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Veröffentlicht am 14.08.2017

Hotel Metropol

Ein Gentleman in Moskau
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Alexander Iljitsch Graf Rostov hat ein privilegiertes Leben in Müßiggang und Genussfreude gelebt. Allein das macht ihn im Rußland der Zwanziger Jahre zu einer unerwünschten Person. Von der Revolutionsregierung ...

Alexander Iljitsch Graf Rostov hat ein privilegiertes Leben in Müßiggang und Genussfreude gelebt. Allein das macht ihn im Rußland der Zwanziger Jahre zu einer unerwünschten Person. Von der Revolutionsregierung wird er unter lebenslangen Hausarrest gestellt. Das klingt nicht so übel, wenn man eine Suite im legendären Moskauer Hotel Metropol bewohnt. Allerdings haben die neuen Machthaber vorgesorgt, die Suite ist perdu, eine winzige Dachkammer ist nun sein Domizil. Aber Alexander hat sich eine Maxime zu eigen gemacht „wenn man nicht Herr der Umstände ist, wird man von den Umständen beherrscht“. So richtet er sein neues Leben ein, bis die Ankunft eines jungen Mädchens im Hotel in aus seiner Beschaulichkeit reißt. Nina ist mit ihrem Vater, einem der neuen Beamten der Regierung nach Moskau gekommen und leben ebenfalls im Hotel. Nina, still, klug und von bestechender kindlicher Logik krempelt sein Leben um. Er lernt die geheimen Treppen und Räume der Dienstboten (wie sie an einen Generalschlüssel gekommen ist, bleibt ihr Geheimnis), die Abläufe hinter den prächtigen Türen kennen. Ein Vorteil, der sich auszahlt, als die Umstände Graf Rostov ins weiße Jackett eines Kellners zwingen.
Ein Leben im Hotel - ein Leben in einem kleinen, eng umgrenzten und definiertem Kosmos, aber so reich an Ideen, Thesen und Erlebnissen. Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, dass mich von der ersten Seite an, so angesprochen und berührt hat. Es sind nicht die großen Umwälzungen, die das Buch zum Thema hat, sondern ein Mensch, dessen Leben mit feinen Pinselstrichen gezeichnet wird. Der sich jeder Herausforderung stellt, aber dabei immer anständig und loyal bleibt und für Menschen, die ihm begegnen und wichtig sind, auch sein eigenes Wohl zurückstellt. Wenn nach langen Jahren der Verbannung ein zurückgekehrter Jugendfreund zu Alexander sagt „ du scheinst der glücklichste Mensch Rußlands zu sein“ hat er den Kern getroffen.
Ich hätte diesen Roman noch ewig weiterlesen können, hier ist eine untergegangene Welt, eine ferne Epoche auferstanden, so lebendig erzählt der Autor Rostovs Leben.
Ich habe ein Lieblingsbuch gefunden, das mich sicher immer wieder zum erneuten lesen und entdecken reizen wird. Ich möchte es jedem Leser ans Herz legen.

Veröffentlicht am 06.08.2017

Mord im Mölltal

Wenn der Platzhirsch röhrt
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Sepp Flattacher, der passionierte Jäger im Mölltal ist ein rechter Kauz. Er möchte nur seine Ruhe haben, sein bester Freund ist sein Hund und allenfalls der etwas einfältige Reini darf noch auf etwas Wohlwollen ...

Sepp Flattacher, der passionierte Jäger im Mölltal ist ein rechter Kauz. Er möchte nur seine Ruhe haben, sein bester Freund ist sein Hund und allenfalls der etwas einfältige Reini darf noch auf etwas Wohlwollen hoffen. Einen echten Kleinkrieg über den Gartenzaun führt er allerdings mit seinem Nachbarn Heinrich Belten, ein Piefke, wie er im Buch steht. Und genau von dort droht Ungemach. Heinrichs Tochter mit Ehemann und Kindern scheinen einen endgültigen Umzug nach Kärnten zu planen und den Vater ins Altenheim zu schicken. Heinrich ist ihm schon zu viel, aber so eine umtriebige Familie gilt es zu verhindern. Also schmieden die zwei alten Herren einen ausgetüftelten Abwehrplan und müssen sich dazu auch widerwillig verbinden. Aber dann kommt ihnen eine Leiche dazwischen und beide fühlen sich nicht ganz unschuldig.

Der Jägerkrimi „Wenn der Platzhirsch röhrt“ ist eine perfekt gelungene Mischung aus schwarzem Humor, kauzigen Typen und haarsträubenden Ereignissen, eingebettet in einen ganz realen Kriminalfall. Dass sich Sepp und Heinrich darin verwickeln lassen, ist auch dem Abwehrkampf gegen Schwiegersohn Anton Nowak geschuldet, der seine Finger in allerlei unsaubere Geschäfte gesteckt hat.

