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Veröffentlicht am 09.05.2023

Nachhallend

Girl A
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„Girl A“ erzählt keine klassische Anfang-Verlauf-Schluss-Geschichte; dieser Roman ist achronologisch aufgebaut und wirkt dabei ähnlich zerbrochen wie die Figuren, von denen er erzählt. Im Fokus steht das ...

„Girl A“ erzählt keine klassische Anfang-Verlauf-Schluss-Geschichte; dieser Roman ist achronologisch aufgebaut und wirkt dabei ähnlich zerbrochen wie die Figuren, von denen er erzählt. Im Fokus steht das sogenannte „Girl A“, das, daraufhin zur Wahrung ihrer Anonymität als solches benannt, im Alter von 15 Jahren dem Elternhaus entkam, in dem ihre Geschwister und sie zwischenzeitlich seit Jahren gefangengehalten und von ihren Eltern, insbesondere dem immer mehr religiösem Wahn verfallenden Vater, misshandelt wurden – diese Vorgänge liegen in „Girl A“ bereits lange zurück, aus Lex, eben jenem „Girl A“, ist inzwischen eine in New York lebende Anwältin geworden, die nun nach dem Tod der Mutter, dem letzten gelebt habenden Elternteil, zurück nach Großbritannien reist, da diese sie testamentarisch betraut hat, den Nachlass abzuwickeln, der im Wesentlich aus dem inzwischen verfallenen „Horrorhaus“ besteht – Lex ist somit nicht nur gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen, was weiterhin mit diesem Haus geschehen soll, sondern dies auch mit ihren Geschwistern zu besprechen… an dieser Stelle hakte „Girl A“ für mich ein wenig, da erklärt wurde, dass die Kinder nach ihrer Rettung alle getrennt voneinander untergebracht und später vor Allem sämtlich adoptiert worden waren; für mich blieb es da etwas zu vage, wieso die Kinder hinsichtlich der leiblichen Mutter erbberechtigt gewesen sein sollten: Rührte das noch vom früheren Tod des Vaters her; hatte die Mutter sie nach und trotz all der Geschehnisse einfach weiterhin als Begünstigte benannt…? Wieso war das Haus nicht nach der Rettung der Kinder, z.B. zur Begleichung der Anwaltskosten, längst verkauft worden? Aber gut: die Opfer waren nun also plötzlich für den Tatort verantwortlich, und dieses Buch erzählt davon, wie Lex mit all ihren Geschwistern darüber reden muss, wobei sie mit der Erinnerung konfrontiert wird, dass sie sich auch in Gegenwart einer Therapeutin schon immer schwertat, über das zu reden, was ihren Geschwistern und ihr damals widerfahren ist.
Da schwenkt der Roman von Szenen der Gegenwart, in denen Lex hauptsächlich ihre Geschwister nacheinander aufsucht und in denen gezeigt wird, wie es jenen nach ihrer Befreiung weiterhin ergangen ist, zu Rückblenden, in denen Lex sich erinnert, wie sie vom relativ normal aufwachsenden Mädchen zum zunächst vernachlässigten und später zum eingesperrten und misshandelten Kind wurde. Es gibt übrigens keine auffallend bildhaften Darstellungen der Gewalt, die die Geschwister durchmachen mussten; hier scheint alles sehr vage durch und lässt letztlich zwar keinen Zweifel, aber man muss doch schon ein wenig aufmerksamer lesen, um das Grauen zu erfassen. Während des Lesens fand ich es zwar mitunter schwierig, weil mir alles teils so unklar geschildert zu sein schien und manches quasi über Nacht völlig extrem geworden war (wurde z.B. vorher zwar mal das zu wenige Essen und das Hungergefühl angesprochen, war eines der Kinder aber „plötzlich“ nicht „einfach nur“ hungrig, sondern buchstäblich bereits am Verhungern), aber im Nachhinein war das sehr geschickt gemacht, weil „Girl A“ eben spezifisch von Lex erzählte und man so eigentlich krass verdeutlicht bekam, dass bei ihr Verdrängungsmechanismen immer noch fleißig Rädchen drehten, und dass sie bestimmte Dinge/Situationen tatsächlich wohl gar nicht mehr erinnerte oder noch die mutmaßlich besseren Dinge im Gedächtnis hatte, wie der Vater der die Kinder auslachte, dass sie angesichts eines verfaulten Schimmel-Irgendwas tatsächlich glaubten, er würde sie zwingen, sowas zu essen. Oder dass ihr bestimmte Dinge letztlich gar nicht mehr auffielen, weil sie auf alle Geschwister zutrafen und sonstige Vergleichsmöglichkeiten inzwischen ja fehlten.

