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Veröffentlicht am 22.03.2018

Ausdrucksstarkes Debütbuch

Leinsee
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Anne Reineckes Debütroman glänzt mit einer wunderbaren Sprache, die direkt, fantasievoll, ungewöhnlich, ausdrucksstark, lebendig und bildgewaltig ist. Es sind Sätze, die man immer wieder lesen möchte, ...

Anne Reineckes Debütroman glänzt mit einer wunderbaren Sprache, die direkt, fantasievoll, ungewöhnlich, ausdrucksstark, lebendig und bildgewaltig ist. Es sind Sätze, die man immer wieder lesen möchte, die eine Kraft haben, die man selten findet.

"Karl würgte und schluckte. In seinem Brustkorb brannte es. Und es stach als würde sich ein zusammengerolter Igel darin drehen." (Zitat, S. 110).

Es ist die Geschichte von Karl. Karl, der zurückkehrt nach Leinsee, dem Wohnort seiner Eltern. Der Vater tot, erhängt, die Mutter im Krankenhaus vor einer OP, die sie wahrscheinlich nicht überleben wird. Karl, das einzige Kind, wurde schon mit 10 Jahren in eine Internat abgeschoben, die Eltern, berühmt, lebten nur für ihre Kunst und ihre Zweisamkeit. Nun ist Karl 26, längst erwachsen, selber Künstler, er lebt in Berlin unter einem Pseudonym und hat schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern gehabt.
Ein Mann, der nun versucht anzuknüpfen, was war und was sein wird. Auf der Suche nach den Erinnerungen. Im Garten des Elternhauses trifft er auf ein 8jähriges Mädchen, Tanja. Sie fasziniert ihn, ihr offenes, lebensstrotzendes Wesen, ihre Unbekümmertheit, Ungezwungenheit und ihre Selbständigkeit, ihre Neugier, ihr Selbstbewußtsein und vor allem ihre Unbekümmertheit.
Er beobachtet sie. Gegenseitig legen sie sich Spuren, hinterlassen kleine Präsente.

Karl ist kein Protagonist, der einem ans Herz wächst. Die personale Erzählperspektive aus Sicht von Karl erlaubt dem Leser sein Handeln und seine Gedanken mitzuverfolgen. Seinen Blick zurück in seine Kindheit und Jugend, die kurz angerissen wird, seine Ängste und Gefühle bei seiner Rückkehr. Wir erleben, wie er Tanja beobachtet, seine Handlungen und Reaktionen. Dennoch muss sich der Leser selber fragen, was fasziniert ihn, den 26jährigen, an einem 8jährigen Mädchen ? Karl ist keiner, der überaus symphatisch erscheint, eher einer, der aufgrund seiner Kindheit versucht aus seiner gefühlsarmen Welt, seiner Verlorenheit, zu entkommen. Der erst lernen muss Gefühle zu entwickeln und sich dabei auf die Ebene des 8jährigen Kindes begibt und mit ihren Augen die Welt neu entdecken will.

Ein Buch, bei dem die Autorin auch mit den Gefühlen der Leser spielt. Die Handlung verändert sich mit seinen Protagonisten, es gibt im letzten Drittel einen Zeitsprung, die Protagonisten sind älter geworden und damit auch ihre Gefühle, ihre Handlungen, die nichts mehr vom Spielerischen haben. Jetzt sind es die großen Gefühle, die zugelassen und losgelassen werden.
Ich möchte hier aber nicht zu viel verraten.

Es ist ein Buch, über das man lange nachdenkt, dass nicht einfach in irgendwelche Schubladen passt, das aneckt, manchmal auch verstört, aber das auch berührt. Die Protagonisten im Buch haben viele Ecken und Kanten, sind nicht glattgeschliffen, sind ambivalent, sperrig.
Karl, der Erwachsene, in dem noch so viel Kind steckt, der sich selbst finden muss und doch immerzu den Spuren anderer folgt, ist für den Leser einerseits greifbar und vorstellbar, anderseits auch verstörend.
Tanja, das Mädchen, ihr Hintergrund bleibt blass, sie ist oft wie ein Frühlingshauch, mal hier und dann wieder weg.
Das Buch liest sich wie ein Tanz, mit schnellen Bewegungen, aber auch ausdrucksstarken Bildern.