Mir gefällt es, wenn die regionalen Eigenarten und Dialekte und in diesem Fall auch gleich noch Jägerlatein, sich mit einem durchaus ernsten Krimi verbinden. Verständnisschwierigkeiten gibt es dabei keine, dafür sorgt ein ausführliches Glossar im Anhang. Das Buch liest sich flüssig, man mag gar nicht aufhören, ein witziger Einfall jagt den nächsten, ohne dass die Logik und Spannung des Krimis dabei auf der Strecke bleibt. Eine Stärke ist die Gestaltung der Figuren, Alexandra Bleyer zieht da alle Register und ihre Personen sind allesamt gelungen.

Sepp Flattacher wird von der Autorin schon zum zweiten Mal auf Mörderjagd geschickt, aber auch ohne Kenntnis des ersten Bands hat man überhaupt keine Schwierigkeiten sich im Mölltal zurechtfinden.
Wer humorvolle Regionalkrimis schätzt, hat hier ein echtes Highlight vor sich.

Veröffentlicht am 30.07.2017

Der Bote und der Pate

Im Namen des Paten
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Lupino Severino lebt in Venedig mehr schlecht als recht von seinen gelegentlichen Detektivjobs und als Reiseführer. Seine Laufbahn als Polizist musste er aufgeben, die Freundschaft seit Kindertagen mit ...

Lupino Severino lebt in Venedig mehr schlecht als recht von seinen gelegentlichen Detektivjobs und als Reiseführer. Seine Laufbahn als Polizist musste er aufgeben, die Freundschaft seit Kindertagen mit dem Oberhaupt der Frulani-Familie brachte ihn in eine verfängliche Situation.

Da bittet ihn „Il Piccoletto“ Frulani um einen kleinen, aber gut dotierten Gefallen. Einen Speicherchip soll er Frulanis Tante in Triest überbringen. Eine kleine Fahrt, abgeben und am Abend zurück, schnell verdientes Geld, so denkt Severino. Aber es kommt alles anders, kurz bevor der das Haus betritt, zündet eine Sprengladung. Er kann sich in Sicherheit bringen, beim zweiten Versuch der Kontaktaufnahme gerät in die Hände der Mitarbeiter der Signora und wird gefoltert. Plötzlich sieht er sich inmitten eines Kampfs zwischen zwei großen Mafia-Familien und nicht nur er, auch seine Verlobte schweben in Lebensgefahr.

Vor der wirklich sehr malerischen Kulisse Venedigs – Grado und Triest entfaltet sich dieser Mafia-Krimi. Sehr überzeugend erzählt, kann man einen Blick hinter die Machenschaften des organisierten Verbrechens werfen. Dabei hat mir die Charakterisierung der Figuren gefallen. Obwohl Il Piccolletto ein skrupelloser Gangster ist, für den ein Menschenleben nichts zählt, wird er nicht als eindimensionales Monster gezeichnet. Grade das macht die Faszination aus, Macht und Geld und die Gier nach Kontrolle sind seine Motive.

Die Hetzjagd auf Lupino ist rasant erzählt, als fast unschuldige Randfigur ist er zwischen die Fronten geraten und flieht um sein Leben. Dabei ist dem Autor eine atmosphärisch dichte Schilderung gelungen, das italienische Flair der Landschaft, die besondere Stimmung bei Espresso und Wein in Triester Bars und ein Venedig, im dem die Massen der Touristen nur eine lästige Randerscheinung sind, haben mir beim Lesen sehr viel Vergnügen bereitet.
Die Handlung ist realistisch aufgebaut, der Einblick in die Machenschaften der Mafia erscheint mir sehr kenntnisreich erzählt.

Der Krimi hat meine Erwartungen mehr als erfüllt. Spannend, temporeich und mit Empathie für die Figuren – ich mochte kaum aufhören zu lesen. Gut, dass es noch einen ersten Band gibt, der die Wartezeit auf einen neuen Fall für Lupino Severino überbrückt.

Veröffentlicht am 25.07.2017

Sollte man sich nicht entgehen lassen

Die Großmächtigen
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Der Maghreb in den Zwanziger des letzten Jahrhunderts, eine Welt in der es brodelt. Zwischen den französischen Kolonialisten und den politisch geprägten Nationalisten, zwischen den traditionellen Muslimen ...

Der Maghreb in den Zwanziger des letzten Jahrhunderts, eine Welt in der es brodelt. Zwischen den französischen Kolonialisten und den politisch geprägten Nationalisten, zwischen den traditionellen Muslimen und den Fortschrittsgläubigen. Diese labile Konstellation gerät aus den Fugen, als ein amerikanisches Filmteam in Nahbès einzieht. Die geschlossenen Kreise werden durcheinander gewirbelt und die „Großmächtigen“ so der Spottname für die einfluss-und geldreichen Franzosen fürchten um ihre Vormachtstellung.


