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Veröffentlicht am 07.05.2023

Wunderbar

Jahreszeit der Steine
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"Ich befinde mich im Zentrum des Lebens, es ist wie im Sommer, wenn alles auf einmal blüht und man nicht weiß, wohin man zuerst schauen soll, dieser Überfluss an Rede, an Streit, an Liebe [...] und nur ...

"Ich befinde mich im Zentrum des Lebens, es ist wie im Sommer, wenn alles auf einmal blüht und man nicht weiß, wohin man zuerst schauen soll, dieser Überfluss an Rede, an Streit, an Liebe [...] und nur an einem herrscht Mangel: an Zeit." (S. 302)

Doch ist es kein sonnendurchfluteter Sommertag, an den uns André Hille in seinem wunderbaren Roman entführt, sondern ein kaltgrauer Tag im November. Eine Zeit, die er als "Jahreszeit der Steine" betitelt und mit der er jene Epoche im Jahr ganz und gar zutreffend definiert, in welcher die Äcker brach liegen und die Steine des Bodens die Oberfläche zieren. Ein scheinbar trostloser Zustand leblos wirkender, abgeernteter Felder, die doch zeitgleich in größter Vorbereitung neusprießenden Lebens stehen. Über einen ganzen Tag hinweg begleiten wir den namenlosen Protagonisten: ein Ich-Erzähler, der augenscheinlich mit dem Autoren selbst gleichzusetzen ist. Er ist Vater dreier Kinder, verheiratet, und erzählt von seinen ganz gewöhnlichen Alltagsroutinen, stets darum bemüht, Familie, Freizeit und Beruf unter ein Dach zu bringen. Niemals rosig dargestellt, sondern total real. Und am Ende dieses ganz gewöhnlichen Dienstags im Herbst bleibt ihm lediglich die Frage: bin ich diesem Tag gerecht geworden?

Viel außergewöhnliches passiert in diesen 24 Stunden zwar nicht, aber es steckt so viel Liebe im Detail und das ist hierbei ganz klar die Sprache. Hillers scharfe Beobachtungsgabe, die selbst die kleinsten, feinsten Bestandteile des Lebens miteinfasst, verströmt eine ganz ruhige, ureigene Dramaturgie, die feinfühliger und sensibler nicht sein könnte. Voller Empathie und Emotionen ist dieses Buch ein gänzlich unaufgeregtes über den ganz gewöhnlichen Alltagswahnsinn, vom Leben auf dem Land, dessen Inhalt sich durch die sprachliche Ausdruckskunst im Gedächtnis des Lesers manifestiert und festankert. Die Wortwahl ist auf höchste Form bedacht, die Gedanken angenehm ausschweifend und immer wieder nachsinnend. Ein literarischer Strom ungezügelter, gar beflügelnder Gedankengänge, die gerne auch ins philosophische abdriften und mal hierhin, mal dorthin schwärmen; auch in die Kindheit des Autors, die er aus heutiger Sicht in eigener Rolle des Vaterseins reflektiert. Hille macht sich die Sprache in höchstem Geschick zu eigen und macht diesen Roman trotz so wenig Handlung doch so lebendig.

Ein überaus angenehmes Buch, das total ergreifend ist, obwohl es sich lediglich einen ganz normalen Alltag als Thema ausnimmt. Es lebt vom herumirren, vom vor sich hin sinnieren und ist eine ganz große, unerwartete Überraschung und damit auch ein komplettes Highlight für mich. Ich habe dieses Buch Seite für Seite genossen: wunderbar unaufgeregt, melancholisch und richtig, richtig toll zu lesen!

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Veröffentlicht am 04.05.2023

Heimelig

Das Café ohne Namen
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Es sind die 1960er-Jahre in Wien. Zeit und Gesellschaft sind geprägt von einer merkbaren Aufbruchstimmung, die aus dem noch gar nicht mal allzu fernen Ende des Krieges resultiert. Am Karamelitermarkt erfüllt ...

Es sind die 1960er-Jahre in Wien. Zeit und Gesellschaft sind geprägt von einer merkbaren Aufbruchstimmung, die aus dem noch gar nicht mal allzu fernen Ende des Krieges resultiert. Am Karamelitermarkt erfüllt auch Robert Simon sich seinen Traum: er bricht aus seinem Alltag als Gelegenheitsarbeiter am Markt aus und pachtet das örtliche Café am Rand des Marktes. Schnell etabliert es sich zum Treffpunkt der Arbeiter des Viertels und sonstigen Flaneuren auf der Suche nach Gesellschaft. Fortan beobachtet Robert als neuer Gastwirt die Menschen bei Kaffee, Bier und Schmalzbrot, bei Tag sowie bei Nacht, schnappt ihre Geschichten auf über Glück, Träume, das Leben und die Vergänglichkeit im Wandel der Zeit.

