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Veröffentlicht am 18.07.2023

Nette Geschichte(n) mit großem Kritikpunkt

Frau Komachi empfiehlt ein Buch
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Sayuri Komachi arbeitet in der Gemeindebibliothek und gibt mit ihren Empfehlungen nicht nur Hilfestellung für die Suche nach Literatur, sondern auch den Anstoß, im eigenen Leben etwas zu verändern. So ...

Sayuri Komachi arbeitet in der Gemeindebibliothek und gibt mit ihren Empfehlungen nicht nur Hilfestellung für die Suche nach Literatur, sondern auch den Anstoß, im eigenen Leben etwas zu verändern. So berät sie beispielsweise die 21-jährige Verkäuferin Tomoka, die in ihrem Beruf keine Freude findet oder den 65-jährigen Rentner Masao, der herausfinden muss, wer er jenseits der Arbeit überhaupt ist.

„Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ ist der erste Roman der japanischen Schriftstellerin Michiko Aoyama, ins Deutsche übertragen wurde er von Sabine Mangold, die bereits Haruki Murakami oder Yoko Ogawa übersetzte. Erzählt wird im Prinzip in fünf Kurzgeschichten, die durch Parallelverweise immer wieder miteinander verwoben werden. In jedem Kapitel kommt eine der Figuren in der Ich-Perspektive, aber unterschiedlichen Zeitformen zu Wort.

Obwohl die einzelnen Charaktere sehr unterschiedlich sind, dreht sich doch alles um dasselbe Thema: die Arbeit. Unzufriedenheit, ein missglückter Wiedereinstieg nach der Schwangerschaft, die Suche nach dem Traumjob oder überhaupt einer Anstellung und die Leere nach der Pensionierung – hier hätte ich mir mehr Varianz gewünscht. Einzig eine Geschichte beschäftigt sich noch mit ungleich verteilter Care-Arbeit zwischen Mann und Frau. Gut gelungen ist hingegen, dass bereits bekannte Figuren in späteren Kapiteln wieder auftauchen und wir so erfahren, wie es mit ihnen weitergeht.

Negativ aufgefallen ist mir die Darstellung der Bibliothekarin Frau Komachi. Sie wird von allen Charakteren als dick beschrieben, ja geradezu als gigantisch. Diese Eigenschaft trägt nichts weiter zur Handlung bei und man fragt sich, wozu diese Beschreibung dienen soll – zumal sich alle Kund*innen überrascht zeigen, dass Frau Komachi trotz ihrer Körperfülle sanftmütig und intelligent ist, so als gäbe es da einen Zusammenhang. Dieser Blick auf weibliche Körper ist mir in anderen japanischen Romanen, vor allem von Frauen, schon begegnet und wenn das Gesellschaftskritik sein soll, müssen die stets gleichen Vorurteile gegenüber dicken Frauen auch in der Handlung herausgefordert werden. Daher leider nur 3 Sterne von mir.

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Veröffentlicht am 28.06.2023

Auftakt einer charmanten Cozy Fantasy-Reihe

Emily Wildes Enzyklopädie der Feen
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Professorin Emily Wilde ist DIE Expertin der Feenforschung. Um endlich ihre Enzyklopädie über die faszinierenden Wesen fertigstellen zu können, macht sie sich auf eine Forschungsreise in das verschneite ...

Professorin Emily Wilde ist DIE Expertin der Feenforschung. Um endlich ihre Enzyklopädie über die faszinierenden Wesen fertigstellen zu können, macht sie sich auf eine Forschungsreise in das verschneite Dorf Hrafnsvik. Von den Bewohnern wird sie mit Misstrauen aufgenommen, was zum einen an ihrem riesigen Hund Shadow liegt, aber auch daran, dass Emily Menschen nicht besonders leiden kann. Dann taucht auch noch ihr Rivale Wendell Bambleby auf und bringt ihre Forschung und ihr Leben durcheinander.

„Emily Wildes Enyzyklopädie der Feen“ ist der erste Fantasyroman für Erwachsene der kanadischen Autorin Heather Fawcett. Geschildert wird die Handlung aus der Sicht der Protagonistin in der Ich- und Vergangenheitsform, manchmal werden aber auch Tagebucheinträge mit eingewoben. Emily ist dabei eine äußerst charmante Erzählerin, die ihre Emotionen nicht versteckt und auch mit Humor und Selbstironie nicht geizt. Vor allem ihr Blick auf ihren Konkurrenten Wendell ist herrlich und die ständigen Streitgespräche zwischen den beiden machen einfach Spaß.

Ich muss zugeben, dass sich die Ereignisse hier nicht unbedingt überschlagen. Den Großteil des Buch machen Emilys Forschung und ihre Begegnungen mit dem Feenvolk und den Menschen im Dorf aus. Für mich ist aber genau das ein Plus, denn die Autorin verwendet dadurch deutlich mehr Aufmerksamkeit auf die feinen zwischenmenschlichen Beziehungen und ihre Besonderheiten. Während Emily über die Feen gut Bescheid weiß, muss sie erst nach und nach lernen, wie die einzelnen Dorfbewohner ticken, was sie brauchen und was sie sich wünschen.