Spannend fand ich letztlich aber auch die Darstellungen der Geschwister, die allesamt grundverschieden waren und bei denen sich zeigte, wie hilflos die Geschwister auch im Umgang miteinander noch waren und dass alle sehr anders mit ihrer Herkunft umgingen bzw. dass sich teils auch zeigte, wie sehr man auch von den Eltern geprägt worden war.

Insgesamt ein sehr bedrückendes Buch, bei dem man, nicht zuletzt im Wissen, dass es derlei Befreiungsschläge schon gegeben hat und dass die hier geschilderten Verhältnisse durchaus Realitäten entsprechen, auch nicht umhinkommt, sich zu fragen, was passiert und wie es endet, wenn niemand entkommen kann.

Veröffentlicht am 05.03.2023

Tagebuch zum Drüberstolpern

Ohne mich
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In diesem eigentlich zeitgenössischen Roman ist die Protagonistin Mitte 20 und damit generationstechnisch hinter mir angesiedelt, aber ich habe „Ohne mich“ tatsächlich als insofern zeitlos empfunden als ...

In diesem eigentlich zeitgenössischen Roman ist die Protagonistin Mitte 20 und damit generationstechnisch hinter mir angesiedelt, aber ich habe „Ohne mich“ tatsächlich als insofern zeitlos empfunden als dass die Erzählung mich durchaus auch an den Millenniumswechsel zurückzuversetzen vermochte: Da ich bei Münster großgeworden bin und einige Mitschülerinnen doch auch dort studiert haben, ehe es sie mal weniger mal deutlich entfernter weit verstreut hat, hatte ich ohnehin eine breitere Identifikationsbasis und ich bin mir wirklich unsicher, ob diese Novelle für mich ansonsten überhaupt fassbar gewesen wäre, ganz egal, ob ich die Gedankenspiele der Erzählerin habe nachempfinden können.
Prinzipiell ist „Ohne mich“ ein einziges Gedankenspiel: die Erzählerin gibt, ohne auch nur einmal ins Zaudern zu geraten, direkt wieder, was in ihrem Kopf vor sich geht, erzählt dabei von aktuellen Begebenheiten…. es ist als läse man ein schnell heruntergerattertes Tagebuch. Nicht nur dass ihre Kurzzeitehe bereits geendet ist, neigt sich nun auch das Studium der erzählenden Figur dem Ende zu und symptomatisch wird letztlich nur gefragt, was der Eine mit dem abgeschlossenen Philosophiestudium mit diesem denn nun überhaupt anfangen wolle, während sowohl Protagonistin als auch ihre Jura-Kommiliton
innen zuvor diskutieren, welche berufliche Richtungen sie nun eigentlich mit ihren Jura-Abschlüssen einschlagen wollen, ehe der Erzählerin auffällt, wie „unfertig“ die eben zu Ende studiert Habenden wirken, wenn man sie mit denen vergleicht, die nach der Schule im Heimatort ansässig geblieben sind, eine Ausbildung begonnen haben, teils bereits geheiratet und Kinder bekommen, und deren Umfeld immer weitgehend gleich geblieben ist. Partiell wirkte die Erzählerin für mich wie am Rande einer Depression stehend, teilweise befürchtete ich ein Alkoholproblem und war erleichtert, als an einer Stelle bekundet wurde, dass sie nun drei Monate keinen Alkohol getrunken habe (was ihr offensichtlich nicht schwergefallen war), aber im Großen und Ganzen lebte man hier ein Jahr lang mit einer Figur mit, die alles mit sich selbst auszumachen versuchte bzw. alle Belastungen vor sich hin- und weiterzusammenschob, dass man erahnte: Irgendwann würde sie ins Stolpern geraten.
Da war ich zwischendurch tatsächlich versucht, ans Ende zu linsen, um zu erfahren, ob die Erzählerin ihre eigene Geschichte überhaupt überleben würde oder ob der Titel „Ohne mich“ womöglich einfach nur auf das Romanende anspielen würde. Ferner habe ich ein paar Mal zum Buch gegriffen und es direkt wieder beiseitegelegt, weil ich mich in jenen Momenten kaum auf die irgendwie träge, irgendwie überdrehte Erzählung einlassen konnte, zu erdrückend fand ich die Wucht, mit der die Geschichte da auf mich zukam. Letztlich habe ich, um dieser greifbaren Beklemmung zu entgehen, einen sonnigen Tag abgewartet, an dem ich mich nachmittags nach draußen auf den Balkon setzen und mir die Sonne während des Lesens ins Gesicht scheinen lassen konnte. So, zwar im sicheren Zuhause, aber ohne vier Wände direkt um mich herum, habe ich „Ohne mich“ dann, und zwar sehr gefesselt, am Stück gelesen.