Der Roman war mein erster Seethaler, aber mir hat die warme, heimelige und doch zugleich sehr seichte Art des Erzählens von Beginn an sehr gut gefallen. Die Geschichte ist aus dem Alltag gegriffen und thematisch passiert gar nicht mal allzu viel, und dennoch verströmt das Werk einen sehr behaglichen, stillen und angenehmen Flair. Mit Robert Simon hat Seethaler einen komplett umgänglichen Protagonisten erschaffen, der wirklich sympathisch daherkommt und in den man sich prima einfühlen kann. Ich habe mich sehr wohlgefühlt in der Geschichte und hatte einige sehr schöne Lesestunden. Es wird ganz sicher nicht das letzte Buch sein, das ich von ihm gelesen habe!

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Veröffentlicht am 27.04.2023

Malibu, the Place to be

Malibu Rising
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Malibu im Sommer 1983. Wie jedes Jahr schmeißt Model und Herzblut-Surferin Nina Riva die Party des Jahres in ihrer Strandvilla: der Place to be für die High Society. Angelockt per Mund zu Mund Propaganda ...

Malibu im Sommer 1983. Wie jedes Jahr schmeißt Model und Herzblut-Surferin Nina Riva die Party des Jahres in ihrer Strandvilla: der Place to be für die High Society. Angelockt per Mund zu Mund Propaganda erscheint nahezu jeder der Rang und Namen hat, und so stehen auch heute wieder die Stars und Sternchen Hollywoods, Topmodels, Sänger und Produzenten auf der Fußmatte.
Im Buch begleiten wir Gastgeberin Nina sowie ihre drei jüngeren Geschwister Jay (Profisurfer), Hud (Fotograf) und Kit (Nesthäkchen) vom Tag vor der Party bis hin zu ihrem Ende. Dabei erfahren wir in allerlei Rückblenden von der harten Kindheit der vier, die sich lange ohne elterlichen Halt durchs Leben schlagen mussten, bevor jeder für sich seinen Weg gefunden hat. Doch mit der Party gerät ihre Welt erneut ins Wanken, als nicht nur die Champagnerkorken knallen: auch die Stimmung ist hoch explosiv. Denn so einige Überraschungsgäste erschüttern mit ihrem Erscheinen den harmonischen Zusammenhalt der vier Geschwister und nach und nach wird das ein oder andere Geheimnis gelüftet. Und mit steigenden Alkohol- und Drogenkonsum unter den Gästen wird die Feierlaune immer und immer ausgelassener - bis plötzlich alles in Flammen steht.

Taylor Jenkins Reid hat die Gabe, ganz unaufgeregt zu schreiben und den Leser trotzdem durchgehend am Ball zu halten. Ihre Charaktere sind mit Hand und Fuß ausgestattet, wunderbar griffig und echte Individuen, die einander sehr gut ergänzen und vollkommen authentisch wirken.
Auch Carrie Soto, Tennis-Ass und Protagonistin aus TJR vorherigem Roman "Carrie Soto ist Back" besetzt eine Nebenrolle, welche die Handlung stark prägt. Ihr neuer Roman "Malibu Rising" reiht sich also mit in das literarische Universum der Autorin ein, in welcher starke Frauenfiguren im Zentrum der Erzählungen stehen. Bisher habe ich nur "Carrie Soto" und "Malibu Rising" der bisherigen vier übersetzten Werke gelesen, aber beide haben mich sehr für sich begeistern können. Es sind leichte Lektüren mit ganz eigener Dynamik und unerwartet viel Tiefgang, die mich beide sehr positiv überrascht haben!

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Veröffentlicht am 20.04.2023

Ein für mich stimmiges Ende

Der Traum von einem Baum
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In Spitzbergen liegt sie, die Arche Noah der Gegenwart. Tief in einem Berg, verschlossen vor der Öffentlichkeit, in einem Bunker verwahrt: die größte Samenbank der Welt, das Vermächtnis aller Pflanzensamen ...

In Spitzbergen liegt sie, die Arche Noah der Gegenwart. Tief in einem Berg, verschlossen vor der Öffentlichkeit, in einem Bunker verwahrt: die größte Samenbank der Welt, das Vermächtnis aller Pflanzensamen aus aller Herren Länder. Im Jahr 2110 ist die Nahrung knapp geworden, durch verschärfte klimatische Verhältnisse sind weite Teile der dringend benötigten Nutzpflanzen ausgestorben, globale Nahrungsknappheit ist die Norm.
Der 18-Jährige Tommy und 4 weitere junge Menschen sind sie letzten Überlebenden einer Seuche, die alle Bewohner Spitzbergens dahingerafft hat. Die Verantwortung des wichtigen Saatguts liegt nun in ihren Händen. Bisher lebten sie abgekapselt von der globalen Welt in totaler Isolation, und Tommy ist auch weiterhin der Überzeugung, dass die Menschheit für das Aussterben der Arten verantwortlich sind und folglich unter dem selbstauferlegten Schicksal zurechtkommen sollten. Die Erde wird sich in ungezähmter Natur ohne Kultivierung am besten von selbst regenerieren, und so will er nach wie vor jeden Kontakt zur Außenwelt vermeiden und sich alleine durchschlagen. Doch seine Freundin Rakel sieht das anders und kontaktiert heimlich per Funksignal die Außenwelt, die sich schon bald auf den Weg macht, um die Samen einzufordern. Doch auch die Gefahr in ihrer Heimat ist groß: Eisbären sind auf der Suche nach den letzten Futterreserven, schmelzende Gletscher lassen die Hänge abrutschen, die Sonne zeigt sich im nordischen Winter wenn überhaupt nur selten.