Hier treffen die fünf Hauptcharaktere aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein können:

Rania, eine junge Araberin, von Büchern fasziniert und aufgeschlossen, schon mit 19 Jahren Witwe geworden, versucht sie ein eigenständiges Leben zu führen und sich der Bevormundung von Vater und Bruder zu entziehen.

Raouf, ein achtzehnjähriger Abiturient, ist angezogen von der französischen Literatur und Sprache, er ist charmant, gebildet und gehört als Sohn des Caîd zu oberen Schicht der Araber.

Ganthier ist Franzose, gehört also zu den Großmächtigen, ist ein gebildeter, aber auch zynischer und reaktionärer Mann.

Kathrin Bishop gehört als Schauspielerin zur Filmcrew, charmant und reizend wirbelt sie gehörig Staub auf. Dazu kommt noch die Journalistin Gabrielle Conti.


Zwischen diesen fünf Hauptfiguren entwickeln sich dramatische, leidenschaftliche und folgenreiche Beziehungen. Hier prallen Welten und Weltanschauungen aufeinander. Der Roman ist ein farbenreiches Epos aus einer für mich bislang fremden Welt. Doch finde ich in all diesen Konflikten und politischen Machtspielen schon den Kern des Konflikts, der bis heute die Region bestimmt. Aber nicht nur der geschichtliche oder politische Hintergrund hat mich gefesselt. Es ist vor allem die Entwicklung der Figuren. Großartig vor allem Rania und Raouf, zwei junge Menschen, die durch die Begegnung mit der Literatur und den Fremden auch die Enge ihrer Welt begreifen.

Es gibt viele wunderbare Geschichten in der Geschichte, kleine zwischenmenschliche Episoden von Neid, Liebe, Eifersucht und Enttäuschung, die mich an Episoden aus Tausendundeiner Nacht erinnerten. Die Handlung führt in einem weiten Bogen aus Nordafrika bis nach Europa und ins Ruhrgebiet und wieder zurück nach Nahbès. Sogar Hollywood darf mit einigen Skandalen auftreten. Die Atmosphäre ist stimmig und nahm mich sofort gefangen.

Die Geschichte ist lebensprall und farbenprächtig, unterhaltsam und traurig zugleich. Ich bin begeistert!

Veröffentlicht am 23.07.2017

Zwei Geistesgrößen

Und Marx stand still in Darwins Garten
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Zwei Männer, deren Werke das Denken unserer Zeit maßgeblich beeinflusst haben – Charles Darwin und Karl Marx. Sie waren Zeitgenossen, haben sich zwar nie getroffen, scheinen aber jeweils das Werk des Anderen ...

Zwei Männer, deren Werke das Denken unserer Zeit maßgeblich beeinflusst haben – Charles Darwin und Karl Marx. Sie waren Zeitgenossen, haben sich zwar nie getroffen, scheinen aber jeweils das Werk des Anderen gekannt und geschätzt zu haben.
Der Autorin Elena Jerger ist gelungen mit der Kunstfigur des Arztes Dr. Beckett eine Verbindung zwischen den beiden Geistesgrößen zu knüpfen. Beide Männer sind am Ende ihres Lebens angekommen und immer mehr machen ihnen Krankheiten – erstaunlicherweise sehr ähnliche – zu schaffen. Dazu kommt auch immer das Gefühl, noch nicht alles erreicht zu haben, ein unvollendetes Werk zurückzulassen und auch manchmal Zweifel am Erreichten und an ihren Erkenntnissen.
Ich finde die Idee der Autorin genial, beide Männer quasi ein Zwiegespräch mit Dr. Beckett als Mittler führen zu lassen. Obwohl sie wenig gemeinsam hatten, verbindet sie die Wahrheitssuche, oft verbunden mit einem schmerzhaften Bruch der Konventionen. Besonders nahe kommt mir das Buch durch die Aktualität. Wie zu Beginn der Erkenntnisse Darwins wird heute wieder seine Abstammungslehre diskutiert und von fundamentalistischen Gruppierungen und Regimes geleugnet.
Der Roman ist eine faszinierende Mischung aus Literatur, Sachbuch und Lebensbeschreibung, fesselnd geschrieben, mit vielen kleinen Einschüben, die die Exzentrik der beiden Protagonisten ins Blickfeld rücken. Unterhaltsam, amüsant – eine stilvolle Erzählweise, die man sonst fast nur bei englischen Autoren vermutet. Für mich ist das Buch eine echte Entdeckung und ein Lesehöhepunkt.