Herrausragend bleibt diese gewaltige Sprache, die den Roman zu etwas ganz besonderem macht.

Veröffentlicht am 07.02.2018

Ein Blick auf die Weite und die Einsamkeit

Lied der Weite
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Eigentlich ist es kein spannendes Buch, eigentlich ist es eher ein stilles, unaufgeregtes Buch, dass uns als Leser einen Einblick gibt auf eine (fiktive) Kleinstadt Holt und einige seiner (einsamen) MItbewohner. ...

Eigentlich ist es kein spannendes Buch, eigentlich ist es eher ein stilles, unaufgeregtes Buch, dass uns als Leser einen Einblick gibt auf eine (fiktive) Kleinstadt Holt und einige seiner (einsamen) MItbewohner. Da sind Tom Guthrie und seine beiden Söhen Ike und Bobby, deren Mutter die Familie verlässt. Die beiden alten Brüder McPheron, die auf einer abgelegenen Farm leben, die Lehrerin Maggie, die mit ihrem dementen Vater zusammen lebt und Victoria, die mit 17 Jahren schwanger wird und von ihrer Mutter auf die Straße gesetzt worden ist. Sie alle leben in dieser Stadt. Ihre Wege kreuzen sich, verbinden sich - auf vielfältigen und unterschiedlichen Wegen.

Aber mIr hat gerade das "Unaufgeregte" in diesem Roman gefallen, der fesselnde Stil, da Haruf es schafft uns als Beobachter mit in diese Stadt und zu diesen Menschen mitzunehmen, ohne zu bewerten, ohne gefühlsselig zu werden. Wir sind einfach als Leser dabei, beobachten, erleben mit und begleiten die Menschen auf ihren Wegen. Dabei gelingt es dem Autor oft auch eine sehr humorige Note mit hinein zu bringen, z.B weil er ganz nebenbei Vergleiche anbringt, die zum Schmunzeln sind, oder einfach, weil die McPheron-Brüder mal wieder in ihrer etwas unbeholfenen Art, mit dem Herz auf dem richtigen Fleck, für einen Lacher sorgen.

Die Einsamkeit verbindet die Protagonisten, ihre Suche nach Familie, Geborgenheit. Manchmal ist es erst der Weggang eines Menschen, der die zurück Gebliebenen merken lässt, dass eine Lücke, eine Leere entstanden ist, die wieder gefüllt werden muss.

MIr hat besonders gefallen, dass Haruf so einen Mikrokosmos von ganz normalen Menschen, mit Schwächen und Träumen, mit Fehlern, mit Humor, mit Mitgefühl, Prinzipien und Sorgen geschaffen hat, so dass alles irgendwie zu einer typischen amerikanischen Kleinstadt mitten in den Great Plains zu passen scheint, das Leben, Arbeiten, Lieben und auch die Einsamkeit.

Und auch wenn es kein Spannungsroman ist, haben mich der Erzählstil und die Verwicklungen und Entwicklungen in diesem Roman gefesselt. Haruf begeisterte mich mit einem detaillreichen, mitreissenden, eindringlichen, fesselnden Stil. Er vermag Melancholie mit Humor zu verbinden - und das hat mir vergnügliche und interessante Lesestunden beschert.

Veröffentlicht am 25.11.2017

Psychologische Tiefe

Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
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Der neue Roman von John Green ist auch gleichzeitig eine sehr persönliche Geschichte, denn es geht um Angststörungen. Aza, die 16jährige Hauptprotagonistin leidet sehr unter ihren Ängsten und ihren Zwangsstörungen. ...

Der neue Roman von John Green ist auch gleichzeitig eine sehr persönliche Geschichte, denn es geht um Angststörungen. Aza, die 16jährige Hauptprotagonistin leidet sehr unter ihren Ängsten und ihren Zwangsstörungen. Green schreibt hier aus eigener Erfahrung heraus, auch wenn die Geschichte natürlich eine rein fiktive ist. Dennoch - mit dem Wissen liest sich das Buch noch viel intensiver.