Und somit spielt Maja Lundes Roman inmitten der großartigen Atmosphäre Spitzbergens und erzählt dabei wieder einmal von einer dystopischen Zukunft unter dem Einfluss des Klimawandels. Die Kinder, bzw. jungen Erwachsenen sind in einer gebeutelten Welt aufgewachsen, in der Verzweiflung und Einsamkeit herrscht, in der aber die Hoffnung ein großer Anker geworden ist und die niemals versiegt.
Lundes Schreibstil ist wie aus ihren Vorgängern gewohnt schlicht sowie flott zu lesen, macht aber dabei keine Abstriche wenn es um das Schaffen von Bildern und Spannung geht. Mit eingebunden in den Roman ist eine gute Bandbreite interessanter Fakten, die den Roman passend abrunden. Ein wirklich gelungener Abschluss der insgesamt vierteiligen Klimaserie von Maja Lunde, hab ich sehr gern gelesen und kann ich nur weiterempfehlen!

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Veröffentlicht am 11.04.2023

Wildnis neu denken

Wildnis
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Wenn wir heute daran denken was "Wildnis" für uns ist, denken wir vielleicht an die Savannen Afrikas mit Elefant, Nashorn und co. Oder wir haben die schier endlos-grünen, ausgedehnten Weiten Kanadas vor ...

Wenn wir heute daran denken was "Wildnis" für uns ist, denken wir vielleicht an die Savannen Afrikas mit Elefant, Nashorn und co. Oder wir haben die schier endlos-grünen, ausgedehnten Weiten Kanadas vor Augen, die von Elchen durchwandert werden und in denen sich wilde Flüsse ihren Weg durchs Land bahnen. Aber garantiert haben wir keine deutsche Weide im Sinn, auf der domestizierte Rinder und Pferde gemütlich vor sich hin grasen. Das ist wohl so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir eigentlich mit 'wild' assoziieren.

Doch Jan Haft, Biologe und Naturfilmer, verschiebt den Begriff "Wildnis" in seinem Sachbuch in eben genau diese Richtung und plädiert dafür, auf sogenannten 'Wilden Weiden' wieder große Säugetiere (also etwa Rinder und Pferde) für ein vielfältiges Ökosystem grasen zu lassen. Wie das gehen soll? Naja, eine Rückkehr zu den Bewirtschaftungsmethoden unserer Vorfahren sozusagen, als Ackerland tatsächlich noch mit Tieren beackert wurde. Denn nicht nur Klima und Boden sind an einem intakten Ökosystem und einer funktionierenden, klimagerechten Umwelt beteiligt, sondern auch die bloße Anwesenheit großer Huf- und Säugetiere setzt symbiotische Prozesse in Gang, aus denen vielfältige und stabile Ökosysteme resultieren.
Den Garanten für erfolgreichen Naturschutz heute sieht Jan Haft in der Nutzung großer Weidetiere als Landschaftspfleger; Sie halten Büsche und Gehölze kurz, Ebenen offen, lassen Licht und Wärme durch und geben der Vegetation ihren Raum. Denn entgegen dem allgemeinen Glauben an die Vorherrschaft des schattig-feuchten deutschen Waldes sind die meisten hier anzutreffenden Arten solche, die eine sonnige und warm-trockene Umgebungen präferieren. Zusätzlich speichern eben solche Weidelandschaften aus nachhaltiger Sicht weitaus mehr CO2 als unsere Wälder, in welchen das Treibhausgas nur befristet gebunden ist - und bieten im Gegensatz zu den Wäldern mit relativ kleiner Artenvielfalt ein viel breiteres Spektrum an Biodiversität. Haft geht sogar so weit zu sagen, dass Weiden beinah allen Lebewesen der Roten Liste einen Lebensraum bieten könnten - wenn wir es denn nur zulassen würden.

Die Wildnis ist vor allem im heutigen, verhältnismäßig dicht besiedelten Europa ein unerreichbarer Sehnsuchtsort geworden, doch mit Hilfe einer neuen Definition jener kann eine "neue Wildnis" auferstehen. Dazu ruft Haft auf und inspiriert uns, neues zu wagen, indem wir unser alteingesessenes Verständnis vom Wilden umdenken und einen neuen Umgang mit der Natur finden. Das Buch gibt dabei spannende und frische Ansätze zum Thema Natur- und Klimaschutz, kritisiert anschaulich die strenge und nicht mehr zeitgemäße Zweiteilung der Landschaft in Forst- und Weideland und ist ein Mutmacher, Schutzgebiete mit der Hilfe von Weidehaltung umzugestalten. "Wildnis. Unser Traum von unberührter Natur" ist ein knapp 140 Seiten langer Essay in laienverständlicher Sprache, der nicht nur Wissenschaft verständlich macht, sondern diese auch sehr angenehm mit persönlichen Beobachtungen kombiniert und thematisch neue Wege in eine lebenswerte Zukunft weisen kann.

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