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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.06.2023

berührend, leise

Unsere Stimmen bei Nacht
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Rezension zu „Unsere Stimmen bei Nacht“ von Franziska Fischer
[…] denn ankommen, das sollte man mit zwanzig oder maximal noch dreißig an einem Ort, bei einem Menschen, danach gab es kein Ankommen mehr, ...

Rezension zu „Unsere Stimmen bei Nacht“ von Franziska Fischer
[…] denn ankommen, das sollte man mit zwanzig oder maximal noch dreißig an einem Ort, bei einem Menschen, danach gab es kein Ankommen mehr, nur ein Weitergehen.“ (S.41)
Franziska Fischer schlägt in ihrem Roman leise Töne an.
Eine WG in Berlin, darin lebend das Vermieter-Ehepaar (Gloria und Herbert), ein Vater mit seiner 15-jährigen Tochter (Gregor und Alissa), der Student Jay und Lou. Die Charaktere sind fein herausgearbeitet und alle auf ihre Art und mit ihren Fehlern sympathisch. Wir lernen Gloria als mütterlich und liebevoll, Herbert als etwas grummelig, Gregor als eigenbrötlerisch, Alissa als verloren, Jay als planlos und Lou als energiebündel, kreativ und Suchende kennen. Diese Vielfalt macht Spaß. Die Figuren Suchen und Finden und Suchen, sie öffnen sich und finden zusammen. Begleitet wird die Geschichte vom Winter bis in den Sommer und das passt wundervoll zusammen. Der trübe Winter, der alles zum ergrünen bringende Frühling und der Sommer mit seinen lauen Abenden begleitet die Figuren sehr harmonisch und natürlich. Alles fügt sich. Die Geschichte ist ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben dieser Figuren, das Ende fügt sich perfekt ein. Wie die Geschichte, so mitten aus dem Leben gegriffen, ist auch das Ende offen und lässt den Leser doch mit einem entspannten Gefühl zurück. Sie bietet interessante Inneneinsichten in unterschiedlichste Leben.
Neben den Charaktere besticht das Buch auch durch seine Unaufgeregtheit und ist doch niemals langweilig. Im Gegenteil, die Schöne Atmosphäre und die Tiefgründigkeit wird hervorgehoben und sorgt für ein tolles Leseerlebnis. Große Empfehlung also für „Unsere Stimmen bei Nacht“.
Und am Ende stellt man vielleicht wie eine der Figuren fest: […] doch manche Tage wurden größer, wenn sie sie mit den richtigen Menschen teilte […].“ (S.148)

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Veröffentlicht am 30.04.2023

tragisch; sehr lesenswert

Die spürst du nicht
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Rezension zu „Die spürst du nicht“ von Daniel Glattauer
David Glattauer hat für seinen Roman eine ungewöhnliche Erzählform gewählt. Er schreibt zunächst in einem amüsant-lockeren Ton, der den Leser in ...

Rezension zu „Die spürst du nicht“ von Daniel Glattauer
David Glattauer hat für seinen Roman eine ungewöhnliche Erzählform gewählt. Er schreibt zunächst in einem amüsant-lockeren Ton, der den Leser in eine heitere Stimmung bringt. Ein fröhlicher Sommerroman beginnt, doch durch den Klappentext wird klar: so wird es nicht bleiben und so kommt die erste Wendung überraschend. Die ungewöhnliche Erzählform folgt. Immer wieder sind Kapitel eingestreut, die sich wie in Internetforum, ein Zeitungsartikel oder ein Interview lesen. Toll gemacht!
Die Form unterstützt den Inhalt dabei sehr. Durch die Formen (Internetkommentare etc.) werden die Inhalte noch deutlicher in die Gesellschaft gehoben und auf unsere reale Gesellschaft projiziert. Schnell hat man das Gefühl, der Roman kann einen realen Hintergrund haben und unsere Gesellschaft, oder Teile davon, könnten genau so reagieren. Es geht um Flüchtlinge und den Umgang mit ihnen und die (Nicht-)Akzeptanz anderer Kulturen, darum, was ein Leben wert ist und darum, was ein Unglück mit einer Familie macht. Der Roman zeigt auf, welche Fragen unterschiedliche gesellschaftliche Schichten in diesem Zusammenhang beschäftigen und er hält uns einen Spiegel vor.
Die Charaktere sind in diesem Roman durch ihre Vielseitigkeit gut gewählt. Elisa, eine Politikerin, trägt die Themen des Romans unfreiwillig in die Öffentlichkeit im Roman. Sie ist gefangen zwischen den Ereignissen, ihrer Familie und ihrer Karriere. Ihr Mann Oskar ist ein Egoist aus der Oberschicht und unglaublich unsympathisch. Die ältere der zwei Töchter der beiden wirkt früh verloren, ihr Umgang mit dem Internet ist kritisch.
Die Freunde der Familie tauchen immer wieder auf, wobei sich immer wieder die Frage stellt, wie viel Freundschaft die vier eigentlich verbindet. Sie sind wohl eher eine Schicksalsgemeinschaft.
Es kommen wenige weitere Charaktere hinzu, die den Roman interessant machen, hier aber zu viel verraten würden.
Insgesamt ist der Roman überaus lesenswert. „Die spürst du nicht“ ist eine tragische Geschichte, die in verdichteter Form Teile unserer Gesellschaft wiederspiegelt und dadurch zum Nachdenken anregt. Der Roman bewegt und schockiert bisweilen. Er besticht außerdem mit seiner besonderen Erzählform. Bitte mehr davon!