Letztlich weiß ich gar nicht so recht, was ich mit diesem Werk anfangen soll: eine echte Geschichte erzählt es nicht, für mich war es aber ein Buch, das leise „Du bist nicht alleine, Anderen geht es auch so, diese Gedanken sind normal“ schrie. Am Ende habe ich es wirklich gerne gelesen, aber ich habe keine Ahnung, wem ich diese Lektüre weiterempfehlen wollen würde, zu welchem Anlass (und wiederum: an wen) ich ein Exemplar hiervon verschenken würde. Ich glaube, das ist ein Roman, über den man im besten Falle einfach von sich aus stolpert, so wie die Erzählerin über ihren weiteren Lebensentwurf stolpert.

Veröffentlicht am 13.01.2023

Nett zum Hintergrund-Enträtseln

Das Hotel
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Ich war in der Erwartung eines Mysterythrillers, der womöglich paranormale Elemente beinhalten könne, an das Lesen dieses Buchs gegangen: Tatsächlich habe ich „Das Hotel“ nun aber eher als Drama empfunden, ...

Ich war in der Erwartung eines Mysterythrillers, der womöglich paranormale Elemente beinhalten könne, an das Lesen dieses Buchs gegangen: Tatsächlich habe ich „Das Hotel“ nun aber eher als Drama empfunden, bei dem bis zur Auflösung unklar blieb, ob es sich nun eher im Bereich Spiritualität oder SciFi abspielte.

Die als Ich-Erzählerin auftretende Protagonistin erwacht regelmäßig aufs Neue mit dem Gedanken „Endlich Urlaub!“ in einem Hotelzimmer und erlebt in dieser Ferienanlage, in der alles perfekt zu sein scheint, dennoch sehr diffuse Tage, die von Gedankenfetzen und Erinnerungsfragmenten, nicht greifbaren Flashbacks, durchdrungen sind. Mit einer Geschichte wie sie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erzählt kann „Das Hotel“ aber nicht verglichen werden, denn die Hauptfigur Alice ist sich nicht bewusst, dass sie diese Dinge schon einmal erlebt hat, dass sie Personen bereits kennengelernt hat etc., sie hat lediglich stets so ein vages Déjà-vu-Empfinden. Mit jedem Neubeginn ihres Urlaubs haben sich auch kleine Details verändert und wer hier nicht wirklich aufmerksam liest, den dürfte die Geschichte vermutlich bald langweilen, denn die Tage sind eben doch sehr gleich. Für mich bestand die hauptsächliche Spannung eigentlich nur darin, was sich quasi von einem Tag zum anderen geändert hatte, und zu rätseln, warum das so sein könnte. Zudem erlebt Alice immer mal wieder „weiße Bilder“, ganz so, als befinde sich ihre Urlaubsumgebung in einer Art Matrix.

