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Veröffentlicht am 27.05.2023

Und dann war mal wieder so ein Tag…

Die unglaubliche Grace Adams
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„Die unglaubliche Grace Adams“ hat‘s nicht leicht. Ihr Mann ist ausgezogen, die Teenagertochter lebt mittlerweile bei ihm und will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Und auch beruflich läuft es nicht mehr ...

„Die unglaubliche Grace Adams“ hat‘s nicht leicht. Ihr Mann ist ausgezogen, die Teenagertochter lebt mittlerweile bei ihm und will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Und auch beruflich läuft es nicht mehr rund. Zu viele Fehltage kosten sie die Stelle als Teilzeit-Lehrerin und durch verpasste Abgabetermine ist sie nun auch ihren Nebenjob als Übersetzerin von Schundromanen los. Und dann sind da noch die Hitzewallungen und die Stimmungsschwankungen. Was ist geschehen? Wie konnte bloß alles so aus dem Ruder laufen?

Jetzt hockt sie bei brütender Hitze mit hochrotem Kopf in ihrem Auto, ist auf dem Weg zu der Geburtstagsfeier ihrer Tochter, obwohl sie dort nicht erwünscht ist. Um sie herum die Blechlawine des üblichen Staus in Nordlondon, hupende Autofahrer, glotzende Blicke. Sie hat die Nase voll, ist wütend, genervt, dreht den Zündschlüssel herum, öffnet die Autotür, steigt aus, lässt das Auto mitten auf der Straße stehen, kümmert sich nicht um das wütende Geschrei der anderen Autofahrer und macht sich zu Fuß auf den Weg. Fest entschlossen, ihr Leben und ihre Bezeihungen wieder in Ordnung bringen. Doch so einfach ist das nicht…

Fran Littlewood arbeitet in ihrem Roman mit Rückblenden, um uns Graces Geschichte näher zu bringen, und diese sind wesentlich besser gelungen als die Beschreibung ihres hektischen Fußmarschs durch die Londoner Straßen. Die Rückblenden sind humorvoll und mit feiner Ironie beschrieben. Im Gegensatz dazu ihr gegenwärtiges Verhalten, das von nur schwer nachvollziehbaren Wutanfällen, teilweise auch Gewaltausbrüchen geprägt ist, mit denen sie das Verhalten derjenigen quittiert, die ihr auf dem Weg dumm kommen. Unüberlegt und unverhältnismäßig, Menopause hin oder her. Mich konnte die Autorin mit dieser extremen Verhaltensänderung, die sie Grace als Befreiung von überholten Klischees in der Gegenwart zuschreibt, nicht überzeugen.

Veröffentlicht am 25.05.2023

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Flashback
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Amos Decker wird von der Vergangenheit eingeholt, als er am Geburtstag seiner Tochter an ihrem Grab in Burlington, Ohio steht. Der alte Mann, der ihn auf dem Friedhof anspricht, wurde wegen Mordes zu einer ...

Amos Decker wird von der Vergangenheit eingeholt, als er am Geburtstag seiner Tochter an ihrem Grab in Burlington, Ohio steht. Der alte Mann, der ihn auf dem Friedhof anspricht, wurde wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Und wer hat ihn hinter Gitter gebracht? Richtig, Amos Decker ist dafür verantwortlich und hat nach dem Gespräch mit ihm leise Zweifel, denn der mittlerweile wegen einer Krebserkrankung aus der Haft entlassene Hawkins hat nicht mehr lange zu leben und beteuert, wie bereits in der Vergangenheit, noch immer seine Unschuld. Grund genug für Decker, sich diesen Fall samt der Ermittlungsergebnisse nochmals genauer anzuschauen, zumal Hawkins kurz nach der Begegnung auf dem Friedhof erschossen in seinem Hotelzimmer aufgefunden wird.

Ich mag Baldaccis "Memory Man" Amos Decker, FBI-Agent und Ex-Footballer mit der Kopfverletzung, die für sein außergewöhnliches Gedächtnis verantwortlich ist, aber in „Flashback“, Bd. 5 der Reihe, strapaziert der Autor die Geduld der Leserinnen und Leser über die Maßen. Mit 538 Seiten viel zu lang, viel zu viele überflüssige Wiederholungen, mit Detective Natty und Superintendent Childress zwei Typen, die wie Deus ex Machina auftauchen und ihn in Bedrängnis bringen, und zu guter Letzt ein Schluss, der über mehr als zehn Seiten benötigt, um die mehr als unglaubwürdige Handlung aufzudröseln und zu erklären, wer was warum getan hat. Dass das weitaus besser geht, hat David Baldacci nicht nur in dieser Reihe schon hinlänglich bewiesen. So gibt es von mir leider nur 2,5 (aufgerundet auf 3) von 5 Sternen.