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Veröffentlicht am 16.12.2022

spannend, aktuell

Tage voller Zorn
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Rezension zu „Tage voller Zorn“ von Tuomas Oskari
Der Thriller lässt sich von Beginn an flüssig und zügig lesen. Dazu trägt die spannenden Handlung bei. Es wird immer aus wechselnden Perspektiven erzählt, ...

Rezension zu „Tage voller Zorn“ von Tuomas Oskari
Der Thriller lässt sich von Beginn an flüssig und zügig lesen. Dazu trägt die spannenden Handlung bei. Es wird immer aus wechselnden Perspektiven erzählt, was dafür sorgt, dass sich der Fall nach und nach wie ein Puzzle zusammensetzt. Das ist gut gelungen!
Zu Beginn wird aus Lumis Perspektive erzählt, der Frau, die sich aus Protest selbst anzündet. Das ist sehr förderlich für die Spannung, weil man sie kennenlernt, aber nur sehr bruchstückhaft erfährt, was ihr Motiv war. Obwohl sie zu Beginn stirbt, begleitet sie die ganze Geschichte.
Die Protagonist Leo, Ministerpräsident Finnlands, ist ein grundsätzlich sympathischer Charakter. Man verrät schnell zu viel, wenn man ihn zu genau beschreibt. Es wird durch ihn immer wieder deutlich, dass Geld die Welt regiert, aber er mit dieser Tatsache nicht glücklich ist. Er zeigt Herz und Interesse an der finnischen Bevölkerung.
Einige weitere Figuren sind von Beginn an rätselhaft (z.B. Marten) oder werden es im Laufe der Geschichte (z.B. Pontus Ebeling, der Ziehvater Leos´)
Insgesamt geht die Geschichte rasant voran, was auch daran liegt, dass alles mehr oder weniger eines Tages passiert. Weiter angefeuert wird dies durch die Perspektivwechsel.
Gut gelungen ist ebenfalls, dass immer wieder die Abläufe und Themen der Politik detaillierter vorkommen. So wird die Geschichte mit noch mehr Hintergrund und Inhalt gefüllt. Für einen Polit-Thriller genau richtig. Außerdem ist das Thema, die Spaltung der Gesellschaft, sehr aktuell.
Man liest es schon: Ich habe mich sehr unterhalten gefühlt und wusste bis fast zum Ende nicht, in welche Richtung die Geschichte aufgelöst wird. Lesenswert!

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Veröffentlicht am 25.05.2022

mitreißender, atmosphärischer Sommerroman

Ein unendlich kurzer Sommer
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Rezension zu „Ein unendlich kurzer Sommer“ von Kristina Pfister
Kristina Pfister hat einen herrlich leichten und flüssig zu lesenden Schreibstil, der gut zum Roman passt. Die Geschichte beginnt mit einem ...

