Thorkild Aske, suspendierter Verhörspezialist der Polizei, wird aus dem Gefängnis entlassen. Seelisch am Abgrund, geplagt von Schuldgefühlen und unter starken Schmerzen leidend, erwartet ihn außer einer unendlichen Leere lediglich ein Resozialisierungsprogramm des Arbeitsamtes.
Nach einem Gespräch mit seinem Freund und Psychologen Ulf, überredetet ihn dieser nach dem vermissten Rasmus Moritzen zu suchen, der hoch im Norden Norwegens auf einer kleinen Leuchtturminsel ein Erlebnishotel baut. Unter Ulfs Androhung, Thorkild die morphinhaltigen Medikamente zu verwehren, die der so dringend benötigt und hinsichtlich einer nicht beglichenen Schuld gegenüber der Familie Moritzen, reist Thorkild schließlich ans tobende Meer Nord Norwegens, um Rasmus zu suchen.
Herbstlich stürmisch wütet das Meer, als Thorkild auf der Schäreninsel ankommt. Labil erschöpft und im medikamentösen Delirium entdeckt er eine Frauenleiche ohne Gesicht und kurz darauf sieht er einen Taucher, der die Frau zurück ins Meer zieht. Die von Thorkild zur Hilfe gerufen Lensmänner (ländliche Polizisten), kommen nie auf der Leuchtturminsel an.
Selbstzweifelnd, ob er tatsächlich eine Frauenleiche gesehen hat, ist er dennoch der Letzte, der zu den verschwundenen Polizisten Kontakt hatte. Für die hinzugerufene Tromsøer Polizei, wird er zum wichtigen Zeugen und bald steht er unter Verdacht.
Thorkilds Ermittlerinstinkt kehrt zurück.
Der Autor:
Heine Bakkeid, Jahrgang 1974, ist in Norwegen ein renommierter Jugendbuchautor. «... und morgen werde ich dich vermissen» ist sein erster Kriminalroman und Auftakt der Reihe, die in 11 Ländern erscheint. Bakkeid beherrscht die Kunst des filmischen Erzählens, die raue, maritime norwegische Landschaft ist die perfekte Kulisse dafür.
Reflektionen:
... und morgen werde ich dich vermissen ist ein Thriller mit einer atemraubenden und intensiven Atmosphäre, von dem man nur schwer loskommt.
Diesen Thriller liest man nicht nur, sondern man hört auch das Rauschen und das Toben des wilden Meeres. Man hört wie Gischt spritzt, wie Wellen brechen und wie Luftblasen aus den Lungenautomaten von Tauchern blubbern.
Heine Bakkeid schreibt in einer bebilderten, aber klaren und flüssigen Sprache, die wie ein perspektivisch gemalter Hintergrund, in jedem seiner Sätze eine klangvolle Satzmelodie komponiert.
Atmosphärisch dicht und psychologisch intelligent aufgebaut, entwickelt sich bereits kurz nach dem angenehmen Einstieg in die Geschichte ein Sog, der den Leser für sich einnimmt. Dieser Sog ist nicht stetig mit Tempo gleichzusetzen, es gibt auch hier und da Längen, die jedoch in Einklang mit der Handlung und Stimmung auf ihre Weise wirken.
Die Grundstimmung liegt zunächst diffus, nicht greifbar, im Nebel. Sie ist ein Schleier aus mentaler und medikamentöser Verwirrtheit, Angst oder Verzweiflung der Figur Thorkilds. Ab und zu schwappt sie über ins parapsychologische, als Thorkild auf die Frau eines Muschelfarmers trifft, die als Medium übernatürliche Kräfte besitzt und mit ihm eine Séance mit schwerwiegenden Folgen abhält.
Zunächst ist nicht klar, was die Handlung bereithält. Es scheint, als sei das mentale Wrack Thorkilds in einem Nebel aus Medikamenten gefangen, in dem er sich letztendlich verliert. Seine subtile bis bizarre Gedankenwelt ist nicht sofort zu durchschauen und man erwartet fast, dass dieser Thriller ausschließlich auf psychologischer Ebene weiterspielt. Als dann Thorkilds Ermittlerinstinkt geweckt wird und der Polizist in ihm erwacht, spielt Heine Bakkeid mit diesen beiden Perspektiven und er ergänzt sie noch um weitere. Erleichtert darüber, dass die psychologische Ebene nicht allein agiert, liefert der Autor einen spannenden und informativen Rückblick, der den Leser darauf schließen lässt, was in Thorkilds Leben schiefgelaufen ist und was in dem Keller des Gefängnisses geschah.
Thorkild, der perfekte Sündenbock, kämpft mit sich und seinem Umfeld. Medikamentenabhängig und psychisch am Ende seiner Kräfte, kämpft er sich als Einzelgänger durch diese Geschichte. Als er von der Polizei verhört wird und sein ehemaliger Chef auftaucht, der noch eine Rechnung mit ihm offen hat, wird es verbal und körperlich gewalttätig, so dass einiges an Blut fließt. Grundsätzlich fließt in diesem Thriller nicht viel Blut, aber es gibt einige unschöne Szenen, die einem zart Besaiteten Leser den Magen umdrehen könnten.
Im Verhör und in zahlreichen Gesprächen beweist sich Thorkild als redegewandter Gesprächspartner und auch Gegner. Neben den nebeligen Gedanken der Figur, sind es authentische und knackige Dialoge, die die Handlung anpfeffern und erfrischen.
Gut inszeniert ist die rückblickende Beziehung von Frei und Thorkild, die durch ein Kennenlernspiel ein kurzes aber feuriges Intermezzo liefert, bevor es emotional zum Worst Case Szenario kommt.
Heine Bakkeid ist es durch die intensive Zeichnung des Charakters Thorkild gelungen, ein überzeugendes Debüt zu schreiben. Auf der einen Seite taucht er außergewöhnlich tief ein in die Psyche dieser schwer labilen Figur ein und auf der anderen Seite kreiert er mit ihr einen spannenden Ermittler-Thriller, der den Leser sehnsüchtig auf einen nachfolgenden Thriller warten lässt.
Gegen Ende, als Thorkild als Ermittler im Vordergrund steht, löst Bakkeid vollkommen auf, doch auf der letzten Seite hinterlässt er einen Cliffhanger, der noch lange nachknistert.
Fazit und Bewertung:
... und morgen werde ich dich vermissen ist ein atmosphärisch dichter, psychologisch intelligent aufgebauter Ermittler-Thriller. Er ist spannend, präsentiert eine herausstechende Figur und er ist in einer bebilderten Sprache geschrieben, die wie ein perspektivisch gemalter Hintergrund jedem Satz eine klangvolle Satzmelodie zukommen lässt.
Leseempfehlung.
©nisnis-buecherliebe