Gut gefallen hat mir außerdem, dass mit Emily eine Frau aus dem akademischen Bereich im Fokus steht. Als solche hat sie immer noch Nachteile gegenüber ihren männlichen Kollegen; so ist Wendell beliebter und wird beruflich bevorzugt – doch Emily kämpft um den Platz, der ihr dank ihrer Forschung zusteht. Einziger Kritikpunkt? In der Handlung wiederholen sich einige Elemente, so wird bspw. 3 mal aufgebrochen, um jemanden zu retten, es geht immer wieder um Wendells Faulheit usw. Dennoch ist Band 2 ein Muss!

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Veröffentlicht am 04.06.2023

Eindrucksvoller Roman über Fankultur

Idol in Flammen
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Die Schülerin Akari ist besessen von Masaki, Mitglied einer erfolgreichen J-Pop Band. Doch eines Tages machen Gerüchte in den sozialen Medien die Runde: Masaki soll einen weiblichen Fan geschlagen haben. ...

Die Schülerin Akari ist besessen von Masaki, Mitglied einer erfolgreichen J-Pop Band. Doch eines Tages machen Gerüchte in den sozialen Medien die Runde: Masaki soll einen weiblichen Fan geschlagen haben. Akari beschließt, dass sie dennoch weiterhin treu hinter ihrem Idol stehen will, doch dessen Karriere scheint in Flammen aufzugehen – und damit auch Akaris eigenes Leben.

„Idol in Flammen“ ist der zweite Roman (und der erste, der bisher ins Deutsche übersetzt wurde) der japanischen Autorin Rin Usami. Mit 19 Jahren verfasste sie ihr preisgekröntes Debüt; inzwischen ist sie 24 Jahre alt und damit eine junge Stimme im japanischen Literaturbetrieb. Das merkt man dem Roman auch an, denn es gelingt ihr gut, den Ton und die Gedankenwelt der Protagonistin einzufangen. Aus ihrer Sicht wird die Handlung in der Ich- und Gegenwartsform erzählt und mit ihr geraten wir in einen wahren Strudel aus Emotionen und Obsession.

Ausgangspunkt der Geschichte ist sicherlich der Skandal rund um Sänger Masaki. Doch wo ich eher eine Antwort auf die Frage, ob und wie man die Kunst vom Künstler trennen kann, erwartet hatte, entwickelt sich stattdessen eine Charakterstudie zu Besessenheit. Ihr Idol bestimmt Akaris ganzes Leben. Sie kauft alle CDs mehrfach, geht auf Konzerte und führt einen Blog mit ihren Gedanken zu Masaki. Der Skandal an sich scheint sie nicht allzu sehr zu beunruhigen, auch wenn es dabei um Gewalt geht. Stattdessen bedrückt es sie, wie sehr sein Ansehen unter dem Vorfall leidet.

Von diesem Punkt an rast Akari geradezu einem Abgrund entgegen. Sie vernachlässigt die Schule, der Lernstoff will einfach nicht in ihrem Kopf bleiben. Auch in ihrem Nebenjob kann sie sich nicht mehr konzentrieren; ihre Eltern sind ratlos und überfordert, nur ihre große Schwester Hikari versucht zumindest, Verständnis aufzubringen. Doch ist für Akari ein Leben ohne ihre Obsession für Masaki überhaupt möglich?

Eine kurzer, aber eindrucksvoller Roman über Fankultur, die Maschinerie hinter den Idols, aber auch über die japanische Leistungsgesellschaft, die für junge Frauen wie Akari keinen Platz hat.

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Veröffentlicht am 29.05.2023

Liebeserklärung ans Essen

Das Restaurant der verlorenen Rezepte (Die Food Detectives von Kyoto 1)
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In einer Seitenstraße in Kyoto, ganz versteckt und ohne Schild an der Tür, betreiben Nagare Kamogawa und seine Tochter Koishi ein kleines Restaurant. Hier bieten sie nicht einfach nur normale Speisen an, ...

In einer Seitenstraße in Kyoto, ganz versteckt und ohne Schild an der Tür, betreiben Nagare Kamogawa und seine Tochter Koishi ein kleines Restaurant. Hier bieten sie nicht einfach nur normale Speisen an, sondern betreiben auch eine Detektei, die sich auf die Suche nach verlorenen Rezepten macht. Damit stillen die beiden nicht nur den Hunger ihrer Gäste, sondern auch deren Sehnsucht nach einer ganz bestimmten Erinnerung.

„Das Restaurant der verlorenen Rezepte“ ist der 1. Band der Reihe um Vater und Tochter Kamogawa und ihre Detektei. Im Original erschienen bereits 7 Bände, der erste 2015. Die deutsche Ausgabe besticht durch eine kleinformatige gebundene Ausgabe, klimaneutrale Produktion und vor allem die niedlichen Katzenillustrationen der Kapitelanfänge. Schauplatz des Romans ist ausschließlich das Restaurant der Familie und der Aufbau der kurzen Episoden ist stets derselbe – nur die Hintergrundgeschichte der Kunden und ihr Wunschgericht ändert sich. Im Prinzip haben wir also eine Sammlung von Kurzgeschichten vor uns.