Ohne zu spoilern: Nach dem ersten Zehntel des Romans, also quasi mit dem Ende der gängigen Leseprobe, war ich mir sehr sicher, dass „Das Hotel“ eine gegenwärtige Nahtoderfahrung berichtet und Alice tatsächlich um ihr Leben kämpfend auf einer Intensivstation läge. Von diesem Glauben habe ich nie wirklich abgelassen, aber so ab der Hälfte gab es immer wieder Momente in der Geschichte, die mich mit dieser Theorie doch auch haben hadern lassen; aber da fühlte ich mich dann auch sehr an „Im nächsten Leben wird alles besser“ von Hans Rath erinnert – die Auflösung hat mich tatsächlich auch ein wenig überrascht, obschon sie weitgehend einer der vier Szenarien entsprach, die ich mir bis dahin zurechtgelegt hatte; zugleich war sie mir aber auch ein bisschen zu kaputterklärt. Denn während die Geschichte zuvor sehr viel auf Empfindungen, Stimmungen und Wahrnehmungen basierte, wurde sie letztlich eher eiskalt und nüchtern, fast schon technisch, erklärt und Alice schilderte plötzlich, grade im Vergleich zuvor, kaum noch, was sie fühlte und das passte für mich nicht so recht, da sie es schließlich war, die sich hier plötzlich mit diesem ganz großen Knall konfrontiert sah.

Ich habe „Das Hotel“ zwar gerne gelesen, aber es war nun auch keines dieser Bücher, die ich gar nicht aus der Hand legen konnte: Durch die ganzen ständig wiederholten Tagesabläufe fand ich die Geschichte, trotz der veränderten Nuancen in der Handlung, mitunter ebenfalls ermüdend, da hätte mir der Schluss auch ruhig bereits zu einem etwas früheren Zeitpunkt erfolgen können. Aber grad wer „Matrix“, das täglich grüßende Murmeltier und eben den erwähnten Rath-Titel mochte, dem würde ich „Das Hotel“ dennoch auch als Lektüre nahelegen.

Veröffentlicht am 06.12.2022

Völlig vorhersehbare clean romance, aber: irgendwie schön

Sehnsucht nach Sunset Rock
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Die Prämisse der Geschichte finde ich definitiv ein wenig konstruiert: da hat die Krebserkrankung eines schwerreichen Magnaten inzwischen gar das Endstadium erreicht und hier wird er sich plötzlich bewusst, ...

Die Prämisse der Geschichte finde ich definitiv ein wenig konstruiert: da hat die Krebserkrankung eines schwerreichen Magnaten inzwischen gar das Endstadium erreicht und hier wird er sich plötzlich bewusst, dass seine vor zig Jahren verstorbene Frau davon geträumt hat, ein Hotel in ihrer Heimatstadt zu erbauen, weswegen sein letzter Wunsch nun ist, dass dieser Traum noch wahrwerden möge. Da stellt sich natürlich die Frage, wieso er sich diesem Hotelbau nicht selbst schon sehr viel früher verschrieben hat oder wieso seine Krebserkrankung nun das Endstadium erreichen musste, bis seine Tochter plötzlich völlig überhastet agieren muss, um noch ganz schnell vor dem Tod des Vaters einen Hotelneubau vom Zaun zu brechen.
Auch dass Nathan, der sich selbst um den Kauf des mutmaßlichen Hotelgrundstückes bemüht, um dort eine Art Baumhaus-Ferienclub zu errichten, genau da bereits „einfach so“ einen Prototyp errichtet hat, wirkte ein wenig seltsam, zumal er in der direkten Nähe im Wald bereits eine Art Naturferienpark besaß, in dem er sicherlich auf eigenem Grund ein entsprechendes Baumhaus hätte bauen können, ohne sich wundern zu müssen, dass er sein Baumhaus nun noch wieder von einem fremden Grundstück abbauen sollte.
Da wirkte niemand auf mich wie wer, mit dem man größere Geschäfte abschließen sollte.