Aza Holmes zieht sich oft in ihre eigene Welt zurück, sie hat früh ihren Vater verloren und hat manische Angst vor Krankheiten. Sie ist seit Jahren in psychologischer Behandlung. Als eines Tages der Milliadär Pickett verschwindet, lässt sie sich von ihrer Freundin Daisy dazu überreden, sich wegen der ausgesetzen Belohnung auf Spurensuche zu begeben. Dabei trifft sie Davis wieder - den Sohn des Verschwundenen, den Gleichaltrigen hat sie vor Jahren in einem Ferienlager kennengelernt, doch ein Kontakt bestand seit Jahren nicht mehr. Die Suche nach seinem Vater tritt mehr und mehr in den Hintergrund - im Vordergrund stehen die Beziehungen zwischen Daisy und Aza, aber auch die Gespräche und beginnende Freundschaft zwischen Aza und Davis. John Green hat es geschafft, die Jugendlichen lebendig werden zu lassen, mit all ihren Problemen, Gedanken, Gefühlen, dem Alltag, den Sorgen, aber auch mit ihren Hoffnungen, Zukunftsplänen, ihrer Verliebtheit.

Es ist kein Roman, der von Abenteuer und Action handelt (vom Klappentext könnte man das erwarten), vielmehr ist es ein Buch, dass all das vorher beschriebene in so vielen Facetten in Worte und Handlungen fassen kann, dass man - einmal angefangen - einfach weiter lesen muss, und sich am Ende mit Wehmut wieder von den Protagonisten trennt.
Es ist auch wichtiges Buch, denn es zeigt die Schwere und Last, die ein Mensch, der unter Zwangshandlungen und Ängsten leidet, zu stemmen hat und wie schwer es auch ist, demjenigen zu helfen nicht zu stark in der eigenen Gedankenspirale zu versinken. Aber es zeigt auch gleichzeitig, wie wichtig es ist, demjenigen dabei die Hand zu halten. Allen, die darunter leiden, zeigt es, dass man nicht alleine mit seinen Problemen ist und dass es auch Hilfe gibt.

"Du erinnerst dich an deine erste Liebe, weil sie dir zeigt, weil sie der Beweis dafür ist, dass du lieben kanst und geliebt werden kannst, dass außer Liebe ncihts auf der Welt verdient ist, dass Liebe sowohl der Weg ist, der dich zum Menschen macht, als auch der Grund". Zitat, S. 280

Es sind Sätze wie solche, die diesen Roman wieder zu einer kleinen Perle machen. Dialoge zwischen den Protagonisten, die tiefgründig sind, Gedanken, die das Innere nach außen drehen. Und trotz aller Schwere, die eindeutig auch zum Roman gehört, schafft es Green immer wieder auch humorvolle Szenen einzubauen und vor allem Lichtblicke und Ausblicke.

Veröffentlicht am 12.08.2017

Kurzgeschichten-Band

Fünf Freunde meistern jede Gefahr
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Wer kennt sie nicht die "Fünf Freunde" von Enid Blyton. Neu aufgelegt, mit ansprechenden Covern versehen, jedes Kapitel mit einer Zeichnung versehen, so erschienen nun im cbj Verlag zwischen 2015 und ...

Wer kennt sie nicht die "Fünf Freunde" von Enid Blyton. Neu aufgelegt, mit ansprechenden Covern versehen, jedes Kapitel mit einer Zeichnung versehen, so erschienen nun im cbj Verlag zwischen 2015 und 2017 die 22 Einzelbände und zusätzlich das Buch mit den Kurzgeschichten als Band 23. Die Cover kennzeichnen alle das markante zackige runde Zeichen auf der Titelseite und der bunte Buchrücken. Der Clou beim Aneinanderstellen aller Bände ergibt sich auf dem Buchrücken ein weiteres Bild mit den fünf Freunden.


Ich habe allerdings mit meinem 9jährigen Sohn die ebook-Version gelesen. Mir waren die Fünf Freunde schon aus meinen Jugendjahren bekannt, mein Sohn kannte die Geschichten um die Fünf Freunde bisher nicht. Daher war das Lesen der Kurzgeschichten ein guter Einstieg.
Bei der ebook-Version habe ich meist vorgelesen. Bei einem Print-Exemplar ist das Lesen für junge Leser einfacher. Ich denke, dass empfohlene Lesealter des Verlages mit 8 Jahren ist mit Unterstützung möglich, ansonsten zum Selberlesen ab 10 Jahren. Hierbei ist natürlich die individuelle Leseerfahrung und Eignung des Einzelnen massgeblich entscheidend.

