menschlichkeit im gnadenlosen Krieg: Ein alter Mann und sein Enkel nehmen einen deutschen Deserteur bei sich auf, helfen sich gegenseitig. Der deutsche Soldat hilft im Haus und Hof mit, bringt dem jungen Kajan Klavierspielen bei und die deutsche Sprache. Kajan seinerseits lehrt Cornelius das Albanische. Und dann kommt das Kriegsende. Cornelius wird von albanischen Partisanen abgeführt, er soll heim nach Dresden. Kajans Eltern kehren zurück aus dem Krieg, Selie, seine Mutter besteigt einen bedeutungsvollen Posten in Tirana, Kajan wird ein berühmter Klavierspieler in Albanien.
Inzwischen hat die Diktatur der albanischen kommunistischen Partei alles im festen und tödlichen Würgegriff. Wer nur ansatzweise anders denkt, wird sofort verhaftet, Alles wird sofort politisch gedeutet. Wenn man sich harmlos mit Freunden trifft, ist das eine “illegale Gründung reaktionärer Zellen” und “Verbreitung von gefährlichem Propagandamaterial”(S. 109). Der Terror geht noch weiter. Angehörige von “Landesverrätern”, Flüchtlingen, auch von missglückten Fluchtversuchen müssen ins Straflager oder ins Gefängnis. Das albanische Regime steht dem Nordkoreanischen in nichts nach. Um die Linientreue zu beweisen, werden Menschen zu Verrätern am eigenen Fleisch und Blut, opfern sie und denunzieren sie der Polizei, ohne sie anzuhören, ohne ihnen die geringste Chance einer Erklärung zu bieten.
Das Leben in Tirana und in Ost-Berlin verlaufen auf fast identischen Schienen. Alles erscheint grau, unfreundlich, gefährlich. Die Menschen blicken immer nur zu Boden, gehen mit gebeugten Schultern und gesenkten Köpfen. Angst ist allgegenwärtig, die Stasi ist in Ostberlin genauso effizient wie der Inlandsgeheimdienst in Tirana.
Der schlichte geradlinige Stil, die klaren Bilder, die vom schweren und einfachen Leben in den albanischen Bergen bezeugen, die Szenen in Ostberlin, in Westberlin und in den Vereinigten Staaten, alles ist Teil dieses beeindruckenden Buches. Unerwartete Wiedersehen, totgeglaubte Menschen, das Wiederfinden der großen Liebe, zuerst in den USA, dann in Albanien, alles fügt sich harmonisch wie in einem wunderbaren Klavierkonzert zusammen. Der Epilog ist der Schlussakkord, der die letzten Fäden die noch offen geblieben waren, verbindet, das Schicksal der Haupt- und Nebengestalten des Buches klärt und uns aufatmen lässt. Die stille Hoffnung keimt auf, mögen die heute noch bestehenden Diktaturen in Europa und in der Welt auch zu Ende gehen, ob friedlich, wie in der ehemaligen Tschechoslowakei, Ungarn oder der DDR, oder blutig, wie in Rumänien, Hauptsache sie gehen zu Ende und kehren nie, nie wieder.

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Veröffentlicht am 31.03.2023

Frieden ohne Angst

Waraka
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Das Buch fasziniert vom ersten Satz an. Dieser Fantasy braucht den Vergleich mit Harry Potter, Die Bestimmung, oder die Tribute von Panem nicht zu scheuen. Lebensechte Dialoge machen das Lesen angenehm. ...

Das Buch fasziniert vom ersten Satz an. Dieser Fantasy braucht den Vergleich mit Harry Potter, Die Bestimmung, oder die Tribute von Panem nicht zu scheuen. Lebensechte Dialoge machen das Lesen angenehm. Die nachvollziehbaren Gedankengänge und logischen Handlungen des Prinzen lassen ihn liebenswert erscheinen. Er hat das Zeug zum wahren Helden. Und wie ein wahrer Held entschließt er sich aus dem goldenen Käfig auszubrechen, sich nicht den Befehlen Skarfs zu beugen und den Smilo zu retten, anstatt ihn zu töten. Prinz Arkyn rettet auch dem fremden Mädchen Saga das Leben. Zu dritt machen sie sich nun auf, die Berge zu erforschen, Arkyns Vater zu finden und die Menschen von Waraka von der Knechtschaft Skarfs und der Großen Schlange zu befreien. Kein leichtes Unterfangen. Interessant ist, wie Arkyn an diese riesige Aufgabe rangeht. Er will keine Menschen oder Tiere töten, er verlässt sich auf die Überzeugungskraft der Worte. Er kann mit Tieren kommunizieren und Menschen von der Richtigkeit seiner Gedanken überzeugen. So kann er schließlich den Sieg davontragen und Skarf als Betrüger entlarven.
Der verhätschelte Prinz aus dem goldenen Käfig wird zum wahren Anführer und das Bindeglied zwischen den Menschen und den uralten Tierwesen von Waraka. Das offene Ende des Buches, mit dem ankommenden Schiff aus Sagas Heimat lässt auf eine Fortsetzung hoffen.
Das Buch ist in der Gegenwartsform geschrieben, im Hier und Jetzt. Als es mir bewusst geworden ist, war ich schon mitten im Geschehen im tiefen Wald. Goldfarb hat diese Erzählweise gewählt, um der Handlung mehr Präsenz zu geben, dem Leser mehr das Gefühl zu geben, “in echt” dabei zu sein. Kluger Schachzug. Im allgemeinen werden solche Bücher im Präteritum - der Legendenzeit erzählt. Aber vielleicht wollte der Autor auch auf die Aktualität seines Fantasy hinweisen: wenn die Konflikte auch noch so unüberwindbar erscheinen, der Krieg imminent oder schon ausgebrochen ist, man kann immer noch das Leben ehren und retten, mit Verhandlungen und verbalen Argumenten Frieden stiften, eine Botschaft die ankommt.
Das Titelbild ist faszinierend. Die große Säbelzahnkatze die über die zwei verschlungenen Hände wacht, die dunklen Farben, die Wikingerschiffe im Hintergrund alles ist darauf ausgerichtet, das Interesse der jungen Leserschaft zu wecken. Und nach der Lektüre kann man die einzelnen Motive auf dem Cover auch genauer deuten.

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