Veröffentlicht am 14.05.2023

Verschenktes Potenzial

So weit der Fluss uns trägt
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In den amerikanischen Kulturredaktionen wurde im vergangenen Jahr kaum ein anderes Buch so sehr gehypt wie „Go as a river“, Debüt der in Colorado lebenden Autorin Shelley Read, der unter dem Titel „So ...

In den amerikanischen Kulturredaktionen wurde im vergangenen Jahr kaum ein anderes Buch so sehr gehypt wie „Go as a river“, Debüt der in Colorado lebenden Autorin Shelley Read, der unter dem Titel „So weit der Fluss uns trägt“ demnächst in deutscher Übersetzung erscheint. Und auch hierzulande gibt es fast ausnahmslos 5-Sterne-Bewertungen für das Leseexemplar.

Über einen Zeitraum von annähernd dreißig Jahren begleiten wir Victoria „Torie“ auf ihren verschlungenen Lebenswegen. Sie lebt außerhalb von Iola, einer Kleinstadt am Gunnison River in Colorado. Ihr Vater bewirtschaftet eine Pfirsichplantage, ihre Mutter, Tante und Cousin kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben als sie gerade einmal elf Jahre alt war. Seither führt sie den Haushalt, zu dem noch ihr Bruder Seth, ein aggressiver Trinker, und ihre Onkel, ein mürrischer Kriegsveteran im Rollstuhl, gehören. Ihr Leben ist eintönig, bestimmt von den täglichen Pflichten, bis sie Wilson Moon begegnet. Aber Indigene sind in Iola nicht gern gesehen, und so kann sie sich nur heimlich mit ihm treffen. Und so beginnt eine zarte Liebesgeschichte mit unausweichlichen Konsequenzen, die Tories Leben für immer verändern wird…

Spätestens der Vergleich mit „Der Gesang der Flusskrebse“ hätte mich misstrauisch stimmen sollen, denn schon dieses Buch konnte mich nicht überzeugen.

Keine Frage, die Landschaftsbeschreibungen sind gut gelungen, aber das ist auch schon fast alles, was „So weit der Fluss uns trägt“ zu bieten hat. Handlung gibt es kaum, und wenn doch, plätschert sie dahin wie der Gunnison River in seinem breiten Flussbett. Kein Wort über die dysfunktionale Familie und die traumatischen Auswirkungen des Unfalls auf die einzelnen Familienmitglieder. Das bleierne Schweigen, das über deren Zusammenleben liegt und zu keinem Zeitpunkt durchbrochen wird. Die Charakterisierung der Personen – und das betrifft ausnahmslos alle, selbst die Protagonistin – kratzt bestenfalls an der Oberfläche. Heimatliebe, Familie, Verlust, Rassismus, jede Menge Themen, die es wert gewesen wären, in die Tiefe zu gehen. Stattdessen langatmige und sich wiederholende Beschreibungen, die meine Geduld über die Maßen strapaziert haben.

Ein langatmig erzählter Roman, der außer jeder Menge verpasster Chancen und verschenktem Potenzial kaum etwas zu bieten hat. Schade.

Veröffentlicht am 11.05.2023

Die Zeit ist reif

Der letzte Sessellift
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In „Der letzte Sessellift“ begleiten wir die Brewsters: Rachel Brewster, Skilehrerin, abwesende Mutter von Adam, in einer lebenslangen Beziehung mit Molly, später Ehefrau des Englischlehrers Elliot Barlow, ...

In „Der letzte Sessellift“ begleiten wir die Brewsters: Rachel Brewster, Skilehrerin, abwesende Mutter von Adam, in einer lebenslangen Beziehung mit Molly, später Ehefrau des Englischlehrers Elliot Barlow, der im Lauf der Zeit vom Mann zur Frau wird. Adam, der außereheliche Sohn Rachels, quasi elternlos, zeitlebens auf der Suche nach seinem Vater, aufgewachsen bei seiner Großmutter, die in ihm die Liebe zum geschriebenen Wort weckt. Dazu der demente Großvater plus weitere Familienmitglieder, die sich allesamt gesellschaftlichen Konventionen verweigern und deshalb zu Außenseitern abgestempelt werden.