Das zentrale Themas ist sicherlich das Essen und was wir mit ihm verbinden. Ein Geschmack kann sich fest in unser Gedächtnis eingraben, uns als Anker dienen zu einer Zeit, die längst vergangen ist, zu Menschen, die nicht mehr am Leben sind oder zu denen wir keinen Kontakt mehr haben. Diese Botschaft transportiert der Roman gelungen über die Lebensgeschichten der einzelnen Kunden. Durch die Kürze der Kapitel ist allerdings der Aufbau einer tieferen Beziehung zu ihnen nicht möglich.

In Bezug auf die Protagonisten funktioniert dieser aber schon besser. Wir erfahren, dass Nagare früher Kriminalpolizist war und ihm daher das Aufspüren im Blut liegt. Koichi hat auch mit ihren 30 Jahren kein Interesse zu heiraten, findet aber Stammkunde Hiroshi recht attraktiv. Beide vermissen die verstorbene Ehefrau und Mutter, Kikuko. Ich gehe davon aus, dass wir dieses Kennenlernen in den weiteren Bänden noch vertiefen und auch alte Bekannte wiedertreffen würden – daher bitte weiter übersetzen!

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Veröffentlicht am 18.04.2023

Sehr gute Kolumnensammlung

Habibitus
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Von 2016 bis 2022 war Hengameh Yaghoobifarahs Kolumne „Habibitus“ in der taz zu lesen. Nun ist bei Blumenbar eine Ausgabe von über 120 dieser Texte erschienen. „Habibitus“, das ist zunächst eine Zusammensetzung ...

Von 2016 bis 2022 war Hengameh Yaghoobifarahs Kolumne „Habibitus“ in der taz zu lesen. Nun ist bei Blumenbar eine Ausgabe von über 120 dieser Texte erschienen. „Habibitus“, das ist zunächst eine Zusammensetzung aus dem Habitus-Begriff von Bourdieu (Habitus als Auftreten einer Person aufgrund bestimmter Einflüsse und Faktoren) und dem arabischen „habibi“, was „Liebling“ bedeutet. Und dieser Kolumnenname ist eigentlich schon Programm, aber dazu später.

Die Sammlung beginnt mit einem Vorwort von Fatma Aydemir. Mit ihr gab Hengameh Yaghoobifarah übrigens den Essayband „Eure Heimat ist unser Albtraum“ heraus, den ich in diesem Kontext sehr als ergänzende Lektüre empfehlen kann. (Ebenso wie Yaghoobifarahs Debütroman „Ministerium der Träume“.) Aydemir beschreibt treffend den Witz der Kolumne, eine Art liebevollen Spott, der jedoch immer auch einen ernsten Hintergrund hat; sie nennt als Kontext der Kolumnen die Allgegenwärtigkeit rechter Gewalt, seien es die Anschläge von Halle und Hanau, der Einzug der AfD in den Bundestag oder die NSU-Prozesse. Yaghoobifarahs Humor dient also auch als Bewältigungsstrategie.

Das Buch ist in insgesamt 9 Unterthemen eingeteilt, zum Beispiel über das Leben in Deutschland, Astrologie oder Körperbilder, immer wieder verwischen aber auch die Grenzen. Es ist besonders der Rassismus, den Yaghoobifarah hier entlarvt. Wenn Menschen beispielsweise mehr Anteil daran nehmen, wenn NS-Symbole von einer Kirchenglocke entfernt werden, als es befremdlich zu finden, wenn eine rechtsextremistische Mordserie als „Dönermorde“ bezeichnet wird. Oder wenn Anschläge nur furchtbar zu sein scheinen, wenn sie auf Weihnachtsmärkten geschehen, nicht aber, wenn der Tatort ein Kiosk oder eine Shisha Bar ist. Hier legt Yaghoobifarah den Finger tief in die Wunde. Auf andere Kolumnen, z.B. zu Polizeigewalt, folgten sogar Strafanzeigen, Morddrohungen und Stalking. Dabei werden hier keine Einzelpersonen, sondern ein ganzes System kritisiert; stets nach oben getreten, nicht nach unten.

Es ist nicht einfach, in Deutschland witzig zu sein, sagt Fatma Aydemir in ihrem Vorwort. Hengameh Yaghoobifarah gelingt es dennoch vortrefflich. Deutsche Eigenheiten werden so herrlich eingefangen, Patriarchat und Kapitalismus auf die Schippe genommen. Und manchmal spricht Yaghoobifarah einem selbst mitten aus der Seele. Im Nachwort folgt dann auch noch einmal ein kritischer Blick: auf die eigenen Texte, die erhaltenen Reaktionen und die Grenzen der Kolumne an sich. Und das wäre auch mein kleiner Kritikpunkt: Als einzelner Text wirken diese umso stärker und stehen für sich allein. Als thematische Aneinanderreihung ergeben sich oft Wiederholungen und der Effekt der Kolumnen nutzt sich ab. Dennoch: Unbedingt lesen!

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