Aber gut, da ist nun also das Grundstück, auf dem so oder so Hotellerie betrieben werden soll: Der Eine, fest verwurzelt in der zugehörigen Stadt, will alles naturnah gestalten, die Andere, immerhin noch eine Großtante dort vorweisen könnend, erstmal den Wald abholzen – Letzteres sorgte in dem kleinen Städtchen abseits von Nathans empörter Familie für eher wenig Aufruhr, was ich auch schon eher unglaubwürdig fand. Da im Grunde nun beide Hauptfiguren letztlich das gleiche Ziel haben, ist das Ende jedoch von vornherein absehbar, erst recht, wenn man das Genre berücksichtigt sowie den Klappentext, der suggeriert, dass hiermit eine Reihe „mit ganz viel Baumhausromantik“ beginnt.
Da ist „Sehnsucht nach Sunset Rock“ (angesichts der Tatsache, dass sich fast die gesamte Handlung hier vor Ort zuträgt, ist der Titel, so romantisch er auch klingt, dabei doch eher seltsam gewählt) ein absolut typischer Romance-Vertreter; ich habe die Geschichte aber ganz gerne gelesen, zumal ich zuletzt einige teils sehr düstere Thriller gelesen hatte und es mich darum, und auch zur Einstimmung auf die Adventszeit, nach etwas Kuschlig-Romantischem und eher Leichtfüßigem verlangte. Zudem ist Nathans Familie sehr toll, und ich hoffe wirklich, dass es im nächsten Band dann um Nathans Schwester gehen würde. Ein Buch mit ihr als Hauptfigur würde mich wirklich reizen.
Was „Sunset Rock“ angeht, räume ich allerdings ein, dass es ungefähr das komplette letzte Fünftel für mich nimmer gebraucht haben würde; die Geschichte war eigentlich völlig auserzählt, als noch ein dramatischer Auftritt von Nathans Ex stattfand, von der ich mir (wie wohl auch Nathans Schwester) ohnehin nicht erklären habe können, wieso die Beiden je ein Paar waren. Dieser „Konflikt“ war da völlig überflüssig und passte für mich auch nicht so wirklich in das sonstige Gefüge der Handlung; irgendwie hatte das alles was von einer Schauspielerin, die sich einen Cameoauftritt eingeklagt hat, den niemand sehen, und das ganze Team auch nicht drehen, will.

In meinen Augen ist „Sehnsucht nach Sunset Rock“ ein geeigneter Kitschroman, wenn man mal was eher Schmalziges lesen möchte, das ohne besonderen Tiefgang daherkommt und im weitesten Sinne auch eher clean romance ist, denn heiße Szenen fehlen hier eigentlich komplett, ohne dass sie wirklich „fehlen“. Wer es gerne steamy mag, ist von daher eher fehl am Platz; hitzig sind hier allenfalls die ersten Aufeinandertreffen der Konkurrenten um das Grundstück. Also meiner groschenromanbegeisterten Großmutter würde ich diesen Roman durchaus empfohlen haben und ich bin mir sehr sicher, dass sie mir nach dem Lesen vorgeschwärmt hätte, „wie schöööööööön“ diese Geschichte doch war.

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Veröffentlicht am 19.11.2022

Spannung in und aus Schweden

Kalt und still
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Der „erste Fall“ für Hanna Ahlander ist natürlich nicht ihr erster Fall, sondern lediglich ihr erster Fall in einem neuen Umfeld: Infolge einer gegen ihr Dafürhalten eingestellten Ermittlung gegen einen ...