Auch wenn John Irving sich, wie in all seinen Romanen zu unkonventionellen Lebensentwürfen bekennt und für Toleranz wirbt, bleibt er in seinen Beschreibungen distanziert, kratzt weitgehend an der Oberfläche und taucht nicht, wie wir es von ihm erwarten, in das Innerste der Personen ein. Dafür nervt er mit endlosen Wiederholungen (Alter, Beruf, Namen) und einem Drehbuch, dessen Sinn sich mir nicht erschließen konnte. Einzig die Auseinandersetzung bzw. das zu Recht Anprangern der amerikanischen Politik bietet neue Aspekte, hier insbesondere das Anprangern der Versäumnisse der Reagan-Ära. Aber auch das kann diesen Roman nicht retten.

Die Zeit ist reif. In einem Interview hat der mittlerweile 81jährige Autor geäußert, dass „Der letzte Sessellift“ sein letzter langer Roman sein wird. Und das ist auch gut so. Irving, aus dessen Feder so herausragende Werke wie „Owen Meany“ oder „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, zwei Bücher, die seit gefühlten Ewigkeiten einen Spitzenplatz auf meiner Liste der Lieblingsbücher einnehmen, hat hier ein Werk abgeliefert, das sich zwar auf vertrautem Irving-Terrain bewegt und stellenweise durchaus unterhält, aber dennoch über weite Strecken ermüdend ist und den Erwartungen nicht gerecht wird, da es mit bekannten Versatzstücken arbeitet, die wir in seinen früheren Werken schon wesentlich besser gelesen haben.

Veröffentlicht am 03.04.2023

Zauberberg meets Shining

Das Sanatorium
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Zauberberg meets Shining, diese Aussage würde eigentlich für den Klappentext von Sarah Pearse Debüt „Das Sanatorium“ reichen. Beworben als atmosphärischer Spannungsroman und Pick of the month in Reese ...

Zauberberg meets Shining, diese Aussage würde eigentlich für den Klappentext von Sarah Pearse Debüt „Das Sanatorium“ reichen. Beworben als atmosphärischer Spannungsroman und Pick of the month in Reese Witherspoons Buchclub. Grund genug, sich diesen Thriller etwas näher anzuschauen.

Die Rahmenbedingungen sind durchaus vielversprechend. Ein abgelegenes Luxushotel in den Schweizer Alpen, ehemals ein Sanatorium für Tuberkulosepatienten. Bereits die Beschreibung der Umgebung, dunkle Wälder und bedrohliche Berggipfel, weckt ein ungutes Gefühl, das sich mit dem Einsetzen des heftigen Schneesturms, der das Hotel von der Außenwelt abschneidet, noch einmal verstärkt. Typisches Szenario für ein Closed Room Mystery.

Geplant ist dort die Verlobungsfeier von DI Elin Warners Bruder, die gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten dorthin reist. Eine willkommene Abwechslung von ihrem eintönigen Alltag, da sie seit ihrem letzten Fall vom Dienst suspendiert ist, wäre da nicht die Beziehung zu dem Bruder von einem traumatischen Erlebnis in der Kindheit überschattet. Sie ist keine Protagonistin, die man als Leser ins Herz schließt, aber sie scheint die einzige der Anwesende zu sein, die die befähigt ist, die dramatischen Ereignisse aufzuklären, die über die Gäste und das verbliebene Personal hereinbrechen.

Die Grundidee war gut, auch wenn Sarah Pearse das Rad nicht neu erfunden hat, und hätte durchaus einen spannenden Psychothriller liefern können. Dafür wäre es aber nötig gewesen, dass sie sich auf das Wesentliche konzentriert und nicht unnötigerweise die Befindlichkeiten ihrer Protagonistin immer wieder lang und breit ausführt. Erschwerend hinzu kommen Richtung Schluss die offensichtlich falschen Fährten, die sie legt. Hier ein Twist, da ein Turn, das wirkt schon sehr bemüht und ist für Leser, die mit dem Genre vertraut sind, einfach zu durchschauen.

Alles in allem ist dieser Reihenauftakt ein Debüt mit Luft nach oben. Wir werden sehen, was der Nachfolgeband, der im Original bereits erschienen ist, zu bieten hat.