Rezension zu „Ein unendlich kurzer Sommer“ von Kristina Pfister
Kristina Pfister hat einen herrlich leichten und flüssig zu lesenden Schreibstil, der gut zum Roman passt. Die Geschichte beginnt mit einem Prolog, der den Leser direkt ins Geschehen wirft und vor allem neugierig macht, denn es ist nicht zunächst klar, um welche Figuren es sich im Prolog handelt.
Nach und nach lernen wir Chris und Lale kennen. Beide sind Mitte 30 und sind durch Zufall auf einem Campingplatz im Nirgendwo gelandet. Lale ist von Beginn an sympathisch und vor allem spannend. Lange bleibt unklar, was sie dazu gebracht hat, den Sommer nicht zu Hause zu verbringen. Das macht ihre Figur interessant und tut auch der Geschichte gut. Im Gegensatz dazu ist klar, was Chris dort will… aber auch er punktet durch eine sympathische Art. Beide Freunden sich mit Flo an, den kaninchenverrückten Nachbarsjungen, den man einfach gernhaben muss. Er trotzt dem Leben und seine Figur zu verfolgen macht Spaß. Und dann wäre da noch Gustav (neben weiteren tollen Charakteren, die die Geschichte bereichern!). Er ist der Besitzer des Campingplatzes, ein eher mürrischer, älterer Mann, der mich mit seinem Umgang mit seinen Mitmenschen immer wieder zum Schmunzeln gebracht hat.
In dem Roman geht es, logischerweise, vorrangig um diese vier Figuren. Es geht um Freundschaft und Liebe, um das sich Finden und um Neuanfänge.
Die Atmosphäre im Roman ist besonders. Sie ist eindeutig sommerlich und fröhlich, aber nicht nur. Sie ist auch traurig und melancholisch. Dann ist sie wieder humorvoll und immer fangen die Figuren den Leser ein und nehmen ihn mit in ihren unendlich kurzen Sommer.
Kristina Pfister ist ein atmosphärischer Sommerroman gelungen, der mit seinen Themen, der Atmosphäre und den Charakteren punktet. Lesenswert!

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Veröffentlicht am 22.03.2022

Großartige Neuerzählung

Tell
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Rezension zu „Tell“ von Joachim B. Schmidt
Schon mal vorab: Nach „Kalmann“ ist Joachim B. Schmidt mit „Tell“ ein weiterer sehr lesenswerter Roman gelungen. Schmidt hat einen interessanten Erzählstil: Schlicht ...

Rezension zu „Tell“ von Joachim B. Schmidt
Schon mal vorab: Nach „Kalmann“ ist Joachim B. Schmidt mit „Tell“ ein weiterer sehr lesenswerter Roman gelungen. Schmidt hat einen interessanten Erzählstil: Schlicht und doch sehr aussagekräftig. In Tell fasziniert auch die Erzählsicht, denn die wechselt häufig. Der Wechsel findet fast immer innerhalb derselben Szene statt, sodass aus einer anderen Sicht weitererzählt wird. Dies führt dazu, dass wir eine Szene immer wieder aus verschiedenen Sichtweisen wahrnehmen können. Sehr gelungen!
Auch das Setting, die Schweizer Berge, passen perfekt zum Roman. In diese Abgeschiedenheit passen die eigenbrötlerischen Dorfbewohner.
Die Grundgeschichte basiert auf Schillers Wilhelm Tell, den man aber nicht kennen muss, um das Buch zu lesen. Die Figuren sind vielseitig und durch die Perspektivwechsel erkennt man nach und nach das Gefüge. Vor allem Tell selbst ist sehr facettenreich. Seine Entwicklung im Buch ist spannend, ebenso wie die seiner Söhne. Es gibt ebenso mutige Figuren und einfühlsame wie auch grausame. Alle hängen irgendwie zusammen mit Tell als Knotenpunkt. Der Roman zeigt eine interessante Vater-Sohn-Beziehung und macht deutlich, wie die Kindheit und prägen kann.
Man leidet mit den Figuren und hofft auf einen guten Ausgang. Deutlich wird: Tell ist eine Legende und das zurecht. Die Figur fasziniert bis heute und Joachim B. Schmidt hat ihn auf wunderbare Weise neu zum Leben erweckt. Das Ende des Romans hat mich überrascht und passt doch so gut. Schillers Tell steht schon auf der Wunschliste, der Roman macht also Lust auf das Original. Sehr lesenswert!

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