Der „erste Fall“ für Hanna Ahlander ist natürlich nicht ihr erster Fall, sondern lediglich ihr erster Fall in einem neuen Umfeld: Infolge einer gegen ihr Dafürhalten eingestellten Ermittlung gegen einen Kollegen, der verdächtigt wird, Gewalt gegenüber seiner Frau ausgeübt zu haben, wird sie auf ihrer bisherigen Dienststelle bei der Stockholmer Citypolizei, wo sie auf häusliche Gewalt spezialisiert ist, geschasst und vorerst beurlaubt, mit der dringenden Empfehlung, sich einen neuen Job zu suchen. Als ihr Lebensgefährte sich zeitgleich von ihr trennt und sie auffordert, in Bälde aus seiner, bislang von beiden bewohnten Wohnung auszuziehen, flüchtet sie sich auf Geheiß ihrer Schwester in das abgelegene Åre, wo eine 18jährige Schülerin nach einer Luciafeier spurlos verschwunden ist – und wo Hanna bald in Kontakt mit der dortigen, personell unterbesetzten Polizeidienststelle kommt… Tatsächlich beginnt die Hanna-Ahlander-Reihe somit reichlich typisch für eine Reihe Regionalkrimis: Man wird mit einer Gegend vertraut gemacht, in der sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, und in der die Polizei kaum mal etwas zu tun hat; dennoch wird deren Unterbesetzung ausschweifend beklagt und als total überraschend ein Kapitalverbrechen geschieht, taucht ebenso überraschend eine spezialisierte Person von sonstwo auf, die sich gleich in Pussemuckel anwerben lässt, wo ab da Roman um Roman ständig Schwerverbrechen passieren werden.
Was mir allerdings gefallen hat, war, dass der Fokus hier nicht ausschließlich auf Hanna lag, sondern die Perspektive immer wieder zwischen wesentlichen Figuren geswitcht ist; so wurden neben Hanna auch noch der örtliche Polizist und Ermittlungsleiter Daniel, der erst vor drei Monaten Vater geworden ist und sich nun schwertut, seiner Familie gerecht zu werden, sowie die Familie der verschwundenen Amanda, insbesondere ihre Eltern, näher beleuchtet. Häufig nervt es mich in Krimis, wenn neben dem Fall noch sehr viel Privatleben geschildert wird, aber hier empfand ich das als sehr angemessen und ausgewogen, da eben alles auch einen Bezug zur Polizeiarbeit hatte (wie ergeht es Opferfamilien; wie sehr belastet die Arbeit am Fall, grad wenn es noch dazu privat zuletzt große Veränderungen gegeben hat…?).
Das Einzige, was mich hier nun genervt hat, war, dass Hanna Blessuren an der verschreckten Reinigungskraft, die das Haus ihrer Schwester putzte, entdeckte und sofort stur deren Hintergründe klären wollte; das passte zwar einerseits zu ihrem Engagement und ihrer Profession in Sachen häuslicher Gewalt, aber andererseits unternahm sie hier sofort einen absoluten Alleingang, noch ehe sie überhaupt von der lokalen Polizei als Unterstützung angefragt worden war, und schreckte da auch nicht vor Einbruch zurück. Auch wenn sie dabei letztlich Relevantes entdeckte: Das hätte man auch deutlich „offizieller“ in die Handlung einbauen können; mir ist es da echt ein wenig aufgestoßen, dass Hanna, die sich dem Schutz vor körperlichen Übergriffen verschrieben hatte, da dann doch selbst in gewisser Weise ebenfalls übergriffig wurde und der Reinigungskraft, von der sie sicher war, dass sie ein Gewaltopfer war, und von der sie ganz genau wusste, wie sehr es sie zuvor erschreckt hatte, im vermeintlich leeren Haus von deren Schwester plötzlich Hanna gegenüberzustehen, letztlich in ein weiteres, fremdes Haus nachstellte und da wiederum plötzlich neben ihr auftauchte.

Generell bin ich aber an weiteren Hanna-Ahlander-Bänden interessiert; die Auflösung, nachdem bereits mehrere Verdächtige präsentiert worden waren, war hier zwar nicht völlig unerwartet, aber eben doch auch keine „Klischee-Lösung“, die man gleich zu Anfang schon hätte vorhersehen können; ich mochte es eben, wie auch die Auswirkungen der psychischen Belastung auf diverse Figuren beschrieben wurden und auch der Lokalkolorit der einsamen, in Schnee versinkenden Gegend und die Gefährdung durch die unwirtliche, eisige Wetterlage wurden sehr gut und quasi fühlbar (ich habe mich tatsächlich beim Lesen zum Schluss hin mit einer Wärmflasche eingemummelt) herübergebracht. Durchaus ein gelungener Reihenauftakt!