Die Geschichten um George & Timmy, Anne, Dick und Julian, die rätselhaften Vorkommnisse, die die Kinder aufklären, bei der die Kleinen die Großen sind, können auch heute noch junge ( und ältere) Leser begeistern.

Veröffentlicht am 10.07.2017

Geschichte mit Sogwirkung

Schere, Stein, Papier
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Der Vater von Thomas und Jenny stirbt. Ein einfacher Trauerfall ? Mitnichten, denn die Beziehung der drei war mehr als schwierig. Die Mutter hat die Familie schon früh verlassen, der Vater war oft handgreiflich ...

Der Vater von Thomas und Jenny stirbt. Ein einfacher Trauerfall ? Mitnichten, denn die Beziehung der drei war mehr als schwierig. Die Mutter hat die Familie schon früh verlassen, der Vater war oft handgreiflich gegenüber seinen Kindern, ein Kleinkrimineller, der ihnen das Leben nicht leicht gemacht hat. Sein Tod reißt alte Wunden wieder auf.
Das Erbe besteht nur aus Schulden - ein letzter Gang in seine verwahrloste Wohnung. Ein Erinnerungsstück will Jenny behalten, seinen Toaster. Als Thomas ihn repariert macht er eine unglaubliche Entdeckung: zwei Geldpäckchen. Heimlich schiebt er sie sich unter den Pullover, erzählt auch seiner Lebensgefährtin Patricia nichts davon. Der Tod, die Entdeckung des Geldes und die Bekanntschaft mit Luke, dem "Jungen", der anscheinend so viel Zeit mit Jacques, Thomas Vater, verbracht hat und so viel zu berichten hat - über Ereignisse und Erlebnisse, die Thomas nie mit seinem Vater erlebt hat - all dies setzt bei Thomas eine Veränderung seiner Gedanken, seines Verhaltens in Gang, dass ihn unaufhörlich immer weiter in den Abgrund zieht......


Das Buch ist kein einfaches Buch. Es fordert den Leser heraus, sich auf diese Geschichte einzulassen. Es ist kein Spannungsroman, sondern ein Roman, der so viele Ereignisse, so viele Veränderungen so genau beschreibt, dass man als Leser das Gefühl hat, selber in der Haut von Thomas, aus dessen Sicht erzählt wird, zu stecken.
Grandios aus meiner Sicht ist, wie gut die Autorin diese Veränderungen, die Thomas durchlebt, realistisch und vor allem nachvollziebhar erzählt. Es ist ein schleichender Prozess, der nicht nur ihn, sondern durch ihn auch seine Lebensgefährtin, seine Familie und seine Freunde betrifft.
Durch die Beschreibungen, die gut gesetzten Dialoge und Ereignisse, die sich immer weiter dramatisieren, die immer wieder härter und agressiver werden, fühlt man sich auf dieser Abwärtsspirale wie in der ersten Reihe. Das besondere darin ist, dass die Autorin Naja Marie Aidt die Protagonisten so gut skizzieren kann. Vor allem voran natürlich Thomas, dessen Innenleben wir beobachten können. Aber auch die anderen Patricia, Jenny, seine Nichte Alice und weitere Verwandte, sein Freund und Kollege Maloney, sie alle werden in diesem Buch lebendig - sie sind und bleiben keine starren Figuren, sondern verändern sich, entwickleln sich. Dies zu beschreiben, so dass es so echt wirkt, ist eine Kunst.

Fazit:
Sehr gut beschriebener Roman über die Auswirkungen von Vergangenheit gepaart mit Kurzschlusshandlungen, über große Gefühle wie Eifersucht, Liebe und Freundschaft.
Was verändert einen Menschen ? Wie weit wird er getrieben von seinen eigenen Gefühlen und Wünschen ? Wie weit nimmt er in Kauf andere zu verletzen - und wie weit kann er sich dabei einreden, dass alles nur zum Besten geschieht ?
Der Roman von Naja Marie Aidt erzählt die Entwicklung eines Menschen, dessen Abwärtsspirale ihn immer tiefer nach unten zieht....